Entscheidungsdatum: 27.01.2011
Die Ermessensentscheidung nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG a.F. über die Berücksichtigung von Ausbildungszeiten hat sich daran zu orientieren, ob der Beamte aufgrund dieser Zeiten anderweitige Versorgungsansprüche erworben hat (im Anschluss an das Urteil vom 11. Dezember 2008 - BVerwG 2 C 9.08 -).
Der 1939 geborene Kläger ist österreichischer Staatsangehöriger. 1959 begann er an der Technischen Universität Wien ein Studium, das er 1972 abschloss. Von 1965 bis 1972 ging der Kläger in Österreich zugleich einer Erwerbstätigkeit nach. Nachdem er von 1975 bis 1980 im Dienst einer bayerischen Stadt gestanden hatte, trat er im Februar 1980 in den Dienst des Beklagten ein. Zum 1. August 2004 trat der Kläger als Studiendirektor in den Ruhestand.
Mit Bescheid vom 2. November 2004 setzte der Beklagte die Versorgungsbezüge des Klägers ab dem 1. August 2004 aufgrund eines Ruhegehaltssatzes von 73,58 v.H. auf 2 594,40 € fest. Bei der Bestimmung der ruhegehaltfähigen Dienstzeit wurde die Studienzeit des Klägers mit vier Jahren und 183 Tagen berücksichtigt. Im Hinblick auf die Studienzeiten wies der Beklagte im Bescheid darauf hin, dass ihre Berücksichtigung unter dem Vorbehalt eines rückwirkenden Widerrufs für den Fall stehe, dass dem Kläger eine andere Versorgungsleistung als die von § 55 BeamtVG erfassten Renten und Leistungen zustehe.
Wegen einer dem Kläger von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte ab dem 1. August 2004 gewährten Altersrente wurde gemäß § 55 BeamtVG in Höhe eines Betrages von monatlich 26,63 € das Ruhen der Versorgungsbezüge angeordnet.
Mit Bescheid vom 30. Dezember 2004 bewilligte die Pensionsversicherungsanstalt in Wien dem Kläger ab dem 1. August 2004 eine monatliche Alterspension in Höhe von 195,07 €. Aufgrund dessen setzte der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 5. September 2006 in Anwendung der Ermessensrichtlinien 2002 die Versorgungsbezüge des Klägers rückwirkend zum 1. August 2004 auf der Grundlage eines Ruhegehaltssatzes von 69,58 v.H. auf 2 398,96 € fest. Vom Studium des Klägers könnten nur noch zwei Jahre und 123 Tage berücksichtigt werden, damit das Ruhegehalt zusammen mit der österreichischen Alterspension und der deutschen Regelaltersrente die nach § 55 Abs. 2 BeamtVG ermittelte Höchstgrenze nur geringfügig übersteige.
Widerspruch und Anfechtungsklage gegen diesen Änderungsbescheid blieben erfolglos. Die Berufung des Klägers hat der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen aus folgenden Gründen zurückgewiesen:
Die Vorschrift über die Berücksichtigung von Ausbildungszeiten bei der Festsetzung des Ruhegehaltssatzes diene dazu, eine für die Beamten aller Laufbahngruppen annähernd gleiche Ausgangslage bei der Berechnung ihrer ruhegehaltfähigen Dienstzeit zu schaffen. Damit wäre es unvereinbar, einen Beamten, der während seiner Ausbildungszeiten eine der Art nach dem Ruhegehalt entsprechende Versorgung erworben habe, durch die Berücksichtigung seiner Ausbildungszeiten bezüglich seiner Altersversorgung besser zu stellen, als er stehen würde, wenn er seine gesamte Dienstzeit im Beamtenverhältnis verbracht hätte. Ein "Nur-Beamter" hätte während seiner Dienstzeit nicht die Möglichkeit gehabt, eine zusätzliche Versorgung zu erwerben. Die Beschränkung der Anrechnung der Studienzeiten des Klägers auf nur noch zwei Jahre und 123 Tage führe dazu, dass er unter Berücksichtigung der Altersrenten die höchstmöglichen Ruhestandsbezüge eines "Nur-Beamten" erhalte.
Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Er beantragt,
die Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. Oktober 2008 und des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 7. November 2007 sowie den Bescheid des Landesamts für Finanzen vom 5. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2006 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Vertreter des Bundesinteresses verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Revision ist mit der Maßgabe begründet, dass das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen ist (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Das Berufungsurteil verletzt § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Beamtenversorgungsgesetzes in der hier maßgeblichen Fassung vom 12. Februar 1987 (BGBl I S. 570 - BeamtVG a.F. -). Mit dieser Vorschrift unvereinbar ist die tragende Erwägung des Berufungsgerichts, die Behörde könne das ihr zustehende Ermessen der Berücksichtigung vordienstlicher Ausbildungszeiten als ruhegehaltfähig so ausüben, dass die Gesamtversorgung des Beamten aus inländischen Versorgungsbezügen, einer inländischen Altersrente sowie einer nicht dem § 55 BeamtVG unterfallenden ausländischen Altersrente die Höchstgrenze des § 55 Abs. 2 BeamtVG nicht übersteigt. Ob sich das Urteil aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 144 Abs. 4 VwGO), kann der Senat mangels entsprechender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts nicht beurteilen.
1. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Bedeutung des dem ersten Festsetzungsbescheid beigefügten Hinweises sind unklar geblieben. Eine Bewertung des Hinweises als auflösende Bedingung ist ausgeschlossen, weil sein vom Berufungsgericht festgestellter Wortlaut nicht deutlich zum Ausdruck bringt, dass die für den Kläger günstige Berücksichtigung seiner Studienzeiten anlässlich der Festsetzung seiner Versorgungsbezüge ohne Weiteres entfallen soll, wenn ihm zukünftig eine nicht von § 55 BeamtVG erfasste Altersrente bewilligt wird. Vielmehr handelt es sich um die Ankündigung, das Ruhegehalt im Fall des Bezugs einer solchen Altersrente ohne Berücksichtigung dieser Vordienstzeiten neu festzusetzen (vgl. Urteil vom 16. Juli 2009 - BVerwG 2 C 43.08 - Buchholz 239.1 § 11 BeamtVG Nr. 13 Rn. 11 = NVwZ-RR 2009, 848).
Der Beklagte hat durch den angefochtenen Bescheid vom 5. September 2006 die im Bescheid vom 2. November 2004 ausgesprochene Anerkennung der Studienzeiten als ruhegehaltfähig aufgehoben. Damit ist der Bescheid vom 5. September 2006 an Art. 48 Abs. 1 und 2 BayVwVfG zu messen. Nach diesen Vorschriften, die nach Art. 1 Abs. 1 BayVwVfG auch für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit des Beklagten gelten, setzt die Rücknahme von Verwaltungsakten deren Rechtswidrigkeit voraus (vgl. Urteil vom 16. Juli 2009 a.a.O. Rn. 12). Dies kann hinsichtlich der Berücksichtigung der Vordienstzeiten des Klägers der Fall sein, wenn diese von vornherein nicht berücksichtigungsfähig waren, weil sie die Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG a.F. nicht erfüllen. Dies kann weiter dann der Fall sein, wenn der nachträgliche Bezug der österreichischen Alterspension die Versorgungsbehörde berechtigt hat, das ihr gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG a.F. eröffnete Ermessen nunmehr zum Nachteil des Klägers zumindest dahingehend auszuüben, dass von den Studienzeiten des Klägers nur noch zwei Jahre und 123 Tage zu berücksichtigen sind. Die hierfür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen hat das Berufungsgericht nicht getroffen.
2. Der Bescheid vom 2. November 2004 wäre von vornherein rechtswidrig, wenn die Berücksichtigung der Verdienstzeiten als ruhegehaltfähig nicht im Einklang mit § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG a.F. stand. Insoweit war nach § 85 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BeamtVG bei der Berechnung der ruhegehaltfähigen Dienstzeit für den Kläger auf das bis zum 31. Dezember 1991 geltende Recht abzustellen. Maßgebend sind deshalb die Anrechnungsvorschriften des Beamtenversorgungsgesetzes in der Fassung vom 12. Februar 1987 (BGBl I S. 570; vgl. Urteile vom 28. Oktober 2004 - BVerwG 2 C 38.03 - Buchholz 239.1 § 11 BeamtVG Nr. 9 S. 2, vom 28. Februar 2007 - BVerwG 2 C 18.06 - Buchholz 239.1 § 12 BeamtVG Nr. 16 Rn. 22 und vom 24. September 2009 - BVerwG 2 C 63.08 - BVerwGE 135, 14 Rn. 14).
Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG a.F. kann die nach Vollendung des siebzehnten Lebensjahres verbrachte Mindestzeit der außer der allgemeinen Schulbildung vorgeschriebenen Hochschulausbildung als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden. Bei der Hochschulausbildung muss es sich um eine laufbahnrechtliche Einstellungsvoraussetzung handeln, die der Bewerber erfüllen muss, um in das Beamtenverhältnis übernommen zu werden (Urteile vom 28. Februar 2007 a.a.O. Rn. 22 und 24 und vom 24. September 2009 a.a.O. Rn. 20). Zum Gegenstand des Studiums des Klägers an der Technischen Universität Wien und zu seiner Bedeutung für das statusrechtliche Amt des Klägers hat das Berufungsgericht keine tatsächlichen Feststellungen getroffen.
3. Sollte es sich bei der vordienstlichen Ausbildungszeit um eine anerkennungsfähige Zeit handeln, könnte die Anerkennung nachträglich rechtswidrig geworden sein, weil der Kläger eine österreichische Alterspension erhält. Ein bei Erlass rechtmäßiger Verwaltungsakt, der auf eine laufende Geldleistung gerichtet oder hierfür Voraussetzung ist, kann aufgrund einer rechtserheblichen, nach seinem Erlass eingetretenen Änderung der Sachlage rechtswidrig werden (vgl. Urteil vom 16. Juli 2009 a.a.O. Rn. 15 m.w.N.).
Dies ist hinsichtlich der Berücksichtigung von vordienstlichen Ausbildungszeiten der Fall, wenn der nachträgliche Bezug einer weiteren Leistung der Altersversorgung die Versorgungsbehörde berechtigt, das ihr gemäß § 12 BeamtVG eröffnete Ermessen auszuüben. Ob sie die Anerkennung ermessensfehlerfrei zurücknehmen kann, ist nach der Verwaltungspraxis der Ermessensausübung zu entscheiden, die am 31. Dezember 1991 bestanden hat, weil über die Ruhegehaltfähigkeit einer berücksichtigungsfähigen vordienstlichen Ausbildungszeit im Rahmen des § 85 Abs. 1 BeamtVG zu entscheiden ist (vgl. Urteil vom 24. September 2009 a.a.O. Rn. 22 m.w.N.). Danach erweist sich die Entscheidung des Beklagten, die Ruhegehaltfähigkeit der Studienzeiten abzulehnen, schon deshalb als rechtswidrig, weil der Beklagte diese Entscheidung nach den gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts auch im Rahmen des § 85 Abs. 1 BeamtVG auf die Ermessensrichtlinien 2002 gestützt hat. Feststellungen zu der maßgebenden Handhabung des Ermessens bis zum 31. Dezember 1991 hat das Berufungsgericht nicht getroffen.
Unabhängig davon ist die vom Beklagten zugrunde gelegte Ermessenspraxis auch deshalb rechtswidrig, weil sie eine Ausübung des Ermessens vorgibt, die mit dem Wortlaut und Zweck der gesetzlichen Anrechnungsvorschriften nicht vereinbar ist (Urteile vom 24. September 2009 a.a.O. Rn. 24 m.w.N. und vom 16. Juli 2009 a.a.O. Rn. 19 m.w.N.).
Ist die Behörde, wie bei § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG a.F., ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, so hat sie das Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (Art. 40 BayVwVfG). Insoweit unterliegt die Ermessensausübung der Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichte (§ 114 Satz 1 VwGO). Danach muss eine Ermessensentscheidung über die Anerkennung berücksichtigungsfähiger Vordienstzeiten nach § 12 BeamtVG auf Erwägungen gestützt sein, die im Hinblick auf den Wortlaut und den Zweck der gesetzlichen Regelung sachgerecht sind (vgl. Urteil vom 16. Juli 2009 a.a.O. Rn. 19 m.w.N.).
Der Gesetzgeber verfolgt mit §§ 11 und 12 BeamtVG den Zweck, einem erst im vorgerückten Lebensalter in das Beamtenverhältnis übernommenen Beamten annähernd die Versorgung zu ermöglichen, die er erhalten würde, wenn er sich während der fraglichen Zeit, in der er die besondere Eignung für die Wahrnehmung seines späteren Amtes erlangt hat, bereits im Beamtenverhältnis befunden hätte. Die Vorschriften sollen Versorgungslücken schließen. Deshalb kann die Versorgungsbehörde in die Ermessenserwägungen einstellen, ob und in welcher Höhe der Beamte aufgrund dieser Zeiten bereits dem Ruhegehalt entsprechende Versorgungsansprüche erworben hat. Das gilt auch bei den vorgeschriebenen Ausbildungszeiten im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG, die der Beamte durchlaufen muss, um die besondere Eignung für die Übernahme in das Beamtenverhältnis zu erwerben. Handelt es sich um vorgeschriebene Ausbildungszeiten, die der Beamte nicht im Beamtenverhältnis absolvieren kann, reduziert sich das Ermessen der Versorgungsbehörde aufgrund des Gesetzeszwecks des § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG; die "Kann-Vorschrift" wird zu einer "Soll-Vorschrift". Die Versorgungsbehörde darf die Berücksichtigung der vorgeschriebenen Ausbildungszeiten gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG nur dann ablehnen, wenn der Beamte aufgrund dieser Zeiten andere Versorgungsansprüche erworben hat (Urteil vom 11. Dezember 2008 - BVerwG 2 C 9.08 - Buchholz 239.1 § 12 BeamtVG Nr. 17 Rn. 15 m.w.N. = NVwZ-RR 2009, 345).
Sollten die geltend gemachten Ausbildungszeiten des Klägers für die spätere Übernahme als Beamter vorgeschrieben gewesen sein, so entspricht ihre Anerkennung als ruhegehaltfähig dem Zweck des § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG a.F. Daher muss sie die Versorgungsbehörde in die Festsetzung des Ruhegehalts einbeziehen; eine andere Entscheidung wäre ermessensfehlerhaft. Eine Ausnahme gilt dann, wenn der Kläger aufgrund seiner Ausbildungszeiten andere Versorgungsansprüche erworben hat.
In die Ermessensausübung nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG a.F. darf jedoch nicht eingestellt werden, dass der Kläger neben Versorgungsbezügen aus seinem Amt und einer deutschen Altersrente noch eine österreichische Alterspension erhält. Denn bei der Ermessensentscheidung nach §§ 11 und 12 BeamtVG geht es nicht um die Vermeidung einer Doppelversorgung aus öffentlichen Mitteln oder eine Begrenzung des Ruhegehalts, sondern ausschließlich um die Schließung einer Versorgungslücke durch die Berücksichtigung von Ausbildungszeiten bei der Festsetzung der ruhegehaltfähigen Dienstzeit. Erst recht kann ein im Hinblick auf eine ausländische Altersrente nach § 55 BeamtVG nicht erreichbares Ergebnis nicht auf dem Umweg des § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG a.F. durch eine schematische Ermessenspraxis erreicht werden, die den Hintergrund der im Ausland bewilligten Altersrente unberücksichtigt lässt. Auch eine solche Ermessensausübung stünde im Widerspruch zum Zweck der Vorschrift (vgl. Urteil vom 11. Dezember 2008 a.a.O. Rn. 18, 19 m.w.N.).
Danach ist entscheidend, ob der Kläger aufgrund der Mindeststudienzeit an der Technischen Universität Wien, die die Behörde bisher mit dem Zeitraum vom 1. Oktober 1959 bis zum 31. März 1964 angenommen hat, andere Versorgungsansprüche erworben hat. Zur Frage, ob und in welchem zeitlichen Umfang sich die Studienzeiten des Klägers in Österreich auf die ihm dort bewilligte Alterspension erhöhend ausgewirkt haben, hat das Berufungsgericht aber keine tatsächlichen Feststellungen getroffen.