Entscheidungsdatum: 28.10.2010
1. Eine gegenüber einem Geschäftsunfähigen abgegebene Willenserklärung geht iSv. § 131 Abs. 1 BGB dem gesetzlichen Vertreter nur zu, wenn sie nicht lediglich faktisch in dessen Herrschaftsbereich gelangt ist, sondern auch an ihn gerichtet oder zumindest für ihn bestimmt ist.
2. Ein automatisches Wirksamwerden der Willenserklärung, nachdem die Geschäftsunfähigkeit geendet hat, ist durch § 131 Abs. 1 BGB ausgeschlossen.
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 8. Mai 2009 - 6 Sa 55/09 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.
Der Kläger war seit dem 1. Mai 1988 als Chemiker bei der Beklagten beschäftigt. Mit Schreiben vom 12. Mai 2006 kündigte diese das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. Juni 2007. Das Schreiben wurde dem Kläger persönlich am 15. Mai 2006 übergeben. Der Kläger erhob am 31. Mai 2006 Kündigungsschutzklage, welche er mit Schreiben vom 24. November 2006 zurücknahm.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Speyer vom 17. September 2007 wurde der Prozessbevollmächtigte des Klägers zu dessen gesetzlichem Betreuer ua. für den Aufgabenkreis der Vermögensverwaltung bestellt. Er teilte der Beklagten schriftlich mit, dass er „von Ihrer Kündigung datiert vom 12. Mai 2006 am gestrigen Tage, den 26.09.2007, Kenntnis erhalten“ habe.
Am 12. Oktober 2007 erhob der Betreuer für den Kläger erneut Klage gegen die Kündigung vom 12. Mai 2006. Das vom Arbeitsgericht eingeholte Sachverständigengutachten vom 10. Juli 2008 kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Übergabe der Kündigung im Mai 2006 aufgrund „einer ihrer Natur nach nicht vorübergehenden krankhaften Störung der Geistestätigkeit in Gestalt einer akuten schizophrenen Psychose“ geschäftsunfähig gewesen sei.
Mit Schreiben vom 20. März 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. März 2009. Die Kündigung wurde dem Betreuer des Klägers am 25. März 2008 zugestellt. Der Kläger hat seine Klage am 9. April 2008 um einen Antrag gegen diese Kündigung erweitert; darüber ist auch erstinstanzlich noch nicht entschieden.
In der Zeit vom 13. November 2007 bis zum 14. Januar 2008 befand sich der Kläger in stationärer, anschließend bis zum 2. Mai 2008 in teilstationärer Behandlung. Mit Beschluss des Amtsgerichts Speyer vom 7. Juli 2008 wurde die Betreuung aufgehoben.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung vom 12. Mai 2006 sei nicht wirksam geworden, da er bei ihrer Entgegennahme geschäftsunfähig gewesen sei. Es sei erforderlich gewesen, sie förmlich an seinen Betreuer zu richten. Da dies nicht geschehen sei, begründe auch dessen Kenntnisnahme 16 Monate später keinen wirksamen Zugang. Eine bloß zufällige Kenntnisnahme durch den Betreuer genüge nicht. Die Kündigung sei zudem sozialwidrig.
Der Kläger hat - soweit in der Revisionsinstanz von Interesse - beantragt
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1. |
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 12. Mai 2006 nicht aufgelöst worden ist; |
2. |
die Beklagte für den Fall des Obsiegens zu verurteilen, ihn zu unveränderten Arbeitsbedingungen über den 30. Juni 2007 hinaus als Chemiker weiter zu beschäftigen. |
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, die Kündigung vom 12. Mai 2006 habe das Arbeitsverhältnis wirksam beendet. Die Kündigung sei dem gesetzlichen Vertreter des Klägers jedenfalls am 26. September 2007 zugegangen, da er in Ausübung seiner Betreuungsaufgaben von ihr Kenntnis erhalten habe. Der Kläger sei der richtige äußere Adressat der Erklärung, da sie ihm gegenüber Rechtswirkungen entfalten solle. Zugegangen sei die Erklärung mit Kenntnisnahme durch den Betreuer, auch wenn sie nicht an diesen gerichtet gewesen sei. Andernfalls hänge die passive Teilnahme des Betreuten am Rechtsverkehr davon ab, ob der Erklärende Kenntnis von der Geschäftsunfähigkeit und der Betreuung habe, um dies berücksichtigen zu können. Die Berufung des Klägers auf Zugangsmängel sei überdies rechtsmissbräuchlich, da sein Betreuer mit Schreiben vom 25. September 2007 erklärt habe, in dieser Funktion von der Kündigung Kenntnis erhalten zu haben. Die Kündigung sei wegen der Erkrankung des Klägers auch sozial gerechtfertigt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage durch Teilurteil stattgegeben und die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers bis zur Rechtskraft der Entscheidung, längstens bis zum 31. März 2009 verurteilt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt diese ihren Antrag weiter, die Klage abzuweisen.
Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung vom 12. Mai 2006 hat das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgelöst (I.). Der Weiterbeschäftigungsantrag fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an (II.).
I. Die Kündigung der Beklagten vom 12. Mai 2006 hat das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgelöst. Sie ist mangels Zugangs beim gesetzlichen Vertreter des Klägers nicht wirksam geworden. Ob sie sozial gerechtfertigt ist, bedarf deshalb keiner Entscheidung.
1. Die Kündigung der Beklagten vom 12. Mai 2006 ist nicht mit Übergabe an den Kläger am 15. Mai 2006 wirksam geworden.
a) Gemäß § 131 Abs. 1 BGB wird die gegenüber einem Geschäftsunfähigen abgegebene Willenserklärung nicht wirksam, bevor sie dem gesetzlichen Vertreter zugeht.
b) Der Kläger war zum Zeitpunkt der Übergabe geschäftsunfähig iSv. § 104 Nr. 2 BGB.
aa) Geschäftsunfähig iSd. § 104 Nr. 2 BGB ist, wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden, dauerhaften Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet. Ein solcher Zustand ist gegeben, wenn jemand nicht im Stande ist, seinen Willen frei und unbeeinflusst von einer vorliegenden Geistesstörung zu bilden und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln. Das kann auch der Fall sein, wenn lediglich eine Geistesschwäche vorliegt. Abzustellen ist allein darauf, ob eine freie Entscheidung nach Abwägung des Für und Wider bei sachlicher Prüfung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich ist oder ob umgekehrt von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden kann, etwa weil infolge der Geistesstörung Einflüsse dritter Personen den Willen übermäßig beherrschen (vgl. Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 985/08 - Rn. 17, AP KSchG 1969 § 5 Nr. 17 = EzA KSchG § 5 Nr. 38; BGH 5. Dezember 1995 - XI ZR 70/95 - zu II 2 b aa der Gründe, NJW 1996, 918).
bb) Nach den nicht angegriffenen, auf das Sachverständigengutachten vom 10. Juli 2008 gestützten Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war der Kläger zum Zeitpunkt der Übergabe der Kündigung aufgrund einer ihrer Natur nach nicht vorübergehenden krankhaften Störung der Geistestätigkeit geschäftsunfähig in diesem Sinne.
2. Die Kündigung vom 12. Mai 2006 ist nicht im September 2007 dem Prozessbevollmächtigten des Klägers als dessen zwischenzeitlich bestelltem Betreuer iSd. § 131 Abs. 1 BGB zugegangen.
a) Zwar hat der Prozessbevollmächtigte im Rahmen seiner Betreuungsaufgaben Ende September 2007 von dem Kündigungsschreiben Kenntnis erlangt. Er war gemäß § 1902 BGB gesetzlich befugt, den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen, und damit gesetzlicher Vertreter des Klägers iSv. § 131 Abs. 1 BGB. Die Wahrnehmung der Vermögensinteressen des Klägers im Zusammenhang mit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses gehört zu dem Aufgabenbereich der Vermögensverwaltung, für welchen er ua. bestellt war.
b) Die gegenüber dem Kläger abgegebene Kündigungserklärung ist seinem Betreuer aber trotz dessen Kenntnisnahme nicht iSv. § 131 Abs. 1 BGB zugegangen.
aa) In Rechtsprechung und Schrifttum ist umstritten, unter welchen Voraussetzungen eine gegenüber einem Geschäftsunfähigen abgegebene Willenserklärung iSv. § 131 Abs. 1 BGB dem gesetzlichen Vertreter zugeht.
(1) Überwiegend wird verlangt, dass die Willenserklärung an den gesetzlichen Vertreter gerichtet oder zumindest für diesen bestimmt und dass sie in seinen Bereich gelangt ist (BGH 13. April 1989 - V ZR 145/88 - BGHR BGB § 131 Abs. 1/Zugang 1; vgl. für § 131 Abs. 2 Satz 1 BGB: LAG Schleswig-Holstein 20. März 2008 - 2 Ta 45/08 - Rn. 11, LAGE BGB 2002 § 130 Nr. 6). Die bloße Kenntnisnahme durch den gesetzlichen Vertreter reiche für einen Zugang nicht aus (LAG Schleswig-Holstein aaO; LG Berlin 5. November 1981 - 61 S 198/81 - MDR 1982, 321). Ein Zugang bei dem gesetzlichen Vertreter setze voraus, dass der Erklärende die Absicht gehabt habe, die Erklärung gegenüber dem gesetzlichen Vertreter abzugeben (vgl. für § 131 Abs. 2 Satz 1 BGB: OLG Düsseldorf 9. Mai 1961 - 4 U 21/61 - VersR 1961, 878). Die Willenserklärung müsse an den gesetzlichen Vertreter gerichtet oder von der erkennbaren Absicht getragen sein, sie diesem gegenüber abzugeben (vgl. MünchKommBGB/Einsele 5. Aufl. § 131 Rn. 3; Palandt/Ellenberger 70. Aufl. § 131 BGB Rn. 2; Soergel/Wolf 13. Aufl. § 131 Rn. 3; Erman/Palm BGB 12. Aufl. § 131 Rn. 2; Bamberger/Roth/Wendtland BGB 2. Aufl. § 131 Rn. 4; PWW/Ahrens 5. Aufl. § 131 Rn. 3). Auch der Senat hat für den Fall der Kündigung eines Ausbildungsverhältnisses gegenüber einer Minderjährigen angenommen, die Kündigung müsse gemäß § 131 BGB gegenüber den Eltern als den gesetzlichen Vertretern erklärt werden. Dies ergebe sich zwingend aus deren gesetzlicher Vertretungsmacht, die durch § 131 BGB für den Zugang empfangsbedürftiger Willenserklärungen konkretisiert werde (Senat 25. November 1976 - 2 AZR 751/75 - zu A III 3 a, b der Gründe, AP BBiG § 15 Nr. 4 = EzA BBiG § 15 Nr. 3).
(2) Nach anderer Auffassung ist es nicht erforderlich, dass die Willenserklärung an den gesetzlichen Vertreter gerichtet, insbesondere bei einer schriftlichen Mitteilung an diesen adressiert ist. Ein Zugang bei dem gesetzlichen Vertreter iSv. § 131 BGB sei dann gegeben, wenn dieser von der Erklärung tatsächlich Kenntnis erlange (LAG Hamm 20. Oktober 1974 - 3 Sa 881/74 - BB 1975, 282; Reichold in jurisPK-BGB 4. Aufl. Band 1 § 131 Rn. 7; so wohl auch LAG Berlin 22. Juni 2006 - 18 Sa 385/06 - zu II 2, 3 der Gründe). § 131 BGB behandele gerade den Fall, dass die Erklärung an den Geschäftsunfähigen adressiert sei. Sei sie an den gesetzlichen Vertreter gerichtet, bedürfe es gar keiner besonderen Regelung, da dann die allgemeinen Grundsätze des Vertretungsrechts (§ 164 Abs. 1 und 3 BGB) gölten (Staudinger/Singer/Benedict 2004 § 131 Rn. 3).
bb) Zutreffend ist die Ansicht, derzufolge ein Zugang bei dem gesetzlichen Vertreter iSv. § 131 Abs. 1 BGB voraussetzt, dass die Willenserklärung nicht nur - zufällig - in dessen Herrschaftsbereich gelangt ist, sondern auch an ihn gerichtet oder zumindest für ihn bestimmt ist.
(1) § 131 Abs. 1 BGB regelt nicht selbst, unter welchen Voraussetzungen eine gegenüber einem Geschäftsunfähigen abgegebene Willenserklärung „dem gesetzlichen Vertreter zugeht“. Es gilt demnach auch hier der Zugangsbegriff des § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB in seiner allgemeinen Bedeutung. Danach ist für das Wirksamwerden einer empfangsbedürftigen Willenserklärung erforderlich, dass sie mit Willen des Erklärenden in Richtung auf den Empfänger in den Verkehr gelangt ist und der Erklärende damit rechnen konnte und gerechnet hat, sie werde - und sei es auf Umwegen - den von ihm bestimmten Empfänger erreichen (BGH 11. Mai 1979 - V ZR 177/77 - zu II 1 der Gründe, NJW 1979, 2032; 25. Februar 1983 - V ZR 290/81 - zu II der Gründe, WM 1983, 712; RGZ 170, 380, 382; PWW/Ahrens 5. Aufl. § 130 Rn. 6; MünchKommBGB/Einsele 5. Aufl. § 130 Rn. 13; Flume Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts Band 2 Das Rechtsgeschäft 4. Aufl. § 14 Anm. 2 S. 225; Soergel/Wolf 13. Aufl. § 130 Rn. 6; Reichold in jurisPK-BGB 4. Aufl. § 130 Rn. 5; Larenz/Wolf Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts 9. Aufl. § 26 Rn. 2). Zwar brauchen empfangsbedürftige Willenserklärungen nicht unmittelbar an den Erklärungsgegner abgesandt zu werden. Sie können ihm auch über Dritte zugeleitet werden. Dies darf aber nicht mehr oder weniger zufällig, sondern muss zielgerichtet geschehen (BGH 11. Mai 1979 - V ZR 177/77 - aaO). Die Zuleitung muss an den von dem Erklärenden bestimmten Empfänger erfolgen.
(a) Zwar ist der Wortlaut von § 131 Abs. 1 BGB insoweit nicht eindeutig. § 131 Abs. 1 BGB unterscheidet ebenso wie § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zwischen der Abgabe einer Willenserklärung und ihrem Zugang. Der Wortsinn lässt sowohl ein Verständnis zu, nach welchem der Zugangsbegriff in § 131 Abs. 1 BGB demjenigen in § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB entspricht, als auch ein solches, nach welchem die gegenüber dem Geschäftsunfähigen abgegebene Willenserklärung nur faktisch auch dem gesetzlichen Vertreter zur Kenntnis gelangen muss.
(b) Schon die Gesetzessystematik spricht aber für ein einheitliches Verständnis des Begriffs „zugehen“ in § 130 BGB und § 131 BGB. Mangels jeglichen Hinweises für eine unterschiedliche Bedeutung in den beiden unmittelbar aufeinander folgenden Vorschriften ist davon auszugehen, dass das Gesetz den Begriff beide Male im gleichen Sinn gebraucht.
(c) Ebenso sprechen die Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Regelung dafür, dass § 131 Abs. 1 BGB kein von § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB abweichender Zugangsbegriff zugrunde liegt.
(aa) Der Entwurf erster Lesung zu einem Bürgerlichen Gesetzbuch sah in seinem § 66 Abs. 1 zunächst nur vor, dass ein gegenüber einem anderen vorzunehmendes Rechtsgeschäft unwirksam sei, wenn die Vornahme gegenüber einem Geschäftsunfähigen erfolge (Mugdan I S. LXXVI). Rechtsgeschäfte gegenüber einer geschäftsunfähigen Person sollten mit rechtlichem Erfolg nicht vorgenommen werden können (Mot. I S. 139). Unberührt bleiben sollte die nach den Umständen des Falles zu beantwortende Frage, ob und inwieweit eine gegenüber einer geschäftsunfähigen Person abgegebene Willenserklärung als an den gesetzlichen Vertreter gerichtet anzusehen sei und deshalb gegenüber diesem wirksam werden könne (Mot. I S. 140).
Ein Änderungsantrag, nach dem in der Gesetzesformulierung die Möglichkeit eines Wirksamwerdens der Willenserklärung durch Zugang bei dem gesetzlichen Vertreter zum Ausdruck kommen sollte, wurde zunächst verworfen (Mugdan I S. LXXVIII). Es verstehe sich von selbst, dass der gesetzliche Vertreter befähigt sei, den Geschäftsunfähigen auch in der Entgegennahme von Willenserklärungen zu vertreten. Eine Hervorhebung sei entbehrlich und nicht ratsam, weil das Gesetz die einzelnen Fragen, die sich in dieser Hinsicht ergeben könnten, nicht zu regeln im Stande sei (Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs Band I 1897 13. Sitzung Abschn. III S. 73).
Zur Begründung eines weiteren Änderungsantrags, welcher schließlich in § 131 BGB Gesetz wurde, wurde geltend gemacht, dieser bringe besser als der Entwurf zum Ausdruck, dass bei bestehender Geschäftsunfähigkeit des Empfängers einer Willenserklärung zwar nicht zu dessen Schaden deren sofortige Gültigkeit eintreten solle, die Erklärung aber „bei späterem Eintritte“ des gesetzlichen Vertreters Wirksamkeit erlangen könne (Mugdan I S. 687).
(bb) Danach kommt in § 131 Abs. 1 BGB der Grundsatz zum Ausdruck, dass der Schutz des Geschäftsunfähigen im rechtsgeschäftlichen Bereich Vorrang hat vor der Sicherheit des Rechtsverkehrs. Mit der Regelung hat das Gesetz eine grundlegende Wertentscheidung zugunsten der Interessen des aufgrund persönlicher Eigenschaften typischerweise schwächeren Teilnehmers am rechtsgeschäftlichen Verkehr getroffen (vgl. Staudinger/Knothe 2004 Vorbem. zu §§ 104 - 115 Rn. 29). Die Geschäftsunfähigkeit wird nicht nur bei der aktiven, sondern auch bei der passiven Teilnahme am Rechtsverkehr berücksichtigt (Staudinger/Singer/Benedict § 131 Rn. 1).
(cc) Für den Zugang empfangsbedürftiger Willenserklärungen als Voraussetzung für ihr Wirksamwerden soll § 131 Abs. 1 BGB nach dem Willen des historischen Gesetzgebers lediglich klarstellen, dass bei einer gegenüber einem Geschäftsunfähigen abgegebenen Erklärung deren Zugang bei dem gesetzlichen Vertreter erforderlich ist. Aus den Materialien ergeben sich dagegen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Begriff „zugehen“ eine andere Bedeutung hätte als in § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB. Bei dem Hinweis auf einen „späteren Eintritt“ des gesetzlichen Vertreters handelt es sich offensichtlich um eine andere Formulierung für das im Text des Änderungsantrags verlangte spätere Zugehen bei dem gesetzlichen Vertreter. Der geänderte Text sollte die schon im Entwurf konzipierte Rechtslage lediglich besser zum Ausdruck bringen.
(dd) Soweit die Gegenansicht auf die Möglichkeit der passiven Vertretung nach § 164 Abs. 3 BGB verweist, rechtfertigt dies kein anderes Auslegungsergebnis. Selbst wenn § 164 Abs. 3 BGB auch auf die gesetzliche Vertretung anzuwenden wäre, ergäbe sich daraus nur, dass der gesetzliche Vertreter den Geschäftsunfähigen im Empfang einer Willenserklärung vertreten kann. Über die Voraussetzungen eines Zugangs der Willenserklärung bei dem gesetzlichen Vertreter verhält sich die Regelung nicht.
(2) Eine Willenserklärung, die gegenüber einem Geschäftsunfähigen abzugeben ist, muss danach mit dem erkennbaren Willen abgegeben werden, dass sie den gesetzlichen Vertreter erreicht. Anderenfalls kann sie diesem iSv. § 131 Abs. 1 BGB nicht zugehen. Ob das bei einer schriftlichen Erklärung stets voraussetzt, dass diese (auch) an den gesetzlichen Vertreter adressiert ist, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Jedenfalls reicht eine spätere tatsächliche Kenntnisnahme durch den Betreuer als gesetzlichen Vertreter nicht aus, wenn dieser im Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung noch nicht bestellt war und die Erklärung keinerlei Hinweis darauf enthält, dass sie für den gesetzlichen Vertreter des Adressaten bestimmt ist. Eine solche Erklärung ist nicht mit dem erkennbaren Willen abgegeben, den gesetzlichen Vertreter des Adressaten zu erreichen. Wollte man demgegenüber eine Willenserklärung stets zugleich an einen - ggf. noch zu bestellenden - gesetzlichen Vertreter gerichtet oder für diesen bestimmt ansehen, bliebe ihr Zugang und Wirksamwerden auf unabsehbare Zeit in der Schwebe und könnte ggf. noch nach Jahren erfolgen. Aus dem vermeintlichen Schutz des Rechtsverkehrs würde das Gegenteil. Umgekehrt trägt es dem Schutz des Geschäftsunfähigen Rechnung, von den allgemeinen Zugangserfordernissen auch bei einer ihm gegenüber abgegebenen Willenserklärung nicht abzusehen.
(3) Ein solches Ergebnis verletzt die Beklagte, anders als sie gemeint hat, nicht in verfassungswidriger Weise in ihrer durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit. Auch diese verlangt nicht danach, dass die gegenüber dem Kläger abgegebene Kündigungserklärung vom 12. Mai 2006 infolge der Kenntnisnahme durch den Betreuer am 26. September 2007 wirksam geworden ist. Da ein Zugang und Wirksamwerden der Erklärung iSv. § 131 Abs. 1 BGB erst in der Kenntnisnahme durch den gesetzlichen Vertreter liegen könnte und damit nicht etwa ein rückwirkendes Wirksamwerden der Willenserklärung auf den Zeitpunkt des faktischen Zugehens beim Geschäftsunfähigen einherginge, wäre die Beklagte durch den fraglichen Zugang beim Betreuer nicht besser gestellt als sie es wäre, wenn sie nach Kenntnis von der Betreuung die Kündigungserklärung erneut - nunmehr gerichtet an den Betreuer - abgegeben hätte. Die darin liegende Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit geht nicht weiter als es der Schutz des Geschäftsunfähigen erfordert.
cc) Danach ist die Kündigung der Beklagten vom 12. Mai 2006 dem Betreuer des Klägers nicht dadurch zugegangen, dass er Ende September 2007 von ihr Kenntnis nahm. Dazu hätte sie schon zum Zeitpunkt ihrer Abgabe gegenüber dem Kläger an ihn gerichtet oder für ihn bestimmt sein müssen. Das lässt sich ihr nicht entnehmen.
dd) Der Kläger verstößt nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn er sich auf das Fehlen eines Zugangs der Kündigung vom 12. Mai 2006 beruft. Er verhält sich dadurch nicht widersprüchlich. Zwar hat der Betreuer der Beklagten Ende September 2007 mitgeteilt, von der Kündigung Kenntnis erlangt zu haben. Er hat damit aber weder zu verstehen gegeben, die Erklärung als ihm im Rechtssinne zugegangen anzuerkennen noch sich nicht mehr gegen sie wehren zu wollen.
3. Die Kündigung der Beklagten vom 12. Mai 2006 ist dem Kläger nicht mit der Aufhebung der Betreuung am 7. Juli 2008 zugegangen. Das gilt auch dann, wenn unterstellt wird, dass er ab diesem Zeitpunkt wieder voll geschäftsfähig war. Ein automatisches Wirksamwerden, nachdem die Geschäftsunfähigkeit geendet hat, sieht § 131 Abs. 1 BGB nicht vor. Zwar gilt für Erklärungen gegenüber Bewusstlosen oder vorübergehend Geistesgestörten iSv. § 105 Abs. 2 BGB die allgemeine Regelung des § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB, so dass die Willenserklärung nach Beendigung der Bewusstlosigkeit oder vorübergehenden Geistesstörung bei dem Betroffenen selbst zugehen kann (Palandt/Ellenberger 70. Aufl. § 131 BGB Rn. 1). Für den hier gegebenen Fall der Geschäftsunfähigkeit iSv. § 104 Nr. 2 BGB wird § 130 Abs. 1 BGB aber insoweit durch § 131 Abs. 1 BGB verdrängt, als die Erklärung nur durch Zugang bei dem gesetzlichen Vertreter wirksam werden kann.
4. Eine Bestätigung der Kündigungserklärung vom 12. Mai 2006 durch die Beklagte - etwa durch die Klageerwiderung im vorliegenden Rechtsstreit - mit der Folge, dass diese als erneute Vornahme der Kündigung gölte (§ 141 Abs. 1 BGB), kommt nicht in Betracht. Bei der Kündigung vom 12. Mai 2006 handelt es sich nicht um ein iSv. § 141 Abs. 1 BGB nichtiges Rechtsgeschäft. Die Rechtsfolge der Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts setzt voraus, dass zumindest tatbestandlich ein solches Geschäft vorliegt (vgl. BGH 15. Januar 1987 - III ZR 222/85 - zu I 3 der Gründe, NJW 1987, 1699; Palandt/Ellenberger 70. Aufl. § 141 BGB Rn. 3 und Überbl. v. § 104 Rn. 28). Daran fehlt es hier. Eine Kündigung ist ein einseitiges empfangsbedürftiges Rechtsgeschäft (Senat 20. August 1997 - 2 AZR 518/96 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 620 Kündigungserklärung Nr. 11 = EzA BGB § 174 Nr. 12). Dieses bleibt unvollständig und kommt schon tatbestandlich nicht zustande, wenn die Kündigungserklärung gar nicht zugeht. Es handelt sich um ein rein faktisches, rechtlich von vornherein wirkungsloses Geschehen. Eine Bestätigung vermöchte an dem Umstand, dass die Erklärung mangels Zugangs unvollständig geblieben ist, nichts zu ändern.
II. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung für die Dauer des Kündigungsschutzverfahrens fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Das Verfahren ist mit Verkündung der Entscheidung über den Antrag zu 1. rechtskräftig abgeschlossen. Das Arbeitsgericht hatte die Beklagte zudem nur zur Weiterbeschäftigung des Klägers längstens bis zum 31. März 2009 verurteilt, ohne dass der Kläger dagegen Rechtsmittel eingelegt hätte.
III. Als unterlegene Partei hat die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Kreft |
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Schmitz-Scholemann |
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Rachor |
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Söller |
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Torsten Falke |
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