Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 14.02.2019


BPatG 14.02.2019 - 11 W (pat) 36/14

Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsdatum:
14.02.2019
Aktenzeichen:
11 W (pat) 36/14
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2019:140219B11Wpat36.14.0
Dokumenttyp:
Beschluss

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend das Patent 10 2009 010 726

hat der 11. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 14. Februar 2019 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr.-Ing. Höchst sowie der Richter Eisenrauch, Dr.-Ing. Fritze und Dr.-Ing. Schwenke

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Patentinhaberin wird der Beschluss der Patentabteilung 56 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 7. Oktober 2014 aufgehoben, und das Patent wird in vollem Umfang aufrechterhalten.

Gründe

I.

1

Auf die am 26. Februar 2009 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereichte Patentanmeldung ist die Erteilung des Patents mit der Bezeichnung

2

„Kolbenringe und Zylinderlaufbuchsen“

3

am 9. Dezember 2010 veröffentlicht worden.

4

Gegen das Patent ist Einspruch erhoben worden.

5

Die Patentabteilung 56 des Deutschen Patent- und Markenamts hat das Patent durch Beschluss vom 7. Oktober 2014 widerrufen.

6

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin.

7

Die Beschwerdeführerin hat den Antrag gestellt,

8

den Beschluss der Patentabteilung 56 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 7. Oktober 2014 aufzuheben und das Patent in vollem Umfang aufrechtzuerhalten. Hilfsweise hat sie beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses das Patent in der angegebenen Reihenfolge ihrer Hilfsanträge 1 bis 3 aus dem Schriftsatz vom 2. Januar 2019 beschränkt aufrechtzuerhalten.

9

Die Beschwerdegegnerin hat den Antrag gestellt,

10

die Beschwerde zurückzuweisen.

11

Sie ist der Auffassung, das Patent sei aus den Gründen des § 21 Abs. 1 PatG zu widerrufen, weil dessen Gegenstand keine Erfindung im Sinne der §§ 1 bis 5 PatG darstelle. Zu den Hilfsanträgen macht die Einsprechende außerdem geltend, dass die entsprechenden Anspruchsfassungen unzulässig seien.

12

Sie stützt ihr Vorbingen im Wesentlichen auf die Druckschrift

13

D1 EP 0 278 208 A1.

14

Des Weiteren verweist sie u. a. auf das folgende Dokument

15

D2 Veröffentlichung „Druckguss“ auf der Internetseite der freien Enzyklopädie Wikipedia in der Fassung vom 4.7.2014.

16

Im Prüfungsverfahren berücksichtigt wurden die Druckschriften

17

(1) DE 24 56 137 A1,

18

(2) DE-OS 24 12 350,

19

(3) DE-OS 22 03 905,

20

(4) DE-OS 21 38 844,

21

(5) DE-AS 18 13 533,

22

(6) EP 1 997 921 A2,

23

(7) EP 1 975 269 A1,

24

(8) JP 2003-055734 AA,

25

(9) JP 62-238353 AA,

26

(10) JP 61-060853 AA,

27

(11) JP 04-198455 AA,

28

(12) JP 03-281754 AA und

29

(13) JP 03-219050 AA.

30

Der erteilte Patentanspruch 1 mit hinzugefügter Gliederungsnummerierung lautet:

31

„Kolbenring oder Zylinderlaufbuchse, der bzw. die als Grundkörper eine Stahlgusswerkstoffzusammensetzung umfasst,

32

M1

33

dadurch gekennzeichnet, dass sie die folgenden Elemente im angegebenen Anteil, bezogen auf 100 Gew.-% der Stahlgusswerkstoffzusammensetzung, enthält:

34

C: 0,5-1,2 Gew.-%

35

Cr: 0-2,5 Gew.-%

36

Fe: 72,0-94,5 Gew.-%

37

Mn: >3-6,0 Gew.-%

38

Si: 2,5-10,0 Gew.-%

39

Al: max.<0,01 Gew.-%

40

B: max. 0,1Gew.-%

41

Cu: max. 2,0 Gew.-%

42

Mo: max. 3,0 Gew.-%

43

Nb: max. 0,05 Gew.-%

44

Ni: max. 4,0 Gew.-%

45

P: max. 0,1 Gew.-%

46

S: <0,02 Gew.-%

47

Sn: max. 0,05 Gew.-%

48

Ti: max. 1,5 Gew.-%

49

V: max. 1,5 Gew.-%

50

W: max. 1,5 Gew.-%,

51

M2

52

wobei die Summe der Anteile von Nb, Ti, V und W maximal 1,5 Gew.-% beträgt

53

M3

54

und wobei die Stahlzusammensetzung ausschließlich Elemente, ausgewählt aus der Gruppe, bestehend aus Al, B, C, Cr, Cu, Fe, Mn, Mo, Nb, Ni, P, S, Si, Sn, Ti, V und W enthält, wobei die Summe dieser Elemente 100 Gew.-% ergibt.“

55

M4

56

Der erteilte Patentanspruch 2 mit hinzugefügter Gliederungsnummerierung lautet:

57

„Verfahren zur Herstellung eines Kolbenrings oder einer Zylinderlaufbuchse gemäß Anspruch 1, umfassend die folgenden Schritte:

58

V1

59

a. Herstellen einer Schmelze der Ausgangsmaterialien, und

60

b. Abgießen der Schmelze in eine vorgefertigte Form,

61

V2

62

sowie gegebenenfalls die folgenden Schritte:

63

c. Austenitisieren der Stahlwerkstoffzusammensetzung oberhalb ihrer Ac3-Temperatur,

64

d. Abschrecken der Stahlwerkstoffzusammensetzung in einem geeigneten Abschreckmedium, und

65

e. Anlassen der Stahlwerkstoffzusammensetzung bei einer Temperatur im Bereich von 400 bis 700°C in einem Schutzgasofen.“

66

V3

67

An den Anspruch 2 schließt sich der Unteranspruch 3 an.

68

Die Ansprüche 1 und 2 nach dem Hilfsantrag 1 unterscheiden sich von den erteilten Ansprüchen 1 und 2 dadurch, dass sie nur mehr auf einen Kolbenring bzw. ein Verfahren zur Herstellung des Kolbenrings gerichtet sind.

69

Die Ansprüche 1 und 2 nach dem Hilfsantrag 2 unterscheiden sich von den erteilten Ansprüchen 1 und 2 ebenfalls dadurch, dass sie auf einen Kolbenring bzw. ein Verfahren zur Herstellung des Kolbenrings gerichtet sind; zusätzlich wurden im Anspruch 1 die Gehaltsbereiche für Silizium und Phosphor geändert in 4,0 bis 10,0 Gew.-% bzw. 0,01 bis max. 0,1 Gew.-%.

70

Die Ansprüche 1 und 2 nach dem Hilfsantrag 3 unterscheiden sich von den erteilten Ansprüchen 1 und 2 wiederum dadurch, dass sie auf einen Kolbenring bzw. ein Verfahren zur Herstellung des Kolbenrings gerichtet sind; zusätzlich wurden im Anspruch 1 die Gehaltsbereiche für Silizium und Phosphor geändert in 6,0 bis 10,0 Gew.-% bzw. 0,03 bis max. 0,1 Gew.-%.

71

Der Anspruch 3 wurde jeweils angepasst.

72

Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Akte verwiesen.

II.

73

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

74

1. Das angegriffene Patent betrifft Kolbenringe und Zylinderlaufbuchsen, die als Grundkörper eine Stahlgusswerkstoffzusammensetzung umfassen; außerdem betrifft es ein Verfahren zur Herstellung dieser Kolbenringe und Zylinderlaufbuchsen.

75

In der Patentschrift ist zum Stand der Technik dargelegt, dass zur Herstellung hoch beanspruchter Teile von Verbrennungskraftmotoren, wie beispielsweise von Kolbenringen und Zylinderlaufbuchsen, meist Gusseisenwerkstoffe bzw. Gusseisenlegierungen verwendet würden. Aufgrund der höheren mechanischen und dynamischen Beanspruchungen von Kolbenringen und Zylinderlaufbuchsen forderten immer mehr Motorenhersteller Kolbenringe und Zylinderlaufbuchsen aus hochwertigem Stahl. Stahlwerkstoffe besäßen gegenüber Gusseisen bessere Festigkeits- und Zähigkeitseigenschaften. Meist würden hochchromlegierte martensitische Stähle für die Herstellung von Stahlkolbenringen oder Stahlzylinderlaufbuchsen eingesetzt. Stahlkolbenringe aus Profildraht hätten den Nachteil, dass ab einem gewissen Durchmesser die Ringherstellung mittels Wickeln nicht mehr möglich sei. Kolbenringe und Zylinderlaufbuchsen aus hochsiliziumhaltigem Stahlgusswerkstoff seien bekannt. Allerdings beeinflusse das in höheren Mengen vorhandene Silizium die Härtbarkeit des Werkstoffs negativ.

76

Hiervon ausgehend besteht die Aufgabe, Kolbenringe und Zylinderlaufbuchsen bereitzustellen, die als Grundkörper eine hochsiliziumhaltige Stahlgusswerkstoffzusammensetzung umfassen, welche eine verbesserte Härtbarkeit aufweist. Die Stahlgusswerkstoffzusammensetzung soll durch die Herstellung im Schwerkraftguss die Eigenschaften von vergütetem Gusseisen mit Kugelgraphit in mindestens einem der folgenden Punkte übertreffen:

77

– Mechanische Eigenschaften wie E-Modul, Biegefestigkeit

78

– Widerstandsfähigkeit gegenüber Brüchen

79

– Gestaltfestigkeit

80

– Flankenverschleiß

81

– Laufflächenverschleiß.

82

Als Fachmann ist ein Hochschulabsolvent des Maschinenbaus anzusehen, der aufgrund mehrjähriger Erfahrung auf einem entsprechenden einschlägigen Gebiet die technischen Anforderungen an Kolbenringe oder Zylinderlaufbahnen sowie die gängigen Werkstoffe und Fertigungsmethoden dafür kennt; erforderlichenfalls zieht er einen Fachmann für metallische Werkstoffe zu Rate.

83

2. Das angegriffene Patent erweist sich in der Fassung mit den unbestritten zulässigen erteilten Ansprüchen auch insgesamt als rechtsbeständig.

84

a) Die vom Patentanspruch 1 umfassten Gegenstände sind neu.

85

Unstreitig offenbart Druckschrift D1 keinen Kolbenring, aber ebenso wenig ist ihr unmittelbar und eindeutig eine Zylinderlaufbuchse zu entnehmen.

86

Die Einsprechende erachtet die Druckschrift D1 als neuheitsschädlich, weil diese eine Metallbuchse offenbare. Dabei handele es sich um eine Zylinderlaufbuchse im Sinne von Anspruch 1, da sie zylinderförmig sei und in ihr ein Kolben hin und her laufe. Deren Grundkörper umfasse dieselbe Stahlgusswerkstoffzusammensetzung wie die Zylinderlaufbuchse gemäß dem erteilten Anspruch 1. Dessen Wortlaut schränke nicht auf eine Verwendung in einem Verbrennungsmotor ein. Dahingehende weitere Merkmale seien ihm ebenfalls nicht zu entnehmen, und da die aus Druckschrift D1 hervorgehende Werkstoffzusammensetzung mit der patentgemäßen übereinstimme, sei die dort als hochverschleißfest beschriebene Zylinderlaufbuchse offensichtlich in demselben Maße für die Verwendung in einem Verbrennungsmotor geeignet wie die Zylinderlaufbuchse gemäß dem erteilten Anspruch 1.

87

Diese Argumente überzeugen nicht.

88

Zur Auslegung des erteilten Patentanspruchs ist festzustellen, dass dieser tatsächlich keine Verwendungsangabe enthält, aber auch, dass es dessen hier nicht bedarf: Die Begriffe Zylinderlaufbuchse und Kolbenring versteht der Maschinenbaufachmann bereits aus sich heraus in erster Linie als auf dem technischen Gebiet der Verbrennungsmotoren liegend, die mit Hubkolben betrieben werden. Daneben kennt er derartige Gegenstände allenfalls noch aus der Kompressortechnik. Erst recht unter Heranziehung der Patentbeschreibung, wie es der § 14 Satz 2 PatG zur Ermittlung der Bedeutung der verwendeten technischen Begriffe und zur Klärung der Tragweite einer Erfindung zwingend verlangt, werden hier technische Notwendigkeiten und Zusammenhänge erkennbar, die ein gegenüber der Auffassung der Beschwerdegegnerin eingeschränktes Verständnis des Fachmanns der im Patentanspruch 1 definierten Lehre gebieten.

89

Auch wenn, worauf die Beschwerdegegnerin korrekt hinweist, in den Abs. [0003] und [0004] die Patentschrift zum Stand der Technik zunächst „beispielsweise“ auf Zylinderlaufbuchsen bzw. „beispielsweise“ auf Kolbenringe und Zylinderlaufbuchsen Bezug nimmt, relativiert sich aufgrund der weiteren Ausführungen zum Patentgegenstand in der Beschreibung die Anwendungsbreite der Lehre des angegriffenen Patents ausschließlich auf in Hubkolben-Verbrennungskraftmaschinen bzw. Verbrennungskraftmotoren eingesetzte technische Komponenten. Somit liegt hier ausnahmsweise der Fall vor, dass der Beschreibung eine konkrete Begrenzung auf diese Gegenstände zu entnehmen ist (vgl. BGH GRUR 2007, 309 ff. – Schussfädentransport). Andere technische Gebiete finden im Streitpatent keine Erwähnung und werden auch sonst in keiner Weise in das Blickfeld des Lesers gerückt – erst recht nicht solche, wie sie die Druckschrift D1 offenbart.

90

Die Druckschrift D1 betrifft eine metallische Buchse oder Hülse (sleeve), welche nach der Lesart der Beschwerdegegnerin eine patentgemäße Zylinderlaufbuchse sein soll. Diese Sicht ist bereits deswegen nicht gerechtfertigt, weil sie auf einer rückschauenden Betrachtung des Standes der Technik in Kenntnis der Erfindung beruht. Zudem ist nirgends in der Druckschrift D1 der korrekte englische terminus technicus für eine Zylinderlaufbuchse erwähnt, nämlich entweder cylinder sleeve oder cylinder liner. Es fehlt auch jeglicher Hinweis darauf, dass eine patentgemäße Zylinderlaufbuchse mit dem Wort „sleeve“ gemeint sein könnte; vielmehr ist es dort immer mit dem Wort plunger, Kolben, verbunden. Und im Kontext der Druckschrift D1 bedeutet plunger sleeve Gießkolbenbuchse, denn dort geht es konkret ausschließlich um eine verschleißfeste Buchse in einer Druckgießmaschine (vgl. Bezeichnung) für die Produktion von identischen metallischen Gussteilen aus Aluminium, Magnesium, Zink und Kupfer oder verschiedenen Legierungen dieser Metalle (vgl. S. 2, Z. 4 und 5).

91

Die Druckschrift D1 offenbart somit unmittelbar und eindeutig keine Zylinderlaufbuchse, wie sie das Merkmal M1 im erteilten Patentanspruch 1 umfasst.

92

b) Kolbenringe oder Zylinderlaufbuchsen mit den im Patentanspruch 1 angegebenen Merkmalen beruhen auf einer erfinderischen Tätigkeit.

93

Druckschrift D1 hat, wie der Neuheitsvergleich ergibt, ersichtlich keinen Bezug zu Verbrennungsmotoren, die eigentlich das technologische Umfeld bilden, in dem die von dem angegriffenen Patent beanspruchten Kolbenringe oder Zylinderlaufbuchsen zu sehen sind. Jegliche Anregung, die darin offenbarten Werkstoffe für andere technische Anwendungen als dem konkret dargelegten Ausführungsbeispiel vorzusehen, fehlt.

94

Bei den in Druckschrift D1 angesprochenen Druckgussmaschinen führen zyklisch wechselnde Temperaturen und Drücke zu Erosion, Rissbildung und Verschleiß und letztlich zum Versagen des Gießkolbens (plunger) und/oder des Einspritzkanals (sprue). Zur Lösung der damit verbundenen Probleme wird vorgeschlagen, anstelle von den bisher gebräuchlichen monolithischen Druckgießwerkzeugen aus Werkzeugstahl, diese mit einer inneren Buchse aus einem sowohl thermisch, mechanisch und gegen Verschleiß beständigeren Stahl zu versehen. Die Buchse soll in das Gießwerkzeug (die Gießkammer und den Einspritzkanal) eingeschrumpft werden, um eine Verbundkonstruktion zu schaffen, bei der die innere verschleißbeständige und thermisch resistente Buchse von einer äußeren Buchse umgeben ist, die den plastischen Verformungen aufgrund von Schrumpfspannungen und der beim Druckgießen auftretenden Spannungen widersteht. Welchen Beanspruchungen sie tatsächlich unterliegt, offenbart D1 nicht.

95

Selbst wenn der Fachmann Druckgießmaschinen wie die in der Druckschrift D1 angesprochenen als solche kennen sollte, ist davon auszugehen, dass ihm deren konstruktive Einzelheiten aus seinem Fachwissen jedenfalls nicht soweit präsent sind, dass er – wie die Beschwerdegegnerin es hier tut – unmittelbar Vergleiche zieht zwischen den zyklischen mechanischen und thermischen Belastungen in dem Presszylinder einer Druckgießmaschine und denen, die im Brennraum des Zylinders eines Verbrennungsmotors herrschen.

96

In Anbetracht beispielsweise der Anzahl der Belastungszyklen pro Zeit in einer Druckgussmaschine (etwa 1000 Schüsse pro Stunde entsprechend etwa 16 pro Minute; vgl. den Wikipedia-Beitrag D2, S. 2) gegenüber 60 bis 1000 Lastwechseln pro Minute, je nachdem, ob man einen Schiffsdiesel- oder einen Kfz-Motor betrachtet, und in Anbetracht der unterschiedlichen thermischen Belastung, Dynamik und Komplexität der Beanspruchungen (dort Pressen einer annähernd inkompressiblen Metallschmelze durch einen verengten aber offenen Kanal hindurch in eine Gussform, dagegen hier schlagartiges Komprimieren und Zünden eines in großem Maße verdichtbaren Gas-Brennstoffgemisches gefolgt von dessen schlagartiger Expansion in einem geschlossenen Brennraum und Ausstoßen der Verbrennungsprodukte), wird der Fachmann auch objektiv auf nicht vergleichbare Verhältnisse schließen müssen. Er berücksichtigt daher in erster Linie nicht die Druckschrift D1, wenn es darum geht, höher belastbare als bisher verwendete Kolbenringe oder Zylinderlaufbuchsen bereitzustellen, sondern sucht zunächst im hier fokussierten technischen Umfeld der Zylinderkomponenten von Verbrennungskraftmotoren nach Lösungsansätzen.

97

Der Senat unterstellt hier zugunsten der Beschwerdegegnerin, dass sich der Fachmann auf der Suche nach hoch belastbaren Stahlgusslegierungen auch in benachbarten technischen Fachgebieten informiert. Druckschrift D1 kommt hier in Betracht, da sie u. a. verschleißfeste Eisenlegierungen für eine Innenhülse mit einer ähnlichen spezifischen Form wie die aufgabengemäß bereitzustellende Zylinderlaufbuchse offenbart.

98

Dennoch gelangt ein Fachmann ausgehend von Druckschrift D1 nicht ohne erfinderisches Zutun zu den patentgemäßen Kolbenringen oder Zylinderlaufbuchsen aus Stahlgusswerkstoffen. So geht aus den u. a. im Anspruch 3 in der Druckschrift D1 offenbarten breiten Mengenbereichsangaben nicht einmal hervor, dass der Werkstoff für die vorgesehene Anwendung das Element Eisen unbedingt enthalten muss. Dessen Anwesenheit vorausgesetzt kommen dort zum einen sowohl einfache, nicht legierte, als auch komplex chemisch zusammengesetzte, hochlegierte Guss- oder Schmiedestähle für eine verschleißfeste Innenhülse in Frage – zum anderen aber ebenso Gusseisensorten, die ihrerseits legiert oder nicht legiert sein können, jedoch nach der Aufgabe des Streitpatents ausdrücklich substituiert werden sollen. Die einzige mit den übrigen Elementen unbedingt vorzusehende chemische Komponente ist dort der Kohlenstoff, alle anderen können sowohl lediglich optional – also gar nicht – aber gegebenenfalls auch in erheblichen Gewichtsanteilen vorhanden sein. Druckschrift D1 gibt dem Fachmann somit eine unüberschaubare Anzahl von metallischen Werkstoffen unterschiedlichster charakteristischer Eigenschaften an die Hand und liefert keine Hinweise, die zu den patentgemäß mit den Merkmalen M2, M3 und M4 viel enger definierten Zusammensetzungen führen.

99

In Anbetracht der dem angegriffenen Patent zugrunde gelegten Aufgabe, Kolbenringe und Zylinderlaufbuchsen bereitzustellen, die als Grundkörper eine hochsiliziumhaltige Stahlgusswerkstoffzusammensetzung umfassen, welche eine verbesserte Härtbarkeit aufweist, kann Druckschrift D1 die patentgemäße Lösung jedenfalls nicht nahelegen. Die Härtbarkeit der offenbarten Legierungen ist – wie bereits die Verwendung für Kolbenringe oder Zylinderlaufbuchsen in Verbrennungsmotoren – dort kein Thema, und die einzige konkret in den Ausführungsbeispielen für eine verschleißfeste Innenhülse benannte Werkstoffzusammensetzung führt den Fachmann von den patentgemäß vorgesehenen fort. Der dort für eine verschleißfeste Metallhülse in einer Druckgussmaschine vorgesehene Gussstahl enthält mit 3 Gew.-% etwa 2,5 Mal so viel Kohlenstoff wie der erteilte Patentanspruch 1 maximal zulässt, mehr als das Zehnfache an Chrom, nur 1/3 des mindestens vorgesehenen Mangananteils und lediglich 1/5 des Siliziums (vgl. S. 3, Z. 14). Es handelt sich somit dort um einen hochchromlegierten Eisenwerkstoff und nicht um eine hochsiliziumhaltige Stahlgusszusammensetzung.

100

c) Die in dem Prüfungsverfahren berücksichtigten Druckschriften (1) bis (13) wurden von der Einsprechenden zu Recht nicht herangezogen; keine davon befasst sich mit Kolbenringen oder einer Zylinderlaufbuchse, und keine davon enthält Hinweise darauf, dass eine der darin offenbarten Legierungen dafür geeignet sein könnte.

101

d) Der gesamte Stand der Technik legt somit weder einen Kolbenring noch eine Zylinderlaufbuchse nahe, der bzw. die als Grundkörper eine Stahlgusswerkstoffzusammensetzung mit den im Patentanspruch 1 angegebenen kennzeichnenden Merkmalen aufweist.

102

e) Der erteilte nebengeordnete Anspruch 2 und der diesem nachgeordnete Anspruch 3 haben zusammen mit dem Patentanspruch 1 ebenfalls Bestand.

103

f) Somit erübrigt sich ein Eingehen auf die Hilfsanträge der Beschwerdeführerin und die von ihrer Gegnerin dagegen vorgebrachten Einwände.