Entscheidungsdatum: 17.08.2011
1. Der Klägerin zu 1 wird Prozesskostenhilfe bewilligt und ihre Rechtsanwältin beigeordnet, da die Voraussetzungen des § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 und § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO vorliegen. Sie vermag die Kosten der Prozessführung nicht aufzubringen. Demgegenüber kann dem Kläger zu 3 gemäß § 115 Abs. 4 ZPO Prozesskostenhilfe nicht gewährt werden, da die Kosten der Prozessführung vier Monatsraten voraussichtlich nicht übersteigen.
2. Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO gestützte Beschwerde der Beklagten bleibt ohne Erfolg.
a) Dahinstehen kann, ob die Divergenzrüge der Beklagten mit Blick auf die Notwendigkeit einer Gegenüberstellung der (angeblich) voneinander abweichenden Rechtssätze den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entspricht. Denn das Berufungsgericht ist jedenfalls nicht von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Maßstäben des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgewichen, nach denen sich eine zu befürchtende Verschlimmerung der Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers als mögliches Abschiebungshindernis beurteilt. Danach ist die Gefahr, dass sich eine Erkrankung des Ausländers aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmert, in der Regel als individuelle Gefahr einzustufen, die am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfen ist. Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist in diesen Fällen, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (vgl. Urteil vom 17. Oktober 2006 - BVerwG 1 C 18.05 - BVerwGE 127, 33 Rn. 15 m.w.N.). Das Berufungsgericht hat sich dieser Rechtsprechung ausdrücklich angeschlossen und diesen Maßstab auch in der Sache der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegt (UA Rn. 52, 60 ff., 65). Die Annahme der Beschwerde, das Berufungsgericht habe die mangelnde optimale Therapierbarkeit der Krankheit im Herkunftsstaat zur Gewährung subsidiären Schutzes ausreichen lassen, wird dem Berufungsurteil nicht gerecht.
b) Die Rüge, dass dem Berufungsgericht die notwendige Sachkunde für die Feststellung einer Gesundheitsverschlechterung der Kläger in ihrem Heimatland gefehlt habe und das Gericht durch diese Feststellung deshalb § 108 Abs. 1 Satz 1 und § 86 Abs. 1 VwGO verletzt habe, greift im Ergebnis nicht durch. Zwar gibt es für die auch nach Ansicht des Berufungsgerichts hier entscheidungserheblichen medizinischen Fachfragen (Diagnose von Art und Schwere der Erkrankung, Einschätzung des Krankheitsverlaufs bzw. der gesundheitlichen Folgen je nach Behandlungs- sowie Therapiemöglichkeiten im Heimatland) keine eigene, nicht durch entsprechenden medizinischen Sachverstand vermittelte Sachkunde des Richters (Beschluss vom 24. Mai 2006 - BVerwG 1 B 118.05 - NVwZ 2007, 345 = Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 16 m.w.N.). Daher ist der Beschwerde einzuräumen, dass die prognostische Annahme in der angefochtenen Entscheidung, in Anbetracht ihrer akuten Suizidgedanken werde bereits die zwangsweise Zurückführung in die räumliche Nähe zu dem Ort des traumatisierenden Erlebnisses (Tötung des Kindes/Bruders und Schwiegervaters/Großvaters im Rahmen eines Massakers in Anwesenheit der Kläger) zu einer erheblichen Lebens- und Gesundheitsgefährdung der Kläger führen, sich nicht auf ausdrückliche Ausführungen in dem vom Berufungsgericht eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten zu stützen vermag. Denn das Oberverwaltungsgericht hat in dem Beweisbeschluss Sachverständigenbeweis nur zu der Diagnose und der Therapierbarkeit der psychischen Erkrankungen der Kläger erhoben, nicht aber zu dem zu erwartenden Krankheitsverlauf bei Rückkehr bzw. Abschiebung in das Heimatland. Diese von der Beklagten zu Recht als zentrale Frage für das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezeichnete tatrichterliche Prognose beruht aber in dem hier vorliegenden Fall dennoch auf ausreichendem medizinischem Sachverstand. Denn die von der Klägerseite im Verfahren vorgelegten ärztlichen Atteste und klinischen Stellungnahmen, in denen aufgrund längerer Beobachtung und medizinischer Behandlung mehrfach die Wahrscheinlichkeit einer Aktualisierung der Suizidalität der Kläger für den Fall der Abschiebung in das Heimatland attestiert wird, fügen sich bruchlos und widerspruchsfrei in die Feststellungen des Sachverständigengutachtens ein. Sie tragen in der Zusammenschau mit diesem und den in das Verfahren eingeführten Erkenntnissen zur medizinischen Versorgung im Heimatstaat die tatrichterliche Prognose des Berufungsgerichts. Damit hat das Berufungsgericht, das sich in der angefochtenen Entscheidung auch mit den bereits im Vorfeld der Entscheidung erhobenen Einwendungen der Beklagten gegen den Beweiswert des Gutachtens auseinandersetzt, unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles sein tatrichterliches Ermessen, kein (weiteres) Sachverständigengutachten zu der Prognose des Krankheitsverlaufs bei den Klägern nach Abschiebung in das Heimatland einzuholen, im Ergebnis nicht fehlerhaft ausgeübt.