Bundesverfassungsgericht

Entscheidungsdatum: 07.12.2017


BVerfG 07.12.2017 - 2 BvR 444/17, 2 BvR 458/17, 2 BvR 460/17, 2 BvR 492/17

Nichtannahmebeschluss: Richtlinie 1999/70/EG (juris: EGRL 70/1999) nicht auf Europäisches Patentamt anwendbar - Verfassungsbeschwerde bzgl unionsrechtlicher Staatshaftungsansprüche wegen unzureichender Richtlinienumsetzung mangels Vorlage der letztinstanzlichen Entscheidungen unzulässig sowie unbegründet


Gericht:
Bundesverfassungsgericht
Spruchkörper:
2. Senat 2. Kammer
Entscheidungsdatum:
07.12.2017
Aktenzeichen:
2 BvR 444/17, 2 BvR 458/17, 2 BvR 460/17, 2 BvR 492/17
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2017:rk20171207.2bvr044417
Dokumenttyp:
Nichtannahmebeschluss
Vorinstanz:
vorgehend OLG München, 18. Februar 2016, Az: 1 U 2599/15, Urteilvorgehend OLG München, 18. Februar 2016, Az: 1 U 2596/15, Urteilvorgehend OLG München, 18. Februar 2016, Az: 1 U 2597/15, Urteilvorgehend OLG München, 18. Februar 2016, Az: 1 U 2598/15, Urteil
Zitierte Gesetze
Art 267 Abs 3 AEUV
EGRL 70/1999

Tenor

Die Verfahren 2 BvR 444/17, 2 BvR 458/17, 2 BvR 460/17 und 2 BvR 492/17 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerden betreffen zivilgerichtliche Entscheidungen zur Altersversorgung befristet Bediensteter beim Europäischen Patentamt (EPA).

2

Die Beschwerdeführer waren in der Vergangenheit befristet Bedienstete des EPA. Sie verlangten nach Ausscheiden aus dem EPA die Auszahlung kumulierter Arbeitgeberbeiträge zum Pensionssystem der Europäischen Patentorganisation (EPO). Da das EPA die Forderungen der Beschwerdeführer ablehnte, machten diese im zivilrechtlichen Ausgangsverfahren unionsrechtliche Staatshaftungsansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland geltend. Das Landgericht wies die Klagen ab. Die Berufung zum Oberlandesgericht blieb jeweils erfolglos, die Revision wurde nicht zugelassen. Die Nichtzulassungsbeschwerden wies der Bundesgerichtshof zurück. Die Verfassungsbeschwerden sowie die jeweils angegriffenen Entscheidungen sind weitgehend identisch; sie unterscheiden sich lediglich hinsichtlich der Höhe der von den Beschwerdeführern geltend gemachten Ansprüche sowie der Angabe zur Dauer des Arbeitsverhältnisses beim EPA.

3

1. Die Beschwerdeführer entschieden sich bei ihrer Einstellung für das Pensionssystem der EPO gemäß Art. 10 Abs. 2 der Beschäftigungsbedingungen für Vertragsbedienstete des EPA. Diese Vorschrift sieht vor, dass die sogenannten Vertragsbediensteten nach Maßgabe der Versorgungsordnungen dem für sie geltenden Versorgungssystem des EPA angehören. Nach Art. 10 Abs. 3 der Beschäftigungsbedingungen für Vertragsbedienstete des EPA findet Art. 10 Abs. 2 keine Anwendung, wenn sich der Bedienstete bei Vertragsabschluss dafür entscheidet, einem nationalen Sozialversicherungs- und Versorgungssystem anzugehören, und das nationale System dies zulässt. In diesem Fall entrichtet das EPA auch für Vertragsbedienstete die fälligen Arbeitgeberbeiträge in voller Höhe. Nach Art. 7 der Versorgungsordnung des EPA wird ein Anspruch auf Ruhegehalt erst nach mindestens zehn anrechnungsfähigen Dienstjahren erworben. Scheidet ein Bediensteter, der nicht ruhegehaltsberechtigt ist, endgültig aus dem Dienst aus, hat er stattdessen nach Art. 11 der Versorgungsordnung Anspruch auf Auszahlung der von seinem Gehalt einbehaltenen Versorgungsbeiträge zuzüglich der Zinseszinsen sowie eines Abgangsgeldes in Höhe des letzten Gehaltes für eineinhalb Monate, das mit der Anzahl der anerkannten ruhegehaltsfähigen Dienstjahre multipliziert wird. Die während der Zeit der Beschäftigung geleisteten Arbeitgeberbeiträge zum EPO-Pensionssystem werden nach Art. 11 der Versorgungsordnung nicht zusätzlich zu dem Abgangsgeld ausbezahlt.

4

2. Das EPA erstattete den Beschwerdeführern abhängig von ihrer Beschäftigungsdauer die von ihnen jeweils geleisteten Versorgungsbeiträge zuzüglich Zinseszinsen und leistete zusätzlich ein Abgangsgeld. Die Arbeitgeberbeiträge wurden den Beschwerdeführern nicht ausbezahlt, da ein Anspruch auf Ruhegehalt mangels mindestens zehn anrechnungsfähiger Dienstjahre nicht erworben wurde.

5

3. Die Beschwerdeführer trugen im Ausgangsverfahren vor, dass sie gegen die Bundesrepublik Deutschland einen Anspruch aus unionsrechtlicher Staatshaftung hätten. Die Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (Richtlinie 1999/70/EG, ABl Nr. L 175 vom 10. Juli 1999, S. 43) verleihe dem einzelnen befristet Beschäftigten das Recht, gegenüber dauerhaft Beschäftigten nicht diskriminiert zu werden. Die Versorgungsordnung der EPO verstoße hiergegen in qualifizierter Weise, da sie befristet Beschäftigte gegenüber Dauerbeschäftigten schlechter stelle. Die Wahlmöglichkeit nach Art. 10 Abs. 3 der Beschäftigungsbedingungen für Vertragsbedienstete sei keine Option für sie gewesen, da die Beiträge zu nationalen Versorgungssystemen höher seien, so dass sie dann ein niedrigeres Gehalt erhalten hätten. Das vom EPA gezahlte "Abgangsgeld" sei ein arbeits- und sozialrechtliches Überbrückungsgeld und gleiche daher die einbehaltenen Arbeitgeberbeiträge nicht aus.

6

Die Bundesrepublik Deutschland sei mit Stimmrecht im Verwaltungsrat der EPO vertreten und habe dort nichts unternommen, um der beschriebenen Diskriminierung entgegenzutreten. Die Haftung der Bundesrepublik Deutschland sei auch nicht nach § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen. Wollte man in der vorliegenden Fallkonstellation von den Beschwerdeführern fordern, zur Abwendung ihres Schadens ein Rechtsmittel im Sinne von § 839 Abs. 3 BGB einzulegen, würde dies die Durchsetzung des unionsrechtlichen Staatshaftungsprinzips verhindern. Nach Art. 13 des Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente vom 5. Oktober 1973 (EPÜ, BGBl 1976 II S. 649 <826>) sei das Verwaltungsgericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILOAT) auf die Anwendung von internem Dienstrecht der EPO beschränkt, es dürfe weder nationales Recht noch internationales Recht anwenden. Der Anspruch sei jedoch im Unionsrecht begründet, so dass eine interne Überprüfung durch das ILOAT nicht möglich sei. Dies ergebe sich bereits aus der Autonomie der EPO. Auch könne das ILOAT den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) nicht mit einer Rechtsfrage befassen.

7

4. Das Landgericht wies die Klagen der Beschwerdeführer mit Endurteil vom 17. Juni 2015 wegen Unbegründetheit ab. Den Beschwerdeführern stehe kein Anspruch aus unionsrechtlicher Staatshaftung zu.

8

Zwar ergebe sich aus der Rechtsprechung des EuGH, dass sich die Beschwerdeführer grundsätzlich auf den Schutzzweck der Richtlinie 1999/70/EG berufen könnten, jedoch liege kein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen die Richtlinie 1999/70/EG vor. Denn die Versorgungsordnung der EPO verstoße - die Anwendbarkeit der Richtlinie auf diese Fallgestaltung unterstellt - nicht gegen Paragraph 4 der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung, weil für die Regelung einer Betriebszugehörigkeitsdauer als Voraussetzung für den Erwerb von Ruhegehaltsansprüchen vorliegend ein sachlicher Grund gemäß Paragraph 4 Nr. 1 der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung bestehe. Überdies differenziere auch die Europäische Union bezüglich eines Anspruchs auf Ruhegehalt selbst nach Mindestzugehörigkeitsdauer.

9

5. Das Oberlandesgericht wies die Berufung der Beschwerdeführer gegen die jeweiligen Urteile des Landgerichts München I zurück. Die Revision wurde nicht zugelassen. Die Begründung des Oberlandesgerichts stimmt im Wesentlichen mit der Begründung des Landgerichts überein.

10

6. Mit Schriftsätzen vom 17. Januar 2017, 18. Januar 2017 und 6. Februar 2017 gaben die Beschwerdeführer zur Kenntnis, dass die von ihnen eingelegten Nichtzulassungsbeschwerden vom Bundesgerichtshof zurückgewiesen worden seien. Die entsprechenden Beschlüsse des Bundesgerichtshofs sind nicht übermittelt worden.

II.

11

Die Beschwerdeführer sehen sich durch die Urteile des Berufungsgerichts und die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Eine Verletzung ihres Rechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liege insbesondere deswegen vor, weil entscheidungserheblicher Sach- und Rechtsvortrag übergangen und der EuGH nicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV mit den entscheidungserheblichen Fragen des Unionsrechts befasst worden sei.

III.

12

Die Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG sind nicht erfüllt, da die Verfassungsbeschwerden keine Aussicht auf Erfolg haben (vgl. BVerfGE 90, 22 <24>; 96, 245 <248>; BVerfGK 12, 189 <196>). Sie sind unzulässig (1.) und im Übrigen auch unbegründet (2.).

13

1. Sie sind unzulässig, weil sie den Substantiierungsanforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG nicht genügen. § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG enthalten Mindestanforderungen an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde. So muss aus der Verfassungsbeschwerde heraus deutlich werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. BVerfGE 78, 320 <329>; 99, 84 <87>; 115, 166 <179 f.>). Der Beschwerdeführer muss einen Sachverhalt vortragen, der die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung erkennen lässt (vgl. BVerfGE 108, 370 <386 f.>; stRspr). Vorliegend haben die Beschwerdeführer weder die beim Bundesgerichtshof eingelegten Nichtzulassungsbeschwerden noch die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs hierzu vorgelegt. Dies wäre aber für die verfassungsrechtliche Beurteilung unverzichtbar gewesen, um die letztinstanzliche gerichtliche Entscheidung und das dieser Entscheidung zugrundeliegende Vorbringen der Beschwerdeführer würdigen zu können (vgl. BVerfGE 78, 320 <327>; 88, 40 <45>; 93, 266 <288>; BVerfGK 5, 170 <171>; siehe auch Magen, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2015, § 92 Rn. 38).

14

2. Im Übrigen sind die Verfassungsbeschwerden unbegründet. Der von den Beschwerdeführern gerügte Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist nicht im Ansatz dargetan. Ein Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter wegen einer Verletzung der unionsrechtlichen Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV (vgl. BVerfGE 126, 286 <316>; 128, 157 <187>; 135, 155 <231 f. Rn. 180>) scheidet vorliegend bereits deswegen aus, weil der Fall keine Fragen aufwirft, die die Gültigkeit oder Auslegung des Unionsrechts betreffen und eine Vorlage an den EuGH daher nicht in Betracht kommt.

15

a) Gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV sind die Mitgliedstaaten Adressat einer Richtlinie (vgl. Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 288 Rn. 23; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Bd. III, 62. Ergänzungslieferung Juli 2017, Art. 288 AEUV Rn. 109; Gundel, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV GRC AEUV, Bd. IV, 2017, Art. 288 AEUV Rn. 18). Ihnen obliegt es, das in der Richtlinie vorgesehene Ziel fristgemäß, vollständig und übereinstimmend mit ihren inhaltlichen Vorgaben in der nationalen Rechtsordnung umzusetzen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 1991, Francovich u.a., C-6/90 und C-9/90, EU:C:1991:428, Rn. 39; Urteil vom 18. Dezember 1997, Inter-Environnement Wallonie, C-129/96, EU:C:1997:628, Rn. 40; Urteil vom 25. Februar 1999, Carbonari u.a., C-131/97, EU:C:1999:98, Rn. 43). Verstößt ein Mitgliedstaat gegen seine aus Art. 288 Abs. 3 AEUV folgende Verpflichtung, alle erforderlichen Maßnahmen zur Erreichung des durch eine Richtlinie vorgeschriebenen Ziels zu erlassen, kann dies unter bestimmten Voraussetzungen einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch begründen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 1991, Francovich u.a., C-6/90 und C-9/90, EU:C:1991:428, Rn. 38 ff.; Urteil vom 5. März 1996, Brasserie du Pêcheur, C-46/93, EU:C:1996:79, Rn. 37 ff.).

16

Demgegenüber sind die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, Unionsrecht jenseits des Integrationsprogramms einer Richtlinie zur Anwendung zu bringen. Für die Begründung eines unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs ist in einer solchen Konstellation kein Raum, da hier keine gegen das Unionsrecht verstoßenden Handlungen oder Unterlassungen eines Mitgliedstaates in Rede stehen können.

17

b) Die Europäische Patentorganisation ist eine verselbständigte juristische Person auf völkervertraglicher Grundlage (vgl. BVerfG, Beschluss der 4. Kammer des Zweiten Senats vom 4. April 2001 - 2 BvR 2368/99 -, juris, Rn. 14, NJW 2001, S. 2705 f.; BVerfGK 8, 325 <329>; 17, 266 <270>), kein Organ, keine Einrichtung oder eine sonstige Stelle der Europäischen Union (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Juli 2013, Gardella, C-233/12, EU:C:2013:449, Rn. 29 ff.). Diese Organisation wurde durch das Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente vom 5. Oktober 1973 (EPÜ, BGBl 1976 II S. 649 <826>) gegründet. Bei ihr handelt es sich um eine zwischenstaatliche Einrichtung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 GG, beim EPÜ um ein zwischen den Vertragsstaaten geschlossenes völkerrechtliches Übereinkommen, das nicht Bestandteil des Unionsrechts ist (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Januar 1986, Hurd, C-44/84, EU:C:1986:2, Rn. 20 ff.; Urteil vom 30. September 2010, Kommission ./. Belgien, C-132/09, EU:C:2010:562, Rn. 43 ff.). Das Europäische Patentamt ist ein Organ der Europäischen Patentorganisation.

18

c) Vor diesem Hintergrund scheidet ein Verstoß gegen das Unionsrecht des Vertreters der Bundesrepublik Deutschland im Verwaltungsrat der Europäischen Patentorganisation durch eine unterlassene Implementierung der Richtlinie 1999/70/EG unabhängig von deren konkretem Regelungsgehalt von vornherein aus.

19

Die Richtlinie 1999/70/EG richtet sich nicht an das Europäische Patentamt und findet auf dieses auch keine Anwendung. Hierfür hätte es vielmehr eines besonderen völkerrechtlichen Vertrages bedurft.

20

Jenseits des Integrationsprogramms aber besteht für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union keine Verpflichtung, den Regelungsgehalt der Richtlinie 1999/70/EG auch im Zusammenwirken mit Drittstaaten gegenüber beziehungsweise in Internationalen Organisationen oder zwischenstaatlichen Einrichtungen zur Anwendung zu bringen. Fehlt es aber bereits an einer Rechtspflicht, so fehlt es an einer notwendigen Voraussetzung für einen unionalen Staatshaftungsanspruch und damit auch für die vorliegend geltend gemachte Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

21

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

22

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.