Entscheidungsdatum: 03.02.2010
Die Beschwerde der Klägerin kann keinen Erfolg haben. Die Klägerin hat weder eine Frage von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO aufgeworfen noch liegt der geltend gemachte Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor.
Die wegen dauernder Dienstunfähigkeit mit Wirkung zum 31. Mai 2004 vorzeitig in den Ruhestand versetzte Klägerin will Unfallruhegehalt als Versorgung erhalten, weil ihre Dienstunfähigkeit durch einen Dienstunfall herbeigeführt worden sei. Die als Bundesbeamtin bei der Telekom AG beschäftigte Klägerin war seit 1. Juli 1999 beurlaubt, um auf arbeitsvertraglicher Grundlage eine Tätigkeit bei der T. GmbH, einem Tochterunternehmen der Telekom AG, wahrzunehmen. Am ... stieß sie auf dem Parkplatz dieses Unternehmens beim Ausparken ihres Fahrzeugs mit einem vorbeifahrenden Fahrzeug zusammen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht geprüft, ob die Voraussetzungen des § 31 Abs. 5 BeamtVG vorliegen, unter denen beurlaubten Beamten Unfallfürsorge gewährt werden kann. Vielmehr hat er den Verkehrsunfall als Dienstunfall im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG angesehen, obwohl die Klägerin zum Zeitpunkt des Unfalls aufgrund ihrer Beurlaubung von der beamtenrechtlichen Dienstleistungspflicht befreit war. Sie war nicht als Beamtin, sondern als Angestellte der T. GmbH tätig (vgl. Urteile vom 16. März 2004 - BVerwG 1 D 15.03 - Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 36 S. 82 und vom 29. Oktober 2009 - BVerwG 2 C 134.07 - juris Rn. 14 - zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen).
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs steht der Klägerin Unfallruhegehalt nach § 36 Abs. 1 BeamtVG nicht zu, weil es an dem nach dieser Regelung erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Verkehrsunfall und den Gesundheitsschäden der Klägerin fehle, die zu ihrer dauernden Dienstunfähigkeit geführt hätten. Auf der Grundlage eines technischen Gutachtens zu Unfallhergang und -folgen habe der gerichtlich bestellte Sachverständige in einem orthopädisch-traumatologischen Zusammenhangsgutachten schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass weder die Gelenk- und Wirbelsäulenschäden noch die Fibromyalgie der Klägerin auf den Unfall zurückzuführen seien. Dies gelte erst recht für ihr psychovegetatives Erschöpfungssyndrom.
1. Die Klägerin macht geltend, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ergebe sich daraus,
dass der Verwaltungsgerichtshof sein Urteil auf ein medizinisches Gutachten gestützt habe, welches davon ausgehe, dass es bei Verkehrsunfällen unterhalb einer bestimmten Grenze einer Aufprallgeschwindigkeit (Harmlosigkeitsgrenze) Verletzungen nicht gebe, während etwa der Bundesgerichtshof an der Harmlosigkeitsgrenze gerade nicht mehr festhalte.
Die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Rechtssache eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18; stRspr).
Danach kann grundsätzliche Bedeutung nur einer Frage des revisiblen Rechts zukommen, die der Klärung des Bedeutungsgehalts einer konkret entscheidungserheblichen Rechtsnorm oder eines Rechtsgrundsatzes dient. Im vorliegenden Fall kommt es für die Gewährung eines Unfallruhegehalts auf die Auslegung und Anwendung des § 36 Abs. 1 und des § 31 Abs. 5 BeamtVG an. Mit diesen gesetzlichen Regelungen befasst sich die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht. Vielmehr wendet sie sich mit der Grundsatzrüge gegen die Verwertung eines Sachverständigengutachtens durch den Verwaltungsgerichtshof. Dessen Würdigung des Gutachtens stellt revisionsrechtlich jedoch nicht Rechtsanwendung, sondern Tatsachenfeststellung dar. Die Klägerin will keine Rechtsfrage, sondern die Vertretbarkeit fachwissenschaftlicher Meinungen geklärt wissen.
2. Mit ihren Verfahrensrügen gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO macht die Klägerin geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe durch die Verwertung der von ihm eingeholten Sachverständigengutachten gegen seine Aufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen. Die Gutachten hätten wegen ihrer fachlichen Mängel nicht verwertet werden dürfen. Der Verwaltungsgerichtshof sei verpflichtet gewesen, neue Gutachten anderer Sachverständiger einzuholen.
Über Art und Zahl der einzuholenden Sachverständigengutachten hat das Tatsachengericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmen (§ 98 VwGO, § 412 Abs. 1 ZPO). Seine Weigerung, ein weiteres Gutachten einzuholen, findet im Prozessrecht nur dann keine Stütze, wenn das bereits vorliegende Gutachten nicht geeignet ist, dem Gericht die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen zu vermitteln. Dies ist der Fall, wenn das vorliegende Gutachten auch für den Nichtsachkundigen erkennbare Mängel aufweist, etwa nicht auf dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft beruht, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, unlösbare inhaltliche Widersprüche enthält oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Sachverständigen gibt. Die Verpflichtung zur Einholung eines weiteren Gutachtens folgt nicht schon daraus, dass ein Beteiligter das vorliegende Gutachten als Erkenntnisquelle für unzureichend hält (Urteil vom 6. Februar 1985 - BVerwG 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <45> = Buchholz 303 § 414 ZPO Nr. 1 S. 6; Beschlüsse vom 26. Februar 2008 - BVerwG 2 B 122.07 - ZBR 2008, 257 <259 f.> und vom 29. Mai 2009 - BVerwG 2 B 3.09 - NJW 2009, 2614; stRspr).
Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich nicht, dass den Sachverständigengutachten, auf die das Berufungsurteil gestützt ist, derartige Mängel anhaften. Hierzu ist zu bemerken:
Das technische Sachverständigengutachten hält die Klägerin für unverwertbar, weil es von falschen tatsächlichen Voraussetzungen ausgehe. Dies trifft nicht zu, wie der Verwaltungsgerichtshof in dem Berufungsurteil zutreffend dargelegt hat. Danach sind die Berechnungen, die die Klägerin zum Nachweis einer höheren aufprallbedingten Geschwindigkeitsveränderung vorgelegt hat, ihrerseits nicht verwertbar, weil ihnen exakte Kollisionsgeschwindigkeiten zugrunde liegen, obwohl diese nachträglich nur geschätzt werden können. Auch hat der gerichtlich bestellte Sachverständige plausibel begründet, dass die Instandsetzungsarbeiten und die Höhe der Reparaturrechnung keine Rückschlüsse auf die Deformationsenergie beim Unfall zulassen. Mit ihrem Vorbringen, bei Fahrzeugen mit Anhängerkupplung und älteren Fahrzeugen mit steiferen Sitzrückenlehnen sei das Risiko von Wirbelsäulenverletzungen bei Unfällen höher, kann die Klägerin das Gutachten nicht erschüttern, weil es keinen Bezug zu den konkreten Unfallumständen und den dazu getroffenen Feststellungen des Gutachters aufweist.
Das Zusammenhangsgutachten des medizinischen Sachverständigen Dr. S. hält die Klägerin für unverwertbar, weil es auf wissenschaftlichen Auffassungen beruhe, die entweder unvertretbar seien oder jedenfalls in der Fachwelt überwiegend nicht geteilt würden. Die von der Klägerin erhobenen Einwendungen können die Verwertbarkeit dieses Gutachtens jedoch nicht in Frage stellen, weil sich ihre Bedeutung für die konkreten, den Unfall vom 15. Juli 2003 betreffenden Feststellungen und Beurteilungen des Sachverständigen nicht erschließt.
Die Klägerin macht geltend, der Sachverständige Dr. S. sei Anhänger der medizinisch nicht vertretbaren Adaptionslehre. Hierzu hat der Verwaltungsgerichtshof in dem Berufungsurteil ausgeführt, diese wissenschaftliche Theorie habe für das vorliegende Gutachten keine Rolle gespielt. Sie befasse sich damit, welche Bedeutung langjährigen beruflichen Belastungen für Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen zukomme. Demgegenüber gehe es im vorliegenden Fall um die Folgen eines einmaligen Unfallereignisses. Hierauf geht die Klägerin in der Beschwerdebegründung nicht ein. Vielmehr beschränkt sie sich auf die Wiederholung ihres Vorbringens in der Berufungsinstanz, die Adaptionslehre stelle den Ursachenzusammenhang zwischen plötzlichen Ereignissen und Schäden der Hals- und Lendenwirbelsäule generell in Abrede.
Die Klägerin trägt vor, Dr. S. vertrete die wissenschaftlich unhaltbare Auffassung, dass Fahrzeugunfälle bei nur geringer Aufprallgeschwindigkeit keine Schäden der Hals- und Lendenwirbelsäule hervorrufen könnten. Dieser sog. Harmlosigkeitsgrenze habe der Bundesgerichtshof eine Absage erteilt. Wie bereits der Verwaltungsgerichtshof zutreffend festgestellt hat, liegt dem Gutachten nicht die Auffassung zugrunde, Wirbelsäulenverletzungen als Folge eines Zusammenstoßes von Fahrzeugen seien stets ausgeschlossen, wenn die aufprallbedingte Geschwindigkeitsveränderung unterhalb eines bestimmten Grenzwerts liegt. Vielmehr hat der Sachverständige seine Beurteilung, der Unfall vom ... könne die für die dauernde Dienstunfähigkeit maßgebenden Körperschäden nicht herbeigeführt haben, aufgrund der konkreten Unfallumstände getroffen. Neben der geringen Geschwindigkeitsveränderung des Fahrzeugs der Klägerin hat er darauf abgestellt, dass das Heck des Fahrzeugs durch den Zusammenstoß nicht verschoben worden sei. Davon ausgehend hat er Verletzungen der Rumpfwirbelsäule und im Beckenbereich aufgrund der Sitzposition der Klägerin und des Schutzes durch den Sicherheitsgurt für ausgeschlossen gehalten. Im Halsbereich sei allenfalls eine Distorsion ersten Grades (Muskelzerrung) möglich gewesen.
Auch der Vortrag der Klägerin, entgegen der Auffassung des Sachverständigen könne bei einem Heckauffahrunfall eine Kopfdrehung im Augenblick des Aufpralls zu dauerhaften Schäden der Halswirbelsäule führen, ist nicht geeignet, einen erheblichen Mangel des Gutachtens zu begründen. Der Sachverständige hat substanziiert ausgeführt, die veröffentlichten Untersuchungen sprächen gegen die Hypothese der erhöhten Verletzungsanfälligkeit der Halswirbelsäule bei einer besonderen Kopfhaltung ("out of position"). Dem stellt die Klägerin wie bereits in der Berufungsinstanz ihre abweichende Auffassung gegenüber, ohne auf die vom Sachverständigen genannten Belegstellen einzugehen.
Der Einwand der Klägerin, der Sachverständige habe Auffahrunfälle mit Seitenkollisionen im Hinblick auf Verletzungen der Halswirbelsäule zu Unrecht als relativ harmlos dargestellt, geht von einer unzutreffenden tatsächlichen Annahme aus. Der Sachverständige hat keine generelle Aussage zu derartigen Unfällen getroffen, vielmehr den Unfall der Klägerin aufgrund der konkreten Umstände als relativ harmlos beurteilt.
Schließlich macht die Klägerin geltend, die Ursächlichkeit des Unfalls für die diagnostizierten Beschwerden sei entgegen dem Gutachten "zwingend logisch", weil die Schmerzen und Beschwerden erst nach dem Unfall aufgetreten seien. Auch wenn diese zeitliche Abfolge als richtig unterstellt wird, kann daraus nicht auf die fachliche Fehlerhaftigkeit des Gutachtens geschlossen werden. Der Sachverständige war beauftragt, zu beurteilen, ob der Unfall vom 15. Juli 2003 für sich genommen die Ursache für die schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen gewesen sein kann, die die dauernde Dienstunfähigkeit der Klägerin begründet haben. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Klägerin an den von ihr geschilderten Schmerzen und Beschwerden leidet. Auf die Beantwortung dieser weiteren Frage kommt es nicht entscheidungserheblich an, weil hiervon die Gewährung von Unfallruhegehalt gemäß § 36 Abs. 1 BeamtVG nicht abhängt. Die festgestellten Körperschäden, die den geschilderten Schmerzen und Beschwerden zugrunde liegen, sind Grund für die Dienstunfähigkeit der Klägerin und nicht zwangsläufig kausale Unfallfolgen.
Die Rüge der Klägerin, der medizinische Sachverständige Dr. S. sei aufgrund der von ihm vertretenen medizinischen Auffassungen befangen, ist schon deshalb unbeachtlich, weil die Klägerin in der Berufungsinstanz keinen Ablehnungsantrag gegen den Sachverständigen gestellt hat (§ 98 VwGO, § 406 Abs. 2, § 43 ZPO).