Entscheidungsdatum: 11.08.2016
1. Auch bei Versorgungsanwartschaften, die im Anwartschaftsdeckungsverfahren finanziert werden, gewährleistet Art. 14 Abs. 1 GG keinen absoluten Bestandsschutz. Inhalts- und Schrankenbestimmungen zur Umgestaltung von Versorgungsanwartschaften sind nach Art. 14 Abs. 1 GG zulässig, wenn sie einem Gemeinwohlzweck dienen, verhältnismäßig sind, den Vertrauensschutz der Betroffenen wahren und das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot beachten.
2. Eine Eigenfinanzierung der Anwartschaft erhöht die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Inhalts- und Schrankenbestimmung, die in den bisherigen Rechtsbestand eingreift, und verengt den Gestaltungsspielraum des Normgebers entsprechend.
Der Antragsteller ist selbstständiger Rechtsanwalt und Pflichtmitglied der Antragsgegnerin. Er wendet sich gegen die Neunte Satzung zur Änderung der Satzung der Antragsgegnerin vom 7. Dezember 2009, durch die unter anderem mit Wirkung zum 1. Januar 2010 die Regelaltersgrenze für den Anspruch auf Altersruhegeld von der Vollendung des 63. Lebensjahres auf die Vollendung des 67. Lebensjahres und die Altersgrenze für den Bezug des vorgezogenen Altersruhegeldes vom vollendeten 60. auf das vollendete 62. Lebensjahr angehoben worden ist. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag des Antragstellers abgelehnt und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
Die dagegen erhobene Beschwerde, die sich auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO beruft, hat keinen Erfolg.
1. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. Die vom Antragsteller aufgeworfene Frage:
"Sind die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätze zum Eingriff in Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung oder bei Versorgungswerken mit dem Finanzierungssystem des offenen Deckungsplanverfahrens auf ein Versorgungswerk, das im Anwartschaftsdeckungsverfahren finanziert ist, gleichermaßen anwendbar?"
bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, weil sie sich - soweit sie dort entscheidungserheblich wäre - ohne Weiteres anhand der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzes- und Verfassungsinterpretation auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung beantworten lässt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. August 1999 - BVerwG 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270>).
Welche Anforderungen nach Art. 14 Abs. 1 GG an Inhalts- und Schrankenbestimmungen zur Umgestaltung berufsständischer Versorgungsanwartschaften zu stellen sind und inwieweit das jeweilige Finanzierungssystem die Anforderungen an die eigentumsrechtliche Rechtfertigung beeinflusst, ist bereits in der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Danach sind sämtliche Eigentumspositionen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG einer Inhalts- und Schrankenbestimmung zugänglich, da die Eigentumsgarantie ein normgeprägtes Grundrecht ist. Ein absoluter Bestandsschutz ist deshalb auch bei eigenfinanzierten kapitalgedeckten Versorgungsanwartschaften (einschließlich der vom Antragsteller als Versorgungsanwartschaftsrechte bezeichneten Rechtspositionen) nicht gewährleistet. Allerdings sind einschränkende Inhalts- und Schrankenbestimmungen nach Art. 14 Abs. 1 GG nur gerechtfertigt, wenn sie einem Gemeinwohlzweck dienen, verhältnismäßig sind, den Vertrauensschutz der Betroffenen wahren und das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot beachten. Das gilt nicht nur für die Umgestaltung gesetzlicher Rentenanwartschaften, sondern auch für die Umgestaltung berufsständischer Versorgungsanwartschaften im offenen Deckungsplan- oder im Anwartschaftsdeckungsverfahren. Eine Eigenfinanzierung im Anwartschaftsdeckungsverfahren erhöht lediglich die dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Inhalts- und Schrankenbestimmung, die in den bisherigen Rechtsbestand eingreift. Der Gestaltungsspielraum des Normgebers ist umso geringer, je stärker die Anwartschaft durch eigene personale Leistung des Anwartschaftsberechtigten geprägt ist (BVerfG, Beschluss vom 27. Februar 2007 - 1 BvL 10/00 - BVerfGE 117, 272 <293 f.>; BVerwG, Urteil vom 21. September 2005- 6 C 3.05 - Buchholz 11 Art. 14 GG Nr. 350, Beschlüsse vom 16. April 2010 - 8 B 118.09 - juris Rn. 7, vom 13. April 2012 - 8 B 86.11 - Buchholz 430.4 Berufsständisches Versorgungsrecht Nr. 54 und vom 29. Oktober 2013 - 8 BN 2.13 - juris Rn. 5). Davon geht auch das angegriffene Urteil aus.
Der Einwand des Antragstellers, das Urteil hätte die Verfassungsmäßigkeit der Satzungsregelung wegen der Eigenfinanzierung des Altersruhegeldes aus 70 % des individuellen Beitrags noch strenger als geschehen prüfen müssen, wendet sich gegen die Anwendung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe im Einzelfall, ohne insoweit rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf aufzuzeigen. Außerdem übersieht er, dass das Urteil die grundrechtliche Rechtfertigung der Satzungsänderung nicht für die Ausgestaltung einzelner Versorgungselemente wie des eigenfinanzierten Ruhegeldes prüft und bejaht, sondern den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG auf die mit der Mitgliedschaft in der Antragsgegnerin erworbene Versorgungsanwartschaft insgesamt bezieht. Sie schließt auch die Anwartschaft auf Leistungen der Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung ein, die - unstreitig - nicht allein aus Beiträgen des jeweiligen Versorgungsberechtigten, sondern solidarisch finanziert wird. Entgegen der Darstellung der Beschwerdebegründung beruht die Annahme der Vorinstanz, die von der Antragsgegnerin gewährte Versorgung folge keinem Privatversicherungsmodell, sondern enthalte Elemente solidarischen Ausgleichs, auch nicht auf einem rechtlichen Zirkelschluss. Sie ergibt sich vielmehr aus der berufungsgerichtlichen Auslegung der irrevisiblen Satzung der Antragsgegnerin, wonach diese ihre Mitglieder unabhängig von deren Risiken aufnimmt, die Beitragshöhe nach deren Leistungsfähigkeit und nicht nach den übernommenen Risiken bestimmt und teils solidarisch finanzierte Versorgungsleistungen vorsieht. Von dieser Auslegung hätte nach § 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO auch die revisionsrechtliche Beurteilung auszugehen.
2. Die hilfsweise für den Fall nachträglicher Divergenz angeregte Umdeutung der Grundsatz- in eine Divergenzrüge kann der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Ein Rechtssatzwiderspruch zu einer nach der Einlegung der Beschwerde ergangenen Entscheidung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist nicht dargetan und liegt auch nicht vor.
3. Die Verfahrensrüge gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO greift ebenfalls nicht durch.
a) Der Vortrag, das angegriffene Urteil enthalte aktenwidrige und widersprüchliche Feststellungen zum Finanzierungssystem der Antragsgegnerin, genügt nicht den Anforderungen an eine substantiierte Darlegung des damit sinngemäß geltend gemachten Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO). Eine Aktenwidrigkeit ist nur dargetan, wenn die Beschwerdebegründung einen offensichtlichen, nicht erst durch weitere Beweiserhebung zu ermittelnden Widerspruch zwischen einer Urteilsfeststellung und einer im Urteil durch Bezugnahme auf die Akten festgestellten Tatsache aufzeigt. Das ist hier nicht geschehen. Der Antragsteller unterstellt dem angegriffenen Urteil lediglich, es gehe von externen, noch aufzuklärenden Finanzierungsquellen der Antragsgegnerin aus, weil es in Rn. 42 ausführe, die Antragsgegnerin finanziere sich "hauptsächlich" durch Beiträge ihrer Mitglieder. Dabei übersieht der Antragsteller, dass die Vorinstanz mit dem Hinweis auf die rentierliche Anlage der gezahlten Beiträge (UA Rn. 36) die Einkünfte aus Kapitalerträgen als zweite - aber in der Terminologie des Antragstellers nicht externe - Finanzierungsquelle neben der Beitragserhebung nennt. Der behauptete Widerspruch zur weiteren Urteilsfeststellung, die Antragsgegnerin finanziere die Versorgung ohne staatliche Zuschüsse, ist ebenfalls nicht dargelegt, weil als zweite Finanzierungsquelle nicht nur solche Zuschüsse denkbar sind.
b) Der Verwaltungsgerichtshof hat auch die gerichtliche Pflicht zur Amtsaufklärung gemäß § 86 Abs. 1 VwGO nicht verletzt. Die Rüge, das Berufungsgericht habe die externe Finanzierungsquelle ermitteln müssen, geht - wie eben dargelegt - von einer unzutreffenden Auslegung des angegriffenen Urteils aus. Der Verwaltungsgerichtshof war auch nicht verpflichtet näher aufzuklären, welcher Prozentsatz der Mitgliedsbeiträge von der Antragsgegnerin zur Finanzierung der Altersversorgung des zahlenden Mitglieds zurückgelegt wird. Nach der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung der Vorinstanz kam es weder auf die Höhe des - vom Antragsteller mit 70 % angegebenen - Prozentsatzes noch auch nur auf das Überwiegen dieses Beitragsanteils an. Maßgebend war aus der Sicht der Vorinstanz vielmehr, dass der individuell erhobene Beitrag jedenfalls nicht insgesamt, sondern nur zum Teil für die Altersversorgung des jeweiligen Beitragszahlers "zurückgestellt" und im Übrigen zur Finanzierung von Versorgungsleistungen (auch) an andere Personen (nach insoweit unstreitigem Beteiligtenvorbringen für die Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung) verwendet wird. Darin und in dem Umstand, dass Mitgliedschaft und Beitragshöhe vom individuellen Risiko unabhängig sind, sieht der Verwaltungsgerichtshof systemprägende Elemente des solidarischen Ausgleichs, die einer Einordnung der Versorgung als Privatversicherungssystem entgegenstehen. Diese Auslegung des irrevisiblen Satzungsrechts wäre nach § 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO auch der revisionsrechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen.
c) Die sinngemäße Rüge, das Berufungsgericht habe den Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör verletzt, ist nicht ausreichend substantiiert (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) und im Übrigen nicht begründet. Auf den Vortrag des Antragstellers zur prozentualen Verwendung der Beiträge musste das angegriffene Urteil nicht näher eingehen, weil es nach seiner materiell-rechtlichen Rechtsauffassung darauf nicht ankam. Dass die Entscheidung nicht (mehr) vom Kapital-, sondern vom Anwartschaftsdeckungsverfahren spricht, qualifiziert sie noch nicht als Überraschungsentscheidung. Zum einen wurde der Begriff des Anwartschaftsdeckungsverfahrens ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 28. April 2015 dort bereits verwendet. Zum anderen liegt in der Übernahme des Begriffs keine aus der Sicht der Vorinstanz entscheidungsrelevante Änderung der Einordnung des Finanzierungssystems der Antragsgegnerin. Der Begriff der Kapitaldeckung umfasst jede Finanzierung von Versorgungsleistungen durch Ansparen des benötigten Deckungskapitals. Der Begriff der Anwartschaftsdeckung wird im angegriffenen Urteil erkennbar als Bezeichnung für eine Sonderform der Kapitaldeckung verwendet, bei der das Deckungskapital für ein Element der gewährten Versorgung (hier das Altersruhegeld) aus einem Teil der Beiträge des jeweiligen Mitglieds finanziert wird.
d) Der Vortrag, das nach § 116 Abs. 2 VwGO anstelle einer Verkündung zugestellte Urteil sei nicht "alsbald" gemäß § 117 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 VwGO, sondern erst nach nahezu vier Monaten vollständig abgefasst und mit den Unterschriften der mitwirkenden Richter der Geschäftsstelle übergeben worden, führt ebenfalls nicht auf einen Verfahrensmangel, auf dem das Urteil beruhen kann. Das wäre nur der Fall, wenn sich aus der zeitlichen Verzögerung ergäbe, dass die Beurkundungsfunktion des Urteils nicht mehr gewahrt und es deshalb im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen war. Davon geht die ständige Rechtsprechung in Anlehnung an die Wertung der §§ 516, 552 ZPO erst aus, wenn die äußerste zeitliche Grenze von fünf Monaten nach der Verkündung des Urteils oder - in den Fällen des § 116 Abs. 2 VwGO - nach dessen Übermittlung an die Geschäftsstelle überschritten wurde. Allerdings kann sich auch bei geringeren Zeitspannen aus den Umständen des Einzelfalls ergeben, dass infolge der verzögerten Abfassung des Urteils die zuverlässige Wiedergabe des Beratungsergebnisses und der für die Entscheidungsfindung leitenden Erwägungen nicht mehr gewährleistet war (BVerwG, Beschlüsse vom 25. April 2001 - 4 B 31.01 - Buchholz 310 § 117 VwGO Nr. 47 und vom 3. Mai 2004 - 7 B 60.04 - juris Rn. 4 f.). Solche Umstände sind der Beschwerdebegründung jedoch nicht zu entnehmen. Der Hinweis auf (angebliche) Widersprüche und terminologische Ungenauigkeiten genügt dazu nicht, weil diese sich auf der Grundlage der insoweit maßgeblichen materiell-rechtlichen Rechtsauffassung der Vorinstanz auflösen oder als unerheblich darstellen. Aus dem Verfahrensablauf gehen ebenfalls keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung des Erinnerungsvermögens der mitwirkenden Richter hervor. Als Beweismittel dienten ganz überwiegend Schriftstücke wie etwa die Materialien zur Beschlussfassung der Antragsgegnerin über die Satzungsänderung. Die dazu gegebenen mathematischen Erläuterungen wurden in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Berufungsgericht ebenso festgehalten wie die Einwände des Antragstellers, die dieser trotz berufungsgerichtlicher Aufforderung und Fristverlängerung vor dem Verhandlungstermin nicht mehr schriftlich vorgetragen hatte. Auf die ausführliche Niederschrift konnte bei der Urteilsfindung und der Abfassung des Tatbestands und der Entscheidungsgründe zurückgegriffen werden. Dass die Sitzungsniederschrift das Vorbringen der Beteiligten zusammenfasst und die Entscheidungsgründe nach dem Beschwerdevorbringen nicht auf alle im Termin erörterten Einzelheiten eingehen, lässt nicht darauf schließen, dass die Entscheidungsgründe das Beratungsergebnis und die es tragenden wesentlichen Erwägungen nicht zuverlässig wiedergäben. Aus der Konzentration auf diejenigen Gesichtspunkte, die nach der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung der Vorinstanz entscheidungserheblich waren, lässt sich kein Verfahrensmangel ableiten. Entgegen dem Beschwerdevorbringen geben die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils auch eine schlüssige, nachvollziehbare Darstellung seiner tragenden materiell-rechtlichen Erwägungen wieder. Sie gehen ungeachtet der Eigenfinanzierung des Altersruhegeldes in der Gesamtschau der - solidarisch finanzierte Leistungen einschließenden - Versorgungsanwartschaften von einem solidarischen Versorgungssystem aus und halten die zur Schließung der Deckungslücke geregelte, teilweise kompensierte Einschränkung bestehender Anwartschaften mit Abstufungen nach der Versorgungsnähe für verhältnismäßig und gleichheitskonform.
Die Richtigkeit dieser Erwägungen kann nicht mit der Verfahrensrüge angegriffen werden. Das gilt auch für die Zweifel des Antragstellers, ob die Antragsgegnerin die Alternativregelung des "Zuschlagsmodells" wegen "Zweckmäßigkeitserwägungen", nämlich wegen eines höheren Beratungsaufwandes, verwerfen durfte. Eine rechtsgrundsätzliche Frage wird damit ebenfalls nicht aufgeworfen. Es bedarf keiner Klärung, dass die Erforderlichkeit einer satzungsrechtlichen Umgestaltung von Versorgungsanwartschaften zur Schließung einer Deckungslücke nicht durch eine Alternative in Frage gestellt werden kann, die die beitragspflichtigen Mitglieder der Versorgungseinrichtung nach den bindenden Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz (§ 137 Abs. 2 VwGO) vergleichbar belastet (UA Rn. 46) und sich wegen des höheren, ebenfalls aus den Beiträgen zu finanzierenden Beratungsaufwandes im Hinblick auf das Regelungsziel der finanziellen Stabilisierung als weniger wirksam erweist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 und 8 GKG.