Entscheidungsdatum: 14.03.2012
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 27. Januar 2011 - 8 Sa 2010/10 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass ein Zinsanspruch erst ab dem 1. Dezember 2009 besteht.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Die Parteien streiten über eine tarifliche Sondervergütung für das Jahr 2009.
Der Kläger war aufgrund Arbeitsvertrags vom 13. Februar 1985 zunächst bei der C GmbH & Co. KG beschäftigt. Kraft beiderseitiger Tarifbindung und arbeitsvertraglicher Bezugnahme fand der „Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im Glaserhandwerk in Nordrhein-Westfalen“ vom 10. März 1992 (RTV Glaserhandw NRW 1992) Anwendung. Dieser Tarifvertrag ist zum 31. Januar 2004 gekündigt worden und wirkt seitdem nach.
Der RTV Glaserhandw NRW 1992 lautet auszugsweise:
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„§ 10 |
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Sondervergütung |
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(Zusätzliches Urlaubsgeld und 13. Monatseinkommen) |
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1. |
Arbeitnehmer, die dem Betrieb mindestens 6 Monate angehören, erhalten eine Sondervergütung in Höhe von 178 Tarifstundenlöhnen. |
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Die Sondervergütung beträgt ab |
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01.01.1993 |
182 Tarifstundenlöhne |
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01.01.1994 |
186 Tarifstundenlöhne |
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01.01.1995 |
190 Tarifstundenlöhne. |
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2. |
Die Sondervergütung wird jährlich je zur Hälfte am 31. Mai und 30. November fällig und ist mit der Lohnzahlung für die genannten Monate auszuzahlen. |
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3. |
Arbeitnehmer, die die Anspruchsvoraussetzungen gem. Ziff. 1 erfüllen und aufgrund ordentlicher Kündigung vor dem 30. November aus dem Betrieb ausscheiden, erhalten für jeden Monat des laufenden Kalenderjahres 1/12 der Gesamtvergütung. |
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4. |
Arbeitnehmer, die dem Betrieb mindestens 5 Jahre angehören und im Laufe des Kalenderjahres wegen Erreichung der Altersgrenze oder durch Unfall oder Erkrankung frühzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden, haben für das Jahr ihres Ausscheidens aus dem Betrieb den vollen Anspruch. |
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5. |
Vom Betrieb bereits gewährte Sondervergütung (Gratifikationen, Weihnachtsgeld) können bis zur Höhe der tariflichen Sondervergütung angerechnet werden.“ |
Zum 1. September 1999 ist das Arbeitsverhältnis gemäß § 613a BGB auf die Beklagte übergegangen. Seit dem 3. November 2007 war der Kläger arbeitsunfähig krank.
Im Jahr 2008 zahlte die Beklagte den zweiten Teil der Sondervergütung nach § 10 RTV Glaserhandw NRW 1992 erst nach außergerichtlicher Geltendmachung. Der am 31. Mai 2009 fällige Anteil der Sondervergütung wurde gezahlt, der am 30. November 2009 fällige Anteil hingegen nicht. Mit Schreiben vom 5. Januar 2010 machte der Kläger diesen Anspruch geltend.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, Anspruchsvoraussetzung sei nach der tariflichen Regelung lediglich der Bestand des Arbeitsverhältnisses. Auf Arbeitsfähigkeit oder einen Entgeltfortzahlungsanspruch komme es nicht an.
Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.064,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30. November 2009 zu zahlen. |
Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger gehöre aufgrund seiner Langzeiterkrankung dem Betrieb nicht mehr iSv. § 10 RTV Glaserhandw NRW 1992 an.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin Abweisung der Klage.
Die zulässige Revision ist unbegründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf den zum 30. November 2009 fälligen Teil der Sondervergütung nach § 10 Ziff. 1 und Ziff. 2 RTV Glaserhandw NRW 1992.
I. Der Kläger erfüllt die tariflichen Anspruchsvoraussetzungen. Dass er seit 3. November 2007 arbeitsunfähig krank war, steht dem nicht entgegen. Dies ergibt eine Auslegung des § 10 RTV Glaserhandw NRW 1992.
1. Nach dem Wortlaut der tariflichen Regelung, von dem nach ständiger Rechtsprechung vorrangig auszugehen ist (zB BAG 23. Februar 2011 - 10 AZR 299/10 - Rn. 14, ZTR 2011, 491), ist Anspruchsvoraussetzung für die Sondervergütung nur ein mindestens sechsmonatiger Bestand des Arbeitsverhältnisses zum Fälligkeitszeitpunkt. § 10 Ziff. 1 verlangt, dass die Arbeitnehmer dem Betrieb „angehören“. Ein Arbeitnehmer gehört einem Betrieb an, wenn ein Arbeitsverhältnis zu diesem Arbeitgeber besteht und wenn bei mehreren Betrieben eines Unternehmens eine örtliche Zuordnung zu dieser Betriebsstätte besteht. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger. Weder verlangt § 10 Ziff. 1 darüber hinaus die Erbringung von Arbeitsleistung noch das Bestehen eines Vergütungsanspruchs im Kalenderjahr oder zum Fälligkeitszeitpunkt. Auch die weiteren tariflichen Regelungen geben keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der Sondervergütung oder bei deren im November fälligen Teil ausschließlich um Arbeitsentgelt für erbrachte Arbeitsleistung handelt, die zu einem Wegfall des Anspruchs für Zeiten ohne Entgeltfortzahlung führen würde (vgl. dazu BAG 21. März 2001 - 10 AZR 28/00 - BAGE 97, 211). Allerdings wird der zweite Teil der Sondervergütung im Klammerzusatz der Überschrift des § 10 als „13. Monatseinkommen“ bezeichnet. Dies spricht für einen Entgeltcharakter der Leistung und damit für eine Abhängigkeit von erbrachter Arbeitsleistung. Maßgeblich kommt es jedoch für die Beurteilung nicht auf die Bezeichnung, sondern auf die Anspruchsvoraussetzungen an. Hier sind einerseits Elemente enthalten, die für den Entgeltcharakter sprechen, wie zB die Zwölftelungsregelung in § 10 Ziff. 3; allerdings wird auch insoweit nicht ausdrücklich die Erbringung von Arbeitsleistung oder der Erwerb von Entgeltansprüchen in einem bestimmten Umfang verlangt. Andererseits lösen sich hiervon sowohl die Regelung in § 10 Ziff. 4 als auch der Umstand, dass der Arbeitnehmer, der aufgrund außerordentlicher Kündigung ausscheidet, keine Leistung beanspruchen kann. Nach § 10 Ziff. 4 haben Arbeitnehmer, die dem Betrieb mindestens fünf Jahre angehören und wegen Erreichens der Altersgrenze, durch Unfall oder Erkrankung aus dem Erwerbsleben ausscheiden, einen vollen Anspruch. Insbesondere beim Ausscheiden aus dem Erwerbsleben wegen Unfalls oder aufgrund einer Erkrankung ist typischerweise davon auszugehen, dass längere Zeit keine Arbeitsleistung erbracht wurde. Insoweit enthält die tarifliche Regelung deutliche Elemente, die an die Betriebstreue des Arbeitnehmers anknüpfen. Die Tatbestandsvoraussetzungen einer solchen Leistung mit Mischcharakter und eine eventuelle Kürzungsmöglichkeit wegen Arbeitsunfähigkeitszeiten nach § 4a EFZG (vgl. dazu BAG 25. Juli 2001 - 10 AZR 502/00 - BAGE 98, 245) oder einen Entfall der Leistung bei Fehlzeiten ohne Entgeltanspruch legen die Tarifvertragsparteien selbst fest (BAG 9. August 1995 - 10 AZR 539/94 - BAGE 80, 308; 25. Februar 1998 - 10 AZR 298/97 -; 27. Januar 1999 - 10 AZR 3/98 -). Deutliche Anhaltspunkte dafür, dass im Fall der lang andauernden Erkrankung eine Kürzung vorzunehmen ist oder die Sondervergütung vollständig entfallen soll, enthält § 10 RTV Glaserhandw NRW 1992 nicht.
2. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts lag im Jahr 2009 keine Situation vor, bei der trotz fortbestehendem Arbeitsverhältnis von einer Lockerung der Bindung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Sinne der Entscheidung des Senats vom 10. April 1996 (- 10 AZR 600/95 - AP TVG § 1 Tarifverträge Bergbau Nr. 3 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 142) ausgegangen werden könnte. Der neue Sachvortrag der Beklagten hierzu kann gemäß § 559 ZPO im Revisionsverfahren keine Berücksichtigung mehr finden. Im Übrigen ergäbe sich im Fall eines frühzeitigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben wegen einer Erkrankung ein Anspruch des Klägers auf die volle Sondervergütung aufgrund seiner mehr als fünfjährigen Betriebszugehörigkeit unmittelbar aus § 10 Ziff. 4 RTV Glaserhandw NRW 1992.
II. Die Höhe der Forderung ist zwischen den Parteien unstreitig. Die tarifliche Ausschlussfrist hat der Kläger durch seine Geltendmachung vom 5. Januar 2010 eingehalten; ihr diesbezügliches Bestreiten hat die Beklagte im Laufe des Revisionsverfahrens ausdrücklich aufgegeben.
Ein Zinsanspruch besteht gemäß § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB erst ab dem auf die Fälligkeit folgenden Kalendertag, also ab dem 1. Dezember 2009.
III. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
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Mikosch |
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W. Reinfelder |
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Mestwerdt |
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W. Guthier |
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Petri |