Bundesverfassungsgericht

Entscheidungsdatum: 22.03.2017


BVerfG 22.03.2017 - 2 BvR 2459/16

Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde bzgl der Zurückweisung von Rechtsmitteln gegen eine Fesselungsanordnung anlässlich der Ausführung eines Sicherungsverwahrten - teils unzureichende Substantiierung - jedoch teilweise verfassungsrechtliche Bedenken bzgl der Begründung der Fesselungsanordnung sowie bzgl der Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Zeitpunktes, in dem der Beschwerdeführer von einer Gehörsverletzung Kenntnis erlangte - ggf einfache Erklärung zur Glaubhaftmachung ausreichend


Gericht:
Bundesverfassungsgericht
Spruchkörper:
2. Senat 2. Kammer
Entscheidungsdatum:
22.03.2017
Aktenzeichen:
2 BvR 2459/16
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2017:rk20170322.2bvr245916
Dokumenttyp:
Nichtannahmebeschluss
Vorinstanz:
vorgehend OLG Frankfurt, 13. Oktober 2016, Az: 3 Ws 130/16 (StVollz), Beschlussvorgehend OLG Frankfurt, 20. September 2016, Az: 3 Ws 130/16 (StVollz), Beschlussvorgehend LG Marburg, 19. Januar 2015, Az: 4a StVK 263/15, Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt W. wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

2. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt.

2

1. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

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a) Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die gerichtlichen Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Fesselung richtet, ist sie unzulässig, weil sie dem Begründungserfordernis gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG nicht genügt. Der Beschwerdeführer ist seiner Substantiierungspflicht nicht nachgekommen. Er hat es insbesondere unterlassen, entscheidungserhebliche Unterlagen - wie etwa die beiden Gutachten des Prof. Dr. Dr. B. aus den Jahren 2013 und 2014, das Gutachten von Dr. S. aus dem Jahr 2015, den aktuellen Vollzugs- und Behandlungsplan oder den Beschluss über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung - (vollständig) vorzulegen oder ausreichend wiederzugeben.

4

b) Soweit der Beschwerdeführer die gerichtliche Entscheidung über die Anhörungsrüge angreift, ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass diese auf einem Verfassungsverstoß beruht (vgl. BVerfGE 131, 66 <85>). Der Beschluss enthält, obgleich er die Anhörungsrüge als unzulässig bewertet, hilfsweise Ausführungen zur Begründetheit, die keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, dass die angegriffenen Beschlüsse verfassungsrechtlich bedenklich sind.

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2. Der angegriffene Beschluss des Landgerichts über die Rechtmäßigkeit der Fesselungsanordnung der Justizvollzugsanstalt im Rahmen einer Ausführung wirft im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot (vgl. BVerfGE 109, 133 <151>; 128, 326 <377>) Zweifel auf. Das Gericht hat die Gefahr einer Entweichung im Sinne des § 50 Abs. 4 Hessisches Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz unter anderem mit dem Vorliegen einer "negativen Legalprognose" begründet und zum Beleg auf externe Sachverständigengutachten aus den Jahren 1998, 2003 sowie 2008 verwiesen. Es hat sich allerdings nicht mit der Frage auseinander gesetzt, inwieweit diesen Gutachten wegen des seit der Begutachtung verstrichenen Zeitraums noch eine prognostische Kraft zukommen kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Juli 2010 - 2 BvR 1771/09 -, juris, Rn. 17 ff.). Zudem ist nicht deutlich geworden, warum das Gericht das Gutachten von Dr. S. aus dem Jahr 2015 im angegriffenen Beschluss zwar erwähnt (vgl. Seite 3), bei der Frage des Vorliegens einer Entweichungsgefahr jedoch nicht einbezogen hat.

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3. Auch die Anforderungen, die das Oberlandesgericht in der angegriffenen Entscheidung über die Anhörungsrüge an die Glaubhaftmachung des Zeitpunkts der Kenntniserlangung einer Verletzung des rechtlichen Gehörs gestellt hat (vgl. § 356a Satz 3 StPO), erscheinen mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und Art. 103 Abs. 1 GG als unangemessen.

7

a) Soweit das Oberlandesgericht die schlichte Erklärung des Beschwerdeführers zur Glaubhaftmachung als nicht ausreichend erachtet hat, hat es verkannt, dass das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach festgestellt hat, dass es in bestimmten Fallkonstellationen geboten sein kann, eine nicht durch weitere Mittel der Glaubhaftmachung unterstützte Erklärung als geeignet anzusehen, um eine richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. BVerfGE 26, 315 <319 f.>; 38, 35 <39 f.>; 40, 88 <92 f.>; 41, 332 <339 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Februar 1993 - 2 BvR 390/92 -, juris, Rn. 9 m.w.N.; vom 4. Februar 1993 - 2 BvR 389/92 -, juris, Rn. 9 m.w.N.; vom 14. Februar 1995 - 2 BvR 1950/94 -, juris, Rn. 18 m.w.N.; vom 26. März 1997 - 2 BvR 842/96 -, juris, Rn. 13; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Februar 2002 - 2 BvR 1707/01 -, juris, Rn. 12). Eine schlichte Erklärung kann insbesondere dann zuzulassen sein, wenn andere Mittel der Glaubhaftmachung in der jeweiligen Fallgestaltung nicht zur Verfügung stehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Februar 1993 - 2 BvR 390/92 -, juris, Rn. 9 m.w.N.; vom 4. Februar 1993 - 2 BvR 389/92 -, juris, Rn. 9 m.w.N.; vom 14. Februar 1995 - 2 BvR 1950/94 -, juris, Rn. 18 m.w.N.; vom 26. März 1997 - 2 BvR 842/96 -, juris, Rn. 13; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Februar 2002 - 2 BvR 1707/01 -, juris, Rn. 12).

8

b) Das Oberlandesgericht hätte sich daher damit auseinandersetzen müssen, welche Möglichkeiten dem sicherungsverwahrten Beschwerdeführer zur Glaubhaftmachung des Zeitpunkts der Kenntniserlangung einer Verletzung des rechtlichen Gehörs, der mit dem Zeitpunkt des Zugangs des angegriffenen Beschlusses übereinstimmen dürfte, verbleiben, wenn der Briefumschlag, in dem der angegriffene Beschluss an den Beschwerdeführer übersandt wurde, nicht mit einem Poststempel versehen wurde. Die Benennung von JVA-Bediensteten als Zeugen für das Datum des Zugangs scheidet jedenfalls in der Regel aus, da nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht damit zu rechnen ist, dass sich diese nach einem längeren Zeitraum an das genaue Übergabedatum eines bestimmten Schriftstücks erinnern können (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Februar 1993 - 2 BvR 390/92 -, juris, Rn. 10; vom 4. Februar 1993 - 2 BvR 389/92 -, juris, Rn. 10).

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c) Diese Ausführungen gelten ungeachtet der Frage, ob sich die Anhörungsrüge, mit der sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluss über die Rechtsbeschwerde wendet, nach § 33a StPO oder § 356a StPO zu richten hat (ebenfalls offenlassend BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. August 2010 - 2 BvR 619/10 -, juris, Rn. 4; vom 30. November 2011 - 2 BvR 2358/11 -, juris, Rn. 2).

10

4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

11

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.