Entscheidungsdatum: 26.09.2012
1. Die Nichtigerklärung der dreijährigen Wartefrist des § 5 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG F1998 durch das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 20. März 2007 - 2 BvL 11/04 - BVerfGE 117, 372) zieht die Unanwendbarkeit der darauf bezogenen Ausnahme- und Anrechnungsregelungen nach sich. Bis zu einer gesetzlichen Neuregelung gilt die frühere Wartefrist von zwei Jahren mit den darauf bezogenen Ausnahme- und Anrechnungsregelungen übergangsweise weiter.
2. Hat das Bundesverfassungsgericht die gesetzliche Grundlage eines Versorgungsfestsetzungsbescheids für nichtig erklärt, so kann der Betroffene für den Zeitraum ab Bekanntgabe dieser Entscheidung die Aufhebung des Festsetzungsbescheids und damit die Anpassung seiner Versorgungsbezüge an die verfassungsrechtlich klargestellte Rechtslage verlangen. Das Ermessen der Behörde zur Rücknahme des rechtswidrigen Versorgungsfestsetzungsbescheids ist wegen des Rechtsgedankens des § 79 Abs. 2 BVerfGG und des verfassungsrechtlichen Schutzes des Versorgungsanspruchs auf Null reduziert.
Der 1946 geborene Kläger stand als Polizist im Dienst des Landes Schleswig-Holstein. Mit Wirkung vom 1. Dezember 2004 wurde er zum Ersten Polizeihauptkommissar (BesGr A 13 BBesO) befördert. Einen diesem Amt entsprechenden Dienstposten hatte der Kläger bereits seit Januar 2002 inne. Mit Ablauf des 30. Juni 2006 trat der Kläger entsprechend der besonderen Altersgrenze für Polizeivollzugsbeamte in den Ruhestand.
Unter Berufung darauf, dass der Kläger erst 19 Monate vor dem Eintritt in den Ruhestand befördert worden war, setzte der Beklagte die Versorgungsbezüge des Klägers nach den ruhegehaltfähigen Dienstbezügen des Amtes der BesGr A 12 BBesO fest.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 20. März 2007 - 2 BvL 11/04 - (BVerfGE 117, 372) die dreijährige Wartefrist nach § 5 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG für nichtig erklärt hatte, beantragte der Kläger, die bestandskräftige Versorgungsfestsetzung aufzugreifen und seine Versorgungsbezüge nach den ruhegehaltfähigen Dienstbezügen des Amtes der BesGr A 13 BBesO neu festzusetzen. Der Antrag und der Widerspruch des Klägers blieben erfolglos.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit im Wesentlichen folgender Begründung abgewiesen: Das Bundesverfassungsgericht habe auch entschieden, dass die Wartefrist von zwei Jahren noch verfassungsgemäß sei. Nach der Gesetzeslage sei es unerheblich, dass der Kläger das zuletzt innegehabte Amt der BesGr A 13 BBesO erheblich länger als zwei Jahre tatsächlich wahrgenommen habe.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung auf das Urteil des Verwaltungsgerichts verwiesen. Ergänzend hat es ausgeführt: Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ergebe sich im Umkehrschluss, dass es die Wartefrist von zwei Jahren auch unter Wegfall der Möglichkeit der Anrechnung der Zeiten der tatsächlichen Wahrnehmung eines Beförderungsamtes für verfassungsrechtlich zulässig erachtet habe. Da die Entscheidung Gesetzeskraft habe, könne sich der Kläger nicht mit Erfolg auf die früher im Gesetz enthaltene Anrechnungsmöglichkeit berufen.
Hiergegen richtet sich die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision des Klägers, mit der er beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. Mai 2011 und des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 3. März 2010 sowie den Bescheid des Beklagten vom 18. September 2007 und dessen Widerspruchsbescheid vom 28. August 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Festsetzungsbescheid vom 22. Juni 2006 für den Zeitraum ab Mai 2007 aufzuheben und die Versorgungsbezüge des Klägers für den Zeitraum ab Mai 2007 auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus dem Amt des Ersten Polizeihauptkommissars, BesGr A 13 BBesO, festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Vertreter des Bundesinteresses verteidigt das Berufungsurteil.
Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht und revisibles Landesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass der Beklagte den Versorgungsfestsetzungsbescheid für den Zeitraum ab Mai 2007 aufhebt und seine Versorgungsbezüge für diesen Zeitraum auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus dem Amt des Ersten Polizeihauptkommissars, BesGr A 13 BBesO, festsetzt.
Der Anspruch des Klägers auf Aufhebung des Festsetzungsbescheids, soweit in diesem für den Zeitraum ab Mai 2007 die Festsetzung der Versorgungsbezüge des Klägers auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge eines höheren Amtes als der BesGr A 12 BBesO abgelehnt worden ist, ergibt sich aus § 118a Abs. 5 und § 116 Abs. 1 Satz 1 des Allgemeinen Verwaltungsgesetzes für das Land Schleswig-Holstein (- LVwG -) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1992 (GVOBl Schl.-H. S. 243). Nach diesen Vorschriften kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Entsprechend der für den Zeitraum ab Mai 2007 bestehenden Rechtslage sind die Versorgungsbezüge des Klägers sodann auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus dem Amt BesGr A 13 BBesO festzusetzen. Bei der maßgeblichen Wartefrist von zwei Jahren ist auch die Zeit zu berücksichtigen, in der der Kläger vor seiner Ernennung die höherwertigen Funktionen des ihm später übertragenen Amtes des Ersten Polizeihauptkommissars tatsächlich wahrgenommen hat.
Der Versorgungsfestsetzungsbescheid ist im Zeitraum ab Mai 2007 insoweit rechtswidrig, als in die Wartefrist nicht die Zeit eingerechnet worden ist, in der der Kläger vor der Amtsübertragung die Aufgaben des höherwertigen Amtes erfüllt hat. Da der Kläger die Aufgaben des Amtes eines Ersten Polizeihauptkommissars bereits seit Januar 2002 wahrgenommen hat, hat er bei Eintritt in den Ruhestand mit Ablauf des Juni 2006 die für die Festlegung der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge maßgebliche Wartefrist von zwei Jahren erfüllt. Damit sind für die Bestimmung der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge des Klägers die Bezüge des Amtes des Ersten Polizeihauptkommissars, BesGr A 13 BBesO, maßgebend (1). Das dem Beklagten nach § 116 Abs. 1 Satz 1 LVwG eröffnete Ermessen ist zu Gunsten des Klägers dahingehend reduziert, dass der Beklagte den bestandskräftigen Versorgungsfestsetzungsbescheid für den Zeitraum ab Mai 2007 mit der Folge aufheben muss, dass die Versorgungsbezüge ab diesem Zeitpunkt nach dem höheren Amt festzusetzen sind (2).
1. Bei dem bestandskräftig gewordenen Versorgungsfestsetzungsbescheid handelt es sich um einen Dauerverwaltungsakt. Er ist darauf gerichtet, eine laufende Geldleistung zu gewähren und damit dauerhaft Rechtswirkungen zu entfalten. Nach dem durch § 49 Abs. 1 BeamtVG vorgegebenen Regelungsgehalt ist dieser Bescheid die gesetzlich vorgeschriebene, rechtsverbindliche Mitteilung über die Höhe der Versorgungsbezüge. Wird festgestellt, dass der Bescheid in Bezug auf die Festsetzung der Versorgungsbezüge wegen eines nachträglich eingetretenen Umstandes rechtswidrig geworden ist, sind für die Aufhebung des Bescheids die Vorschriften über die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts, hier § 116 Abs. 1 Satz 1 LVwG, maßgebend (Urteile vom 16. November 1989 - BVerwG 2 C 43.87 - BVerwGE 84, 111 <113 f.> = Buchholz 232 § 87 BBG Nr. 64 S. 2 und vom 28. Juni 2012 - BVerwG 2 C 13.11 - Rn. 12 bis 15
Da der Kläger mit Ablauf des 30. Juni 2006 in den Ruhestand getreten ist, bestimmt sich sein Ruhegehalt nach den Vorschriften des Beamtenversorgungsgesetzes, die zu diesem Zeitpunkt galten. Danach ist für die Festlegung der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge des Klägers, aus denen sich nach § 4 Abs. 3 BeamtVG das Ruhegehalt berechnet, grundsätzlich § 5 BeamtVG in der Fassung des Professorenbesoldungsreformgesetzes vom 16. Februar 2002 (- BeamtVG F2002 -, BGBl I S. 686) maßgeblich. Die vom Land Schleswig-Holstein erlassenen versorgungsrechtlichen Vorschriften, zum einen das Gesetz zur Überleitung des Bundesbesoldungsgesetzes, des Beamtenversorgungsgesetzes und ergänzender Vorschriften sowie Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 12. Dezember 2008 (GVOBl Schl.-H. S. 785) und zum anderen das Gesetz zur Neuregelung des Besoldungs- und Beamtenversorgungsrechts in Schleswig-Holstein vom 26. Januar 2012 (GVOBl Schl.-H. S. 153), sind auf die Festsetzung des Ruhegehalts von Landesbeamten, die bereits mit Ablauf des Juni 2006 in den Ruhestand getreten sind, nicht anwendbar.
Zwar sah § 5 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG F2002 vor, dass ruhegehaltfähig nur die Bezüge des vorher bekleideten Amtes sind, sofern ein Beamter aus einem Amt in den Ruhestand getreten ist, das nicht der Eingangsbesoldungsgruppe seiner Laufbahn angehört, und er die Dienstbezüge dieses oder eines mindestens gleichwertigen Amtes vor dem Eintritt in Ruhestand nicht mindestens drei Jahre erhalten hat. Das Bundesverfassungsgericht hat aber mit Beschluss vom 20. März 2007 (- 2 BvL 11/04 - BVerfGE 117, 372) die Ausdehnung der Wartefrist auf drei Jahre als mit Art. 33 Abs. 5 GG unvereinbar und § 5 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. März 1999 (BGBl I S. 322) für nichtig erklärt.
Entgegen der Annahme des Oberverwaltungsgerichts hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 20. März 2007 (- 2 BvL 11/04 - a.a.O. S. 384 ff.) aber nicht mit Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) entschieden, dass die Kombination aus einer Wartefrist von zwei Jahren und dem Wegfall der Einrechnung von Zeiten der tatsächlichen Wahrnehmung der Aufgaben eines höherwertigen Amtes verfassungsrechtlich zulässig ist. Denn eine solche gesetzliche Regelung stand, weil sie vor dieser Entscheidung nie in Kraft war, nicht zur verfassungsrechtlichen Prüfung an.
Aus § 79 Abs. 2 BVerfGG, der die Folgen der Nichtigerklärung einer gesetzlichen Regelung durch das Bundesverfassungsgericht für die auf dieser Norm beruhenden unanfechtbaren Entscheidungen regelt, ergibt sich die grundlegende Annahme des Gesetzgebers, dass die Rechtsfolge der Nichtigkeit eines Gesetzes mit Wirkung ex tunc eintritt (BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 1905/02 - BVerfGE 115, 51 <62>). Danach konnte das nichtige Gesetz die zuvor bestehende gesetzliche Regelung nicht aufheben, so dass diese - unerkannt - in Geltung geblieben ist (BVerfG, Beschlüsse vom 19. Juli 2000 - 1 BvR 539/96 - BVerfGE 102, 197 <208> und vom 21. November 2001 - 1 BvL 19/93, 1 BvR 1318, 1513, 2358/94, 308/95 - BVerfGE 104, 126 <149 f.>; Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 9. Aufl., Rn. 457 f.).
Nach den allgemeinen Kollisionsregeln gilt für die Fortgeltung der scheinbar verdrängten Normen zum einen, dass eine generelle Norm, der die nichtige spezielle Norm nach dem Grundsatz lex specialis zuvor - scheinbar - vorging, wieder anwendbar ist. Zum anderen sind ältere (auch spezielle) Vorschriften, die von der nichtigen jüngeren (ebenfalls speziellen) Vorschrift sinngemäß oder ausdrücklich aufgehoben worden sind, unverändert anzuwenden (vgl. Graßhof, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl., § 78 Rn. 17; Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl., § 20 Rn. 127).
Nach diesen Grundsätzen ist infolge der Nichtigerklärung durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. März 2007 (- 2 BvL 11/04 - a.a.O.) für die Bestimmung der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge des Klägers nicht die allgemeine Vorschrift des § 5 Abs. 1 BeamtVG, sondern die früher geltende, spezielle Vorschrift der zweijährigen Wartefrist des § 5 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG in der Fassung des Reformgesetzes vom 24. Februar 1997 (- BeamtVG F1997 -, BGBl I S. 322) maßgeblich. Ein Ausnahmefall, bei dem sich aus dem nichtigen Reformgesetz ergibt, dass der Gesetzgeber den alten Zustand nicht lediglich verbessern, sondern auf jeden Fall abschaffen wollte, so dass mangels Gültigkeit der neuen Regelung keine spezielle Regelung besteht, liegt hier nicht vor (vgl. Graßhof, a.a.O.; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 78 Rn. 51). Aus den Materialien zum Versorgungsreformgesetz 1998 vom 29. Juni 1998 (- BeamtVG F1998 -, BGBl I S. 1666), durch das die Wartefrist auf drei Jahre verlängert wurde, ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber an der Wartefrist grundsätzlich festhalten wollte (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 13/9527, S. 37 zu Art. 6 Nr. 4).
Neben der generellen Regelung der Wartefrist von zwei Jahren des § 5 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG F1997 sind auch die darauf bezogenen Ausnahmen und Anrechnungsregelungen dieser Fassung anzuwenden. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 20. März 2007 (- 2 BvL 11/04 - a.a.O.) die Ausnahmen und Anrechnungsregelungen des § 5 Abs. 3 Satz 3 und 4 BeamtVG F 1998 nicht für nichtig erklärt. Diese Regelungen sehen im Gegensatz zu § 5 Abs. 3 Satz 4 BeamtVG F1997 die Anrechnung von Beschäftigungszeiten auf Beförderungsdienstposten vor der Beförderung auf die Wartezeit nicht mehr vor. Nach ihrem Wortlaut beziehen sie sich jedoch auf die Wartefrist von drei Jahren und haben, weil diese Regelung infolge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20. März 2007 (- 2 BvL 11/04 - a.a.O.) von Anfang an nichtig ist, keinen Anwendungsbereich.
Die infolge der Nichtigerklärung des Bundesverfassungsgerichts maßgebliche Regelung der zweijährigen Wartefrist (§ 5 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG F1997) steht mit den Ausnahmevorschriften und den Anrechnungsregelungen der Absätze 3 bis 5 dieser Fassung in einem einheitlichen Regelungszusammenhang. Sie beruhen auf einer einheitlichen gesetzgeberischen Entscheidung, so dass neben der generellen Wartefrist von zwei Jahren auch wiederum die darauf bezogenen Anrechnungsregelungen maßgeblich sind.
Die Grundsätze über die Teilnichtigkeit eines Gesetzes sind auf die hier vorliegende Konstellation nicht in der Weise übertragbar, dass Teilelemente aus verschiedenen Fassungen einer gesetzlichen Regelung von den Gerichten eigenverantwortlich zu einer Gesamtregelung zusammengefügt werden können (anders VGH München, Beschluss vom 17. Januar 2012 - 3 BV 08.1947 - juris Rn. 52). Bei der Teilnichtigkeit ist entscheidend, ob von der gesetzlichen Regelung trotz der Nichtigkeit eines Teils ein Anwendungsrest bestehen bleibt, der für sich genommen ein sinnvolles Regelungsgefüge darstellt und dessen Geltung ohne den nichtigen Teil dem hypothetischen Willen des Normgebers entspricht (BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 2010 - 2 BvL 16/09 - NVwZ-RR 2011, 387, Rn. 29). Kennzeichen des Grundsatzes der Teilnichtigkeit ist aber, dass die Norm, die teilweise aufrechterhalten wird, von einem einheitlichen gesetzgeberischen Willen getragen ist. Demgegenüber würden bei einer gleichzeitigen Anwendung der zweijährigen Wartefrist des § 5 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG F1997 und der Anrechnungsregelungen des § 5 Abs. 3 Satz 3 und Abs. 4 BeamtVG F1998 Elemente aus verschiedenen gesetzgeberischen Entscheidungen miteinander kombiniert. Es ist aber nicht die Aufgabe von Gerichten, aus verschiedenen, vom Gesetzgeber zu unterschiedlichen Zeitpunkten geschaffenen Teilregelungen eine gesetzliche Gesamtregelung zusammenzustellen, die als solche nie erlassen wurde und daher nicht von einem einheitlichen Willen des Gesetzgebers getragen ist. Die Schaffung eines aufeinander abgestimmten Systems von Wartefrist und Ausnahme- oder Anrechnungsregelungen ist allein Sache des Gesetzgebers. Diesem Regelungsauftrag ist der Bundesgesetzgeber durch das Dienstrechtsneuordnungsgesetz vom 5. Februar 2009 (Art. 4 Nr. 5 Buchst. b und c, BGBl I S. 160) auch nachgekommen. Auch das Land Schleswig-Holstein hat durch die oben genannten gesetzlichen Vorschriften die Wartefrist umfassend neu geregelt.
Im Übrigen hat der Gesetzgeber mit einer Wartefrist nach § 5 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG von zwei Jahren unter Anrechnung von Zeiten der Wahrnehmung der Aufgaben des Beförderungsamtes die Grenze, bis zu der der Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den gemäß Art. 33 Abs. 5 GG zu beachtenden Grundsatz der Versorgung aus dem letzten Amt einschränken kann, ausgeschöpft (BVerfG, Beschlüsse vom 7. Juli 1982 - 2 BvL 14/78, 2/79 und 7/82 - BVerfGE 61, 43 und vom 20. März 2007 - 2 BvL 11/04 - a.a.O.).
Die danach anzuwendende Vorschrift des § 5 Abs. 3 Satz 4 BeamtVG F1997 bestimmt, dass Zeiten, in denen der Beamte vor der Amtsübertragung die höherwertigen Funktionen des ihm später übertragenen Amtes tatsächlich wahrgenommen hat, in die Zweijahresfrist einzurechnen sind. Deshalb hat der Kläger, weil die Zeiten der tatsächlichen Wahrnehmung der höherwertigen Funktionen des Amtes des Ersten Polizeihauptkommissars seit Januar 2002 einzurechnen sind, die maßgebliche Wartefrist erfüllt.
2. Das dem Beklagten nach § 116 Abs. 1 Satz 1 LVwG eröffnete Ermessen ist infolge des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 20. März 2007 dahingehend reduziert, dass er den bestandskräftigen Versorgungsfestsetzungsbescheid für den Zeitraum ab Mai 2007 aufheben muss. Als Folge hiervon muss der Beklagte die Versorgungsbezüge des Klägers ab Mai 2007 auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus dem Amt des Ersten Polizeihauptkommissars, BesGr A 13 BBesO, festsetzen.
Dies ergibt sich aus der in § 79 Abs. 2 BVerfGG zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertung. Sofern der Gesetzgeber die Reaktion auf die Nichtigerklärung einer gesetzlichen Vorschrift durch das Bundesverfassungsgericht durch eine allgemeine Regel des Verwaltungsverfahrensrechts in das Ermessen der Behörde stellt, muss sich dieses Ermessen an den Vorgaben des § 79 Abs. 2 BVerfGG ausrichten, wenn sich aus dem jeweiligen Fachgesetz, wie hier, nichts anderes ergibt (Urteil vom 24. Februar 2011 - BVerwG 2 C 50.09 - Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 58 Rn. 14 ff.). Danach kann der Betroffene für die Zukunft auch die Anpassung eines Dauerverwaltungsakts an die verfassungsrechtlich klargestellte Rechtslage verlangen (Bethge, a.a.O. § 79 Rn. 53 m.w.N.; Graßhof, a.a.O. § 79 Rn. 31; Lechner/Zuck, BVerfGG, 6. Aufl., § 79 Rn. 13; Löwer, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl., Band III, § 70, Rn. 118 Fn. 912 m.w.N.).
Nach § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG bleiben die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm beruhen, vorbehaltlich der Vorschrift des § 95 Abs. 2 BVerfGG oder einer besonderen gesetzlichen Regelung unberührt. Hierdurch hat der Gesetzgeber für die Vergangenheit, d.h. für die Zeit vor der Nichtigerklärung, der Rechtssicherheit den Vorrang vor der materiellen Gerechtigkeit eingeräumt. Unanfechtbare Entscheidungen sollen trotz feststehender anfänglicher Rechtswidrigkeit für die Vergangenheit rechtswirksam bleiben. Ein Verwaltungsakt, der auf einer für nichtig erklärten Norm beruht, ist unverändert Rechtsgrundlage für die von ihm geregelten Rechtsbeziehungen. Die Behörde kann weder die vor der Nichtigerklärung zu Unrecht gewährten Leistungen zurückverlangen noch kann der Begünstigte für diese Zeit nachträglich höhere als die festgesetzten Leistungen beanspruchen (BVerfG, Beschlüsse vom 11. Oktober 1966 - 1 BvR 164,178/64 - BVerfGE 20, 230 <235 f.> und vom 16. Januar 1980 - 1 BvR 127, 679/78 - BVerfGE 53, 115 <130>; Bethge, a.a.O. § 79 Rn. 44).
Demgegenüber erklärt § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG die Vollstreckung aus unanfechtbaren Entscheidungen für unzulässig. Danach kann der Geltungsanspruch der nach Satz 1 unberührt bleibenden Entscheidung, wozu in erster Linie Verwaltungsakte gehören (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1966- 1 BvR 164, 178/64 - a.a.O. S. 236), gegen den Willen des Betroffenen nicht mehr durchgesetzt werden.
Somit stellt die Nichtigerklärung einer gesetzlichen Regelung durch das Bundesverfassungsgericht die zeitliche Grenze für den Geltungsanspruch der auf der für nichtig erklärten Vorschrift beruhenden unanfechtbaren Entscheidungen dar. Bis zur Nichtigerklärung der gesetzlichen Regelung gebührt der Rechtssicherheit der Vorrang. Für den Zeitraum danach setzt sich demgegenüber das Prinzip der materiellen Gerechtigkeit durch. Das Bundesverfassungsgericht hat dementsprechend aus den Regelungen des § 79 Abs. 2 BVerfGG den allgemeinen Rechtsgedanken abgeleitet, dass einerseits zwar unanfechtbar gewordene fehlerhafte Akte der öffentlichen Gewalt nicht rückwirkend aufgehoben und die in der Vergangenheit von ihnen ausgegangenen nachteiligen Wirkungen nicht beseitigt werden, andererseits jedoch zukünftige Folgen, die sich aus einer zwangsweisen Durchsetzung der verfassungswidrigen Entscheidung ergeben würden, abgewendet werden sollen (stRspr, BVerfG, Beschlüsse vom 27. November 1997 - 1 BvL 12/91 - BVerfGE 97, 35 <48> und vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 1905/02 - BVerfGE 115, 51 <63> m.w.N.).
Dieser Rechtsgedanke ist auf Dauerverwaltungsakte wie Versorgungsfestsetzungsbescheide, die nicht im engeren Sinne des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG vollstreckt werden, sondern die Grundlage für monatlich im Voraus zu zahlende Versorgungsbezüge bilden, zu übertragen. Ihre Bestandskraft wird nur für die Vergangenheit geschützt, so dass der Betroffene nicht unter Berufung auf die Nichtigerklärung einer gesetzlichen Regelung für die Vergangenheit höhere Leistungen beanspruchen kann. Demgegenüber gebührt für die Zukunft der materiellen Gerechtigkeit, nicht der Rechtssicherheit der Vorrang, so dass der Dauerverwaltungsakt an die Rechtslage anzupassen ist (Bethge, a.a.O. § 79 Rn. 53 m.w.N.; Graßhof, a.a.O. § 79 Rn. 31). Andernfalls müsste Dauerverwaltungsakten zeitlich unbegrenzte Geltung beigemessen werden, obwohl ihre gesetzliche Grundlage wegen der Nichtigerklärung weggefallen ist. Ihre nach dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit gebotene Anpassung an die klargestellte Rechtslage hinge dann von Zufälligkeiten ab, d.h. vom Eintritt von Umständen, die die Behörde unabhängig von der Nichtigerklärung der gesetzlichen Grundlage durch das Bundesverfassungsgericht zur Abänderung des Dauerverwaltungsakts veranlassen.
Auch die verfassungsrechtliche Verankerung des Versorgungsanspruchs des Klägers spricht dafür, dass das nach § 116 Abs. 1 Satz 1 LVwG eröffnete Rücknahmeermessen nach dem Rechtsgedanken des § 79 Abs. 2 BVerfGG zu dessen Gunsten auf Null reduziert ist. Durch die bei Eintritt in den Ruhestand geltenden Regeln hat der Gesetzgeber den Gestaltungsspielraum ausgeübt, der ihm verfassungsrechtlich durch den Alimentationsgrundsatz eröffnet ist. Der sich daraus ergebende Versorgungsanspruch genießt verfassungsrechtlichen Schutz, weil ihn der Versorgungsberechtigte erdient hat (BVerfG, Beschluss vom 20. März 2007 - 2 BvL 11/04 - a.a.O. S. 387 m.w.N.). Der Dienstherr behält einen fiktiven Anteil der Dienstbezüge ein, um die Altersversorgung der Beamten zu finanzieren (Urteil vom 27. Januar 2011 - BVerwG 2 C 25.09 - Buchholz 449.4 § 55b SVG Nr. 1 Rn. 22 m.w.N.).
Dem Anspruch des Klägers auf Anpassung des bestandskräftigen Versorgungsfestsetzungsbescheids an die Nichtigerklärung ab Mai 2007 steht auch nicht die Aussage des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 20. März 2007 (- 2 BvL 11/04 - a.a.O. S. 391) entgegen, wonach die auf der für nichtig erklärten Vorschrift beruhenden, im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Entscheidung bereits bestandskräftigen Versorgungsfestsetzungsbescheide von der Entscheidung unberührt bleiben. Diese Aussage bezieht sich, wie dem Verweis auf den dort zitierten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28. April 1999 (- 1 BvL 32/95, 1 BvR 2105/95 - BVerfGE 100, 1 <58 f.>) unmittelbar zu entnehmen ist, auf die Zeit vor der Bekanntgabe des Beschlusses.
Die hier beantragte Anpassung der Versorgungsbezüge des Klägers an die Nichtigerklärung der dreijährigen Wartefrist (§ 5 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG F1998) durch das Bundesverfassungsgericht für den Zeitraum ab Mai 2007 könnte ermessensfehlerfrei nur dann zeitlich hinausgeschoben werden, wenn hierfür ein gewichtiger Grund bestünde, der eine unverzügliche Anpassung als unangemessen erscheinen ließe (Urteil vom 24. Februar 2011 a.a.O. Rn. 24). Ein derartiger Grund liegt hier nicht vor.
Insbesondere kann die Anpassung des Versorgungsfestsetzungsbescheids nicht von einem entsprechenden Antrag des Ruhestandsbeamten abhängig gemacht werden. Das Antragserfordernis ist keine allgemeine ungeschriebene Voraussetzung für beamtenrechtliche Ansprüche. Ein Antrag im Sinne einer Rügeobliegenheit oder Hinweispflicht des Beamten kommt als ungeschriebene Anspruchsvoraussetzung nur in Betracht, wenn es um nicht normativ festgelegte Ansprüche geht. Der Versorgungsanspruch ist aber gesetzlich festgelegt und kann deshalb nicht an einen solchen Antrag geknüpft werden (Urteil vom 26. Juli 2012 - BVerwG 2 C 29.11 - juris Rn. 27