Entscheidungsdatum: 22.11.2011
I.
Die mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die Verlegung eines Maßregelvollzugspatienten, dem in der Klinik, in der er untergebracht ist, Vollzugslockerungen unter Berufung auf einen entgegenstehenden Vertrag mit der Standortkommune versagt worden waren, in eine andere Maßregelvollzugseinrichtung zwecks Ermöglichung dortiger Lockerungen. Die Verlegung war angeordnet worden, nachdem die Strafvollstreckungskammer festgestellt hatte, dass dem Beschwerdeführer begleiteter Ausgang zu gewähren sei. Der Beschwerdeführer war der Verlegung entgegengetreten und hatte, nachdem sie ihm angekündigt worden war, seinen Antrag auf sofortige Umsetzung der gerichtlich angeordneten Lockerungsgewährung bis auf weiteres zurückgenommen.
II.
1. Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).
a) Soweit sie sich gegen die Verlegung des Beschwerdeführers richtet, ist die Verfassungsbeschwerde mangels Erschöpfung des Rechtsweges unzulässig.
Zum Rechtsweg gehört, soweit statthaft, auch die Anhörungsrüge (vgl. BVerfGE 122, 190 <198>).
Im vorliegenden Fall war eine Anhörungsrüge (§ 33a StPO in Verbindung mit § 120 Abs. 1, § 138 Abs. 3 StVollzG) gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts nicht aussichtslos.
aa) Allerdings verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG die Gerichte nicht, auf jedes Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich einzugehen (vgl. BVerfGE 5, 22 <24>; 96, 205 <216 f.>; stRspr). Erst recht kann in Fällen, in denen ein Gericht von der Pflicht, seine Entscheidung zu begründen, ohne Verfassungsverstoß durch Gesetz - hier: § 119 Abs. 3 StVollzG - ausdrücklich entbunden ist, nicht schon aus dem Fehlen von Ausführungen zu einem bestimmten Vorbringen des Rechtsschutzsuchenden geschlossen werden, dass das Gericht dessen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe. Andererseits schließt aber nicht schon der Umstand, dass eine Entscheidung von Gesetzes wegen keiner Begründung bedurfte, das Vorliegen eines Gehörsverstoßes aus. Eine Anhörungsrüge ist in einem solchen Fall vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde erforderlich, wenn besondere Umstände darauf hindeuten, dass entscheidungserhebliches Vorbringen des Beschwerdeführers nicht in der gebotenen Weise zur Kenntnis genommen oder erwogen worden ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. April 2011 - 2 BvR 2374/10 -, juris, BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Juli 2008 - 2 BvR 610/08 -, juris m.w.N.). Ein solch besonderer Umstand kann auch darin liegen, dass das Fachgericht trotz der Möglichkeit, von einer Begründung abzusehen, die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs unter Hinweis auf einen dem Rechtsschutzsuchenden ungünstigen Umstand verneint, ein mit diesem Umstand im engen sachlichen Zusammenhang stehendes für den Rechtsschutzsuchenden günstiges Vorbringen aber nicht erwähnt.
bb) Danach liegen hier besondere Umstände vor, die eine Anhörungsrüge vor der Erhebung der Verfassungsbeschwerde erforderlich machten.
Das Oberlandesgericht hat die Verwerfung der Rechtsbeschwerde darauf gestützt, dass der Beschwerdeführer vor seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung kein Vorschaltverfahren durchgeführt habe. Es kann dahinstehen, ob diese Feststellung - wie das Oberlandesgericht meint - in der Rechtsbeschwerdeschrift, die zur Frage des Widerspruchs ausdrücklich auf das Telefax vom 2. Juni 2010 verweist, und den bestenfalls widersprüchlichen Ausführungen in der landgerichtlichen Entscheidung hierzu tatsächlich eine hinreichende Grundlage findet und daher einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhalten würde (vgl. zur Amtsaufklärungspflicht hinsichtlich der Durchführung des Vorschaltverfahrens OLG Hamm, Beschluss vom 7. April 1994 - 1 Vollz (Ws) 85/94 -, ZfStrVO 1995, S. 183 f.). Denn der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers hat sowohl im Verfahren vor dem Landgericht als auch im Rechtsbeschwerdeverfahren ausführlich und substantiiert zur Entbehrlichkeit des Vorschaltverfahrens im Falle einer bindenden Weisung der Aufsichtsbehörde vorgetragen. Er hat dazu auch den Wortlaut einer E-Mail des Klinikträgers wiedergegeben, wonach die Verlegung des Beschwerdeführers ihre Grundlage in einer allgemeinen Weisung des nordrhein-westfälischen Landesbeauftragten für den Maßregelvollzug, also der nach § 31 Abs. 1 Satz 1 MRVG NRW zuständigen Aufsichtsbehörde, habe.
Wenn das Oberlandesgericht unter diesen Umständen einerseits ausführt, dem Vorbringen des Beschwerdeführerslasse sich entnehmen, er habe das Vorschaltverfahren nicht durchgeführt, und andererseits zu dessen Vortrag zur Entbehrlichkeit des Vorschaltverfahrens schweigt, liegt die Annahme nahe, dass nicht das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers in der gebotenen Weise zur Kenntnis genommen und berücksichtigt wurde.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Oberlandesgericht bei Beachtung des gesamten Vorbringens des Beschwerdeführers zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre und die Entscheidung damit auf dem möglichen Gehörsverstoß beruht.
Es liegt nahe, das Telefax vom 2. Juni 2010 als einen auf die Einleitung des Vorschaltverfahrens gerichteten Widerspruch auszulegen. Unabhängig davon ist in der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm geklärt, dass ein Vorschaltverfahrenentbehrlich ist, wenn die Maßnahme auf einer den Einzelfall betreffenden bindenden Weisung der Aufsichtsbehörde beruht (vgl. OLG Hamm, Beschlüsse vom 7. April 1994 - 1 Vollz (Ws) 85/94 -, ZfStrVO 1995, S. 183 f. und vom 17. April 1997 - 1 Vollz (Ws) 56/97 -, NStZ 1998, S. 399). Es ist zumindest möglich, dass dies auch für den Fall einer allgemeinen Weisung gilt, wenn diese - wie hier offenbar - Ausnahmen im Einzelfall ausdrücklich ausschließt.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Rechtsbeschwerde bei der gebotenen am recht verstandenen Interesse des Beschwerdeführersorientierten Auslegung (vgl. BVerfGE 122, 190 <198>) keine Fragen aufgeworfen hätte, die nach den maßgeblichen Kriterien des § 116 Abs. 1 StVollzG in Verbindung mit § 138 Abs. 3 StVollzG (vgl. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Aufl. 2008, § 116 Rn. 2; Arloth, StVollzG, 3. Aufl. 2011, § 116 Rn. 3) eine Überprüfung der angefochtenen landgerichtlichen Entscheidung erforderlich machten. Insbesondere ist, soweit ersichtlich, in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht geklärt, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein im Maßregelvollzug Untergebrachter, für dessen Unterbringungseinrichtung ein Vertrag mit der Standortkommune die Gewährung von Lockerungen ausschließt, gegen seinen Willen - und obwohl er einen die Gewährung von Lockerungen betreffenden Antrag ausdrücklich zurückgezogen hat - zur Ermöglichung von Lockerungen in eine andere Maßregelvollzugsklinik verlegt werden kann. Lediglich in einer die Entscheidung nicht tragenden Passage eines Beschlusses im Verfahren nach § 67d Abs. 6 StGB hat das Oberlandesgericht Hamm ausgeführt, der Untergebrachte sei in eine andere Einrichtung zu verlegen, wenn ihm in der aktuellen Einrichtung aufgrund einer politischen Vereinbarung keine Lockerungen gewährt werden könnten (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 4 November 2008 - 4 Ws 316/08 -, StV 2009, S. 147). Dies betraf jedoch keinen Fall, in dem der Betroffene selbst sich, wie hier, gerade gegen die Verlegung wandte. Für einen solchen Fall könnte eine derartige Feststellung auch nicht ohne jede nähere Auseinandersetzung mit den berührten grundrechtlichen Belangen (vgl. zur Grundrechtsrelevanz ungewollter Verlegungen BVerfGK 6, 260 <264>; zur Grundrechtsrelevanz der Bindung von Lockerungsmöglichkeiten an die Voraussetzung vorheriger Verlegung BVerfGK 11, 262 <267>) getroffen werden. Insoweit bedürfte zudem gegebenenfalls auch der Klärung, ob und inwieweit eine etwaige Zumutbarkeit der Verlegung davon abhängt, dass der Betroffene nicht am neuen Standort erneut einem langwierigen Verfahren der Prüfung seiner andernorts bereits - auch gerichtlich - festgestellten Lockerungseignung unterzogen wird.
b) Soweit sich die Verfassungsbeschwerde auch gegen die Versagung von Vollzugslockerungen durch die Klinik für forensische Psychiatrie in Dortmund richtet, ist sie unzulässig, weil der Beschwerdeführer entweder den Rechtsweg nicht erschöpft (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) oder die Verfassungsbeschwerdefrist (§ 93 Abs. 1 BVerfGG) versäumt hat.
Der Beschwerdeführer hat hinsichtlich der Vollzugslockerungen in Dortmund ein für die Rechtswegerschöpfung erforderliches Hauptsacheverfahren noch nicht eingeleitet. Sein diesbezüglicher Antrag vom 14. Juni 2010 war ausdrücklich als Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gekennzeichnet und wurde vom Landgericht im Beschluss vom 12. Juli 2010 zunächst auch als solcher behandelt. Wenn man dagegen mit den Ausführungen des Oberlandesgerichts im Beschluss vom 30. September 2010 annehmen wollte, das Landgericht habe insofern auch über einen Hauptsachantrag entschieden, wäre die Verfassungsbeschwerde verfristet, da die Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG in diesem Falle mit der Zustellung der Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 30. September 2010 begonnen hätte und bei der Erhebung der Verfassungsbeschwerde am 26. Oktober 2011 ersichtlich abgelaufen gewesen wäre.
c) Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
2. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf die Vollzugslockerungenin Dortmund erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung war abzulehnen, weil weder die Verfassungsbeschwerde noch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hinreichende Aussicht auf Erfolg hatten (§ 114 Satz 1 ZPO).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.