Entscheidungsdatum: 30.07.2012
Die Beschwerde, mit der eine Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) geltend gemacht werden, ist unzulässig, da sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entspricht.
1. Aus dem Vorbringen der Beschwerde ergibt sich nicht die geltend gemachte Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.
Eine Divergenz im Sinne der genannten Vorschrift ist gegeben, wenn das Berufungsgericht in dem angefochtenen Urteil einen das Urteil tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, mit dem es einem Rechtssatz widersprochen hat, den eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Es genügt nicht, wenn das Berufungsgericht einen Rechtssatz im Einzelfall rechtsfehlerhaft anwendet oder daraus nicht die rechtlichen Folgerungen zieht, die etwa für die Sachverhalts- und Beweiswürdigung geboten sind (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
Die Beschwerde bezeichnet bereits keinen vom Berufungsgericht aufgestellten abstrakten Rechtssatz, der von einem in der angeführten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 3. November 1992 - BVerwG 9 C 21.92 - BVerwGE 91, 150) aufgestellten Rechtssatz abgewichen sein soll. Zwar trifft es zu, dass das Bundesverwaltungsgericht in dem zitierten Urteil den Rechtssatz aufgestellt hat, dass ein Ausländer keines internationalen Schutzes als Flüchtling bedarf, wenn er die Gefahr politischer Verfolgung durch eigenes zumutbares Verhalten abwenden kann. Selbst für den Fall, dass dieser Rechtssatz auf das entscheidungserhebliche Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG zu erstrecken sein sollte, ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen kein hiervon abweichender Rechtssatz des Berufungsgerichts. Die Beschwerde räumt vielmehr ein, dass das Gericht auf die Zumutbarkeit einer Antragstellung auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer abgestellt hat, um den im russischen Militärdienst drohenden Misshandlungsgefahren zu entgehen (Beschwerdebegründung S. 2). Damit hat es seiner Entscheidung in der Sache sogar den Rechtssatz zugrunde gelegt, dessen Nichtbeachtung die Beklagte rügt. Eine Abweichung ergibt sich auch nicht daraus, dass das Berufungsgericht bei der Zumutbarkeit nicht auf die eigenen Vorstellungen und Wünsche des Betroffenen abstelle, während nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts objektive Zumutbarkeitsgesichtspunkte maßgeblich seien. Denn auch insoweit legt die Beschwerde keinen von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweichenden Rechtssatz des Berufungsgerichts dar. Vielmehr stützt sie ihre Rüge allein darauf, dass das Berufungsgericht die Stellung eines Antrags auf Kriegsdienstverweigerung unter Vorspiegelung einer nicht vorhandenen inneren Überzeugung für nicht zumutbar erachte. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass der Begriff der Zumutbarkeit vom Berufungsgericht nicht objektiv verstanden, sondern von den eigenen Vorstellungen und Wünschen des Ausländers abhängig gemacht wird. In der Sache wendet sich die Beschwerde in Gestalt einer Divergenzrüge gegen die konkrete Würdigung des Gerichts, welches Abwendungsverhalten es als zumutbar ansieht. Die Zulassung der Revision vermag sie damit jedoch nicht zu begründen.
2. Aus dem Vorbringen der Beschwerde ergibt sich auch keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Die Beschwerde sieht als klärungsbedürftig an, ob die Zumutbarkeit des Eigenverhaltens, das eine Gefahr nach § 60 Abs. 2 AufenthG abzuwenden vermag, nach objektiven oder subjektiven Kriterien zu bestimmen ist (Beschwerdebegründung S. 3). Sie legt jedoch nicht - wie erforderlich - die Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Frage dar. Denn weder aus ihrem Vorbringen noch aus dem Berufungsurteil selbst ergibt sich, dass das Berufungsgericht die Zumutbarkeit nach subjektiven Kriterien bestimmt. Es leitet die Unzumutbarkeit vielmehr aus der (objektiven) Tatsache ab, dass die Stellung eines Antrags auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer der - vom Berufungsgericht festgestellten - persönlichen Einstellung des Klägers widersprechen würde, unter Vorspiegelung einer nicht vorhandenen inneren Überzeugung erfolgen müsste und möglicherweise die Begehung einer Straftat darstellen würde (UA S. 12).
3. Die Beschwerde legt auch die geltend gemachten Verfahrensmängel der fehlerhaften richterlichen Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dar.
Soweit die Beschwerde mit ihrem Vorbringen eine Verletzung von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO geltend macht (Beschwerdebegründung S. 4 ff.), greift sie die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts an. Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind aber nach ständiger Rechtsprechung revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzurechnen (vgl. etwa Beschluss vom 19. Oktober 1999 - BVerwG 9 B 407.99 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 11 m.w.N.). Ein Verfahrensverstoß kann allenfalls ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder die allgemeinen Erfahrungssätze missachtet (vgl. etwa Beschluss vom 16. Juni 2003 - BVerwG 7 B 106.02 - NVwZ 2003, 1132 <1135> = Buchholz 303 § 279 ZPO Nr. 1 m.w.N.). Dass die angefochtene Entscheidung derartige Mängel aufweist, legt die Beschwerde jedoch nicht dar.
Die Rüge der Beklagten, das Gericht habe seiner Prognose, dass der Kläger bei Rückkehr nach Russland zum Wehrdienst eingezogen werde, nicht den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde gelegt, begründet keine Verletzung von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das angefochtene Urteil geht bei seiner Gefahrenprognose davon aus, dass dem Kläger die Einberufung "sehr wahrscheinlich" drohe (UA S. 11). Damit werden die Anforderungen an den nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde zu legenden Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 22) erfüllt, die prognostizierte Wahrscheinlichkeit liegt sogar höher. Es liegt im Rahmen richterlicher Tatsachenwürdigung, auch ohne Erhalt eines Einberufungsbefehls und auch bei Einreise außerhalb einer laufenden Rekrutierungsphase die Gefahr einer Einberufung des Klägers zum Wehrdienst für sehr wahrscheinlich zu halten. Aus der Tatsache, dass im Urteil keine ausdrücklichen Feststellungen zur Wehrdiensttauglichkeit des Klägers getroffen werden, lässt sich - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht ableiten, die Prognose des Gerichts sei rein spekulativ. Vielmehr ist davon auszugehen, dass das Gericht von der Wehrdiensttauglichkeit des Klägers ausgegangen ist, auch wenn es diesen Umstand nicht ausdrücklich erwähnt. Aus dem Vorbringen der Beschwerde, die sich gegen die Würdigung des Berufungsgerichts zur Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung durch den Kläger wendet, ergibt sich - auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts - ebenfalls keine Überschreitung der Grenzen richterlicher Tatsachen- und Beweiswürdigung. Auf die von der Beschwerde ebenfalls angegriffenen - möglicherweise defizitären - Feststellungen des Gerichts zu den Erfolgsaussichten einer Verweigerung des Wehrdienstes kommt es für die Beurteilung der Überzeugungsbildung nicht an, da das Gericht seine Entscheidung - selbstständig tragend - auf die fehlende Zumutbarkeit einer solchen Verweigerung gestützt hat (UA S. 12).
Aus den vorstehend näher behandelten Rügen lässt sich auch keine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers ableiten (§ 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG). Eine "beharrliche Ignorierung" oder "selektive Wahrnehmung" der von der Beklagten vorgebrachten Erkenntnisse und Argumente ergibt sich aus der Tatsachen- und Beweiswürdigung des Gerichts nicht.