Entscheidungsdatum: 08.11.2017
1. Der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 7. Oktober 2016 - 1 VollzWs 180/16 (89/16) - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes.
2. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht zurückverwiesen.
3. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
4. Das Land Schleswig-Holstein hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Höhe der Telefongebühren in einer Justizvollzugsanstalt.
I.
1. Der Beschwerdeführer befand sich seit Oktober 2014 in Schleswig-Holstein in Strafhaft. Die Justizvollzugsanstalt, in der er untergebracht war, verfügt über ein Insassentelefonsystem, das von einem privaten Telekommunikationsanbieter (im Folgenden: der Anbieter) auf der Grundlage eines mit dem Land Schleswig-Holstein im Jahr 2005 geschlossenen Vertrages mit einer Laufzeit von 15 Jahren betrieben wird. Alternative Telefonnutzungsmöglichkeiten bestehen nicht.
2. Zum 1. Juni 2015 nahm der Anbieter einen Tarifwechsel vor, infolge dessen unter anderem das Angebot wegfiel, durch die monatliche Zahlung eines bestimmten Betrages die Kosten für eine Tarifeinheit um bis zu 50 % zu senken (sogenannte FLEXoption).
3. Im Juli 2015 beantragte der Beschwerdeführer bei der Justizvollzugsanstalt, die Telefongebühren gemäß § 3 Abs. 1 StVollzG an diejenigen außerhalb der Anstalt anzupassen und dabei seine finanziellen Interessen zu wahren. Die Anstalt lehnte den Antrag ab.
4. In seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 21. Juli 2015 machte der Beschwerdeführer geltend, dass die Justizvollzugsanstalt durch die Anerkennung der Telefontarife vom 1. Juni 2015 eine Fürsorgepflichtverletzung begehe, da es andere Anbieter gebe, die bis zu 50 % günstiger seien. Seine Telefonkosten würden sich auf ungefähr 80,- EUR monatlich belaufen. Durch die Abschaffung der FLEXoption sei das Telefonieren deutlich teurer geworden. Die Justizvollzugsanstalt trat dem in ihrer Stellungnahme im Wesentlichen unter Verweis darauf entgegen, dass der Anbieter seine Leistungen zu marktgerechten Preisen erbringe.
5. Mit Beschluss vom 24. März 2016 wies das Landgericht Lübeck den Antrag als unbegründet zurück. Das Gericht führte zur Begründung unter anderem aus, das Ministerium für Justiz, Kultur und Europa des Landes Schleswig-Holstein habe bereits Verhandlungen mit dem Anbieter über eine weitere Senkung der Telefongebühren geführt, welche jedoch wegen der zum 1. Juni 2015 erfolgten Tarifänderung erfolglos geblieben seien. Nach dem Ende der Vertragslaufzeit sei eine Neuausschreibung geplant, in deren Vorbereitung ein Markterkundungsverfahren eingeleitet worden sei.
Ein Vergleich der seit Juni 2015 geltenden Tarife mit denjenigen anderer Telekommunikationsdienstleister ergebe, dass der Anbieter seine Leistungen zu marktüblichen Preisen erbringe. Ein Sachverständigengutachten holte das Gericht nicht ein.
6. In seiner gegen diese Entscheidung gerichteten Rechtsbeschwerde wies der Beschwerdeführer die Einschätzung, dass die geltenden Preise marktgerecht seien, zurück. Das Gericht habe nicht berücksichtigt, dass andere Anbieter die Gefangenentelefonie zu deutlich günstigeren Preisen anbieten würden.
7. Mit Verfügung vom 30. Mai 2016 forderte das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht das Justizministerium des Landes Schleswig-Holstein dazu auf mitzuteilen, zu welchem Ergebnis die Verhandlungen mit dem Anbieter über eine Verkürzung der Vertragslaufzeit geführt hätten. Daraufhin teilte das Justizministerium mit, dass von der vormals geplanten vorzeitigen Kündigung des Vertrages zu Mitte/Ende des Jahres 2019 Abstand genommen worden und stattdessen geplant sei, nach Ablauf der regulären Vertragslaufzeit eine Neuausschreibung vorzunehmen.
8. Mit angegriffenem Beschluss vom 7. Oktober 2016 verwarf das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde als unbegründet. Dabei ließ der Senat ausdrücklich offen, ob die nach den Tarifen des Anbieters erhobenen Gesprächsgebühren unangemessen hoch seien. Die Frage der Unangemessenheit der Preise könne dahinstehen, weil die Justizvollzugsanstalt noch an den laufenden Vertrag mit dem Anbieter gebunden und nicht in der Lage sei, die Gesprächsgebühren zu senken. Das Justizministerium des Landes Schleswig-Holstein habe mehrfach Tarifanpassungen erreichen können, weitere Vertragsänderungen zu erreichen versucht und bereite derzeit eine Neuausschreibung für die Gefangenentelefonie vor.
II.
1. Mit seiner fristgerecht erhobenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts. Er macht eine Verletzung von Art. 5, Art. 6 und Art. 19 Abs. 4 GG sowie des Angleichungsgrundsatzes als Ausprägung des Resozialisierungsgrundsatzes geltend und wiederholt zur Begründung im Wesentlichen seinen Vortrag aus dem fachgerichtlichen Verfahren.
2. Das Land Schleswig-Holstein hält die Verfassungsbeschwerde bereits für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet.
a) Hinsichtlich der die Art. 5, Art. 6 und Art. 19 Abs. 4 GG betreffenden Rügen sei bereits nicht ersichtlich, inwiefern diese Rechte im vorliegenden Fall betroffen sein könnten.
b) Eine Verletzung des Angleichungsgrundsatzes liege nicht vor. Vor dem Abschluss des Vertrages mit dem Anbieter habe das Justizministerium ein Vergabeverfahren durchgeführt, im Rahmen dessen lediglich ein Angebot eingegangen sei. Der Anbieter sei zum damaligen Zeitpunkt (im Jahr 2005) der einzige gewesen, welcher in der Lage gewesen sei, eine Telefonanlage zu installieren und zu betreuen, die über bestimmte Sicherheitsmerkmale verfügt habe. Daher sei mit ihm ein Vertrag geschlossen worden, der gegenwärtig noch Bestand habe und frühestens zum 1. Januar 2021 gekündigt werden könne. Das Land Schleswig-Holstein plane nach dem Ende der regulären Vertragslaufzeit eine Ausschreibung. Es bestehe ein Interesse daran, dass die Kosten der Telefonie für die Strafgefangenen angemessen seien; jedoch sei es nicht möglich, Tarife einseitig zugunsten der Gefangenen und zulasten des betroffenen Vertragspartners zu ändern.
3. Der Beschwerdeführer hat darauf erwidert, dass eine derartige Vertragsbindung, welche keinen Raum für Fortschritt lasse, realitätsfern sei. Es handele sich um einen Vertrag zulasten Dritter, da die Interessen der Gefangenen nicht hinreichend berücksichtigt würden.
4. Die Akten des fachgerichtlichen Verfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
III.
1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), und gibt ihr statt. Die Entscheidungskompetenz der Kammer ist gegeben (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG); die für die Entscheidung des Falls maßgeblichen verfassungsrechtlichen Grundsätze sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Die Verfassungsbeschwerde ist danach zulässig und offensichtlich begründet im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG.
Der angegriffene Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG; die Entscheidung trägt den aus dem Resozialisierungsgebot erwachsenden Anforderungen an die Wahrung der finanziellen Interessen von Strafgefangenen nicht hinreichend Rechnung.
a) In der fachgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass es die Fürsorgepflicht der Justizvollzugsanstalt gebietet, die finanziellen Interessen der Gefangenen zu wahren (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 27. Juli 2001 - 5 Ws 112/01 Vollz -, juris, Rn. 5; OLG Celle, Beschluss vom 20. Oktober 2014 - 1 Ws 427/14 (StrVollz) -, juris, Rn. 6; OLG Naumburg, Beschlüsse vom 26. Juni 2015 - 1 Ws (RB) 20/15 -, juris, Rn. 20, und vom 22. April 2016 - 1 Ws (RB) 123/15 -, juris, Rn. 12; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 6. April 2017 - 1 Ws 260/16 -, juris, Rn. 17). Dies entspricht dem Grundsatz, dass die Missachtung wirtschaftlicher Interessen der Gefangenen mit dem verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebot unvereinbar wäre (vgl. BVerfGE 98, 169 <203>; BVerfGK 17, 415 <417>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. November 2015 - 2 BvR 2002/13 -, juris, Rn. 1).
Zur Begründung dafür, dass den Gefangenen Telekommunikationsdienstleistungen nicht entgeltfrei eingeräumt werden müssen, hat die Rechtsprechung den Grundsatz herangezogen, dass die Verhältnisse im Strafvollzug so weit wie möglich den allgemeinen Lebensverhältnissen angeglichen werden sollen (vgl. § 3 Abs. 1 StVollzG, siehe nur BVerfGK 17, 415 <417 f.> m.w.N.). Es versteht sich, dass dieser Grundsatz, mit dem der Gesetzgeber dem Resozialisierungsgebot Rechnung trägt (vgl. BVerfGE 45, 187 <239>), nicht die Belastung Gefangener mit Entgelten rechtfertigen kann, die, ohne dass verteuernde Bedingungen und Erfordernisse des Strafvollzugs dies notwendig machten, deutlich über den außerhalb des Vollzuges üblichen liegen (BVerfGK 17, 415 <418>). Auch mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der es gebietet, Strafe nur als ein in seinen negativen Auswirkungen auf die Persönlichkeit des Betroffenen nach Möglichkeit zu minimierendes Übel zu vollziehen (vgl. BVerfGE 116, 69 <85> m.w.N.), wäre dies nicht vereinbar (BVerfGK 17, 415 <418> m.w.N. zur fachgerichtlichen Rechtsprechung, ebenso LG Stendal, Beschluss vom 30. Dezember 2014 - 509 StVK 179/13 -, juris, Rn. 88; OLG Naumburg, Beschluss vom 26. Juni 2015 - 1 Ws (RB) 20/15 -, juris, Rn. 20; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 6. April 2017 - 1 Ws 260/16 (Vollz.) -, juris, Rn. 17).
Aus solchen Bindungen kann sich die Anstalt nicht nach Belieben lösen, indem sie für die Erbringung von Leistungen Dritte einschaltet, die im Verhältnis zum Gefangenen einer entsprechenden Bindung nicht unterliegen (vgl. BVerfGK 13, 137 <140 ff.>; 17, 415 <418>). Jedenfalls für Konstellationen, in denen die Anstalt im Zusammenhang mit einer gesetzlichen Verpflichtung Leistungen durch einen privaten Betreiber erbringen lässt, auf den die Gefangenen ohne eine am Markt frei wählbare Alternative angewiesen sind, ist dementsprechend anerkannt, dass die Anstalt sicherstellen muss, dass der ausgewählte private Anbieter die Leistung zu marktgerechten Preisen erbringt (BVerfGK 17, 415 <418 f.> m.w.N.).
Für die Beurteilung, ob die Preise des privaten Anbieters noch marktgerecht sind, ist eine Vertragsbindung der Anstalt an den Anbieter nicht maßgeblich. Auch erfolglose Bemühungen um Tarifanpassungen im Vertragsverhältnis zu dem Anbieter entbinden die Justizvollzugsanstalt nicht von ihrer Fürsorgepflicht für die Gefangenen, denen ein alternatives Angebot nicht zur Verfügung steht. Sie führen insbesondere nicht dazu, dass die Gefangenen eine nicht marktgerechte Preisgestaltung hinzunehmen hätten. Eine lange Vertragsdauer mit dem Anbieter, mag diese auch durchaus vollzugstypisch sein, darf sich nicht in der Weise auswirken, dass Preisentwicklungen auf dem Markt längerfristig ohne jeden Einfluss auf die von Gefangenen zu zahlenden Entgelte bleiben (vgl. OLG Zweibrücken, Beschlüsse vom 6. April 2017 - 1 Ws 260/16 (Vollz.) -, juris, Rn. 20, - 1 Ws 291/16 (Vollz.) -, juris, Rn. 26).
b) Indem das Oberlandesgericht die Frage der Angemessenheit der in Rede stehenden Tarife ausdrücklich offengelassen hat, hat es die finanziellen Interessen des Beschwerdeführers missachtet und ihn dadurch in seinem Grundrecht auf Resozialisierung verletzt. Das Gericht hat insoweit verkannt, dass der geltend gemachte Anspruch auf Anpassung der Telefongebühren nicht mit dem Hinweis auf eine Vertragsbindung im Verhältnis zu dem Anbieter abgelehnt werden konnte. Das Festhalten an dem Vertrag, den das Justizministerium sehenden Auges mit einer Laufzeit von 15 Jahren ausgehandelt hat und dessen vorzeitige Kündigung es auch nicht beabsichtigt, hindert die Justizvollzugsanstalt nicht daran, dem Beschwerdeführer lediglich marktgerechte Preise in Rechnung zu stellen oder ihm kostengünstigere Alternativen der Telefonnutzung anzubieten.
2. Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem festgestellten Grundrechtsverstoß. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Oberlandesgericht bei Beachtung der sich aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ergebenden Maßgaben zu einem anderen Ergebnis gelangt. Dabei wird das Gericht auch zu überprüfen haben, ob die durch das Landgericht zugrunde gelegten Tatsachen für die Bewertung der Marktüblichkeit des geltenden Tarifs ausreichend sind.
IV.
Im Umfang der festgestellten Grundrechtsverletzung wird der Beschluss des Oberlandesgerichts aufgehoben; die Sache wird an das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht zurückverwiesen (§ 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2, § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).
V.