Entscheidungsdatum: 22.07.2010
1. Der Kläger begehrt die Verpflichtung des Beklagten, das bei ihm bestehende Krankheitsbild als Dienstunfall im Sinne des § 31 Abs. 1 BeamtVG bzw. als Berufskrankheit im Sinne des § 31 Abs. 3 BeamtVG anzuerkennen. Verwaltungs- und Klageverfahren blieben in den Vorinstanzen erfolglos. Das Berufungsgericht hat zur Begründung ausgeführt, es stehe nicht mit dem erforderlichen Grad an Gewissheit fest, dass die beim Aushärten der Silikonfugen in die Raumluft abgegebenen Schadstoffe beim Kläger einen dienstunfallrechtlich erheblichen Körperschaden verursacht hätten.
2. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der allein auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützten Nichtzulassungsbeschwerde. Die Verfahrensrüge ist begründet, soweit der Kläger eine unzureichende Aufklärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO) rügt. Im Übrigen bleibt sie ohne Erfolg.
a) Der Kläger bringt vor, das Berufungsgericht habe ihm vor der Entscheidung über die Beauftragung eines Sachverständigen bis zum 26. Januar 2009 Gelegenheit gegeben, seinerseits einen Sachverständigen vorzuschlagen. Diese selbst gesetzte Frist habe das Oberverwaltungsgericht dadurch verletzt, dass es bereits am 23. Januar 2009 Prof. Dr. T. mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt habe. Hierin sieht der Kläger eine Verletzung des rechtlichen Gehörs sowie des Grundsatzes des fairen Verfahrens bei der Auswahl des vom Gericht beauftragten Sachverständigen.
Für die Darstellung des Klägers, der Berichterstatter des Berufungsgerichts habe ihm am 19. Januar 2009 in einem Telefongespräch für die Unterbreitung eines eigenen Vorschlags hinsichtlich des vom Gericht zu bestellenden Gutachters eine Frist bis zum 26. Januar 2009 eingeräumt, finden sich in der Gerichtsakte keine ausreichenden Anhaltspunkte. Zwar hat der Bevollmächtigte des Klägers in seinem Schriftsatz vom 11. Februar 2009 auf diese Frist Bezug genommen. Gleichzeitig hat er aber das Telefonat mit dem Berichterstatter vom 23. Januar 2009 bestätigt. In diesem hat der Bevollmächtigte des Klägers nach dem Aktenvermerk des Berichterstatters der Beauftragung des Prof. Dr. T. zugestimmt. Gegen die Darstellung des Klägers spricht auch der Inhalt des Schriftsatzes des Klägervertreters vom 2. Februar 2009, in dem die Vorbehalte des Klägers gegen die Beauftragung des Prof. Dr. T. begründet werden und dieser als befangen abgelehnt wird. In diesem Schreiben ist von einer Verletzung der seitens des Gerichts bis zum 26. Januar 2009 eingeräumten Frist nicht die Rede. Es hätte sich aber geradezu aufgedrängt, in diesem Schreiben auch darzulegen, das Gericht habe mit der bereits am 23. Januar 2009 erfolgten Beauftragung dieses Sachverständigen die selbst gesetzte Frist verletzt. Auch in dem weiteren Schriftsatz des Klägervertreters vom 3. Februar 2009, der sich ebenfalls mit der Auswahl des Sachverständigen befasst, wird ein Verstoß gegen die gerichtlich gesetzte Frist nicht gerügt.
b) Soweit der Kläger geltend macht, das Berufungsgericht habe seinen Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen zu Unrecht zurückgewiesen, ist die Verfahrensrüge unzulässig (Beschluss vom 16. Februar 1988 - BVerwG 5 B 13.88 - Buchholz 303 § 548 ZPO Nr. 4 S. 2). Denn die Entscheidung des Berufungsgerichts könnte insoweit einer Überprüfung im Revisionsverfahren nicht unterzogen werden. Nach § 557 Abs. 2 ZPO, der nach § 173 VwGO im verwaltungsgerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden ist, unterliegen die dem Endurteil vorausgehenden Entscheidungen nicht der Beurteilung des Revisionsgerichts, wenn sie unanfechtbar sind. Ein solcher Fall ist gegeben, wenn ein Oberverwaltungsgericht nach § 98 VwGO i.V.m. § 406 ZPO die Ablehnung eines Sachverständigen für unbegründet erklärt. Denn eine solche Vorentscheidung kann nach § 152 Abs. 1 VwGO nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
c) Begründet ist die Verfahrensrüge, soweit der Kläger geltend macht, das vom Sachverständigen Prof. Dr. T. erstellte und in der mündlichen Verhandlung erläuterte Gutachten habe nicht ausgereicht, um dem Berufungsgericht die Sachkunde zu vermitteln, die für die Entscheidung über den Klageantrag erforderlich ist (§ 86 Abs. 1 VwGO).
Nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO obliegt den Tatsachengerichten die Pflicht, jede mögliche Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts bis zur Grenze der Zumutbarkeit zu versuchen, sofern dies für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich ist (vgl. Urteile vom 6. Februar 1985 - BVerwG 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <41> und vom 6. Oktober 1987 - BVerwG 9 C 12.87 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31 S. 1). Dabei entscheidet das Tatsachengericht über die Art der heranzuziehenden Beweismittel und den Umfang der Beweisaufnahme im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen nach Ermessen. Dies gilt auch für die Einholung von Gutachten oder die Ergänzung vorhandener Gutachten oder Arztberichte und selbst dann, wenn eine solche Maßnahme der Sachverhaltsermittlung von einem Beteiligten angeregt worden ist (z.B. Urteil vom 6. Oktober 1987 a.a.O. S. 2; Beschluss vom 24. März 2000 - BVerwG 9 B 530.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 308 S. 16).
Die gerichtliche Aufklärungspflicht ist verletzt, wenn sich das Gericht bei der nach seiner Rechtsauffassung erforderlichen Klärung einer entscheidungserheblichen Frage mit einem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten begnügt, das objektiv ungeeignet ist, ihm die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen zu vermitteln. Dies ist im Allgemeinen der Fall, wenn das vorliegende Gutachten auch für den Nichtsachkundigen erkennbare Mängel aufweist, etwa nicht auf dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft beruht, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, unlösbare inhaltliche Widersprüche enthält oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Sachverständigen gibt. Die Verpflichtung zur Ergänzung des vorliegenden Gutachtens folgt nicht schon daraus, dass ein Beteiligter dieses als Erkenntnisquelle für unzureichend hält (Urteil vom 6. Februar 1985 - BVerwG 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <45> = Buchholz 303 § 414 ZPO Nr. 1 S. 6; Beschlüsse vom 26. Februar 2008 - BVerwG 2 B 122.07 - ZBR 2008, 257 <259 f.> und vom 29. Mai 2009 - BVerwG 2 B 3.09 - NJW 2009, 2614; stRspr).
Nach § 98 VwGO i.V.m. § 404a ZPO ist es Aufgabe des Gerichts, die Tätigkeit des Sachverständigen zu leiten. Bei einem medizinischen Gutachten muss das Gericht dem Gutachter sämtliche Anknüpfungstatsachen, insbesondere Krankenunterlagen oder Stellungnahmen der behandelnden Ärzte, übermitteln und ihn anhalten, sich mit diesen fachkundigen Stellungnahmen auseinanderzusetzen (Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl. Rn. 317 ff.). Weicht der Sachverständige von einer solchen Stellungnahme ab, so muss er im Gutachten auf diese fachkundige Äußerung eingehen und den Grund für sein abweichendes Ergebnis nachvollziehbar darlegen. Andernfalls ist das Gutachten unvollständig und deshalb fehlerhaft (Beschluss vom 30. Juni 2010 - BVerwG 2 B 72.09 -).
Nach diesen Grundsätzen hätte das Berufungsgericht den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nicht mit der im Berufungsurteil dargelegten Begründung ablehnen dürfen.
Dem Kläger ging es mit seinem Vorbringen ersichtlich darum, dass die entscheidungserhebliche Frage auch unter Berücksichtigung der einschlägigen Äußerungen bestimmter Wissenschaftler (u.a. Pall und Lupp) zu den Ursachen der Erkrankungen CFS (Chronic fatigue syndrome) und MCS (Multiple chemical sensitivity) beantwortet wird. Sein behandelnder Arzt hatte u.a. in seinen gutachtlichen Stellungnahmen vom 29. Oktober 2008 und vom 16. September 2009 auf diese wissenschaftlichen Äußerungen hingewiesen. Vor der Berufungsverhandlung hatte der Vertreter des Klägers wiederholt auf diese Stellungnahmen verwiesen und gefordert, der gerichtlich bestellte Gutachter müsse diese berücksichtigen.
Bei diesem Vorbringen des Klägers war das Gericht verpflichtet, den von ihm bestellten Gutachter anzuhalten, sich zur Klärung der entscheidungserheblichen Frage mit dieser in der wissenschaftlichen Literatur vertretenen Ansicht auseinanderzusetzen. Ist dieser dazu nicht in der Lage oder nicht bereit, so muss das Gericht zur Aufklärung des Sachverhalts einen weiteren Gutachter bestellen. Der Verpflichtung zur Sachaufklärung wäre Genüge getan, wenn der Sachverständige nachvollziehbar dargelegt hätte, dass dieser Auffassung aus bestimmten wissenschaftlichen Gründen nicht gefolgt werden kann. Zwar ist das Berufungsgericht der Äußerung des von ihm bestellten Gutachters gefolgt, wonach die vom Kläger zur Stützung seines Anspruchs herangezogene Auffassung (u.a. von Martin Pall) derzeit in Deutschland nicht ernsthaft als tragfähig angesehen werde. Eine solche Bewertung eines Sachverständigen, der sich das Gericht anschließen kann, setzt aber voraus, dass dem Gutachter diese - als nicht tragfähig bewertete - wissenschaftliche Auffassung überhaupt bekannt ist. Dies war, wie sich sowohl aus dem Schreiben des Sachverständigen an das Gericht vom 14. September 2009 als auch aus den Ausführungen im Berufungsurteil (UA S. 14) ergibt, aber nicht der Fall.
Da nicht auszuschließen ist, dass das angegriffene Urteil auf einer unzureichend ermittelten Tatsachenbasis beruht, hat die Beschwerde Erfolg. Zur Beschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, gemäß § 133 Abs. 6 VwGO das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, um dem Berufungsgericht Gelegenheit zu geben, die entscheidungserheblichen Tatsachen im erforderlichen Maße festzustellen.