Entscheidungsdatum: 20.02.2013
Der Kläger, ein pakistanischer Staatsangehöriger, begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsschutz in Bezug auf Pakistan.
Der 1980 in Pakistan geborene Kläger gehört seit seiner Geburt der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an. Er stammt aus einem Dorf im pakistanischen Teil des Punjab. Nach eigenen Angaben reiste er im Januar 2004 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl. Seinen Antrag begründete er damit, wegen der Zugehörigkeit zu seiner Glaubensgemeinschaft Verfolgungsmaßnahmen erlitten zu haben. In seinem Dorf habe es Spannungen zwischen der sunnitischen Mehrheitsbevölkerung und den wenigen Ahmadiyya-Familien (Ahmadis) gegeben. Sein Vater sei etwa seit Januar 2002 Präsident der örtlichen Ahmadiyya-Gemeinde gewesen, seine Mutter die Präsidentin der Frauen der Gemeinde, er selbst habe im Dorf die Gruppe der jungen Männer der Glaubensgemeinschaft ("Khudam Ahmadiyya") geleitet. Im Dezember 2003 sei er in seinem Heimatdorf von einer Gruppe von Leuten mehrmals auf dem Gebetsplatz der Ahmadis geschlagen und mit Steinen beworfen worden. Es habe sich um radikale Moslems (Gruppe "Sibah Sahaba") und um Sunniten gehandelt (100 Personen). Diese Personen hätten ihn mit dem Tode bedroht und bei der Polizei wegen Beleidigung des Propheten Mohammed angezeigt. Daraufhin sei er geflohen und nach Deutschland gekommen.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - lehnte mit Bescheid vom 4. Mai 2004 den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Zugleich drohte es dem Kläger die Abschiebung nach Pakistan an. Das Bundesamt begründete das im Wesentlichen damit, dass keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der Kläger Pakistan aus begründeter Furcht vor Verfolgung verlassen habe. Es bestünden erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit seines Vorbringens.
In dem vom Kläger eingeleiteten Klageverfahren hat das Auswärtige Amt dem Verwaltungsgericht auf dessen Anfrage am 31. Mai 2006 eine Auskunft zu der vom Kläger behaupteten Einleitung von Ermittlungsverfahren erteilt. Danach werde gegen den Kläger nicht wegen der Straftatbestände der Sec. 295 C, 298 B und 298 C des Pakistanischen Strafgesetzbuches ermittelt, die Verstöße gegen Vorschriften über die Ausübung der Religion betreffen. Zudem seien ein vom Kläger vorgelegtes Anwaltsschreiben und ein vorgelegtes Dokument über ein gegen den Kläger eingeleitetes Strafverfahren ("FIR" - First Information Report) vom 1. September 2003 Fälschungen. Auch die nach Erteilung dieser Auskunft vom Kläger vorgelegten weiteren Dokumente, ein Haftbefehl und eine Proklamation hierzu, seien Fälschungen (Antwort des Auswärtigen Amtes vom 23. März 2007).
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu der Feststellung verpflichtet, dass in der Person des Klägers die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen. Zuvor hatte der Kläger seinen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter zurückgenommen, das Verfahren wurde insoweit eingestellt. Dem Kläger drohe als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung. Von der Verfolgungsgefahr sei in Pakistan jedes Mitglied der Glaubensgemeinschaft betroffen.
Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 13. November 2008 die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Es könne offenbleiben, ob der Kläger schon vor seiner Ausreise von individueller Verfolgung bedroht gewesen sei. Er sei jedenfalls jetzt als aktiver Ahmadi in Pakistan einer ihn kollektiv treffenden Verfolgungsgefahr im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt. Mitglieder der Glaubensgemeinschaft seien von schwerwiegenden Einschränkungen in ihrer Religionsausübung betroffen, insbesondere von den in den Sec. 298 B, 298 C und 295 C Pakistan Penal Code normierten strafrechtlichen Verboten, bei ihrer Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam zu benutzen, ihren Glauben öffentlich zu bekennen und für ihn zu werben. Zudem würden von religiösen Extremisten in auffälligem Maß Gewalttaten gegen Ahmadis verübt, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewährten. Es dürfe nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die gegen Ahmadis eingeleiteten Strafverfahren oder die erfolgten Verurteilungen eine Verfolgungsdichte erreichten, die die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung rechtfertigen würden. Denn die angedrohten erheblichen Strafen sowie die zahlreichen ungehinderten Übergriffe extremistischer Gruppen legten es Ahmadis nahe, alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen oder äußerst zu beschränken. Die Bedrohungslage in Pakistan stellt nach der Würdigung des Oberverwaltungsgerichts für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen Ahmadi, zu dessen Überzeugung es auch gehöre, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung jedenfalls im Sinne einer kumulierenden Betrachtung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG dar. Das Gericht sei davon überzeugt, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden sei. Er habe in Pakistan ein religiös geprägtes Leben geführt und habe seinem Vater bei der Tätigkeit für die örtliche Ahmadi-Gemeinde geholfen, deren Präsident der Vater war. Der Kläger habe Berichte für die Gemeinde verfasst, Aufstellungen zum Spendenhaushalt erstellt und sonstige Tätigkeiten für die Gemeinde übernommen. Dass der Kläger seinen Glauben als für ihn verpflichtend und verbindlich empfinde, bekräftigt nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts seine religiöse Betätigung in Deutschland. So sei er Mitglied der Ahmadiyya-Gemeinde in W. Dort sei er seit einem Jahr für die Anmeldung von Jugendlichen zuständig und nehme hausmeisterliche Aufgaben in der Gemeinde war. Er nehme auch an den religiösen Festen der Gemeinde teil. Schließlich sei sein Leben außerhalb der Gemeinde religiös strukturiert. Er beginne den Tag mit einem ersten Gebet, dem weitere Gebete im Tagesverlauf folgten. Nach Auffassung des Gerichts wäre der Kläger im Fall einer Rückkehr nach Pakistan unmittelbar von religiöser Verfolgung bedroht. Dort sei ihm eine Fortführung seiner öffentlichkeitswirksamen religiösen Betätigung nicht ohne konkrete Gefahr von abschiebungsrelevanter Verfolgung möglich.
Gegen das Urteil haben die Beklagte und der Bundesbeauftragte die vom Bundesverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Mit Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 21.09 - hat der Senat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union verschiedene Fragen zur Auslegung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und zu Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 - sog. Qualifikationsrichtlinie - zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der Gerichtshof hat die Vorlagefragen mit Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612) beantwortet.
Die Beklagte und der Bundesbeauftragte begründen ihre vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revisionen damit, dass das Oberverwaltungsgericht den Schutzbereich der Religionsfreiheit nach Art. 9 und Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG zu weit gezogen habe. Die Beklagte beanstandet zudem, das Oberverwaltungsgericht habe keine Feststellungen dazu getroffen, wie der Kläger seinen Glauben nach Rückkehr in Pakistan praktizieren würde. Es genüge nicht, dass er den Willen habe, seinen Glauben in der Öffentlichkeit auszuüben. Eine begründete Furcht vor Verfolgung könne nur dann bejaht werden, wenn der Glaube nach der Rückkehr in einer Weise praktiziert werde, die den Kläger der Gefahr einer Verfolgung aussetzen würde. Im Übrigen habe das Gericht keine hinreichenden Feststellungen zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit der dem Kläger drohenden Gefahr getroffen. Wenn es selbst von einer relativ niedrigen Zahl der Verfolgungsfälle ausgehe, hätte es feststellen müssen, ob auch nur eine ganz geringe Zahl von Ahmadis ihren Glauben in der Öffentlichkeit so praktizieren, dass sie sich einer Verfolgungsgefahr aussetzen.
Der Kläger tritt den Revisionen entgegen. Nach seiner Auffassung reicht es für die Flüchtlingsanerkennung aus, dass er unter dem Druck der ihm drohenden Sanktionen auf eine Ausübung seiner Religion in der Öffentlichkeit verzichte, obwohl diese für ihn nach seinem religiösen Selbstverständnis besonders wichtig sei. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen habe das Oberverwaltungsgericht der Sache nach für seine Person festgestellt.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich an dem Verfahren beteiligt und sich im Wesentlichen der Argumentation der Beklagten angeschlossen.
Die Revisionen der Beklagten und des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragten) haben Erfolg. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat die Berufung des Bundesbeauftragten mit einer Begründung zurückgewiesen, die Bundesrecht verletzt (1.). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts kann der Senat in der Sache nicht selbst abschließend entscheiden. Der Rechtsstreit ist daher zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zurückzuverweisen (2.).
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist das Asylverfahrensgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) und das Aufenthaltsgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (vgl. Urteil vom 11. September 2007 - BVerwG 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylVfG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die neue Rechtslage zugrunde legen. Die hier maßgeblichen Bestimmungen haben sich aber seit der Berufungsverhandlung nicht geändert.
Unionsrechtlich finden sowohl die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 als auch die - während des Revisionsverfahrens in Kraft getretene - Neufassung durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 Anwendung. Für die in der Neufassung inhaltlich geänderten Bestimmungen wurde den Mitgliedstaaten eine Umsetzungsfrist bis zum 21. Dezember 2013 eingeräumt (Art. 39 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU) und es bleibt bis zum Ablauf dieser Frist bei der Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. Art. 41 Abs. 2 i.V.m. Art. 40 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU). Hinsichtlich der unverändert übernommenen Bestimmungen gilt die Neufassung hingegen schon jetzt (vgl. Art. 41 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU).
1. Gemäß § 3 Abs. 1 und 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU (zuvor: Richtlinie 2004/83/EG) - im Folgenden: Richtlinie - geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen.
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Art. 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Art. 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie und den Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestehen.
1.1 Das Berufungsgericht hat die vom Kläger als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) geltend gemachte Verfolgungsgefahr - wie der Senat das Urteil versteht - zutreffend als Furcht vor einem Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung gewertet (UA S. 8 f.). Denn Ahmadis droht in Pakistan die Gefahr einer Inhaftierung und Bestrafung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft als solcher. Die Verwirklichung der Gefahr hängt vielmehr von dem willensgesteuerten Verhalten des einzelnen Glaubensangehörigen ab: der Ausübung seiner Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit (UA S. 15). In solchen Fällen besteht der unmittelbar drohende Eingriff in einer Verletzung der Freiheit, die eigene Religion entsprechend den geltenden Glaubensregeln und dem religiösen Selbstverständnis des Gläubigen zu praktizieren, weil der Glaubensangehörige seine Entscheidung für oder gegen die öffentliche Religionsausübung nur unter dem Druck der ihm drohenden Verfolgungsgefahr treffen kann. Er liegt hingegen nicht in der Verletzung der erst im Fall der Praktizierung bedrohten Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben, persönliche Freiheit). Etwas anderes gilt dann, wenn der Betroffene seinen Glauben im Herkunftsland bereits praktiziert hat und ihm schon deshalb - unabhängig von einer willensgesteuerten Entscheidung über sein Verhalten in der Zukunft - unmittelbar die Gefahr z.B. einer Inhaftierung und Bestrafung droht. Eine derartige Vorverfolgung hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht festgestellt.
1.2 Das Berufungsgericht hat seiner Prognose, dass der Kläger im Fall einer Rückkehr nach Pakistan einer ihn kollektiv treffenden Verfolgungsgefahr ausgesetzt sei (UA S. 10), einen fehlerhaften Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde gelegt und seine Prognoseentscheidung nicht auf einer hinreichend breiten Tatsachengrundlage getroffen. Darin liegt ein Verstoß gegen Bundesrecht.
Zwar geht das Berufungsurteil zutreffend davon aus, dass schon das Verbot der Religionsausübung in der Öffentlichkeit eine hinreichend gravierende Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellen kann (UA S. 15). Insoweit entspricht es der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612 Rn. 69). Der Senat hat hierzu in seinem Urteil vom 20. Februar 2013 - BVerwG 10 C 23.12 - (zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen - Rn. 26) weiter ausgeführt, dass ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie nicht die Prognose voraussetzt, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Droht einem Ausländer im Fall eines bestimmten religiösen Verhaltens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schwere Rechtsgutverletzung und ist dieses religiöse Verhalten zugleich subjektiv für die Wahrung der religiösen Identität des Ausländers besonders wichtig, sind die Voraussetzungen für eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt, ohne dass es darauf ankommt, ob der Betroffene seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland in verfolgungsrelevanter Weise ausüben wird oder hierauf unter dem Druck der ihm drohenden Gefahren verzichtet (vgl. dazu Urteil vom 20. Februar 2013 a.a.O. Rn. 28 ff.).
Das Berufungsgericht ist weiter in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass den Mitgliedern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft im Falle des Zuwiderhandelns gegen die in den Sec. 298 B, 298 C und 295 C Pakistan Penal Code normierten strafrechtlichen Verbote der öffentlichen Glaubensbetätigung Sanktionen drohen, die hinreichend schwer sind, um die Voraussetzungen für eine schwerwiegende Rechtsgutverletzung zu erfüllen, denn hierzu zählt die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung. Damit ist auch der durch die Sanktionen ausgeübte Druck auf die willensgesteuerte Entscheidung des Klägers, seinen Glauben bei Rückkehr nach Pakistan in der verbotenen Weise öffentlich zu praktizieren oder darauf zu verzichten, grundsätzlich hinreichend schwer, um die objektive Voraussetzung einer Verletzungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen. Allerdings hängt die Schwere des ausgeübten Drucks auch von der konkreten Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers ab, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr.
Die Gefahr einer verfolgungserheblichen Verletzungshandlung muss dem Kläger dabei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteil vom 20. Februar 2013 a.a.O. Rn. 32). Im vorliegenden Fall kommt es für die Prognoseentscheidung, ob dem Kläger einer Verletzungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie droht, darauf an, ob er berechtigterweise befürchten muss, dass ihm im Fall einer strafrechtlich verbotenen öffentlichen Religionsausübung in Pakistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schwere Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (vgl. Urteil vom 20. Februar 2013 a.a.O. Rn. 28). Eine solche Gefahrenprognose hat das Berufungsgericht nicht getroffen.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht für pakistanische Staatsangehörige in ihrem Heimatland allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr (UA S. 16). Eine solche droht nur "dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen" Ahmadis, zu deren Glaubensüberzeugungen es auch gehöre, "den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und in diese zu tragen" (UA S. 15). Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen - der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit - ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Dabei ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird. Die Zahl der ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizierenden Ahmadis ist - bei allen damit verbundenen, auch dem Senat bekannten Schwierigkeiten - jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. In einem weiteren Schritt ist sodann festzustellen, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen. Dabei ist insbesondere zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ahmadi inhaftiert und bestraft wird, der entgegen den Vorschriften des Pakistan Penal Code bei seiner Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam benutzt, seinen Glauben öffentlich bekennt oder für ihn wirbt. Bei der Relationsbetrachtung, die die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig in der Öffentlichkeit praktizierenden Ahmadis mit der Zahl der tatsächlichen Verfolgungsakte in Beziehung setzt, ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine wertende Betrachtung handelt, die auch eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen hat. Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist.
Eine solche wertende Relationsbetrachtung hat das Berufungsgericht nicht vorgenommen. Es hat lediglich erkannt, dass für die Risikoprognose nicht auf die Gesamtgruppe der Ahmadis, auch nicht auf die der gläubigen Ahmadis, abgestellt werden kann, wenn einer erheblichen Zahl von ihnen der gesunde Menschenverstand nahelegt, aufgrund des Umfangs der Bedrohung alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen oder stark zu beschränken (UA S. 15 f.). Statt in zutreffender Weise auf die Gruppe der ihren Glauben unter Verstoß gegen die strafrechtlichen Verbote praktizierenden Ahmadiyyas abzustellen, hat das Berufungsgericht auf jegliche Relationsbetrachtung verzichtet. Das verstößt gegen Bundesrecht. Zugleich fehlt für die Gefahrenprognose eine hinreichend breite Tatsachengrundlage, da das Berufungsgericht weder die Zahl der Ermittlungsverfahren und Verurteilungen von Ahmadis nach den Strafvorschriften der Sec. 298 B, 298 C und 295 C Pakistan Penal Code noch die Zahl der Ahmadis jedenfalls annäherungsweise ermittelt hat, die ihren Glauben unter Verstoß gegen strafrechtliche Verbote öffentlich praktizieren.
Dem Senat als Revisionsgericht ist es selbst nicht möglich, die erforderlichen Feststellungen zur Verfolgungswahrscheinlichkeit anhand des aufgezeigten Maßstabs zu treffen.
1.3 Ein weiterer Verstoß gegen Bundesrecht liegt darin, dass das Berufungsurteil seine Feststellung der subjektiven Verfolgungsbetroffenheit des Klägers nicht unter Zugrundelegung des Maßstabs des EuGH getroffen hat, dass die Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit - wie sie in Pakistan gegen strafrechtliche Verbote verstoßen würde - für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig sein muss (EuGH a.a.O. Rn. 70).
Der vom EuGH entwickelte Maßstab setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glaubens verzichten müsste. Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Jedenfalls muss er gewichtige Gründe dafür haben, warum er seinen Glauben in Deutschland nicht in einer von ihm als unverzichtbar empfundenen Weise ausübt. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom 20. Februar 2013 - BVerwG 10 C 23.12 - Rn. 30 f.). Dabei muss der Asylbewerber die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen.
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London - insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan - zurückgreifen kann. Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechenden Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen.
Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung, welche Bedeutung bestimmte Formen der Religionsausübung für den Kläger haben, lediglich festgestellt, dass der Kläger "mit seinem Glauben eng verbunden" ist, diesen in der Vergangenheit regelmäßig ausgeübt hat und auch gegenwärtig praktiziert (UA S. 16). Es hat aber weder festgestellt, welche Formen der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig sind, noch dass diese die Gefahr der Verfolgung begründen.
Zur Praktizierung des Glaubens in Deutschland lässt sich dem Berufungsurteil nur entnehmen, dass der Kläger regelmäßig betet und die Moschee besucht, an den religiösen Festen der Gemeinde teilnimmt und organisatorische und hausmeisterliche Aufgaben für die Gemeinde wahrnimmt (UA S. 17). Daraus ergibt sich nicht, dass es sich hierbei um eine in die Öffentlichkeit gerichtete religiöse Betätigung handelt, wie sie in Pakistan strafrechtlich sanktioniert wird. Das Berufungsgericht hat insbesondere nicht festgestellt, dass der Kläger ein Bedürfnis zum Missionieren hat.
Zur Glaubenspraxis vor Ausreise ergibt sich aus dem Berufungsurteil, dass der Kläger ein religiös geprägtes Leben geführt hat, indem er wiederholt am Tag in die Moschee gegangen ist und dort gebetet hat. Zudem habe er seinen Vater, der Präsident der örtlichen Ahmadiyya-Gemeinde gewesen sei, organisatorisch unterstützt (UA S. 16 f.). Auch aus diesen Feststellungen lässt sich nicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit schließen. Denn aus den allgemeinen Feststellungen des Berufungsgerichts zur Verfolgungsgefahr für Ahmadis in Pakistan ergibt sich nicht, dass allein das regelmäßige Beten in der örtlichen Gebetsstätte ein Verfolgungsrisiko begründet. Die Mitwirkung an organisatorischen Angelegenheiten einer örtlichen Gemeinde mit wenigen (maximal 40) Mitgliedern dürfte dafür auch nicht ausreichen, zumal sich der Vater des Klägers selbst als Präsident der örtlichen Gemeinde nicht zum Verlassen des Landes gezwungen sah. Anders wäre die religiöse Identität und die daraus resultierende Verfolgungsgefahr zu beurteilen, wenn der Kläger tatsächlich - wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht vorgetragen, von der Beklagten aber auf Grundlage von Hinweisen des Auswärtigen Amtes bestritten - in Pakistan missioniert und drei Personen sogar zum Glaubenswechsel veranlasst hätte. Wäre das Missionieren prägend für seine Identität, ergäbe sich daraus eine hinreichende Verfolgungsgefahr. Das Berufungsgericht hätte daher nicht auf eine genaue Aufklärung der religiösen Betätigung des Klägers vor Ausreise verzichten dürfen, um seine religiöse Identität festzustellen.
Dem Senat als Revisionsgericht ist es selbst nicht möglich, die erforderlichen Feststellungen zur subjektiven Verfolgungsbetroffenheit anhand des vom EuGH entwickelten Maßstabs zu treffen.
1.4 Bundesrecht verletzt auch, dass das Berufungsgericht die gegen den Kläger gerichteten verfolgungsgeeigneten Maßnahmen als Verletzungshandlung im Wege einer Gesamtbetrachtung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie gewertet hat (UA S. 15), ohne eine Vergleichsbetrachtung zur Verletzungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie anzustellen.
Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach Buchstabe b kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Die Maßnahmen im Sinne von Buchstabe b können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen.
In Buchstabe a beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung. Während die "Art" der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der "Wiederholung" eine quantitative Dimension (vgl. hierzu Urteil vom 20. Februar 2013 - BVerwG 10 C 23.12 - Rn. 35). Der EuGH geht in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rn. 69) davon aus, dass das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen kann. Der Qualifizierung als "ein" Verbot steht nicht entgegen, dass dieses in mehreren Strafvorschriften des Pakistan Penal Code mit unterschiedlichen Straftatbeständen normiert ist. Das Verbot kann von so schwerwiegender "Art" sein, dass es für sich allein die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt. Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Buchstabe a mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative des Buchstabe b in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführt sind. In die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere auch verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen. Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entsprechen.
Daher sind bei der Prüfung einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zunächst alle in Betracht kommenden Eingriffshandlungen in den Blick zu nehmen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. In dieser Prüfungsphase dürfen Handlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie genannt werden, nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen. Zunächst ist aber zu prüfen, ob die Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vorliegt. Ist das nicht der Fall, ist weiter zu prüfen, ob die Summe der nach Buchstabe b zu berücksichtigenden Eingriffe zu einer ähnlich schweren Rechtsverletzung beim Betroffenen führt wie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Ohne eine fallbezogene Konkretisierung des Maßstabs für eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie kann nicht beurteilt werden, ob der einzelne Asylbewerber von unterschiedlichen Maßnahmen in einer so gravierenden Kumulation gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ausgesetzt ist, dass seine Betroffenheit mit der in Buchst. a vergleichbar ist. Stellt das Gericht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der "Betroffenheit in ähnlicher Weise" - wie hier - keine Vergleichsbetrachtung mit den von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfassten Verfolgungshandlungen an, liegt darin ein Verstoß gegen Bundesrecht.
2. Wegen für eine abschließende Entscheidung des Senats fehlender ausreichender tatsächlicher Feststellungen zur Verfolgungswahrscheinlichkeit und zur subjektiven Verfolgungsbetroffenheit ist der Rechtsstreit gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
2.1. Bei den zu treffenden Feststellungen zur jedenfalls ungefähren Größe der Gruppe der Ahmadis, die ihren Glauben unter Verstoß gegen die Strafvorschriften der Sec. 298 B, 298 C und 295 C des Pakistan Penal Code praktizieren, kann das Berufungsgericht u.a. auf die Erkenntnisse zurückgreifen, die das britische Upper Tribunal seinem Urteil vom 14. November 2012 zugrunde gelegt hat (a.a.O. - insbes. Rn. 26 - 72) - einschließlich der detaillierten Aufstellung des Ahmadiyya-Headquarters über die Verfolgungsschläge in den Jahren 1984 bis 2011 (verwertet im Urteil des Upper Tribunal Rn. 30 - dortige Fußnote 6 und Rn. 103 mit Würdigung der Zuverlässigkeit der Aufstellung - auch zugänglich unter: http://www.persecutionofahmadis.org/wp-content/uploads/2012/02/ Persecution-of-Ahmadis-2011.pdf). Wenn die verfügbaren Erkenntnisse nicht ausreichen, wird das Berufungsgericht eigene Ermittlungen anzustellen haben und ggf. die Einholung eines Sachverständigengutachtens veranlassen müssen.
2.2 Bei der Prüfung der subjektiven Verfolgungsbetroffenheit des Klägers am Maßstab des EuGH wird das Berufungsgericht insbesondere zu untersuchen haben, ob der Kläger seinen Glauben in Deutschland in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Dabei wird insbesondere zu untersuchen sein, welche Betätigungen sich auf die Glaubensausübung innerhalb der Ahmadiyya-Gemeinschaft und die interne Gemeindearbeit (Hausmeisterdienste, Mitwirkung bei der Anmeldung der Jugendlichen etc) beziehen und welche auf ein Hineinwirken in die Öffentlichkeit, insbesondere das Werben für den eigenen Glauben gegenüber Dritten. Hierbei hat das Berufungsgericht auch die Gelegenheit, Auskünfte bei der lokalen Gemeinde des Klägers oder bei der Zentrale der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Deutschland zu dem dort bekannten Umfang der religiösen Betätigung des Klägers in Deutschland einzuholen. Weiter wird es den Umfang der religiösen Betätigung des Klägers in Pakistan aufzuklären haben und dabei insbesondere die Frage, ob der Kläger tatsächlich - wie er vorträgt - missioniert hat. Dabei wird auch dem Hinweis des Auswärtigen Amtes in seinem Schreiben vom 31. Mai 2006 nachzugehen sein, wonach Nachforschungen vor Ort ergeben hätten, dass der Kläger "nie politisch oder religiös tätig" gewesen sein soll (Antwort des Auswärtigen Amtes, Ziffer 5). Selbst wenn das Berufungsgericht zu der Überzeugung kommen sollte, dass der Kläger in Pakistan missioniert hat, sich in Deutschland aber auf gemeindeinterne Aktivitäten beschränkt, wären die Gründe für das Verhalten in Deutschland aufzuklären. Nur wenn er gewichtige Gründe dafür hätte, könnte trotz seines gegenwärtigen Verhaltens darauf geschlossen werden, dass für ihn eine in die Öffentlichkeit wirkende Glaubensbetätigung zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist.
2.3 Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass das staatliche Verbot einer in die Öffentlichkeit wirkenden Religionsausübung im vorliegenden Fall keine hinreichend schwere Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie begründet, wird es weiter zu prüfen haben, ob sich eine relevante Verfolgungsgefahr aufgrund einer Gesamtbetrachtung unterschiedlicher Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt (vgl. dazu oben Kapitel 1.4). Hierbei wären zusätzlich zu den staatlichen Maßnahmen insbesondere die Übergriffe radikaler Moslems auf Ahmadis zu würdigen. Dabei bedarf es auch einer im Einzelnen begründeten und auf die Situation des Klägers bezogenen Bewertung, ob und ggf. warum die Summe der nach Buchstabe b berücksichtigten Eingriffshandlungen so gravierend ist, dass dieser davon in ähnlicher, d.h. vergleichbarer Weise wie von einer schwerwiegenden Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie betroffen ist.