Entscheidungsdatum: 12.07.2013
Familienangehörige eines Ausländers haben einfachgesetzlich keinen eigenen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt des Ausländers; im Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG kann die Ablehnung der Erteilung eines Aufenthaltstitels sie aber in eigenen Rechten verletzen.
Gegenstand des Verfahrens ist nach der Abtrennung vom Verfahren BVerwG 10 C 16.12 nur noch das von den Klägern im eigenen Namen geltend gemachte Begehren auf Erteilung eines Visums zum Kindernachzug an ihr minderjähriges Kind. Über die von den Klägern im Namen des Kindes erhobene Klage hat der Senat mit Urteil vom 13. Juni 2013 rechtskräftig zugunsten des Kindes entschieden.
Nachdem die Kläger und die Beklagte den noch anhängigen Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 141 und 125 Abs. 1 VwGO einzustellen und die Unwirksamkeit der Entscheidungen der Vorinstanzen, soweit sie die Kläger betreffen, festzustellen.
Gemäß § 161 Abs. 2 VwGO ist nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands über die Kosten des Verfahrens einschließlich der vor der Abtrennung auf die Klagen der Kläger entfallenden Kosten der 1. Instanz und 2. Instanz zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es, diese Kosten - mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese auf sich behält (§ 162 Abs. 3 VwGO) - hälftig zwischen den Klägern als Gesamtschuldner einerseits und der Beklagten andererseits zu teilen, da der Ausgang des Rechtsstreits im Zeitpunkt der Erledigung offen war. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte auf die Klage des Kindes hin inzwischen rechtskräftig zur Erteilung eines Visums verpflichtet worden ist. Denn die von den Klägern im eigenen Namen erhobenen Klagen hätten nur Erfolg gehabt, wenn die Ablehnung auch sie in eigenen Rechten verletzte (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Eine Verletzung in eigenen Rechten können die Kläger als Familienangehörige weder aus dem Aufenthaltsgesetz noch aus der Richtlinie 2003/86/EG - sog. Familienzusammenführungsrichtlinie - herleiten. Als Eltern haben sie einfachgesetzlich keinen eigenen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels an ihr minderjähriges Kind. Soweit das Aufenthaltsgesetz ein Recht auf Einreise und Aufenthalt gewährt, steht dieses materiell allein dem betroffenen Ausländer zu. Das steht beim Familiennachzug im Einklang mit der Richtlinie 2003/86/EG. Danach gestatten die Mitgliedstaaten bei Vorliegen der in der Richtlinie festgeschriebenen materiellen Voraussetzungen den Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen die Einreise und den Aufenthalt (Art. 4 der Richtlinie 2003/86/EG). Dabei können die Mitgliedstaaten festlegen, ob zur Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung ein Antrag auf Einreise und Aufenthalt entweder vom Zusammenführenden oder von dem oder den Familienangehörigen bei den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats gestellt werden muss (Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2003/86/EG). Bei Ablehnung des Antrags haben die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen, dass der Zusammenführende und/oder seine Familienangehörigen Rechtsbehelfe einlegen können; Verfahren und Zuständigkeiten werden von dem betreffenden Mitgliedstaat festgelegt (Art. 18 der Richtlinie 2003/86/EG). Damit regelt die Richtlinie zwar die materiellen Voraussetzungen für ein Recht auf Einreise und Aufenthalt von Familienangehörigen, überlässt es aber den Mitgliedstaaten, wer den erforderlichen Antrag stellen muss und im Falle einer Ablehnung Rechtsbehelfe einlegen kann.
Die Kläger können ein Recht auf Einreise und Aufenthalt ihres minderjährigen ausländischen Kindes auch nicht unmittelbar aus Art. 6 GG herleiten. Weder Art. 6 Abs. 1 GG noch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewähren nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einen unmittelbaren Anspruch auf Einreise und Aufenthalt. Folglich führt die Verweigerung eines Visums nicht zu einem Eingriff in das durch Art. 6 Abs. 1 GG verbürgte Recht auf familiäres Zusammenleben und in die in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete Wahrnehmung der Elternverantwortung im Interesse des Kindeswohls. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen die familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Jedes einzelne Mitglied einer durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Gemeinschaft ist in den persönlichen Schutzbereich der Norm einbezogen und daher berechtigt, dies gegenüber einer die familiäre Gemeinschaft berührenden verwaltungsbehördlichen oder verwaltungsgerichtlichen Entscheidung geltend zu machen. Folglich hat jeder Träger der Grundrechte aus Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG einen eigenen Anspruch darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden familiären Bindungen des Antragstellers an im Bundesgebiet lebende Personen in einer Weise berücksichtigen, die der großen Bedeutung entspricht, welche das Grundgesetz in seinem Art. 6 dem Schutz von Ehe und Familie beimisst (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. - BVerfGE 76, 1 <49 f.> m.w.N.).
Ob die Ablehnung eines Visums zum Kindernachzug die Kläger als Eltern in diesem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf angemessene Berücksichtigung der familiären Bindungen verletzte, kann hier ohne weitere tatrichterliche Sachverhaltsfeststellungen nicht abschließend beurteilt werden. Insoweit wird auf die Ausführungen im Urteil des Senats vom 13. Juni 2013 - BVerwG 10 C 16.12 - Bezug genommen. Keiner Entscheidung bedarf auch, ob unter den hier gegebenen Umständen für die von den Eltern im eigenen Namen erhobenen Klagen ausnahmsweise das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlte, nachdem sie bereits im Namen des Kindes Klage erhoben hatten und sie in diesem Verfahren nicht nur das Bestehen eines einfachgesetzlichen Anspruchs geltend machen, sondern sich auch auf eine angemessene Berücksichtigung der aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen des Art. 6 GG berufen konnten.