Entscheidungsdatum: 19.03.2019
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 101 95 962.1
…
hat der 18. Senat (Techn. Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 19. März 2019 durch die Vorsitzende Richterin Dipl.-Ing. Wickborn sowie den Richter Kruppa, die Richterin Dipl.-Phys. Dr. Otten-Dünnweber und den Richter Dipl.-Ing. Altvater
beschlossen:
Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.
I.
Im vorliegenden Beschwerdeverfahren, das sich durch Nichtzahlung von Jahresgebühren für die Patentanmeldung in der Hauptsache erledigt hat, war allein noch über den Antrag der Anmelderin auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr zu entscheiden.
Am 16. Januar 2001 hat die Anmelderin die inzwischen wegen Nichtzahlung von Jahresgebühren als zurückgenommen geltende Patentanmeldung 101 95 962.1 mit der Bezeichnung „Verfahren und Einrichtung zum Aufteilen einer Ressource zwischen mehreren Threads in einem mehrfädigen Prozessor“ unter Inanspruchnahme einer US-Priorität als PCT-Anmeldung eingereicht (PCT/US01/01577; veröffentlicht als WO 01/077820 A2).
Die Prüfungsstelle hat in ihrem ersten Prüfbescheid vom 23. März 2005 die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 gegenüber Druckschrift D1 in Abrede gestellt, dem die Anmelderin in ihrer Eingabe vom 12. September 2005 argumentativ widersprochen und um Erlass eines weiteren Prüfbescheides gebeten hat, hilfsweise um Anberaumung einer Anhörung.
Mit dem zweiten Prüfbescheid vom 7. August 2009 hat die Prüfungsstelle die im ersten Prüfbescheid vertretene Auffassung unter Berücksichtigung der Argumentation der Anmelderin in ihrer Rückantwort aufrechterhalten. Dem hat die Anmelderin in ihrer Eingabe vom 27. November 2009 ausführlich widersprochen.
Danach erfolgte ein Prüferwechsel.
In ihrem Prüfungsbescheid vom 5. August 2013 (dritter Bescheid) hat die Prüfungsstelle die Erteilung eines Patents in Aussicht gestellt und die Druckschriften D2 bis D5 pauschal ins Verfahren eingeführt. Die Anmelderin hat in ihrem Schriftsatz vom 8. Januar 2014 auf die Unklarheit der im vorangegangenen Bescheid gestellten Anforderungen hingewiesen. Es wurden neue Unterlagen eingereicht, wobei der mit einer Klarstellung ergänzte Gegenstand des Anspruchs 1 inhaltlich unverändert weiterverfolgt wurde. Hilfsweise wurde eine Anhörung beantragt.
Im darauf folgenden Bescheid vom 23. Februar 2016 (vierter Bescheid) hat die Prüfungsstelle ausführlich begründet, weshalb der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 nunmehr als nicht neu gegenüber der bereits im ersten Prüfungsbescheid vom 23. März 2005 in das Verfahren eingeführten Druckschrift D1 angesehen werde und weshalb auch die Gegenstände der übrigen Ansprüche gegenüber Druckschrift D1 nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhen würden. Zum Beleg des Fachwissens wurden die Druckschriften D6 und D7 neu ins Verfahren eingeführt. In einer nochmaligen Ausfertigung des vierten Prüfbescheides vom 3. März 2016 - nach Anruf des Vertreters der Anmelderin am 3. März 2016 mit der Bitte um Korrektur des letzten Absatzes im vorangegangenen Bescheid - wurde von der Prüfungsstelle zusätzlich ausgeführt, dass die Neubewertung der Lehre des Patentanspruchs 8, welche vergleichbar mit dem in den USA erteilten Patentanspruch 1 sei, auf der BGH-Entscheidung „Farbversorgungssystem“ beruhe und ein solcher Anspruch gegenüber Druckschrift D1 i. V. m. Druckschrift D6 und D7 ebenfalls nicht erteilbar sei. Weiterhin hat sie mit dem vierten Prüfungsbescheid zur Anhörung am 21. Juni 2016 geladen. Den Ausführungen im vierten Bescheid hat die Anmelderin in ihrer Eingabe vom 30. Mai 2016 wiederum argumentativ widersprochen.
Im darauf folgenden Bescheid vom 3. Juni 2016 (fünfter Bescheid) hat die Prüfungsstelle im Wesentlichen die Argumentation aus dem vierten Bescheid wiederholt.
Am 20. Juni 2016, dem Vortag der Anhörung, wurde von der Prüfungsstelle eine E-Mail an den Anmelder versandt, mit der sie fünf weitere Druckschriften in das Verfahren einführte.
Die Prüfungsstelle hat die Anmeldung mit Beschluss in der Anhörung vom 21. Juni 2016 zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass der geltende Anspruch 1 gemäß Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 bis 3 jeweils mit Rücksicht auf die Druckschrift
D1 EP 0 856 797 A1
und die in der Anhörung ins Verfahren eingeführte Druckschrift
D8 Culler, D. E.; Gunter, M.; Lee, J. C.: Analysis of Multithreaded Microprocessors under Multiprogramming, Report No. UCB/CSD 92/687, Computer Science Division, University of California, Berkeley, 1992
nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Gegen den ihr am 12. August 2016 zugestellten Beschluss hat die Anmelderin mit dem am 12. September 2016 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag Beschwerde eingelegt. In ihrer Beschwerdebegründung vom 6. Februar 2017 hat die Anmelderin u. a. sinngemäß beantragt
die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen
und dazu ausgeführt, dass im Verlauf eines 14-jährigen Prüfungsverfahrens vor der Prüfungsstelle für Klasse G06F kein Einvernehmen darüber erzielt werden konnte, ob sich der Gegenstand des Anspruchs 1 in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik der Druckschrift D1 ergebe, der bereits im Erstbescheid in das Verfahren eingeführt wurde. Insgesamt sei es dem Prüfer auch nicht gelungen, in verständlicher Weise darzulegen, auf welche Weise ein Fachmann ausgehend von D1 zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen könnte, ohne erfinderisch tätig zu sein. Eine Rechtfertigung der Erstattung der Beschwerdegebühr ergebe sich nicht allein aus der Dauer des Prüfungsverfahrens, sondern insbesondere aus dessen Handhabung in der Zeit nach Erlass des Bescheids vom 5. August 2013 bis zur Anhörung.
Nachdem die Anmeldung wegen Nichtzahlung von Jahresgebühren als zurückgenommen gilt, hat die Anmelderin im Schreiben vom 29. Oktober 2018 sinngemäß mitgeteilt, dass sie den Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr aufrechterhält.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr ist gemäß § 80 Abs. 3 PatG statthaft. Er ist auch begründet, da die Rückzahlung dieser Gebühr vorliegend der Billigkeit entspricht.
Das Patentgericht kann nach § 80 Abs. 3 PatG anordnen, dass die Beschwerdegebühr zurückgezahlt wird. Dies gilt auch dann, wenn die Anmeldung zurückgenommen worden ist (§ 80 Abs. 4 PatG), wobei die Rücknahme auch auf einer Fiktion, wie etwa der Rücknahmefiktion nach § 58 Abs. 3 PatG beruhen kann (vgl. Schulte, Patentgesetz, 10. Aufl., § 80, Rn. 116).
So kommt eine Rückzahlung auch bei unangemessener Sachbehandlung in Betracht (vgl. Busse, PatG, 8. Aufl., § 80 Rn. 122 f). An sich nicht fehlerhaftes, aber unzweckmäßiges Verhalten des Patentamts kann bei Vorliegen besonderer Umstände die Rückzahlung rechtfertigen, wenn aus der Sicht eines verständigen Beschwerdeführers gerade diese unsachgemäße Sachbehandlung Anlass für die Einlegung der Beschwerde war (Benkard, PatG, 11. Aufl., § 80 Rn. 22). In Betracht kommen insbesondere Verstöße gegen die Verfahrensökonomie. Ein solcher Verstoß liegt hier vor.
Die Prüfungsstelle hat nach einem vorangegangenen Prüferwechsel in ihrem Prüfungsbescheid vom 5. August 2013 (dritter Bescheid) die Erteilung eines Patents in Aussicht gestellt. Hierbei erweckte der von der Prüfungsstelle neu eingeführte Stand der Technik gemäß den Druckschriften D2 bis D5 – wenn auch nur pauschal genannt – den Anschein, dass die Prüfungsstelle das Ergebnis des früheren Prüfers nicht unbesehen übernommen hat, sondern sich intensiv mit der Sache auseinandergesetzt hat. Die Prüfungsstelle kam zu dem Ergebnis, dass mit dem in den USA erteilten Patent US 7,856,633 B1 eine auch im vorliegenden Verfahren erteilbare Anspruchsfassung vorliege und führte aus: „Für die Patentschrift sind vorgesehen: die ursprünglichen Unterlagen. Diese Unterlagen (insbes. Titel, Beschreibung, Patentansprüche) sind an das in den USA erteilte US 7,856,633 B1 anzupassen“. Dem Prüfungsbescheid fehlte jedoch jegliche Begründung. Gerade unter Gesichtspunkten der Verfahrensökonomie ist hierbei zu beanstanden, dass für die Anmelderin damit weder erkennbar war, wieso die damals geltende Anspruchsfassung ausgehend von den im Verfahren befindlichen Druckschriften D1 bis D5 als nicht patentfähig erachtet wurde, noch wieso die Prüfungsstelle die Anspruchsfassung des US-Patents als eine geeignete Abgrenzung zum Stand der Technik ansah.
Die Anmelderin hat in ihrem Schriftsatz vom 8. Januar 2014 zutreffend auf die Unklarheit der im vorangegangenen Bescheid gestellten Anforderungen hingewiesen und einen klargestellten Anspruch 1 inhaltlich unverändert weiterverfolgt.
Im darauf folgenden Bescheid vom 23. Februar 2016 (vierter Bescheid) und 3. März 2016 (erneute Ausfertigung) stellte die Prüfungsstelle fest, der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 sei nicht neu gegenüber Druckschrift D1 und führte völlig unerwartet aus, dass auch die von ihr im vorangegangenen Bescheid für gewährbar erachtete Anspruchsfassung, ausgehend von der bereits im ersten Prüfungsbescheid vom 23. März 2005 in das Verfahren eingeführten Druckschrift D1, für nicht erfinderisch erachtet werde.
Zwar ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn eine Anmeldung nach eingehender Prüfung (zunächst) als patentfähig bezeichnet wird, dann jedoch eine Druckschrift zur Kenntnis gelangt, die dem entgegensteht. Auch in solchen Fällen, die allerdings nicht die Regel sein sollten, muss es der Prüfungsstelle möglich sein, von dem zunächst Geäußerten abzurücken. Gleiches gilt für die Berücksichtigung aktueller Entscheidungen des Bundesgerichthofs, soweit diese Fragen der Patentierbarkeit in grundlegender Weise neu adressieren.
Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Denn in der Ausfertigung des Bescheids vom 3. März 2016 (erneute und teilweise veränderte Ausfertigung des vierten Bescheids vom 23. Februar 2016) stützt sich die Prüfungsstelle auf die bereits im Erstbescheid eingeführte Druckschrift D1 und begründet die Änderung ihrer Einschätzung unter anderem mit der BGH-Entscheidung X ZR 139/10 (Urteil vom 11. März 2014 – Farbversorgungssystem). Ungeachtet dessen, dass diese BGH-Entscheidung aus Sicht des Senats eine Fortführung früherer Entscheidungen darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2011 – X ZB 6/10, GRUR 2012, 378 – Installiereinrichtung II; BGH, Beschluss vom 25. Februar 2014 – X ZB 5/13 – Kollagenase I), und damit keine Neubewertung einer Sache rechtfertigt, lässt sich das vorgenannte Urteil auch inhaltlich nicht auf den vorliegenden Fall übertragen. Denn insbesondere die als Beleg des Fachwissens im Verfahren herangezogenen Fachaufsätze widersprechen mit ihrer ausführlichen Diskussion zusätzlicher Randbedingungen und Zusammenhänge gerade der Annahme, dass es sich bei den dort beschriebenen Maßnahmen um allgemeines Fachwissen handelt, für dessen Heranziehen in einer Vielzahl von Anwendungsfällen im Sinne der zitierten BGH-Entscheidung ohne weitere Schwierigkeiten Veranlassung bestand.
Die Aussage des Prüfers: „Da die in der Eingabe vom 8. Januar 2014 enthaltenen Patentansprüche nicht auf den in den USA erteilten Antrag beschränkt wurden, hat die Prüfungsstelle alle geltenden Patentansprüche ausführlich untersucht. Dabei hat sich herausgestellt, dass keinem Patentanspruch ein Hinweis auf erfinderische Tätigkeit entnommen werden kann“ lässt verbunden mit einer Nachrecherche zur Ermittlung der Druckschriften D6 und D7 den Schluss zu, dass sich die Prüfungsstelle im vorangegangenen Bescheid nicht mit der nötigen Sorgfalt mit der Sache auseinandergesetzt hat, als sie die Erteilung eines Patents in Aussicht gestellt hat.
Die Wiederholung der Argumente aus dem vierten Bescheid im fünften Bescheid stellt eine weitere unökonomische Verfahrensweise dar, da die zu diesen Zeitpunkt bereits terminierte Anhörung gerade dazu dient, unterschiedliche Argumente auszutauschen. Dass die Prüfungsstelle auch in diesem fünften Bescheid keine effiziente Vorbereitung der Anhörung betrieben hat, zeigt auch die am Vortag der Anhörung um 15:37 Uhr abgesetzte E-Mail an die Anmelderin, in der vier weitere Druckschriften übermittelt und eine fünfte genannt wurden, und in der die Prüfungsstelle erläutert hat, dass diese Druckschriften „lediglich einem besseren gemeinsamen Verständnis für das Themengebiet der vorliegenden Anmeldung“ dienen würden. Bei Bedarf könne in der Anhörung entschieden werden, welche dieser Publikationen ggf. als Druckschrift ins Verfahren aufgenommen werden sollten.
In der Anhörung ging die Prüfungsstelle jedoch nicht erkennbar auf diese Dokumente näher ein. Vielmehr hat sie in der Anhörung einen weiteren, als Druckschrift D8 bezeichneten Fachaufsatz ins Verfahren eingeführt, zu dem im Protokoll ausgeführt ist: “Vor einer endgültigen Beschlussverkündung führte die Prüfungsstelle die Druckschrift D8 in das Verfahren ein“.
Auch diese Vorgehensweise der Prüfungsstelle widerspricht den Grundsätzen der Verfahrensökonomie, da eine sorgfältige und sachgerechte Vorbereitung der Anmelderin auf die Anhörung dadurch nicht möglich war.
Ob die Art und Weise der Einführung der Druckschrift D8 und deren Verwendung im Zurückweisungsbeschluss sowie die Behandlung der in der Anhörung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 3, zu denen sich im Anhörungsprotokoll keine inhaltlichen Ausführungen finden, zusätzlich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darstellt, kann daher dahinstehen.
Die Prüfungsstelle hat im Verlauf des Prüfungsverfahrens nach dem Prüferwechsel allein acht Druckschriften zum Beleg des allgemeinen Fachwissens des Durchschnittsfachmanns vorgelegt, zusätzlich zu vier inhaltlich in keiner Weise gewürdigten Druckschriften. Dies steht im klaren Widerspruch dazu, dass sich der beanspruchte Gegenstand in dieser Zeit inhaltlich nicht geändert hat, sondern im Wesentlichen nur sprachlich überarbeitet und klargestellt wurde. Auch dies spricht gegen eine zielgerichtete und verfahrensökonomische Vorgehensweise der Prüfungsstelle.
In den vorliegenden Verstößen gegen die Verfahrensökonomie liegt somit eine fortgesetzte unsachgemäße Sachbehandlung vor, welche die Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertigt.