Entscheidungsdatum: 18.04.2016
1. Die Verfahren über die Verfassungsbeschwerden werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
2. Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Die Verfassungsbeschwerden betreffen die präventive Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführer nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 a) Niedersächsisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (NdsSOG).
I.
1. Am 26. November 2011 gegen 11:32 Uhr - während eines Castortransportes - traf die Polizei auf dem Gleisbett in der Nähe des niedersächsischen Ortes Dannenberg eine Gruppe von 30 Personen, darunter die Beschwerdeführerin zu I. und den Beschwerdeführer zu II., an, die Schottersteine aus dem Gleisbett entfernten. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts entfernte sich die Gruppe bei Eintreffen der Polizei. Nach den Feststellungen des Landgerichts drängte die Polizei sie von den Schienen. Nach einer Verfolgung wurden 14 Personen, darunter die Beschwerdeführerin zu I. und der Beschwerdeführer zu II., von 24 Polizisten auf freiem Feld eingeholt, durchsucht, einer Identitätsfeststellung unterzogen, festgenommen und um kurz nach 15:00 Uhr an das Transportkommando in die Gefangenensammelstelle Lüneburg übergeben. Der Beschwerdeführer zu II. war nach den Feststellungen des Landgerichts - wie auch andere Festgenommene - mit einem weißen Schutzanzug bekleidet und trug einen Armschoner, Arbeitshandschuhe, eine Schutzbrille und zwei OP-Mundschutze bei sich. In einem der Polizeiberichte ist festgehalten, aufgrund der "verübten Straftaten" und mitgeführten Gegenstände sei der Schluss gezogen worden, dass die Gruppe, "wenn sie nur einen Platzverweis bekommen würde, weitere Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begehen würde". Deshalb sei eine "Anschlussingewahrsamnahme zur Verhinderung weiterer Straftaten" angeordnet worden.
2. Gegen 19:00 Uhr beantragte die Polizeidirektion die richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung. Die richterliche Bestätigung der Ingewahrsamnahme sei unumgänglich, weil die Beschwerdeführer einer Gruppe angehörten, die offensichtlich geplant und zielgerichtet vorgehe und den absoluten Willen gezeigt habe, den Castortransport zu verhindern oder jedenfalls so lange wie möglich aufzuhalten.
Mit angegriffenen Beschlüssen vom 27. November 2011 ordnete das Amtsgericht - nach Anhörung des Beschwerdeführers zu II. von 00:00 Uhr bis 00:38 Uhr und der Beschwerdeführerin zu I. von 00:22 Uhr bis 00:45 Uhr - jeweils die Ingewahrsamnahme bis zum Eintreffen des Castortransports im Verladebahnhof Dannenberg, längstens bis zum 28. November 2011, 24:00 Uhr, an. Die Ingewahrsamnahme sei jeweils unerlässlich, weil aufgrund des Polizeiberichts und nach Anhörung der Beschwerdeführer zu befürchten sei, dass diese sich in allernächster Zeit erneut nach § 316b Abs. 1, § 25 Abs. 2 StGB strafbar machen würden.
Am 28. November 2011 um 03:47 Uhr, nachdem der Castortransport den Verladebahnhof Dannenberg erreicht hatte, wurden die Beschwerdeführerin zu I. und der Beschwerdeführer zu II. aus dem Gewahrsam entlassen.
3. a) Gegen die amtsgerichtlichen Beschlüsse wandten sich die Beschwerdeführerin zu I. und der Beschwerdeführer zu II. jeweils mit der Beschwerde, die sie nach der Entlassung aus dem Polizeigewahrsam mit Feststellungsanträgen weiterverfolgten. Ihr Anspruch auf den gesetzlichen Richter sei verletzt, weil der Geschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts für den Zeitraum vom 24. bis zum 28. November 2011, der vorgesehen habe, dass der zuständige Eildienstrichter "Verstärkung" nach einer festgelegten Reihenfolge anfordere, wenn er diese "benötige", nicht hinreichend bestimmt gewesen sei. Es liege zudem ein Verstoß gegen den Unverzüglichkeitsgrundsatz vor. Zwischen der Festnahme der Beschwerdeführer und dem Transport in die Gefangenensammelstelle sei es zu Verzögerungen gekommen, die nicht aus sachlichen Gründen gerechtfertigt seien. Die im Hinblick auf die Notwendigkeit der Fortdauer des Gewahrsams angestellte Gefahrenprognose sei fehlerhaft gewesen. Die Annahme, dass sich Atomkraftgegner ohne Voreintragungen durch die Identitätsfeststellung und einen Platzverweis oder durch einen mehrstündigen Polizeigewahrsam bis zur richterlichen Entscheidung nicht von (weiteren) rechtswidrigen Mitteln abhalten ließen, sei durch nichts belegt. Die Beschwerdeführerin zu I. und der Beschwerdeführer zu II. seien im Vorfeld polizeilich nie aufgefallen. Dafür, dass gerade sie weniger eingriffsintensiven Maßnahmen nicht Folge geleistet hätten, habe es an Anhaltspunkten gefehlt. Spätestens zum Entscheidungszeitpunkt sei von ihnen ersichtlich keine erhebliche Gefahr mehr ausgegangen.
Die Polizeidirektion Lüneburg erwiderte, ein Platzverweis habe untauglich geschienen, weil sich der organisierte Castor-Protest polizeilichen Anordnungen bekanntermaßen widersetze. Ein Verstoß gegen den Unverzüglichkeitsgrundsatz liege nicht vor. Aus den Aufzeichnungen der Einsatzkräfte ergäben sich keine vermeidbaren Verzögerungen.
b) Das Landgericht wies die Beschwerden mit angegriffenen Beschlüssen vom 19. beziehungsweise 20. Juni 2012 als unbegründet zurück.
Es liege kein Verstoß gegen den gesetzlichen Richter vor. Dass Geschäftsverteilungspläne keinen vermeidbaren Spielraum lassen sollten, schließe die Verwendung auslegungsbedürftiger Begriffe nicht aus, wenn die Regelung so beschaffen sei, dass sachfremden Einflüssen generell vorgebeugt werde. Der "unbestimmte Rechtsbegriff der Benötigung von Verstärkung" sei hinreichend bestimmbar.
§ 18 Abs. 1 Nr. 2 a) NdsSOG komme auch unter Berücksichtigung der Europäischen Menschenrechtskonvention als Ermächtigungsgrundlage für die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführer in Betracht. Es entspreche nahezu einhelliger Auffassung, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 2 c) EMRK den Sicherungsgewahrsam zur Verhinderung der unmittelbar bevorstehenden Begehung oder Fortsetzung einer Straftat erfasse. Aus den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 24. März 2005 (Epple v. Deutschland, Nr. 77909/01) und vom 1. Dezember 2011 (Schwabe u.a. v. Deutschland, Nr. 8080/08 und 8577/08) ergebe sich nichts anderes.
Die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführer sei nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 a) NdsSOG unerlässlich gewesen, "um eine ansonsten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in allernächster Zeit bevorstehende Fortsetzung oder Wiederholung der Straftat zu verhindern". Es sei fernliegend, dass die Beschwerdeführerin zu I.und der Beschwerdeführer zu II. schon durch die Festnahme als solche, die erkennungsdienstliche Behandlung, den Gewahrsam oder die richterliche Anhörung vor dem Amtsgericht so beeindruckt gewesen seien, dass sie bei Freilassung vor dem Zeitpunkt, zu dem der Castortransport den Verladebahnhof Dannenberg erreichte, von ihrem zuvor gefassten Plan, diesen Transport durch "Schotter-Aktionen" zu stören oder zu verhindern, Abstand genommen hätten. Zwar bestehe kein Erfahrungssatz, dass jeder Protestteilnehmer nach der Freilassung erneut zu blockieren versuche, den Betroffenen sei es jedoch um die grundsätzlich weiter mögliche Störung des Castortransports gegangen. Die Teilnehmer der Gruppe hätten von vornherein mit Widerstand der Polizei gerechnet, wie ihre überwiegend uniforme Ausstattung mit Schutzkleidung, ihr arbeitsteiliges Vorgehen und die hieraus zu schließende Organisation gezeigt hätten. Teile der Gruppe hätten versucht, sich der Polizei zu widersetzen und diese von den am Bahnkörper agierenden Personen fernzuhalten. Dass die Beschwerdeführerin zu I. und der Beschwerdeführer zu II. polizeilich zuvor nicht aufgefallen seien, rechtfertige keine andere Bewertung.
Es liege kein Verstoß gegen das Unverzüglichkeitsgebot vor. Vermeidbare Verzögerungen seien weder nach dem von der Beschwerdegegnerin geschilderten zeitlichen Ablauf noch nach den dienstlichen Äußerungen der Richter des Amtsgerichts erkennbar.
II.
1. Mit ihren Verfassungsbeschwerden wenden sich die Beschwerdeführerin zu I. und der Beschwerdeführer zu II. gegen die Beschlüsse des Amts- und des Landgerichts.
Sie rügen, die angegriffenen Entscheidungen verletzten sie in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. § 18 Abs. 1 Nr. 2 a) NdsSOG genüge nicht den Vorgaben von Art. 5 Abs. 1 EMRK. Im Normgefüge des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK erlaube die Regelung unter Buchstabe c) die Präventivhaft nicht zur Verhinderung einer erstmaligen Tatausführung, sondern nur im Vorgriff auf eine strafrechtliche Verurteilung. Der präventiv-polizeiliche Gewahrsam sei daher nur nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 b) EMRK zu rechtfertigen, wenn die betroffene Person vorher eine konkrete Pflicht - etwa einen Platzverweis - nicht befolgt oder zu einer Pflichtverletzung unmittelbar angesetzt habe. Die drohende Gefahr einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit reiche nicht aus. Die Gerichte hätten zudem eine falsche Gefahrenprognose angestellt. Sie hätten nicht gewürdigt, dass die Beschwerdeführer bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten seien, sondern hätten es bei der Mutmaßung belassen, dass sie sich in jedem Fall - auch unabhängig etwa von einem Platzverweis - weiter bemüht hätten, den Castortransport zu verhindern. Schließlich liege ein Verstoß gegen den Unverzüglichkeitsgrundsatz (Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG) vor, weil die gegen 11:30 Uhr in Gewahrsam genommenen Beschwerdeführer erst gegen beziehungsweise nach 00:00 Uhr des Folgetages einem Richter vorgeführt worden seien.
Im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wiederholen die Beschwerdeführer ihren Vortrag aus der Beschwerdeschrift. Ergänzend tragen sie vor, auch den Ausführungen des Landgerichts seien keine objektiven Gesichtspunkte zur Bestimmung der Überlastung zu entnehmen.
2. a) Das Niedersächsische Justizministerium hat zu dem gerügten Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG Stellung genommen: Die angegriffene Regelung des Geschäftsverteilungsplans und deren Anwendung seien nach den Maßstäben der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung - insbesondere der Entscheidung BVerfGE 95, 322 - mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar.
b) Das Bundesministerium des Innern hat zu der gerügten Unvereinbarkeit von § 18 Abs. 1 Nr. 2 a) NdsSOG mit den Vorgaben von Art. 5 Abs. 1 EMRK Stellung genommen: Der polizeiliche Präventivgewahrsam sei als notwendiges Mittel zum Schutz Einzelner und der Allgemeinheit anerkannt. Seine Anordnung unterliege einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung. Eine grundsätzliche Unvereinbarkeit mit den Vorgaben des Art. 5 Abs. 1 EMRK bestehe - auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 7. März 2013 (Ostendorf v. Deutschland, Nr. 15598/08) - nicht. Die Entscheidung habe lediglich die Anwendung von § 32 Abs. 1 Nr. 2 HessSOG im konkreten Fall betroffen. Sie habe die grundsätzliche Zulässigkeit einer präventiven Ingewahrsamnahme gerade bestätigt und auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 b) EMRK als Prüfungsmaßstab verwiesen. Nach dieser Vorschrift sei die präventive Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführer nicht zu beanstanden.
c) Die Beschwerdeführerin zu I. und der Beschwerdeführer zu II. erwiderten: Die nach dem Geschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts für den Vertretungsfall maßgebliche Notwendigkeit von Verstärkung sei objektiv nicht überprüfbar. Nach den Maßstäben der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 7. März 2013 (Ostendorf v. Deutschland, Nr. 15598/08) sei die Gefahr einer bevorstehenden Straftat in ihrem Fall nicht im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 b) EMRK hinreichend konkretisiert gewesen.
3. Die Akten der fachgerichtlichen Verfahren wurden beigezogen.
III.
Die Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.
1. Soweit die Beschwerdeführerin zu I. und der Beschwerdeführer zu II. die amtsgerichtlichen Beschlüsse angreifen, sind die Verfassungsbeschwerden unzulässig. Das Beschwerdegericht hat jeweils in vollem Umfang über den Prozessgegenstand entschieden. Damit sind die vorhergehenden Beschlüsse des Amtsgerichts prozessual überholt (vgl. BVerfGK 10, 134 <138>).
2. Hinsichtlich der landgerichtlichen Beschlüsse sind die Verfassungsbeschwerden teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.
a) Soweit die Beschwerdeführerin zu I. und der Beschwerdeführer zu II. eine Verletzung ihres Rechts auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG rügen, genügen die Verfassungsbeschwerden nicht den Darlegungs- und Begründungsanforderungen der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG. Sie setzen sich nicht hinreichend mit den vom Bundesverfassungsgericht zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gebildeten Maßstäben (vgl. BVerfGE 95, 322 m.w.N.) auseinander (vgl. BVerfGE 77, 170 <214 ff.>; 79, 292 <301>; 99, 84 <87>; stRspr).
b) Soweit die Beschwerdeführerin zu I. und der Beschwerdeführer zu II. eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 und 2 GG durch das Landgericht rügen, sind die Verfassungsbeschwerden unbegründet. Die landgerichtlichen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin zu I. und den Beschwerdeführer zu II. nicht in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 und 2 GG. Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Wertungen der Europäischen Menschenrechtskonvention.
aa) Nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ist die Freiheit der Person unverletzlich. Diese verfassungsrechtliche Grundentscheidung kennzeichnet das Freiheitsrecht als ein besonders hohes Rechtsgut, das nur aus besonders gewichtigem Grund angetastet werden darf (vgl. BVerfGE 45, 187 <223>; 105, 239 <247>; 109, 133 <157>; 128, 326 <372>). Die Einschränkung dieser Freiheit ist stets der strengen Prüfung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu unterziehen. Dies gilt in besonderem Maße für präventive Eingriffe, die nicht dem Schuldausgleich dienen. Sie sind nur zulässig, wenn der Schutz hochwertiger Rechtsgüter dies unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfordert (vgl. BVerfGE 128, 326 <372 f.>). Dem Freiheitsanspruch des Betroffenen ist das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit entgegenzuhalten; beide sind im Einzelfall abzuwägen (vgl. BVerfGE 109, 133 <157>; 128, 326 <373>).
Gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 3 und Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG darf in die Freiheit der Person nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen eingegriffen werden. Die formellen Gewährleistungen des Art. 104 GG stehen mit der materiellen Freiheitsgarantie in unlösbarem Zusammenhang (vgl. BVerfGE 105, 239 <247> m.w.N.).
Für den schwersten Eingriff in das Recht auf Freiheit der Person, die Freiheitsentziehung, fügt Art. 104 Abs. 2 GG dem Vorbehalt des Gesetzes den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung hinzu, der nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht (vgl. BVerfGE 10, 302 <323>). Die Freiheitsentziehung verlangt danach grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung. Eine nachträgliche richterliche Entscheidung, deren Zulässigkeit in Ausnahmefällen Art. 104 Abs. 2 GG voraussetzt, genügt nur, wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Festnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müsste. Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG fordert dann, die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. "Unverzüglich" ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss. Nicht vermeidbar sind zum Beispiel die Verzögerungen, die durch die Länge des Weges, Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung, ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind (vgl. BVerfGE 105, 239 <248 f.> m.w.N.).
bb) Die Anforderungen an die Rechtfertigung von Freiheitsentziehungen werden durch die Wertungen von Art. 5 EMRK verstärkt.
(1) Innerhalb der deutschen Rechtsordnung stehen die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Zusatzprotokolle - soweit sie für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten sind - im Range eines Bundesgesetzes und damit unter dem Grundgesetz (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; 82, 106 <120>; 111, 307 <317>). Die Gewährleistungen der Konvention beeinflussen aber - dies ist Ausdruck der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 111, 307 <316 f.>) - auch die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes. Der Konventionstext und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dienen auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes, sofern dies nicht zu einer - von der Konvention selbst nicht gewollten (vgl. Art. 53 EMRK) - Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führt (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; 83, 119 <128>; 111, 307 <317>).
Die Heranziehung der Europäischen Menschenrechtskonvention als Auslegungshilfe für die Bestimmungen des Grundgesetzes ist - wie die Europäische Menschenrechtskonvention selbst im Hinblick auf ihre innerstaatliche Durchsetzung - allerdings ergebnisorientiert: Sie zielt nicht auf eine schematische Parallelisierung einzelner verfassungsrechtlicher Begriffe, sondern dient der Vermeidung von Völkerrechtsverletzungen (vgl. BVerfGE 128, 326 <370> m.w.N.).
(2) Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Vorschrift schützt den Einzelnen vor willkürlicher Freiheitsentziehung (vgl. EGMR, Ostendorf v. Deutschland, Entscheidung vom 7. März 2013, Nr. 15598/08, § 94).
Art. 5 Abs. 1 Satz 2 a) bis f) EMRK enthält eine abschließende Aufzählung zulässiger Gründe einer Freiheitsentziehung (vgl. EGMR, Guzzardi v. Italien, Entscheidung vom 6. November 1980, Nr. 7367/76, § 96; Saadi v. Vereinigtes Königreich, Entscheidung vom 29. Januar 2008, Nr. 13229/03, § 43). Zur Rechtfertigung des präventiven Gewahrsams zur Verhinderung einer Straftat kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht Art. 5 Abs. 1 Satz 2 c) EMRK in Betracht, sondern Art. 5 Abs. 1 Satz 2 b) EMRK (vgl. EGMR, Epple v. Deutschland, Entscheidung vom 24. März 2005, Nr. 77909/01, §§ 35 ff.; Schwabe u.a. v. Deutschland, Entscheidung vom 1. Dezember 2011, Nr. 8080/08, 8577/08, §§ 71 ff.; Ostendorf v. Deutschland, Entscheidung vom 7. März 2013, Nr. 15598/08, § 68).
Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 b), 2. Fall EMRK ist die Freiheitsentziehung zulässig zur "Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung". Die Bestimmung erfasst die Fälle, in denen es gesetzlich zulässig ist, einer Person die Freiheit zu entziehen, um sie dazu zu zwingen, eine ihr obliegende spezifische und konkrete Verpflichtung zu erfüllen, der sie bisher nicht nachgekommen ist (vgl. EGMR, Engel v. Niederlande, Entscheidung vom 8. Juni 1976, Nr. 5100/71, § 69; Guzzardi v. Italien, Entscheidung vom 6. November 1980, Nr. 7367/76, § 101; Ciulla v. Italien, Entscheidung vom 22. Februar 1989, Nr. 11152/84, § 36; Epple v. Deutschland, Entscheidung vom 24. März 2005, Nr. 77909/01, § 37; Schwabe u.a. v. Deutschland, Entscheidung vom 1. Dezember 2011, Nr. 8080/08, 8577/08, § 73; Ostendorf v. Deutschland, Entscheidung vom 7. März 2013, Nr. 15598/08, § 69). Nicht ausreichend ist die allgemeine Verpflichtung, sich an Gesetze zu halten (vgl. EGMR, Engel u.a. v. Niederlande, Entscheidung vom 8. Juni 1976, Nr. 5100/71, Nr. 5101/71, Nr. 5102/71, Nr. 5354/72, Nr. 5370/72, § 69; Schwabe u.a. v. Deutschland, Entscheidung vom 1. Dezember 2011, Nr. 8080/08, 8577/08, § 73). Geht es um die Verpflichtung, keine Straftat zu begehen, muss diese Straftat - dem Zweck des Art. 5 Abs. 1 EMRK, den Einzelnen vor willkürlicher Freiheitsentziehung zu schützen, entsprechend - bereits hinreichend bestimmt sein und der Betroffene muss sich unwillig gezeigt haben, sie zu unterlassen (vgl. EGMR, Schwabe u.a. v. Deutschland, Entscheidung vom 1. Dezember 2011, Nr. 8080/08, 8577/08, § 82; Ostendorf v. Deutschland, Entscheidung vom 7. März 2013, Nr. 15598/08, § 94). Nach der Entscheidung Ostendorf v. Deutschland ist diesen Anforderungen genügt, wenn Ort und Zeit der bevorstehenden Tatbegehung sowie das potentielle Opfer hinreichend konkretisiert sind und der Betroffene, nachdem er auf die konkret zu unterlassende Handlung hingewiesen worden ist, eindeutige und aktive Schritte unternommen hat, die darauf hindeuten, dass er der konkretisierten Verpflichtung nicht nachkommen wird (vgl. EGMR, Ostendorf v. Deutschland, Entscheidung vom 7. März 2013, Nr. 15598/08, § 93 f.).
cc) Ungeachtet des hohen Ranges des Freiheitsgrundrechts ist die Auslegung von Inhalt und Reichweite eines freiheitsbeschränkenden Gesetzes und seiner Formvorschriften in erster Linie Aufgabe der Fachgerichte. Das Bundesverfassungsgericht kann erst korrigierend eingreifen, wenn das fachgerichtliche Auslegungsergebnis über die vom Grundgesetz gezogenen Grenzen hinausgreift, insbesondere wenn es mit Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf persönliche Freiheit nicht zu vereinbaren ist (vgl. BVerfGE 65, 317 <322>; 96, 68 <97>; 105, 239 <247>). Auslegung und Anwendung des § 18 Abs. 1 Nr. 2 a) NdsSOG durch das Landgericht lassen - auch unter Berücksichtigung der Wertungen aus Art. 5 Abs. 1 EMRK - nicht auf die Verkennung von Bedeutung und Tragweite des Freiheitsrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 und 2 GG schließen.
(1) Die Einschätzung des Landgerichts, die angeordnete Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführerin zu I. und des Beschwerdeführers zu II. sei unerlässlich gewesen, um die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in allernächster Zeit bevorstehende Begehung einer Straftat nach § 316b Abs. 1, § 315 Abs. 1, § 25 Abs. 2 StGB zu verhindern, weil es fernliegend sei, dass die Betroffenen schon durch die Festnahme als solche und die sich daran anschließende Behandlung so beeindruckt gewesen wären, dass sie sich bei sofortiger Freilassung von ihrem zuvor gefassten Plan, den Castortransport durch "Schotter-Aktionen" zu stören oder zu verhindern, Abstand genommen hätten, wird der zur Rechtfertigung präventiver Freiheitsentziehungen nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gebotenen strikten Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angesichts der festgestellten Gesamtumstände jedenfalls noch gerecht. Danach gehörten die Beschwerdeführerin zu I. und der Beschwerdeführer zu II. zu einer Gruppe, die durch ihre überwiegende Ausstattung mit Schutzkleidung und ihr arbeitsteiliges Vorgehen am Gleisbett den Willen gezeigt hatte, den Castortransport trotz des Einschreitens der Polizei durch die Begehung von Straftaten zu verhindern. Die Beschwerdeführer hatten sich bereits der Begehung eines der zu verhindernden Straftat gleichartigen Delikts hinreichend verdächtig gemacht. Die Störung des Castortransports durch die Begehung von Straftaten war ihnen sowohl im Zeitpunkt der Ingewahrsamnahme als auch im Zeitpunkt der amtsgerichtlichen Anordnung weiter möglich. Unter diesen Umständen bedurfte keiner weiteren Prüfung, ob nicht ein milderes Mittel - etwa die Erteilung eines Platzverweises oder Aufenthaltsverbotes nach der erkennungsdienstlichen Behandlung - ausgereicht hätte, um die Beschwerdeführerin zu I. und den Beschwerdeführer zu II. von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten.
(2) Die nachträgliche richterliche Anordnung der Ingewahrsamnahme genügte dem Gebot der Unverzüglichkeit aus Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG. Das Landgericht hat den zeitlichen Ablauf von der Ingewahrsamnahme bis zur Vorführung zur richterlichen Anhörung aufgeklärt und Verzögerungen jeweils in Anerkennung des verfassungsrechtlichen Maßstabs für sachlich gerechtfertigt gehalten.
(3) Auch mit den Wertungen aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 b) EMRK waren die Ingewahrsamnahmen der Beschwerdeführerin zu I. und des Beschwerdeführers zu II. vereinbar. Insbesondere dienten sie nicht der Durchsetzung der allgemeinen Pflicht, sich an Gesetze zu halten, sondern der spezifischen und konkreten Verpflichtung, während der Dauer des Castortransports keine weiteren Straftaten nach § 316b Abs. 1, § 315 Abs. 1, § 25 Abs. 2 StGB zu begehen. Durch die unmittelbar vorangegangenen Aktionen hatten die Beschwerdeführerin zu I. und der Beschwerdeführer zu II. auch bereits eindeutige und aktive Schritte unternommen, die zeigten, dass sie nicht gewillt waren, dieser Verpflichtung nachzukommen. In dieser Situation gebot der von Art. 5 EMRK bezweckte Schutz vor willkürlicher Freiheitsentziehung nicht, die Beschwerdeführer vor der Ingewahrsamnahme noch einmal ausdrücklich auf die zu erfüllende Verpflichtung hinzuweisen und die etwaige Nichtbefolgung abzuwarten.
3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.