Entscheidungsdatum: 09.12.2014
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 24. April 2014 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) im Ausspruch über die Maßregel und
b) soweit der Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision der Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
Die Strafkammer hat die Angeklagte wegen versuchter Nötigung in zwei tateinheitlichen Fällen sowie wegen versuchter Nötigung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die dagegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision hat den aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet die 1991 geborene Angeklagte an einer dauerhaften und schwerwiegenden emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ sowie unter dissoziativen Krampfanfällen. Seit 2007 befand sie sich deshalb wiederholt - teilweise auch freiwillig - in stationärer psychiatrischer Behandlung.
Im Rahmen dieser Behandlungen stach die Angeklagte im Februar 2013 einen Rettungssanitäter, der sie gegen ihren Willen in ein anderes Krankenhaus bringen wollte, mit einer Kanüle ins Bein. Im Januar 2014 schlug und trat sie nach Pflegekräften, die ihr eine Fernbedienung gegen ihren Willen abgenommen hatten, und im Februar 2014 schlug und trat sie nach einer Pflegerin, die sie unter dem Bett hervorholen und fixieren wollte.
Zu den Anlasstaten hat das Landgericht festgestellt, dass die Angeklagte während eines freiwilligen Klinikaufenthalts im Mai 2013 versuchte, auf zwei Pflegekräfte einzustechen, von denen sie annahm, sie würden sie am Verlassen der Klinik hindern (Fälle 1 und 2). Nach einem Gerangel floh sie und gelangte in einen Schleusenbereich, dessen Türen sich wegen des zwischenzeitlich ausgelösten Alarms verschlossen. Auf einen Pfleger, der die Tür zu diesem Bereich öffnete, stürmte die Angeklagte mit dem Messer in der Hand zu und versuchte ihn zu stechen. Weitere Personen, die versuchten, den Schleusenbereich zu betreten, bedrohte sie mit dem Messer (Fall 3). Aufgrund ihrer psychischen Erkrankung war die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten bei allen Taten erheblich eingeschränkt im Sinne des § 21 StGB.
2. Während der Schuld- und Strafausspruch revisionsrechtlicher Nachprüfung standhalten, wird die Maßregelanordnung gemäß § 63 StGB von den bisherigen Feststellungen und Wertungen nicht getragen.
Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt und daher nur unter sorgfältiger Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen angeordnet werden darf. Das gilt nicht nur für die Feststellung des die Anordnung rechtfertigenden Zustands (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 12. November 2004 - 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 351 f. m.w.N.), sondern gleichermaßen für die tatsächlichen Voraussetzungen der Gefährlichkeitsprognose. Eine erschöpfende Abwägung der maßgeblichen Umstände und ihre Erörterung in den Urteilsgründen ist jedenfalls dann erforderlich, wenn unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) ein Grenzfall gegeben ist.
So verhält es sich hier. Dass bei der Angeklagten eine dauerhafte psychische Erkrankung vorliegt, reicht für die Anordnung der Unterbringung ebenso wenig aus wie die Wahrscheinlichkeit, dass sie infolge dieser Erkrankung bei Begehung weiterer rechtswidriger Taten wiederum in einen Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit kommen kann. Bei der Prognose weiterer erheblicher Taten war zu berücksichtigen, dass es sich bei den Anlasstaten ausnahmslos um solche handelte, die sich während der stationären Unterbringung der Angeklagten ereigneten und die sich gegen einen Rettungssanitäter bzw. gegen Pflegepersonal richteten. Auslöser waren jeweils durch diese Personengruppe veranlasste Beschränkungen der Angeklagten bzw. von der Angeklagten als solche interpretierte Handlungen. Rechtswidrige Taten oder bedrohliches Verhalten der Angeklagten außerhalb stationärer Unterbringung hat die Strafkammer dagegen nicht festgestellt; auch während unbegleiteter Ausgänge der Angeklagten, die mit dissoziativen Krampfanfällen einhergingen, kam es nicht zu aggressiven Verhaltensweisen. Diesen Umstand aber hätte das Landgericht in seine Würdigung, ob die Angeklagte für die Allgemeinheit gefährlich ist, einbeziehen müssen (vgl. Senatsbeschluss vom 8. November 2006 - 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73, 74; BGH, Beschluss vom 25. April 2012 - 4 StR 81/12, NStZ-RR 2012, 271). Allein die allgemeine Erwägung, Frustrationssituationen, die bei der Angeklagten die Gefahr eines Affektdurchbruchs und die Wiederholung von Körperverletzungsdelikten begründeten, kämen nicht nur in untergebrachtem Zustand auf, genügt vor diesem Hintergrund nicht zur Begründung der Allgemeingefährlichkeit der Angeklagten.
3. Die Versagung der Aussetzung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ist aufzuheben. Die Strafkammer hat sich bei der nach § 56 Abs. 1 StGB zu treffenden Prognoseentscheidung allein an der für die Unterbringung nach § 63 StGB erforderlichen negativen Gefahrenprognose orientiert und dabei auch nicht zwischen den Voraussetzungen von § 56 StGB und § 67b StGB differenziert.
Fischer Appl Eschelbach
Ott Zeng