Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 21.07.2010


BVerwG 21.07.2010 - 1 WB 68/09

Weiterverwendung eines Soldaten in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit; strafrechtliche Verurteilung wegen Urkundenfälschung


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
1. Wehrdienstsenat
Entscheidungsdatum:
21.07.2010
Aktenzeichen:
1 WB 68/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Zur sicherheitsrechtlichen Bewertung der Weiterverwendung eines Soldaten in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit nach dessen strafrechtlicher Verurteilung wegen Urkundenfälschung.

Tatbestand

Der Antragsteller wendet sich gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos in seiner erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) durch den Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung. Er wurde rechtskräftig wegen Urkundenfälschung verurteilt, anschließend jedoch nicht disziplinarrechtlich gemaßregelt und in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit weiter verwendet.

Sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

...

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Maßgeblich für die gerichtliche Kontrolle des angefochtenen Bescheides ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Vorlage des Verfahrens durch den Bundesminister der Verteidigung an den Senat (stRspr, Beschlüsse vom 27. September 2007 - BVerwG 1 WDS-VR 7.07 - Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 13, vom 13. November 2009 - BVerwG 1 WDS-VR 6.09 -, vom 15. Dezember 2009 - BVerwG 1 WB 58.09 - und vom 11. März 2008 - BVerwG 1 WB 37.07 - BVerwGE 130, 291 <292 f.> = Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 14 jeweils m.w.N.). Bis zu diesem Zeitpunkt - und damit auch im Vorlageschreiben selbst - können weitere tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Sicherheitsrisikos oder neue Sachverhaltsaspekte und die insoweit zu treffende Prognose des künftigen Verhaltens des betroffenen Soldaten zur Ergänzung der angefochtenen Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten in das Verfahren eingeführt werden. Eine solche Ergänzung bedarf allerdings der Zustimmung des Geheimschutzbeauftragten nach dessen neuerlicher Beurteilung des Sachverhalts. Das kann unter anderem dadurch gewährleistet werden, dass der Geheimschutzbeauftragte die Vorlage des Bundesministers der Verteidigung an den Senat im Entwurf mitzeichnet (vgl. dazu im Einzelnen: Beschluss vom 11. März 2008 a.a.O.). ...

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Dem Geheimschutzbeauftragten steht bei der ihm obliegenden Entscheidung ein Beurteilungsspielraum zu. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob der Geheimschutzbeauftragte von einem richtigen Sachverhalt ausgegangen ist, den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, nicht verkannt, allgemein gültige Wertmaßstäbe beachtet, keine sachfremden Erwägungen angestellt und nicht gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (vgl. Beschlüsse vom 18. August 2004 - BVerwG 1 WB 37.04 - § 5 SÜG Nr. 18 m.w.N.> und vom 22. Juli 2009 - BVerwG 1 WB 53.08 -).

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Die Feststellung des - hier zuständigen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG i.V.m. Nr. 2416 ZDv 2/30 Teil C) - Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung, dass in der Person des Antragstellers ein Sicherheitsrisiko vorliegt, hält diese Grenzen des Beurteilungsspielraums ein.

26

Der Geheimschutzbeauftragte ist nicht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgegangen.

27

Bei der Sachverhaltserfassung hat er die genannte strafrechtliche Verfehlung des Antragstellers, außerdem dessen positive Beurteilung durch seinen Vorgesetzten und die beanstandungsfreie dienstliche Tätigkeit seit dem Vorfall berücksichtigt. Ferner hat er - wie aus Seite 6 der von ihm mitgezeichneten Vorlage des Bundesministers der Verteidigung hervorgeht - die Tätigkeit des Antragstellers beim Heeresführungskommando - Dezernat Truppenpsychologie -, seine Ausbildungstätigkeit bei der chilenischen Armee sowie seine vorläufige Weiterverwendung in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit in seine sicherheitsrechtliche Beurteilung einbezogen. ...

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Bei der sicherheitsmäßigen Beurteilung der vom Antragsteller begangenen Straftat hat der Geheimschutzbeauftragte die Grenzen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums nicht überschritten. Ohne Rechtsfehler hat er das Verhalten des Antragstellers als ein ernstzunehmendes Fehlverhalten gewertet, das Zweifel an dessen Zuverlässigkeit im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG in Verbindung mit Nr. 2414 Satz 1 Nr. 1 ZDv 2/30 Teil C begründet. Urkundenfälschung im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB stellt ein schwerwiegendes kriminelles Unrecht dar (Urteil vom 28. November 2007 - BVerwG 2 WD 28.06 - Buchholz 450.2 § 124 WDO 2002 Nr. 1). Auch eine lediglich einmalige Urkundenfälschung im außerdienstlichen Bereich oder eine einmalige außerdienstliche Verwendung einer zuvor gefälschten Urkunde im Rechtsverkehr dokumentiert ein nicht geringes Maß an krimineller Energie und lässt Rückschlüsse auf gravierende Charaktermängel des Täters zu (Urteile vom 27. Juni 1990 - BVerwG 2 WD 44.89 - BVerwGE 86, 293 und vom 25. Januar 2006 - BVerwG 2 WD 1.05 -). Mit der Bewertung der Urkundenfälschung als erhebliches Indiz für mangelnde Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit des Antragstellers auch und insbesondere beim Umgang mit Verschlusssachen hat der Geheimschutzbeauftragte den gesetzlichen Begriff der "Zuverlässigkeit" nicht verkannt oder fehlerhaft gewichtet. Denn für einen mit Verschlusssachen betrauten Soldaten müssen Urkunden in ihrer körperlichen Gestalt absolut unantastbar sein; dieser Soldat darf im Umgang mit Urkunden keinen Zweifeln hinsichtlich seiner persönlichen Integrität und Aufrichtigkeit unterliegen. Insofern hat ein Urkundsdelikt gerade für die sicherheitsrechtliche Beurteilung ganz besondere Bedeutung.

31

Nicht zu beanstanden ist ferner die vor diesem Hintergrund vom Geheimschutzbeauftragten getroffene Prognose der künftigen Entwicklung der Persönlichkeit des Antragstellers und seiner Verhältnisse (zu den Voraussetzungen der Prognose vgl. Beschlüsse vom 8. März 2007 - BVerwG 1 WB 63.06 -, vom 27. September 2007 a.a.O. und vom 20. Januar 2009 - BVerwG 1 WB 22.08 -). Der Geheimschutzbeauftragte hat im einzelnen dargelegt, dass die strafrechtliche Verfehlung des Antragstellers - auch in Abwägung mit den für ihn sprechenden Umständen und der Äußerung seines Disziplinarvorgesetzten - noch nicht die bestehenden Zweifel an seiner Zuverlässigkeit habe ausräumen können. Dabei hat der Geheimschutzbeauftragte einen gewissen Zeitraum der Bewährung für erforderlich gehalten, aus dem sich ergeben soll, dass der Antragsteller die Rechtsordnung achtet und Verantwortungsbewusstsein zeigt. Diese prognostische Bewertung begründet keine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips als eines allgemeinen Wertmaßstabs; vielmehr darf einem Betroffenen noch über längere Zeit eine Bewährung abverlangt werden, die belegt, dass die von ihm geltend gemachte Verhaltensänderung eine nachhaltige Bestätigung finden und von Bestand sein wird (vgl. Beschlüsse vom 20. Januar 2009 - BVerwG 1 WB 22.08 - und vom 17. Februar 2009 - BVerwG 1 WB 64.08 -). ...

33

Der Umstand, dass ein Betroffener nach dem sicherheitsrechtlich beanstandeten Vorfall weiter in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit verwendet worden ist, muss nach der Rechtsprechung des Senats sowohl in die Sachverhaltserfassung als auch in die prognostische Einschätzung der Persönlichkeit des Betroffenen einfließen (Beschlüsse vom 13. November 2009 - BVerwG 1 WDS-VR 6.09 - und vom 15. Dezember 2009 - BVerwG 1 WB 58.09 -). Die Weiterverwendung des Antragstellers in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit bis zur Feststellung eines Sicherheitsrisikos ist hier als Tatsache berücksichtigt und bei der Prognose gewürdigt worden. Dazu hat der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - in der vom Geheimschutzbeauftragten mitgezeichneten Vorlage an den Senat ausgeführt, dass eine sofortige Ablösung des betroffenen Soldaten aus sicherheitsempfindlicher Tätigkeit unmittelbar nach Bekanntwerden eines sicherheitserheblichen Umstandes zur Folge habe, dass vor dem Entstehen einer ausreichenden Entscheidungsgrundlage Fakten geschaffen würden, die zum Nachteil des Einzelnen wirken könnten; unter dem Aspekt der Fürsorge sei es vielmehr angemessen, die Entscheidung über die Feststellung eines Sicherheitsrisikos auf einer gefestigten Erkenntnisgrundlage zu treffen. Diese Ausführungen tragen einerseits dem Umstand Rechnung, dass der Geheimschutzbeauftragte gegenüber dem betroffenen Soldaten keine originäre Kompetenz für eine Verwendungsänderung besitzt. Sie stehen andererseits im Ergebnis im Einklang mit der Erwägung, dass der vorläufige Verbleib des Betroffenen in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit vom Geheimschutzbeauftragten im Einzelfall dazu genutzt werden kann, die - einsetzende - Bewährung dieses Betroffenen als wesentlichen Aspekt für die Anordnung einer verkürzten Geltungsdauer der Feststellung eines Sicherheitsrisikos zu würdigen. Genau das ist im vorliegenden Verfahren geschehen. Nach Darstellung des Bundesministers der Verteidigung hat der Disziplinarvorgesetzte des Antragstellers von einer disziplinaren Ahndung des Urkundendelikts abgesehen. Mit der zeitlichen Geltungsbeschränkung der Feststellung eines Sicherheitsrisikos bis zum 31. Mai 2011 hat der Geheimschutzbeauftragte im Sinne einer deutlichen Verkürzung der regelmäßigen Frist von fünf Jahren (Nr. 2710 Abs. 2 Satz 1 ZDv 2/30 Teil C) die nicht strittige Bewährung des Antragstellers in seine Prognose einbezogen, zugleich aber auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen und die für den Antragsteller sprechenden Gesichtspunkte individuell gewürdigt.