Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 10.10.2013


BVerwG 10.10.2013 - 10 B 19/13

Gerichtliche Sachaufklärung; Beweiswürdigung; Verfahrensmangel


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsdatum:
10.10.2013
Aktenzeichen:
10 B 19/13
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 2. Juli 2013, Az: 8 A 5118/05.A, Urteil
Zitierte Gesetze

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 2. Juli 2013 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

Die Beschwerde, mit der der Kläger Verfahrensmängel des Berufungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) rügt, hat keinen Erfolg.

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Die Beschwerde macht im Wesentlichen geltend, das Berufungsgericht habe keine Feststellungen getroffen, welche die Annahme rechtfertigten, dass dem Kläger während seiner Zugehörigkeit zur PKK eine Beteiligung an den festgestellten terroristischen Straftaten der PKK im Sinne einer individuellen Verantwortung vorgeworfen werden könne. Vielmehr beschränke sich das Oberverwaltungsgericht auf eine exemplarische und stichwortartige Aufzählung der Ereignisse in den Jahren 1990 bis 2000, bei denen die PKK mit hoher Wahrscheinlichkeit Übergriffe gegenüber der Zivilbevölkerung begangen habe. Das Berufungsgericht schließe nicht aus, dass einzelne der PKK zugeschriebene Taten tatsächlich nicht von dieser begangen worden seien. Bei der Aufzählung der der PKK zugerechneten Übergriffe stütze es sich u.a. auf das im Verfahren eingeholte Gutachten des Sachverständigen I., der darauf hinweise, dass die Zuverlässigkeit seiner Quellen problematisch sei. Auch der Bundesnachrichtendienst habe in seiner Stellungnahme ausdrücklich auf die fehlende Bestätigung seiner Ausführungen durch unabhängige Quellen hingewiesen. Auch im Blick auf die individuelle Zurechnung der vom Berufungsgericht aufgezählten Straftaten leide das angefochtene Urteil an einem Aufklärungsdefizit. Allein der Umstand, dass eine Person einer in der „Terrorliste" der Union aufgeführten Organisation wie der PKK angehöre und deren bewaffneten Kampf unterstützt habe, rechtfertige nicht automatisch die Annahme eines Ausschlussgrundes nach § 3 Abs. 2 AsylVfG; vielmehr bedürfe es einer Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände des Einzelfalles. Gemessen an den dazu von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts herausgearbeiteten Grundsätzen für die individuelle Verantwortlichkeit erwiesen sich die Feststellungen des Berufungsgerichts als unzureichend.

3

Mit diesem Vorbringen wird eine Verletzung des § 86 Abs. 1 VwGO nicht aufgezeigt. Zwar muss der Tatrichter wegen der ihm obliegenden Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen alle zur Tatsachenfeststellung geeigneten Erkenntnismittel nutzen. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht liegt aber regelmäßig dann nicht vor, wenn das Gericht den nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Sachverhalt aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme für aufgeklärt gehalten hat und die sachkundig vertretenen Verfahrensbeteiligten keine Beweisanträge gemäß § 86 Abs. 2 VwGO gestellt haben (Urteil vom 27. Juli 1983 - BVerwG 9 C 541.82 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 146; Beschluss vom 11. Mai 1992 - BVerwG 6 B 10.92 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 295). Denn ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat und die sich dem Gericht auch nicht aufdrängen musste (Beschluss vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265). Die Aufklärungsrüge dient nicht dazu, Beweisanträge zu ersetzen, die ein Beteiligter in zumutbarer Weise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat (Urteil vom 29. Mai 2008 - BVerwG 10 C 11.07 - BVerwGE 131, 186 = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 21 jeweils Rn. 13 m.w.N.); lediglich schriftsätzlich angekündigte Beweisanträge genügen den genannten Anforderungen nicht (Beschluss vom 3. Juli 1998 BVerwG 6 B 67.98 - juris Rn. 2). Der anwaltlich vertretene Kläger hat in der Berufungsverhandlung vom 2. Juli 2013 keine Beweisanträge gestellt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich dem Berufungsgericht zu den von der Beschwerde genannten Beweisthemen nach Einholung des Sachverständigengutachtens sowie diverser Stellungnahmen, der Befragung des Klägers und der Einvernahme des Zeugen K. weitere Ermittlungen von Amts wegen hätten aufdrängen müssen. Damit kann die Aufklärungsrüge keinen Erfolg haben.

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In Wirklichkeit wendet sich die Beschwerde im Gewand der Aufklärungsrüge gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, zu der auch die Frage zählt, ob das Berufungsgericht auf hinreichend breiter Tatsachengrundlage entschieden hat (Beschluss vom 2. Mai 2012 - BVerwG 10 B 10.12 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 65). Die Grundsätze der Beweiswürdigung sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts revisionsrechtlich jedoch in der Regel nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen (Beschlüsse vom 12. Januar 1995 BVerwG 4 B 197.94 - Buchholz 406.12 § 22 BauNVO Nr. 4 S. 4 = NVwZ-RR 1995, 310; vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 18 f. = NVwZ-RR 1996, 359 und vom 8. Februar 2011 BVerwG 10 B 1.11 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 43 jeweils m.w.N.). Ein Verfahrensfehler kann ausnahmsweise dann gegeben sein, wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet (Urteil vom 19. Januar 1980 BVerwG 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 <272 f.> = Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 225 S. 74 ff.; Beschlüsse vom 25. Juni 2004 - BVerwG 1 B 249.03 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 284 und vom 16. Juni 2003 - BVerwG 7 B 106.02 -NVwZ 2003, 1132 <1135>, jeweils m.w.N.). Das setzt aber jedenfalls voraus, dass sich der gerügte Fehler hinreichend eindeutig von der materiellrechtlichen Subsumtion, d.h. der korrekten Anwendung des sachlichen Rechts abgrenzen lässt und der Tatrichter den ihm bei der Tatsachenfeststellung durch den Grundsatz freier Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffneten Wertungsrahmen verlassen hat. Das kann auch dadurch geschehen, dass die Vorinstanz bei der Tatsachenfeststellung das Regelbeweismaß richterlicher Überzeugungsgewissheit gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verfehlt hat (Be-schluss vom 14. Juli 2010 - BVerwG 10 B 7.10 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 66 = NVwZ 2011, 55). Ein Verfahrensmangel bei der Beweiswürdigung liegt aber im vorliegenden Fall nicht vor.

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Zwar ist der Beschwerde einzuräumen, dass die von ihr monierte Formulierung im Berufungsurteil (BU S. 35 f.)

"Der Senat führt im Folgenden exemplarisch und stichwortartig Ereignisse auf, bei denen die PKK mit hoher Wahrscheinlichkeit Übergriffe gegenüber der Zivilbevölkerung in den Jahren 1990 bis 2000 begangen hat. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass einzelne der PKK zugeschriebene Taten tatsächlich nicht von dieser begangen worden sind. Der Zeitraum zwischen 1990 und 2000 zeichnet sich durch eine Vielzahl von Gewaltakten sowohl von der PKK als auch von Seiten des türkischen Staates aus. In dieser Zeit waren geheime staatliche und halbstaatliche Organisationen, so z. B. JITEM, eine Abteilung des Geheimdienstes der Gendarmerie, aktiv und verübten auch Überfälle auf die Zivilbevölkerung. Die Urheber der Gewaltakte konnten oft nicht festgestellt werden; der türkische Staat und die PKK schoben sich gegenseitig die Verantwortung zu."

geeignet ist, Zweifel an einer verfahrensfehlerfreien Beweiswürdigung des Berufungsgerichts zu wecken. Denn auch auf der Grundlage des abgesenkten Beweismaßes in § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG (BU S. 21) kann eine Beteiligung an den in der Norm genannten Straftaten oder Handlungen nur angenommen werden, wenn für die erforderliche Haupttat an einzelne Vorfälle angeknüpft wird. Eine statistische "Gesamtfeststellung" der Täterschaft jedenfalls an einer Teilmenge von aufgezählten Taten ohne Benennung der konkreten Einzeltat(en) wäre nicht nur materiellrechtlich fehlerhaft, sondern verstieße auch gegen die in § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO enthaltenen Regeln für eine rationale Überzeugungsbildung. indes ist das Berufungsgericht so nicht vorgegangen. Vielmehr ergibt sich aus dem Kontext der o.g. Ausführungen seine tatrichterliche Überzeugung, dass die PKK jedenfalls für den Teil der aufgeführten Taten die Verantwortung trägt, zu denen sie sich selbst bekannt hat. Diese Taten ergeben sich aus dem im Berufungsurteil genannten Gutachten des Sachverständigen I. (z.B. die Taten vom 14. Januar 1994, 23. Januar 1994, 24. März 1994, 12. August 1994, 13. Oktober 1994, 17. Dezember 1994, etc.), in dem der Sachverständige die Vorfälle einzeln anführt, zu denen sich die PKK bekannt hat.

6

Die Verfahrensrüge hat auch keinen Erfolg, soweit sich die Beschwerde gegen die Beteiligung des Klägers gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG an den genannten Taten der PKK wendet. Denn bei der Prüfung, ob dem Berufungsgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, ist von dessen materiellrechtlicher Rechtsauffassung auszugehen, auch wenn diese - wofür hier nichts ersichtlich ist - verfehlt sein sollte (Urteil vom 25. März 1987 - BVerwG 6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183). Mit dem Einwand, es fehle "... bereits an einer Identifizierung des geographischen Bereichs, in dem der Kläger Einfluss auf konkrete Straftaten der PKK hätte haben können." (S. 4, 8 der Beschwerdebegründung), verlässt die Beschwerde jedoch den materiellrechtlichen Ansatz der Vorinstanz und stellt diesem ihre eigene Auffassung gegenüber. Das Gleiche gilt für das Postulat eines spezifischen Zusammenhangs zwischen der logistischen Koordination des Klägers und terroristischen Handlungen der PKK (S. 6 der Beschwerdebegründung). Mit dem weiteren Vorbringen wendet sich die Beschwerde gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, ohne insoweit einen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO aufzuzeigen.

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Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.