Entscheidungsdatum: 18.04.2012
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Versagung der Aussetzung einer anfänglich angeordneten Sicherungsverwahrung zur Bewährung nach §§ 66, 67c StGB.
1. Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 17. Mai 1995 wegen schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt; zugleich wurde in dem Urteil gemäß § 66 StGB die Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung angeordnet. In einem nachfolgenden Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 4. Dezember 1997 wurde der Beschwerdeführer wegen schwerer räuberischer Erpressung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem vorgenannten Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt; die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wurde aufrechterhalten.
Die Sicherungsverwahrung wird seit dem 8. Februar 2009 vollzogen.
Mit Beschluss vom 4. Dezember 2009 hat das Landgericht Kassel entschieden, dass die Sicherungsverwahrung fortdauere, weil der Beschwerdeführer weiterhin als gefährlich anzusehen und die erneute Begehung von den Anlasstaten vergleichbaren Straftaten zu befürchten sei. Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Landgerichts hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 19. Februar 2010 als unbegründet verworfen.
2. Der Beschwerdeführer greift mit seiner Verfassungsbeschwerde die Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts an. Er rügt die Verletzung seiner Rechte aus Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG. Er ist der Auffassung, die Sicherungsverwahrung sei verfassungswidrig, weil es an einer hinreichenden Trennung zwischen den Untergebrachten und den Strafgefangenen innerhalb der therapeutischen Einrichtung fehle. Auch sei das Gebot hinreichender Sachaufklärung verletzt, weil die Gerichte den für eine Entlassungsentscheidung relevanten Sachverhalt hinsichtlich seines sozialen Empfangsraums nicht ausreichend aufgeklärt und einen (Zusatz-)Sachverständigen nicht angehört hätten und weil der (Haupt-)Sachverständige sein Gutachten lediglich erstattet, nicht aber erläutert habe.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen für eine notwendige Annahme (§ 93a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor; die Annahme ist auch im Übrigen nicht angezeigt.
1. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die für die Entscheidung im Wesentlichen maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - unter anderem durch das Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (BVerfGE 128, 326 ff.) - geklärt.
2. Die Annahme zur Entscheidung ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), weil die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat (BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
a) Das Gebot effektiver Sachaufklärung gilt auch im Vollstreckungsverfahren (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Juli 1997 - 2 BvR 517/97 -, juris), insbesondere, wenn darüber zu befinden ist, ob die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder der Sicherungsverwahrung zur Bewährung ausgesetzt wird (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Juni 1999 - 2 BvR 867/99 -, NJW 2000, S. 501; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Oktober 1999 - 2 BvR 1538/99 -, NJW 2000, S. 502).
b) Die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 1 und 2 GG) darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden (vgl. BVerfGE 70, 297 <307>). Zudem ist es unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfGE 70, 297 <307>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 3. Dezember 2003 - 2 BvR 1661/03 -, juris). Für die Strafgerichte ergeben sich daraus Mindesterfordernisse für eine zuverlässige Wahrheitserforschung, die unter anderem Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts und damit für eine hinreichende tatsächliche Grundlage richterlicher Entscheidungen setzen (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Oktober 2009 - 2 BvR 2549/08 -, juris). Die aus dem Freiheitsrecht abzuleitenden Anforderungen an die richterliche Aufklärungspflicht treffen besonders Prognoseentscheidungen (vgl. BVerfGE 70, 297 <309>). Der Richter muss namentlich die Grundlagen seiner Prognose selbständig bewerten und darf diese Bewertung nicht einer anderen Stelle überlassen. Auch muss er sich ein möglichst umfassendes Bild von der zu beurteilenden Person verschaffen (vgl. BVerfGE 70, 297 <310 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Juli 1997 - 2 BvR 517/97 -, juris; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Juni 1999 - 2 BvR 867/99 -, NJW 2000, S. 501).
c) Die angegriffenen Entscheidungen genügen diesen Anforderungen. Das Landgericht hat die Stellungnahme des Sachverständigen wiedergegeben, einer kritischen Würdigung unterzogen und ist ihr nicht gefolgt. Das Oberlandesgericht hat dies mit weitergehender Begründung gebilligt. Das ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, denn entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers bindet eine gutachterliche Empfehlung die Gerichte, denen auch die Berücksichtigung der dem Freiheitsinteresse des Beschwerdeführers widerstreitenden Interessen der Allgemeinheit an Schutz und Sicherheit obliegt, nicht. Sie ist insoweit lediglich Grundlage einer gültigen Prognoseentscheidung der Fachgerichte.
Eine Verletzung des Aufklärungsgebots kann auch nicht darin gesehen werden, dass die Fachgerichte zu Gunsten des Beschwerdeführers einen gesicherten sozialen Empfangsraum ohne weitergehende Aufklärung unterstellt haben. Denn ihre Weigerung, die Unterbringung zur Bewährung auszusetzen, beruhte ersichtlich darauf, dass selbst bei einem gesicherten Empfangsraum nicht hinnehmbare Gefahren für die Allgemeinheit drohten. Schließlich hat das Landgericht Bedeutung und Tragweite des Freiheitsrechts auch nicht deshalb verkannt, weil es die Anhörung eines Zusatzgutachters unterlassen hat. Denn nach der mündlichen Anhörung des (Haupt-)Sachverständigen bestand aus seiner vertretbaren Sicht kein Bedarf an einer weitergehenden Aufklärung mehr.
d) Die Verfassungsbeschwerde hat schließlich auch nicht wegen Verletzung des sogenannten Abstandsgebotes Erfolg. Zwar hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 (BVerfGE 128, 326 ff.) die Vorschrift des § 66 StGB deshalb für mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt. Er hat jedoch zugleich gemäß § 35 BVerfGG angeordnet, dass die Vorschrift bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 31. Mai 2013, nach Maßgabe der Gründe weiter anwendbar bleibt.
Die Entscheidung, dass § 66 StGB trotz der Verfassungswidrigkeit weiter anzuwenden ist, hat zur Folge, dass Entscheidungen, die in der zurückliegenden Zeit auf diese Regelung gestützt worden sind, verfassungsrechtlich jedenfalls dann nicht beanstandet werden können (vgl. BVerfGE 103, 1 <20>; 107, 133 <149 f.>), wenn sie den erhöhten Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit der Unterbringung genügen, also darauf beruhen, dass eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist (BVerfGE 128, 326 <405 f.>). Das haben die Fachgerichte im Fall des Beschwerdeführers vertretbar bejaht.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.