Entscheidungsdatum: 03.03.2010
I.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Ablehnung eines Vollstreckungsschutzantrages nach § 765a Abs. 1 ZPO.
1. Die miteinander verheirateten Beschwerdeführer sind als Eigentümer eines mit einem Einfamilienhaus bebauten und von ihnen bewohnten Grundstücks im Grundbuch eingetragen. Auf Antrag einer Gläubigerin der Beschwerdeführer ordnete das Amtsgericht durch Beschluss vom 16. Januar 2007 die Zwangsversteigerung des Grundstücks an. Durch Beschluss des Amtsgerichts vom 24. Juli 2008 wurde das Grundstück demjenigen zugeschlagen, der im Versteigerungstermin am 22. Mai 2008 das Meistgebot abgegeben hatte. Die gegen den Zuschlagsbeschluss gerichtete sofortige Beschwerde der Beschwerdeführer wurde mit Beschluss des Landgerichts vom 17. November 2008 zurückgewiesen. Dieser Beschluss ist rechtskräftig.
2. Mit Schriftsatz vom 24. November 2008 haben die Beschwerdeführer beim Amtsgericht beantragt, gemäß § 765a ZPO die Anordnung der Zwangsversteigerung des Grundstücks aufzuheben. Zur Begründung haben sie erstmals vorgetragen, dass der Beschwerdeführer zu 1. seit kurzem an akuter Leukämie erkrankt sei und stationär behandelt werde. Die Zwangsversteigerung bedeute für ihn eine schwerwiegende psychische Belastung, die geeignet sei, Therapieerfolg und Behandlung im Klinikum zu beeinträchtigen; die Zwangsversteigerung stelle insoweit eine Lebensgefahr für ihn dar. Da das Ausmaß seiner körperlichen und psychischen Belastung "soeben" erst bekannt geworden sei, sei ein vorheriger Antrag nach § 765a ZPO nicht möglich gewesen.
Das Amtsgericht hat den Antrag als unzulässig verworfen. Die dagegen von den Beschwerdeführern erhobene sofortige Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Der Bundesgerichtshof hat die - vom Landgericht zugelassene - Rechtsbeschwerde der Beschwerdeführer mit Beschluss vom 1. Oktober 2009 (V ZB 37/09, NZM 2009, S. 878) zurückgewiesen.
Der Bundesgerichtshof hält den auf § 765a ZPO gestützten Antrag der Beschwerdeführer für unzulässig. Er sei auf eine Entscheidung gerichtet, die das Vollstreckungsgericht nicht treffen dürfe. Denn sie müsste die Aufhebung des rechtskräftigen Beschlusses über die Zuschlagserteilung vom 28. Juli 2008 [gemeint: 24. Juli 2008] umfassen. Dies aber wäre nur möglich, wenn das Verfahrensrecht die Aufhebung zuließe. Daran fehle es. Die Entscheidung über den Zuschlag sei der Rechtskraft fähig. Die Verkündung der Entscheidung hindere gemäß § 318 ZPO das Vollstreckungsgericht an einer Aufhebung. Nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung scheide ihre Aufhebung auch im Rechtsmittelverfahren aus.
Der Zuschlagsbeschluss sei eine hoheitliche Maßnahme, die in der Person des Zuschlagsbegünstigten Eigentum schaffe und das Recht, aus dem die Zwangsversteigerung betrieben worden sei, und die diesem nachgehenden Rechte als Rechte an dem Grundstück erlöschen lasse (§ 52 Abs. 1, § 91 Abs. 1 ZVG). Einen Wegfall dieser Wirkungen nach Eintritt der Rechtskraft des Zuschlagsbeschlusses sehe das Zwangsversteigerungsgesetz nicht vor. Sie bedeutete eine Enteignung des Zuschlagsbegünstigten, für die es an einer Grundlage fehle.
Die dagegen erhobene Anhörungsrüge der Beschwerdeführer, die sich in ihrem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt sehen, hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 12. November 2009 zurückgewiesen.
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten der Beschwerdeführer angezeigt, weil sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. September 2003 - 2 BvR 1311/03 -, NJW 2004, S. 1236). Die angegriffenen Beschlüsse des Bundesgerichtshofs sind von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
1. Die angegriffenen Beschlüsse des Bundesgerichtshofs verletzen den Anspruch der Beschwerdeführer auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG nicht.
a) Das Gebot des rechtlichen Gehörs legt den Gerichten die Verpflichtung auf, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 47, 182 <187>; 86, 133 <145>). Eine Verletzung dieses Gebots ist jedoch nur anzunehmen, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das Vorbringen eines Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Zudem sind die Gerichte nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen, namentlich nicht bei letztinstanzlichen, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbaren Entscheidungen (BVerfGE 86, 133 <146>). Deshalb müssen, damit das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen kann, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass das Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist.
b) Danach ist nicht erkennbar, dass der Bundesgerichtshof den Anspruch der Beschwerdeführer auf rechtliches Gehör verletzt hätte. Insbesondere hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich in den Gründen des angegriffenen Beschlusses vom 1. Oktober 2009 berücksichtigt, dass "der Schuldner lebensbedrohlich erkrankt" sei beziehungsweise eine "ernsthafte Gefährdung des Lebens des Schuldners" vorliege. Der Umstand, dass der Bundesgerichtshof das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beschwerdeführer zu Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht in ihrem Sinne gewürdigt und die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde allein auf den Eintritt der Rechtskraft des Zuschlagsbeschlusses gestützt hat, vermag einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (vgl. BVerfGE 64, 1 <12>; 80, 269 <286>; 87, 1 <33>).
2. Eine Verletzung des Grundrechts des Beschwerdeführers zu 1. auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG liegt ebenfalls nicht vor.
a) Ob die Voraussetzungen für einen Antrag nach § 765a ZPO gegeben sind, ist zunächst vorrangig eine Frage des einfachen Rechts und daher in erster Linie der Entscheidung der Fachgerichte anheimgegeben (BVerfGE 52, 214 <219>). Die Auslegung und Anwendung von Zwangsvollstreckungsrecht ist Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen, soweit bei der zu treffenden Entscheidung nicht Willkür vorliegt oder spezifisches Verfassungsrecht verletzt ist (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>; 34, 369 <379>). Daran fehlt es bei den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen.
b) Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, dass ein erstmals nach Eintritt der Rechtskraft des Zuschlagsbeschlusses gestellter, auf Aufhebung der Anordnung der Zwangsversteigerung des Grundstücks - und damit auch des rechtskräftigen Zuschlagsbeschlusses - gerichteter Antrag des Schuldners nach § 765a Abs. 1 ZPO unzulässig ist, fügt sich nahtlos und folgerichtig in eine gefestigte Rechtsprechung ein.
aa) Rechtsmängel begründende Tatsachen, die erst nach Erteilung des Zuschlags entstanden oder dem Vollstreckungsgericht bekannt geworden sind, müssen aufgrund der in § 100 ZVG getroffenen Regelung auch in einem Beschwerdeverfahren gegen den Zuschlagsbeschluss grundsätzlich unberücksichtigt bleiben und dürfen nicht zur Aufhebung des Zuschlags führen (vgl. BGHZ 44, 138 <143 ff.>; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20. Mai 1987 - 3 W 171/87 -, Rpfleger 1987, S. 514). Dieser Grundsatz erfährt nur dann eine Durchbrechung, wenn eine konkrete Gefahr für Leben oder Gesundheit des Schuldners oder eines nahen Angehörigen infolge des Eigentumsverlusts durch die Zuschlagserteilung (noch) während des Verfahrens über eine gegen den Zuschlagsbeschluss zulässigerweise erhobene Beschwerde zutage tritt und dem (Beschwerde-)Gericht unterbreitet wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. November 2005 - V ZB 99/05 -, NJW 2006, S. 505 <506 f.> und vom 19. Juni 2008 - V ZB 129/07 -, NJW-RR 2008, S. 1741 <1742 f.>). Mit der Rechtskraft des Zuschlagsbeschlusses und der Verteilung des Erlöses ist das Zwangsversteigerungsverfahren jedoch beendet. Der rechtskräftige Zuschlagsbeschluss kann danach - abgesehen von Fällen der Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten im Sinne des § 319 Abs. 1 ZPO und der außerordentlichen Beschwerde nach § 96 ZVG, § 569 Abs. 1 Satz 3 ZPO bei Vorliegen der Erfordernisse der Nichtigkeits- oder der Restitutionsklage (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 2004 - IXa ZB 76/04 -, FamRZ 2005, S. 200 f.; OLG Oldenburg, Beschluss vom 18. Oktober 1989 - 2 W 154/88 -, Rpfleger 1990, S. 179 f.; Stöber, ZVG, 19. Aufl. 2009, § 81 Rn. 9.3 u. 9.4, § 96 Rn. 3) - nicht mehr geändert oder ergänzt werden. Nach Rechtskraft des Zuschlagsbeschlusses bleibt dem Schuldner allenfalls über § 765a ZPO die Möglichkeit, die vorläufige Einstellung der Räumungsvollstreckung zu erreichen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Juni 2008, a.a.O.).
bb) Die angegriffenen Beschlüsse sind mit dem Grundgesetz, insbesondere der Ausstrahlungswirkung der Grundrechte und hier vor allem der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG abgeleiteten Schutzpflicht der Vollstreckungsorgane, vereinbar. Ein Fehler bei der Auslegung des § 765a ZPO, der auf eine grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung des durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgten Grundrechts, in Sonderheit vom Umfang seines Schutzbereichs schließen ließe (vgl. BVerfGE 18, 85 <93>), ist nicht erkennbar.
Die grundsätzliche Nichtberücksichtigung von dem Vollstreckungsgericht erst nach Zuschlagserteilung bekannt gewordenen Tatsachen bei einer Entscheidung, die die (Nicht-)Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses zum Gegenstand hat, ist verfassungsrechtlich bedenkenfrei (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Juli 1993 - 2 BvR 1171/92 -, juris, Rn. 6). Der Schutzpflicht nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG wird in hinreichendem Maße dadurch entsprochen, dass erst nach Zuschlagserteilung zutage getretene, eine konkrete Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Schuldners zu begründen geeignete Umstände - in ausnahmsweiser Durchbrechung vorgenannten Grundsatzes - (noch) während der Anhängigkeit eines zulässigerweise, das heißt insbesondere fristgerecht eingeleiteten Beschwerdeverfahrens gegen den Zuschlagsbeschluss geltend gemacht werden können und vom Gericht alsdann in der gebotenen Weise gewürdigt werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Juli 2007 - 1 BvR 501/07 -, NJW 2007, S. 2910).
Eine in zeitlicher Hinsicht noch weitergehende Berücksichtigung solcher Umstände mit dem Ziel der - wie von den Beschwerdeführern begehrt - Aufhebung der rechtskräftigen Anordnung der Zwangsversteigerung des Grundstücks ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Sie ließe sich nicht mehr mittels entsprechender Verfahrensgestaltung seitens der Vollstreckungsgerichte (vgl. BVerfGE 52, 214 <220>) bewerkstelligen, sondern bedeutete die Einführung eines - unbefristet statthaften - zusätzlichen Rechtsbehelfs in das Zwangsversteigerungsgesetz beziehungsweise die Zivilprozessordnung, der die Möglichkeit einschlösse, bei nachträglich offenbar gewordener konkreter Gefahr für Leben oder Gesundheit des Schuldners auch einen bereits rechtskräftig gewordenen - dem Ersteher eine gefestigte Eigentumsposition (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) vermittelnden - Zuschlagsbeschluss wieder aufzuheben.
Die Schaffung einer solchen Anfechtungsmöglichkeit verlangt das Grundgesetz nicht. Die mehrmalige Möglichkeit zur Einholung einer gerichtlichen Entscheidung wird ebenso wenig gefordert wie ein zeitlich unbegrenzter Zugang zum Gericht (vgl. BVerfGE 101, 397 <408>; 107, 395 <402>); die zeitliche Befristung von Rechtsmitteln und Rechtsbehelfen gehört seit jeher zum Inhalt rechtsstaatlicher Verfahrensordnungen (BVerfGE 41, 323 <326>). Infolgedessen konnte und durfte der Bundesgerichtshof verfassungsrechtlich unbedenklich zu dem Ergebnis gelangen, dass die Zivilprozessordnung den Beschwerdeführern nach rechtskräftigem Abschluss des Beschwerdeverfahrens gegen den Zuschlagsbeschluss keine weitere Rechtsschutzmöglichkeit zur Verfügung stellt, um - unter Einschluss der Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses - die Aufhebung der Anordnung der Zwangsversteigerung des Grundstücks zu erreichen.
Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der rechtskräftige Zuschlagsbeschluss bei einer konkreten Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Schuldners nicht zwangsläufig bedeutet, dass der Schuldner seine Wohnung sofort räumen muss. Nach Rechtskraft des Zuschlagsbeschlusses bleibt dem Schuldner über § 765a ZPO die Möglichkeit, die vorläufige Einstellung der Räumungsvollstreckung zu erreichen, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Juni 2008, a.a.O.).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.