Entscheidungsdatum: 09.08.2011
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Ablehnung eines Antrags, eine als Bewährungsauflage erteilte Geldauflage nachträglich in der Höhe zu ermäßigen.
1. Der Beschwerdeführer war Zeuge in einem Steuerstrafverfahren. Er wurde mit Urteil des Landgerichts vom 28. Oktober 2008 wegen falscher uneidlicher Aussage zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Landgericht verkündete ebenfalls am 28. Oktober 2008 einen Bewährungsbeschluss, in dessen Ziffer 3 dem Beschwerdeführer auferlegt wurde, eine Geldauflage in Höhe von 150.000 € an drei verschiedene gemeinnützige Organisationen zu zahlen. Eine Zahlungsfrist enthielt der Beschluss nicht. Gegen Ziffer 3 des Beschlusses vom 28. Oktober 2008 legte der Beschwerdeführer am 30. Oktober 2008 Beschwerde ein, die er auf die Höhe der Geldauflage beschränkte. Mit Beschluss vom 20. Oktober 2009 verwarf das Oberlandesgericht die Beschwerde als unbegründet. Am 6. November 2009 setzte das Landgericht dem Beschwerdeführer eine Zahlungsfrist bis zum 15. Dezember 2009. Für den Fall der Leistungsunfähigkeit forderte es ihn auf, bis zum 30. November 2009 aussagekräftige Unterlagen beizubringen. Am 15. Januar 2010 beauftragte die Staatsanwaltschaft die Gerichtshilfe mit der Überprüfung der Hinderungsgründe für eine fristgerechte Zahlung. Eine angekündigte Stellungnahme der Verteidigung ging nicht ein. Am 22. März 2010 beantragte die Staatsanwaltschaft den Widerruf der Bewährung. Am 22. April 2010 wurde der Beschwerdeführer in Anwesenheit seines Verteidigers angehört. Der Beschwerdeführer überwies am 21. April 2010 erstmals einen Teilbetrag von 50.000 €.
2. Mit Schriftsatz vom 30. April 2010 beantragte der Beschwerdeführer, die Geldauflage deutlich, "jedenfalls unter 20.000 €", herabzusetzen. Er habe im Anhörungstermin zu seinen Vermögensverhältnissen ausführlich Rede und Antwort gestanden. Die bisherige Nichtzahlung der Bewährungsauflage beruhe ausschließlich auf einem Verschulden der Verteidigung. Die Geldauflage in der bisherigen Höhe beizubehalten, wäre - gemessen an seinen Vermögensverhältnissen - unverhältnismäßig. Als ehemaliger Chefarzt im Zentralklinikum (Fachbereich Dermatologie) sei er bereits seit mehreren Jahren im Ruhestand und habe im Jahr 2007 eine Rente von 36.459 € erhalten. Er habe zudem auf Honorarbasis Einkünfte als Arzt in Höhe von 2.151 € erzielt. "Nennenswerte" Kapitalerträge seien nicht vorhanden. Seine Ehefrau sei nie berufstätig gewesen und habe außer einer Erbschaft kein Vermögen. Die Eheleute besäßen neben einer Immobilie in Italien als Miteigentümer nur ein weiteres Haus im Wert von 295.000 €, das sie selbst bewohnten. Im Anhörungstermin habe er zum Beweis dieser Tatsachen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2007 vorgelegt. Ergänzend werde die Einvernahme des Steuerberaters des Beschwerdeführers beantragt, der von der Schweigepflicht entbunden sei.
3. Mit Beschluss vom 30. August 2010 lehnte das Landgericht die Reduzierung der Geldauflage ab, da sich weder die objektive Situation geändert noch die Kammer erst nachträglich von den bestehenden Umständen erfahren habe. Die finanzielle Lage des Beschwerdeführers stelle sich vielmehr noch genauso dar wie bei Erlass des Bewährungsbeschlusses. Der Einlassung des Beschwerdeführers zu seinen Vermögensverhältnissen schenke die Kammer nach wie vor nicht in vollem Umfang Glauben. Die Bewährungsauflage stehe weder im Missverhältnis zur Tatschuld noch zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers. Er neige dazu, den Wert seines Vermögens, insbesondere seines Immobilienvermögens, herunterzuspielen. Obwohl er angegeben habe, kein weiteres Vermögen zu besitzen, weise der Einkommensteuerbescheid Einkünfte aus Kapitalvermögen und Einkünfte aus einer Praxis auf. Daher schätze die Kammer die Vermögensverhältnisse des Beschwerdeführers.
4. Der Beschwerde gegen den Beschluss vom 30. August 2010 half das Landgericht nicht ab. Nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft verwarf das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 28. Januar 2011 die Beschwerde als unbegründet. Die Beschwerde könne nach § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO nur darauf gestützt werden, dass die Anordnung der Bewährungsauflage gesetzeswidrig sei. Dies wäre nur der Fall, wenn ein Ermessensmissbrauch oder eine Ermessensüberschreitung des Erstgerichts vorläge. Die Geldauflage stehe weder in einem Missverhältnis zur Tatschuld noch zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Beschwerdeführers. Dabei sei nicht nur auf das laufende Einkommen, sondern auch auf die übrigen wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen. Die Grenze des § 40 StGB gelte bei der Bemessung der Höhe der Geldauflage nicht. Der Senat gehe davon aus, dass der Beschwerdeführer Einkünfte oder Vermögen habe, die nicht aus dem Steuerbescheid für das Jahr 2007 ersichtlich seien. Er sei zudem in R. als Arzt tätig, habe berufliche Kontakte in M. und leite in Ö. einen Lehrgang an einer Universität. Der Einvernahme des Steuerberaters habe es nicht bedurft, da dieser nur über die Informationen verfüge, die der Beschwerdeführer ihm gebe.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet der Beschwerdeführer sich gegen den Beschluss des Landgerichts vom 30. August 2010 und den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 28. Januar 2011. Er rügt die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.
Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG sei verletzt, da die vom Landgericht angenommenen Vermögensverhältnisse auf bloßen Vermutungen beruhten und der Steuerberater nicht als Zeuge gehört worden sei. Das Bundesverfassungsgericht habe entschieden, dass das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung im Verfahren über den Widerruf der Bewährungsaussetzung gelte; wertungsmäßig könne nichts anderes gelten, wenn es um die Anforderungen bei der Ermittlung der angemessenen Höhe der Bewährungsauflage gehe, denn im Falle einer falschen Berechnung stehe ein Widerruf der Strafaussetzung im Raum. Die Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG bedeute gleichzeitig eine Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sei verletzt, da die Geldauflage materiell eine Strafe sei. Grenze der Geldauflage sei das Übermaßverbot, ihr Umfang dürfe einer Strafe nicht gleichkommen. Dennoch sei die Geldauflage mehr als viermal so hoch wie die höchstmögliche Geldstrafe. Sie habe damit vermögensvernichtende Wirkung und werde dadurch - als zweite Strafe - zweckentfremdet.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen für eine notwendige Annahme (§ 93a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor; die Annahme ist auch im Übrigen nicht angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde ist insbesondere nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat (BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des Übermaßverbots gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG rügt, weil er insoweit die von ihm behauptete Verletzung seiner Rechte nicht substantiiert dargelegt hat (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG).
Der Beschwerdeführer stützt seine gesamte Argumentation, die ihm auferlegte Geldauflage sei unverhältnismäßig, auf die von ihm behaupteten Vermögensverhältnisse. Welche Vermögensverhältnisse das Landgericht seiner Schätzung zugrunde gelegt hat, kann nicht nachvollzogen werden, weil der Beschwerdeführer davon abgesehen hat, das Strafurteil vom 28. Oktober 2008, die Nichtabhilfeentscheidung des Landgerichts vom 7. August 2009, das Anhörungsprotokoll vom 22. April 2010 oder den Einkommensteuerbescheid des Jahres 2007 ganz oder teilweise vorzulegen. Da der Beschwerdeführer den wesentlichen Inhalt dieser Unterlagen auch in der Beschwerdeschrift nicht hinreichend darstellt, ist eine verfassungsrechtliche Prüfung des Übermaßverbots nicht möglich.
2. Im Übrigen, also soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung der Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG rügt, ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet.
a) Die Auferlegung einer Bewährungsauflage in Form einer Geldauflage ist am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 95, 267 <300>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 5. März 2009 - 2 BvR 1824/05 -, NVwZ 2009, S. 837), gegebenenfalls an Art. 14 Abs. 1 GG (offen gelassen in BVerfGE 115, 97 <112>), nicht aber an Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG zu messen.
aa) Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat bereits entschieden, dass eine Bewährungsauflage, unverzüglich ein Arbeitsverhältnis zu begründen, an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen ist, der insoweit spezielleren Vorschrift zu Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 58, 358 <363>). Der Zweite Senat hat § 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StGB am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 GG gemessen (vgl. BVerfGE 83, 119 <129>). Das Bundesverfassungsgericht hat weiter entschieden, dass die Auflage, seine Einkommensverhältnisse offenzulegen, die allgemeine Handlungsfreiheit einschränke und dass es einer Prüfung am Maßstab des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG selbst dann nicht bedürfe, wenn durch den zwischenzeitlichen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung in dessen Schutzbereich eingegriffen worden sei (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 7. September 1994 - 2 BvR 598/93 -, NStZ 1995, S. 25 <26>). Ebenso ist geklärt, dass die Auflage, den durch die Tat verursachten Schaden wieder gut zu machen (§ 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StGB), eine gerechtfertigte Beschränkung der Handlungsfreiheit darstelle (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Mai 2002 - 2 BvR 499/02 -, juris).
bb) Nichts anderes kann für die Auflage gemäß § 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB gelten, einen Geldbetrag zu Gunsten einer gemeinnützigen Organisation zu zahlen. Wird eine derartige Auflage erteilt, greift dies grundsätzlich nur in die allgemeine Handlungsfreiheit sowie möglicherweise in die Eigentumsfreiheit des Verurteilten ein, sofern nicht ausnahmsweise durch die Auflage ein spezielleres Grundrecht unter demselben Gesichtspunkt berührt wird (vgl. BVerfGE 58, 358 <363>). Dass die Bewährungsauflage zum Widerruf der Strafaussetzung führen kann, rechtfertigt es nicht, sie wie eine mittelbare Freiheitsbeschränkung zu behandeln. Grundsätzlich soll die unter Auflagen gewährte Strafaussetzung dem Verurteilten die Möglichkeit geben, sich zu bewähren. Die erteilten Auflagen eröffnen häufig erst die Möglichkeit der bedingten Strafaussetzung und dienen so im Ergebnis der Erhaltung der Freiheit, nicht deren Entzug. Außerdem führt ein Verstoß gegen eine Bewährungsauflage nicht zwingend zum Widerruf der Strafaussetzung. Der Widerruf ist materiell an die einschränkenden Voraussetzungen geknüpft, dass der Verstoß gegen die Bewährungsauflage gröblich und beharrlich ist (§ 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB) und kein milderes Mittel als der Widerruf der Strafaussetzung in Betracht kommt (§ 56f Abs. 2 StGB). Dies ist in einem gesonderten gerichtlichen Verfahren, das den Maßstäben des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 2 GG genügen muss (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. September 2010 - 2 BvR 1081/10 -, juris), festzustellen.
b) Unterliegt somit die erstmalige Erteilung einer Geldauflage allein dem Maßstab des Art. 2 Abs. 1 GG bzw. - möglicherweise - des Art. 14 Abs. 1 GG, kann für das Verfahren ihrer nachträglichen Änderung gemäß § 56e StGB kein strengerer Maßstab gelten. Der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ist in diesem Verfahren daher nicht eröffnet. Auf eine unzureichende Sachaufklärung durch das Gericht kann sich der Beschwerdeführer überdies schon deswegen nicht berufen, weil er an der Klärung seiner hierfür relevanten Vermögensverhältnisse nicht in der ihm obliegenden Weise mitgewirkt hat. Die Vorlage eines Einkommensteuerbescheides aus einem einzigen Veranlagungszeitraum ist hierfür nicht ausreichend.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.