Entscheidungsdatum: 03.06.2011
Dem Beschwerdeführer wird für das verfassungsgerichtliche Verfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt S. beigeordnet.
Die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Kronach vom 4. September 2002 - 2 Ls 8 Js 980/02 - und des Amtsgerichts Nürnbergs vom 23. Mai 2005 - 42 Ls 353 Js 4144/05 wird bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde des Antragstellers in der Hauptsache ausgesetzt.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft den Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung wegen gröblichen und beharrlichen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen.
1. Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Amtsgerichts Kronach vom 4. September 2002, rechtskräftig seit dem 4. September 2002, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 37 Fällen, darunter in sieben Fällen jeweils zugleich mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln, sowie des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln unter Auflösung einer Gesamtfreiheitsstrafe aus einer rechtskräftigen Vorverurteilung und unter Einbeziehung der dort verhängten Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten und zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt.
Mit Beschluss vom 9. Juni 2008 setzte das Amtsgericht Kronach die weitere Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafen gemäß § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG zur Bewährung aus und setzte die Bewährungszeit auf vier Jahre fest.
2. Durch Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 23. Mai 2005, rechtskräftig seit dem 23. Mai 2005, wurde der Beschwerdeführer wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt.
Mit Beschluss vom 17. September 2008 setzte das Amtsgericht Nürnberg die weitere Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafen gemäß § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG zur Bewährung aus und setzte die Bewährungszeit auf fünf Jahre fest.
3. Mit zwei gleichlautenden Beschlüssen vom 31. August 2010 ergänzte das Amtsgericht Bayreuth die Beschlüsse des Amtsgerichts Kronach und des Amtsgerichts Nürnberg und erteilte dem Beschwerdeführer die Auflage, "100 Stunden gemeinnützige Arbeit nach näherer Weisung des Vereins F. e.V. und in Abstimmung mit seinem Bewährungshelfer zu erbringen". Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, der bisherige Bewährungsverlauf habe sich als äußerst unzureichend gezeigt. Der Beschwerdeführer komme trotz ständiger Anmahnungen durch das Gericht den ihm erteilten Weisungen nicht nach. Um die weitere Durchführung der Bewährung durchzusetzen und den Beschwerdeführer anzuhalten, sich bewährungstreu zu verhalten, sei es erforderlich, weitere Auflagen gegen ihn festzusetzen. Das Gericht erachte dafür die Festsetzung von Arbeitsstunden als probates und erforderliches Mittel.
4. Mit zwei Beschlüssen vom 14. und 29. März 2011 widerrief das Amtsgericht Bayreuth beide Strafaussetzungen. Der Beschwerdeführer habe trotz mehrerer Aufforderungen durch das Gericht, seinen Bewährungshelfer und den Verein F. e.V. bislang nur zwei Stunden gemeinnützige Arbeit erbracht. Der Beschwerdeführer habe sich dahingehend geäußert, dass er aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht in der Lage gewesen sei, die Arbeitsstunden abzuleisten. Dabei handele es sich jedoch nur um eine vorgeschobene Entschuldigung. Aus den vom Beschwerdeführer selbst übersandten Unterlagen ergebe sich, dass er keineswegs eingeschränkt gewesen sei, die Arbeitsstunden abzuleisten. Es habe sich vielmehr ergeben, dass bei seiner Untersuchung für die Frage der Erwerbstätigkeit durch die Bundesagentur für Arbeit bereits im November 2010 zum Untersuchungstermin ein "guter Allgemein- und normaler Ernährungszustand" vorgelegen habe und die psychische Leistungsfähigkeit sowie die Belastbarkeit nicht eingeschränkt gewesen seien. Auch im März 2010 habe eine Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers bestanden. Es wäre ihm daher möglich gewesen, die Arbeitsstunden zu leisten.
5. Gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts legte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 15. April 2011 form- und fristgerecht sofortige Beschwerde ein. Sein Gesundheitszustand sei nicht so wie vom Gericht angenommen. Er sei durch eine Explosion verletzt worden, weswegen eine gesonderte Begutachtung erforderlich sei. Dies sehe auch die Bundesagentur so, wie sich aus der Eingliederungsvereinbarung vom 2. November 2010 ergebe. Der Beschluss vom 31. August 2010 setze auch keine Frist, innerhalb derer die Arbeitsstunden zu erbringen seien und sei daher zu unbestimmt. Außerdem halte er sich jetzt an die Weisungen und sei gewillt, die Weisungen und Auflagen zu erfüllen.
6. Mit zwei gleichlautenden Beschlüssen vom 4. Mai 2011 verwarf das Landgericht die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers, da die Gründe des angefochtenen Beschlusses zuträfen und durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet würden. Der Widerruf sei erfolgt, da der Beschwerdeführer nicht gewillt sei, die ihm auferlegte Arbeitsauflage von 100 Stunden zu erfüllen. Dem sei beizupflichten.
7. Mit Verfügung vom 20. Mai 2011 lud die Staatsanwaltschaft den Beschwerdeführer zum Strafantritt am 3. Juni 2011. Ein von ihm gestellter Antrag auf Haftaufschub im Hinblick auf die erhobene Verfassungsbeschwerde wurde - soweit ersichtlich - nicht verbeschieden.
8. Der Beschwerdeführer beantragt, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt S. beizuordnen.
9. Mit Schriftsatz vom 31. Mai 2011 hat der Beschwerdeführer ergänzend zu seiner Verfassungsbeschwerde beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung die weitere Vollstreckung der Urteile des Amtsgerichts Kronach vom 4. September 2002 - 2 Ls 8 Js 980/02 - und des Amtsgerichts Nürnbergs vom 23. Mai 2005 - 42 Ls 353 Js 4144/05 bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer in der Hauptsache die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 103 Abs. 2 GG. Die ihm erteilte Auflage zur Erbringung gemeinnütziger Arbeit genüge dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG nicht. Daher sei ein Bewährungsverstoß, der zum Widerruf der Bewährung zu führen hätte, nicht gegeben. Die Ausgestaltung von Weisungen und Auflagen obliege allein dem Gericht und dürfe nicht an Dritte delegiert werden.
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
a) Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde wäre unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88, 169 <172>; 91, 328 <332>; stRspr).
b) Die Verfassungsbeschwerde ist zumindest im Hinblick auf den erfolgten Bewährungswiderruf weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die danach gebotene Folgenabwägung lässt die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe überwiegen.
c) Die Folgenabwägung ergibt, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung vorliegen.
Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erweist sich später die Verfassungsbeschwerde jedoch als begründet, so kann in der Zwischenzeit die Restfreiheitsstrafe aus den im Tenor genannten Urteilen vollstreckt werden. Dabei handelt es sich um einen erheblichen, nicht wieder gutzumachenden Eingriff in das Recht auf die Freiheit der Person (vgl. BVerfGE 22, 178 <180>), das unter den grundrechtlich verbürgten Rechten besonderes Gewicht hat (vgl. BVerfGE 65, 317 <322>).
Erginge die einstweilige Anordnung, wird die Verfassungsbeschwerde aber später als unbegründet zurückgewiesen, so wiegen die damit verbundenen Nachteile weniger schwer. In diesem Fall können zwar die oben genannten Restfreiheitsstrafen vorübergehend nicht vollstreckt werden. Ein erheblicher Nachteil für das Wohl der Allgemeinheit ist durch das Zurücktreten des öffentlichen Interesses an einer alsbaldigen Vollstreckung der Restfreiheitsstrafen hier jedoch nicht zu besorgen.
2. Der Beschwerdeführer beantragt zudem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung des Rechtsanwalts S. Diesem Antrag ist - ohne dass dies für die Annahme der Verfassungsbeschwerde gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG vorgreiflich wäre - zu entsprechen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist im Verfahren über eine Verfassungsbeschwerde die Bewilligung von Prozesskostenhilfe an den Beschwerdeführer entsprechend §§ 114 ff. ZPO zulässig (vgl. BVerfGE 1, 109 <110 ff.>; 1, 415 <416>; 79, 252 <253>; 92, 122 <123>). Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, erhält gemäß § 114 Satz 1 ZPO auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Der Beschwerdeführer ist nicht zur Aufbringung der Kosten der Prozessführung durch Beauftragung eines Rechtsanwalts in der Lage. Er verfügt ausweislich seiner Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse über kein Einkommen und Vermögen. Eine hinreichende Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde ist jedenfalls derzeit nicht auszuschließen. Die Einlegung der Verfassungsbeschwerde erscheint insoweit auch nicht mutwillig.