Entscheidungsdatum: 20.02.2013
1. Wird auf die Entschließungsfreiheit eines Asylbewerbers, seine Religion in einer bestimmten Weise zu praktizieren, durch die Bedrohung mit Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit eingewirkt, ist dies als Eingriff in die Religionsfreiheit zu prüfen.
2. Eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95/EU kann - im Anschluss an das Urteil des EuGH vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11) - nicht nur in der schwerwiegenden Verletzung der Freiheit liegen, seine Religion im privaten Rahmen zu praktizieren (forum internum), sondern auch in der Freiheit, den Glauben öffentlich zu leben (forum externum).
3. Schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung kann eine beachtliche Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU darstellen, und zwar unabhängig davon, ob sich der davon betroffene Glaubensangehörige tatsächlich religiös betätigen wird oder auf die Ausübung aus Furcht vor Verfolgung verzichtet.
4. Ein solches Verbot hat nur dann die für eine Verfolgungshandlung erforderliche objektive Schwere, wenn dem Ausländer durch die Ausübung seiner Religion mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.
5. Das Verbot weist nur dann die darüber hinaus erforderliche subjektive Schwere auf, wenn die Befolgung der verbotenen religiösen Praxis für den Einzelnen zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist.
6. Eine Gesamtbetrachtung unterschiedlicher Maßnahmen hat nur dann die Qualität einer Verletzungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Dazu bedarf es einer auf die Situation des einzelnen Antragstellers bezogenen Vergleichsbetrachtung.
Der Kläger, ein pakistanischer Staatsangehöriger, begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsschutz in Bezug auf Pakistan.
Der 1979 in Pakistan geborene Kläger gehört seit seiner Geburt der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an. Er stammt aus einem Dorf im pakistanischen Teil des Punjab. Nach eigenen Angaben reiste er im Juli 2000 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl. Seinen Antrag begründete er damit, wegen der Zugehörigkeit zu seiner Glaubensgemeinschaft in Pakistan Verfolgungsmaßnahmen erlitten zu haben. Der Kläger ist seit 2010 mit einer Deutschen verheiratet und hat eine mittlerweile zwei Jahre alte deutsche Tochter.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - lehnte mit Bescheid vom 15. September 2000 den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Zugleich drohte es dem Kläger die Abschiebung nach Pakistan an. Die hiergegen gerichtete Klage wurde vom Verwaltungsgericht mit Urteil vom 22. Mai 2001 rechtskräftig abgewiesen. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, das Vorbringen des Klägers zu einer Verfolgung vor Ausreise sei nicht glaubhaft. Im Übrigen könne bei der gegenwärtigen Erkenntnislage eine Gruppenverfolgung von Mitgliedern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadis) in Pakistan nicht angenommen werden.
In den Jahren 2001 bis 2005 stellte der Kläger insgesamt fünf Folgeanträge, die jeweils erfolglos blieben. Mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2008 beantragte er erneut die Wiederaufnahme seines Asylverfahrens und trug zur Begründung vor, dass sich durch die Richtlinie 2004/83/EG die Rechtslage zu seinen Gunsten nachträglich verändert habe. Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG definiere den Verfolgungsgrund der Religion nun dahingehend, dass auch Glaubensausübungen im öffentlichen Bereich geschützt seien. Damit sei jetzt auch das aktive Missionieren vom Schutzbereich umfasst. Er werde von den Einschränkungen der öffentlichen Religionsausübungsmöglichkeiten in Pakistan persönlich betroffen, denn er sehe es als seine religiöse Pflicht an, sich zu seinem Glauben zu bekennen und für diesen bei Andersgläubigen aktiv zu werben. Die Dreimonatsfrist zur Stellung eines Asylfolgeantrags sei gewahrt, da er erstmalig Anfang November 2008 von zwei Mitgliedern seiner Glaubensgemeinschaft erfahren habe, dass diese aufgrund europarechtlicher Vorschriften durch das Verwaltungsgericht als Flüchtlinge anerkannt worden seien. Er habe sich deshalb am 1. Dezember 2008 an seinen nunmehrigen Prozessbevollmächtigten gewandt.
Mit Bescheid vom 30. März 2010 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Nr. 1) und auf Abänderung des Bescheids vom 15. September 2000 hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (Nr. 2) ab. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und die Ziffern 1 und 2 des Bescheids des Bundesamts vom 30. März 2010 aufgehoben, soweit sie dem entgegenstehen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Beklagten durch Urteil vom 13. Dezember 2011 zurückgewiesen. Er hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Bei dem Folgeantrag lägen die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens vor. Jedenfalls mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19. August 2007 sei eine relevante Änderung der Rechtslage eingetreten, denn durch die Richtlinie 2004/83/EG habe sich der flüchtlingsrechtliche Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit im Vergleich zu den früher einschlägigen Vorgaben geändert. Dem Kläger drohe unter Zugrundelegung der Maßstäbe der Richtlinie Verfolgung in Pakistan. Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft seien von schwerwiegenden Einschränkungen in ihrer Religionsausübung betroffen, insbesondere von den in den Sec. 298 B, 298 C und 295 C Pakistan Penal Code normierten strafrechtlichen Verboten, bei ihrer Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam zu benutzen, ihren Glauben öffentlich zu bekennen und für ihn zu werben. Zudem würden von religiösen Extremisten in auffälligem Maß Gewalttaten gegen Ahmadis verübt, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewährten. Zwar könne sich der Kläger nicht mit Erfolg auf den Gesichtspunkt einer Gruppenverfolgung von Mitgliedern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft berufen, da die Zahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren gegen Ahmadis, der erfolgten Verurteilungen und der Übergriffe religiöser Extremisten nicht die hierfür erforderliche Verfolgungsdichte erreichten. Da es sich bei dem Kläger aber um einen Ahmadi handele, dem es in Deutschland ein inneres Anliegen geworden sei, seinen Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben, vor allem durch Entfaltung missionarischer Aktivitäten, sei er von den Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen. Für ihn bestehe daher mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer religiösen Verfolgung.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision. Mit Beschluss vom 15. Mai 2012 hat der Senat das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die Vorabentscheidungsersuchen vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 19.09 und BVerwG 10 C 21.09 - über verschiedene Fragen zur Auslegung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und zu Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG ausgesetzt. Der Gerichtshof hat die Vorlagefragen mit Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612) beantwortet.
Die Beklagte begründet ihre Revision damit, der Verwaltungsgerichtshof habe keine Feststellungen dazu getroffen, wie der Kläger seinen Glauben nach Rückkehr in Pakistan praktizieren würde. Es genüge nicht, dass er den Willen habe, seinen Glauben in der Öffentlichkeit auszuüben und zu missionieren. Eine begründete Furcht vor Verfolgung könne nur dann bejaht werden, wenn der Glaube nach der Rückkehr in einer Weise praktiziert werde, die den Kläger der Gefahr einer Verfolgung aussetzen würde. Im Übrigen habe der Verwaltungsgerichtshof keine hinreichenden Feststellungen zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit der dem Kläger drohenden Gefahr getroffen. Wenn das Gericht selbst von einer relativ niedrigen Zahl der Verfolgungsfälle ausgehe, hätte es feststellen müssen, ob auch nur eine ganz geringe Zahl von Ahmadis ihren Glauben in der Öffentlichkeit so praktizieren, dass sie sich einer Verfolgungsgefahr aussetzen.
Der Kläger tritt der Revision entgegen. Nach seiner Auffassung reicht es für die Flüchtlingsanerkennung aus, dass der Kläger unter dem Druck der ihm drohenden Sanktionen auf eine Ausübung seiner Religion in der Öffentlichkeit verzichte, obwohl diese für ihn nach seinem religiösen Selbstverständnis besonders wichtig sei. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen habe der Verwaltungsgerichtshof für die Person des Klägers festgestellt.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich an dem Verfahren beteiligt und sich im Wesentlichen der Argumentation der Beklagten angeschlossen.
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten mit einer Begründung zurückgewiesen, die Bundesrecht verletzt. Zwar hat es zu Recht die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bejaht (1.). Allerdings halten die Erwägungen, mit denen es einen Anspruch des Klägers auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft angenommen hat, einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand (2.). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts kann der Senat in der Sache nicht selbst abschließend entscheiden. Der Rechtsstreit ist daher zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zurückzuverweisen (3.).
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist das Asylverfahrensgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) und das Aufenthaltsgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (vgl. Urteil vom 11. September 2007 - BVerwG 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylVfG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die neue Rechtslage zugrunde legen. Die hier maßgeblichen Bestimmungen haben sich aber seit der Berufungsverhandlung nicht geändert.
Unionsrechtlich finden sowohl die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 als auch die - während des Revisionsverfahrens in Kraft getretene - Neufassung durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 Anwendung. Für die in der Neufassung inhaltlich geänderten Bestimmungen wurde den Mitgliedstaaten eine Umsetzungsfrist bis zum 21. Dezember 2013 eingeräumt (Art. 39 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU), und es bleibt bis zum Ablauf dieser Frist bei der Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. Art. 41 Abs. 2 i.V.m. Art. 40 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU). Hinsichtlich der unverändert übernommenen Bestimmungen gilt die Neufassung hingegen schon jetzt (vgl. Art. 41 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU).
1. Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG sind erfüllt. Gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist vom Bundesamt auf einen nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags gestellten Folgeantrag ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Nach dieser Vorschrift setzt ein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens u.a. voraus, dass eine Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten ist oder neue Beweismittel vorliegen und die Geeignetheit dieser Umstände für eine dem Antragsteller günstigere Entscheidung schlüssig dargelegt wird (vgl. Urteil vom 25. November 2008 - BVerwG 10 C 25.07 - Buchholz 402.25 § 71 AsylVfG Nr. 15 Rn. 11).
Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 9. Dezember 2010 (BVerwG 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289 Rn. 29) entschieden hat, lag für Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen religiöser Verfolgung mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) am 28. August 2007 der Wiederaufgreifensgrund einer nachträglichen Änderung der Rechtslage vor (§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG). Es war zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts zwar noch nicht abschließend geklärt, ob sich durch Umsetzung der Art. 9 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG in § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG die Rechtslage mit Blick auf die Verfolgung aus religiösen Gründen zugunsten der Betroffenen geändert hat. Aber die durch die Zweifel über die Auslegung der unionsrechtlichen Vorgaben bewirkte Unsicherheit reicht aus, um ein Asylverfahren wiederaufzugreifen und diese Frage prüfen zu lassen (Urteil vom 9. Dezember 2010 a.a.O.).
Auf die Änderung der Rechtslage hat sich der Kläger auch rechtzeitig berufen. Gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 3 VwVfG muss der Antrag binnen drei Monaten gestellt werden; die Frist beginnt mit dem Tag, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat. Insoweit ist bei Rechtsänderungen jedenfalls im Flüchtlingsrecht aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit für den Fristbeginn nicht auf den Ablauf der Umsetzungsfrist (Art. 38 Abs. 1 Richtlinie 2004/83/EG), sondern auf die durch Bekanntmachung im Gesetzblatt dokumentierte Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber (28. August 2007) abzustellen (Urteil vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 29). Nach den das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger erst am 1. Dezember 2008 Kenntnis von der Rechtsänderung erlangt. Denn erst zu diesem Zeitpunkt ist der bis dahin anwaltlich nicht vertretene Kläger von seinem nunmehrigen Prozessbevollmächtigten auf die eingetretene Änderung der Rechtslage hingewiesen worden.
Allerdings trifft die Auffassung des Berufungsgerichts nicht zu, dass in dem wieder aufgegriffenen Asylverfahren eine erneute Überprüfung und Bewertung der individuellen Vorfluchtgründe nicht eröffnet sei, weil sich die Richtlinie 2004/83/EG und das Richtlinienumsetzungsgesetz keine Rückwirkung beimäßen. Ist infolge einer Rechtsänderung - wie hier - ein weiteres Asylverfahren durchzuführen, unterliegt der sachlich und intertemporal nicht teilbare Streitgegenstand der Flüchtlingsanerkennung vollumfänglich einer neuen gerichtlichen Prüfung. Dabei könnte sich der Kläger auf Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie berufen, wenn er unter Zugrundelegung des neuen rechtlichen Maßstabs aufgrund tatsächlicher Umstände als vorverfolgt anzusehen wäre, auch wenn sich diese Umstände vor Inkrafttreten der Richtlinie ereignet hätten. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Berufungsgericht im vorliegenden Fall die tatsächlichen Feststellungen und die Beweiswürdigung in dem verwaltungsgerichtlichen Urteil vom 22. Mai 2001, das Vorbringen des Klägers zur Vorverfolgung sei unglaubwürdig, von Amts wegen einer neuen tatrichterlichen Beurteilung unterziehen müsste. Es kann sich vielmehr dessen Beweiswürdigung zu eigen machen, wenn der Kläger nicht konkret vorträgt, welche tatsächlichen Umstände seines Vorfluchtschicksals aufgrund der geänderten Rechtslage einer neuen tatrichterlichen Würdigung bedürfen.
2. Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft mit einer Begründung bejaht, die einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht standhält.
2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU (zuvor: Richtlinie 2004/83/EG) - im Folgenden: Richtlinie - geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen.
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie und den Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestehen.
2.2 Das Berufungsgericht hat die vom Kläger als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) geltend gemachte Verfolgungsgefahr zutreffend als Furcht vor einem Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung gewertet (UA S. 13). Denn Ahmadis droht in Pakistan die Gefahr einer Inhaftierung und Bestrafung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft als solcher. Die Verwirklichung der Gefahr hängt vielmehr von dem willensgesteuerten Verhalten des einzelnen Glaubensangehörigen ab: der Ausübung seiner Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit. In solchen Fällen besteht der unmittelbar drohende Eingriff in einer Verletzung der Freiheit, die eigene Religion entsprechend den geltenden Glaubensregeln und dem religiösen Selbstverständnis des Gläubigen zu praktizieren, weil der Glaubensangehörige seine Entscheidung für oder gegen die öffentliche Religionsausübung nur unter dem Druck der ihm drohenden Verfolgungsgefahr treffen kann. Er liegt hingegen nicht in der Verletzung der erst im Fall der Praktizierung bedrohten Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben, persönliche Freiheit). Etwas anderes gilt dann, wenn der Betroffene seinen Glauben im Herkunftsland bereits praktiziert hat und ihm schon deshalb - unabhängig von einer willensgesteuerten Entscheidung über sein Verhalten in der Zukunft - unmittelbar die Gefahr z.B. einer Inhaftierung und Bestrafung droht. Eine derartige Vorverfolgung hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht festgestellt.
2.3 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Senats durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden können.
2.3.1 Der Gerichtshof sieht in dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten (EuGH a.a.O. Rn. 57). Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar (Rn. 58). Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GR-Charta gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Rn. 59). Das setzt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie voraus, dass die Eingriffshandlungen einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (Rn. 61).
2.3.2 Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Der Gerichtshof hält es mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht für vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (Rn. 62 f.). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an der vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung für den Flüchtlingsschutz (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <19 ff.>) nicht mehr fest. Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (Rn. 65 mit Verweis auf Rn. 52 der Schlussanträge des Generalanwalts).
Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (Rn. 67). Der Gerichtshof verwendet in der verbindlichen deutschen Sprachfassung des Urteils (vgl. Art. 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, ABl L 265/1 vom 29. September 2012) zwar nur den Begriff "verfolgt", ohne dies ausdrücklich auf eine strafrechtliche Verfolgung zu beziehen. Es wäre jedoch zirkulär, den Begriff der "asylerheblichen Verfolgung" durch "Verfolgung" zu definieren. Dafür spricht zudem ein Vergleich der deutschen mit der französischen, englischen und italienischen Fassung des Urteils. In allen drei zum Vergleich herangezogenen Sprachfassungen ist von strafrechtlicher Verfolgung die Rede. Darüber hinaus ist auch die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten.
2.3.3 Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Gerichtshofs in Rn. 69, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der dort genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an.
Diesem Verständnis der Entscheidung, das den Flüchtlingsschutz gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorverlagert, steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof in seinen Ausführungen auf die Gefahr abstellt, die dem Ausländer bei "Ausübung dieser Freiheit" (Rn. 67 und 72) bzw. der "religiösen Betätigung" (Rn. 73, 78 und 79 f.) droht. Denn damit nimmt dieser lediglich den Wortlaut der entsprechenden Vorlagefragen 2a und 3 des Senats auf, ohne dass darin eine notwendige Voraussetzung für die Flüchtlingsanerkennung liegt. Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (so auch Lübbe, ZAR 2012, 433 <437>). Diese Erstreckung auch auf einen erzwungenen Verzicht entspricht dem Verständnis des britischen Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in seinem Grundsatzurteil vom 14. November 2012 - MN and others <2012> UKUT 00389(IAC) Rn. 79) betreffend die religiöse Verfolgung von Ahmadis in Pakistan und dem Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität vom 7. Juli 2010 (HJ
2.3.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.2). Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (so auch Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11, Rn. 82).
Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (Rn. 70). Denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (Rn. 71). Dabei bestätigt der EuGH die Auffassung des Senats, dass es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers ankommt, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270 Rn. 43). Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist.
Der vom EuGH entwickelte Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste (vgl. zu den strengeren Maßstäben der Rechtsprechung zur Gewissensnot von Kriegsdienstverweigerern: Urteil vom 1. Februar 1982 - BVerwG 6 C 126.80 - BVerwGE 64, 369 <371> m.w.N.). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (so schon Beschluss vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 43).
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London - insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan - zurückgreifen kann (so auch das britische Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14. November 2012 a.a.O. Leitsatz 5). Nähere Feststellungen über die religiöse Betätigung eines Ausländers vor seiner Ausreise verringern auch das Risiko einer objektiv unzutreffenden Zuordnung zu einer Glaubensgemeinschaft (s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2012, S. 14). Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen.
2.3.5 Das Verbot einer öffentlichen religiösen Betätigung als solches kann aber nur dann als hinreichend schwere Verletzung der Religionsfreiheit und damit als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden, wenn der Asylbewerber - über die soeben genannten objektiven und subjektiven Gesichtspunkte hinaus - bei Ausübung der verbotenen öffentlichkeitswirksamen Glaubensausübung in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Das bedeutet, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal "... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (Richtlinie 2011/95/EU: Art. 2 Buchst. d) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteile vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 24). Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob der Kläger berechtigterweise befürchten muss, dass ihm aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung in Pakistan, die zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schweren Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.4).
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht für pakistanische Staatsangehörige in ihrem Heimatland allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr (UA S. 32). Eine solche droht nur "bekennenden Ahmadis", die "ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen" (UA S. 33). Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen - der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit - ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Dabei ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird. Die Zahl der ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizierenden Ahmadis ist - bei allen damit verbundenen, auch dem Senat bekannten Schwierigkeiten - jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. In einem weiteren Schritt ist sodann festzustellen, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen. Dabei ist insbesondere zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ahmadi inhaftiert und bestraft wird, der entgegen den Vorschriften des Pakistan Penal Code bei seiner Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam benutzt, seinen Glauben öffentlich bekennt oder für ihn wirbt. Bei der Relationsbetrachtung, die die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig in der Öffentlichkeit praktizierenden Ahmadis mit der Zahl der tatsächlichen Verfolgungsakte in Beziehung setzt, ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine wertende Betrachtung handelt, die auch eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen hat. Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist.
2.4 Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten können (vgl. Urteil des EuGH vom 5. September 2012 a.a.O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt. Buchstabe a erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach Buchstabe b kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Die Maßnahmen im Sinne von Buchstabe b können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen.
In Buchstabe a beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung ("nature or repetition"). Während die "Art" der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der "Wiederholung" eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30). Der Gerichtshof geht in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rn. 69) davon aus, dass das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen kann. Der Qualifizierung als "ein" Verbot steht nicht entgegen, dass dieses in mehreren Strafvorschriften des Pakistan Penal Code mit unterschiedlichen Straftatbeständen normiert ist. Das Verbot kann von so schwerwiegender "Art" sein, dass es für sich allein die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt. Andere Maßnahmen können hingegen unter Umständen nur aufgrund ihrer Wiederholung vergleichbar gravierend wirken wie ein generelles Verbot.
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Buchstabe a mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative des Buchstabe b in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht.
Daher sind bei der Prüfung einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zunächst alle in Betracht kommenden Eingriffshandlungen in den Blick zu nehmen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. In dieser Prüfungsphase dürfen Handlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie genannt werden, nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen (ähnlich Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz - Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, Kapitel 4 § 13 Rn. 18). Zunächst ist aber zu prüfen, ob die Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vorliegt. Ist das nicht der Fall, ist weiter zu prüfen, ob die Summe der nach Buchstabe b zu berücksichtigenden Eingriffe zu einer ähnlich schweren Rechtsverletzung beim Betroffenen führt wie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Ohne eine fallbezogene Konkretisierung des Maßstabs für eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie kann die bewertende Beurteilung nach Buchstabe b, ob der einzelne Asylbewerber unterschiedlichen Maßnahmen in einer so gravierenden Kumulation ausgesetzt ist, dass seine Betroffenheit mit der in Buchstabe a vergleichbar ist, nicht gelingen. Stellt das Gericht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der "Betroffenheit in ähnlicher Weise" keine Vergleichsbetrachtung mit den von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfassten Verfolgungshandlungen an, liegt darin ein Verstoß gegen Bundesrecht.
2.5 Das Urteil des Berufungsgerichts steht im Einklang mit den sich aus der Rechtsprechung des EuGH ergebenden Vorgaben, soweit es die Maßstäbe für die Annahme einer Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie bei einer Verletzung der Religionsfreiheit betrifft. Die Anwendung der Obersätze auf den vorliegenden Fall ist nur insoweit zu beanstanden, als die hinreichende Verfolgungswahrscheinlichkeit aufgrund einer mit Bundesrecht nicht vereinbaren Relationsbetrachtung bejaht wird.
In Übereinstimmung mit den bundesrechtlichen Vorgaben hält das Berufungsgericht schon das Verbot einer öffentlicher Glaubensausübung für geeignet, eine schwerwiegende Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95/EU zu begründen (UA S. 15). Vom Schutzbereich der durch Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie geschützten Religionsfreiheit sieht das Gericht - im Einklang mit dem Urteil des EuGH vom 5. September 2012 - auch die in die Öffentlichkeit wirkende Praktizierung der Religion erfasst, einschließlich des Rechts, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von ihm zu überzeugen (UA S. 14). Nachvollziehbar erblickt es in den auf die Ahmadis gemünzten Verboten des Pakistan Penal Code eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie, wenn der einzelne Gläubige auf so schwerwiegende Weise an der Ausübung seines Glaubens gehindert wird, dass dadurch der menschenrechtliche Mindeststandard verletzt wird (UA S. 15). Damit wird der Sache nach auf die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erforderliche schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte Bezug genommen. Solche schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen können nach zutreffender Auffassung des Berufungsgerichts auch in erheblichen Einschränkungen oder Verboten öffentlicher Glaubensbetätigung liegen, wenn diese nach dem Verständnis der jeweiligen Religion oder nach dem - nicht notwendigerweise völlig identischen - Verständnis des einzelnen Gläubigen "von grundlegender Bedeutung" sind (UA S. 15 f.). Aus dem Kontext der Entscheidungsgründe ergibt sich, dass der Maßstab des Berufungsgerichts damit der Sache nach den freilich strenger formulierten Anforderungen des EuGH noch genügt, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis für den einzelnen Gläubigen zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist.
Im Rahmen seiner Subsumtion sieht das Berufungsgericht die Freiheit der Glaubensausübung durch die Einschränkungen und Verbote als verletzt an, die sich insbesondere aus der pakistanischen Verfassung, den Strafvorschriften der Sec. 295 C, 298 B und 298 C des Pakistan Penal Code sowie aus Übergriffen religiöser Extremisten ergeben. Die hierzu getroffenen Feststellungen und Wertungen sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Allerdings können die Übergriffe religiöser Extremisten nicht als Eingriff gleicher "Art" wie das staatliche Verbot öffentlicher Religionsausübung angesehen werden und sind daher erst im Rahmen einer kumulierenden Betrachtung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie zu berücksichtigen.
Nicht mit Bundesrecht vereinbar ist hingegen die vom Berufungsgericht gestellte Verfolgungsprognose. Der Verwaltungsgerichtshof hat das Ergebnis, dass die beschriebenen Verfolgungsgefahren "für bekennende Ahmadis bestehen, die ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen" (UA S. 33), nicht auf der Grundlage einer nachvollziehbaren Gefahrenprognose entwickelt. Nicht zu beanstanden ist der Ausgangspunkt, dass sich der Kläger nicht mit Erfolg auf eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer augenblicklich bestehenden Gruppenverfolgung berufen könne (UA S. 20). Das begründet das Berufungsgericht in revisionsgerichtlich nachvollziehbarer Weise damit, dass die Zahl der gegen Ahmadis eingeleiteten Strafverfahren, Verurteilungen und Gewalttaten religiöser Extremisten nicht so hoch sei, dass sich daraus die für eine Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte ableiten lasse (UA S. 33). Das Urteil lässt jedoch nicht erkennen, aufgrund welcher Tatsachen und nach welchem Prognosemaßstab es dann die hinreichende Verfolgungsbetroffenheit für bekennende Ahmadis bejaht, die ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen. Hängt die Verfolgungsgefahr von einem willensgesteuerten Verhalten ab - hier: der Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit -, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben genau in dieser Weise praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Das ist in dem angefochtenen Urteil nicht erfolgt. Das Berufungsgericht hat weder - wie geboten - die Zahl der ihren Glauben entgegen den genannten Verboten öffentlich praktizierenden Ahmadis jedenfalls annäherungsweise bestimmt noch festgestellt, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen (vgl. dazu oben Ziff. 2.3.5). Nur wenn eine wertende Betrachtung ergibt, dass für die Gruppe der ihren Glauben öffentlich praktizierenden Ahmadis in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko besteht, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die vom Berufungsgericht als verfolgungsbetroffen gewertete Gesamtgruppe der Ahmadis, zu deren religiösem Selbstverständnis die Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit gehört, einem beachtlichen Verfolgungsrisiko ausgesetzt ist.
Keinen Anlass zu Beanstandungen geben hingegen die umfangreichen Feststellungen des Berufungsgerichts zum religiösen Selbstverständnis des Klägers. Es hat festgestellt, dass der Kläger vor seiner Ausreise in Pakistan zwar keine herausgehobene Funktion und kein Amt in der örtlichen Ahmadiyya-Gemeinde bekleidet, wohl aber ein religiös geprägtes Leben geführt hat. Seine dortige religiöse Betätigung spreche jedenfalls für eine enge und verpflichtende Verbundenheit zu dem Glauben der Ahmadiyyas. Seit seiner Einreise nach Deutschland im Jahr 2000 habe er sich jeweils in der für ihn zuständigen Gemeinde der Ahmadis betätigt und sei regelmäßig zum Gebet in die Moschee gegangen. In der Gemeinde B. habe er nicht nur die in Pakistan bereits geleisteten Hilfsdienste fortgesetzt, sondern sich nunmehr auch öffentlichkeitswirksam religiös betätigt. So habe er sich monatlich an einem Bücherstand vor dem Bahnhof beteiligt und Andersgläubige in missionarischer Absicht angesprochen. Nach seinem Umzug nach O. habe der Kläger vor allem auch diese missionarischen Aktivitäten fortgesetzt und intensiviert. Aus der Praktizierung des Glaubens hat das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die Folgerung gezogen, dass es dem Kläger ein inneres Anliegen ist, eigene Landsleute von seinem Glauben zu überzeugen. Für das innere Anliegen des Klägers, seine Religion auch öffentlich zu bekunden, hat das Gericht zudem die Tatsache herangezogen, dass der Kläger regelmäßig an überregionalen öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen seiner Glaubensgemeinschaft teilnimmt. Sein Bestreben, seine Religion an andere weiterzugeben, bringe er auch in der religiösen Erziehung seiner kleinen Tochter zum Ausdruck. Dieser Würdigung steht nach der nachvollziehbaren Würdigung des Berufungsgerichts nicht entgegen, dass der Kläger lediglich über ein eingeschränktes theologisches Wissen verfügt. Das Gericht hat seine Feststellungen auf der Grundlage einer intensiven, mehr als einstündigen Befragung des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung getroffen. Außerdem haben ihm drei Bescheinigungen der Ahmadiyya Muslim Jamaat e.V., Zentralstelle für Deutschland, vorgelegen, die nicht nur Aussagen zur Mitgliedschaft des Klägers in der Glaubensgemeinschaft treffen, sondern auch zu dessen Glaubenspraxis in Deutschland. Danach nimmt er regelmäßig an den örtlichen als auch den zentralen Gemeindeveranstaltungen teil.
Ist die Persönlichkeit des Klägers nach den im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen aber dadurch geprägt, dass er "seinem Glauben ... verpflichtend verbunden ist und diesen insbesondere auch öffentlichkeitswirksam, vor allem durch Entfaltung missionarischer Aktivitäten, leben will" (UA S. 35), entspricht dies der Sache nach dem Kriterium des EuGH, dass ihm die Ausübung seiner Religion in der Öffentlichkeit, wie sie in Pakistan mit schwerwiegenden Sanktionen bedroht ist, zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist.
3. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts zur Wahrscheinlichkeit der Verfolgung des Klägers bei Rückkehr nach Pakistan kann der Senat in der Sache nicht selbst abschließend entscheiden. Der Rechtsstreit ist daher zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zurückzuverweisen.
Bei den zu treffenden Feststellungen zur jedenfalls ungefähren Größe der Gruppe der Ahmadis, die ihren Glauben unter Verstoß gegen die Strafvorschriften der Sec. 295 C, 298 B und 298 C des Pakistan Penal Code praktizieren, kann das Berufungsgericht u.a. auf die Erkenntnisse zurückgreifen, die das britische Upper Tribunal seinem Urteil vom 14. November 2012 zugrunde gelegt hat (a.a.O. - insbes. Rn. 26 bis 72) - einschließlich der detaillierten Aufstellung des Ahmadiyya-Headquarters über die Verfolgungsschläge in den Jahren 1984 bis 2011 (verwertet im Urteil des Upper Tribunal Rn. 30 - dortige Fußnote 6 und Rn. 103 mit Würdigung der Zuverlässigkeit der Aufstellung - auch zugänglich unter: http://www.persecutionofahmadis.org/wp-content/uploads/2012/02/ Persecution-of-Ahmadis-2011.pdf). Wenn die verfügbaren Erkenntnisse nicht ausreichen, wird das Berufungsgericht eigene Ermittlungen anzustellen haben und ggf. die Einholung eines Sachverständigengutachtens veranlassen müssen. Sollte es zu dem Ergebnis kommen, dass das staatliche Verbot einer in die Öffentlichkeit wirkenden Religionsausübung nicht zu einer Verfolgungspraxis geführt hat, die einen seinen Glauben in verbotener Weise praktizierenden Ahmadi mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr aussetzt, wird das Gericht weiter zu prüfen haben, ob sich eine relevante Verfolgungsgefahr aufgrund einer Gesamtbetrachtung unterschiedlicher Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt (vgl. dazu oben Kapitel 2.4). Dabei bedarf es auch einer im Einzelnen begründeten und auf die Situation des Klägers bezogenen Bewertung, ob und ggf. warum die Summe der nach Buchstabe b berücksichtigten Eingriffshandlungen so gravierend ist, dass dieser davon in ähnlicher, d.h. vergleichbarer Weise wie von einer schwerwiegenden Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie betroffen ist.