Entscheidungsdatum: 07.06.2017
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München I vom 22. Juli 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts München I zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat die Anordnung der Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, welche Erfolg hat.
I.
Die Beschuldigte, welche an einer erstmals 1998 diagnostizierten paranoiden Schizophrenie leidet, benutzte am 21. Juni 2015 die S-Bahn in M. und ging aufgrund einer wahnhaften Vorstellung davon aus, dass sich in der S-Bahn nur Personen vom Film befinden würden und sie, welche gerne Schauspielerin wäre, nun eine Rolle spielen müsse, um den in der S-Bahn vermuteten Regisseur von ihren schauspielerischen Fähigkeiten zu überzeugen und dadurch eine Filmrolle zu erhalten. In dieser Vorstellung entschloss sie sich zur Darstellung einer Bedrohung und begab sich zu der Geschädigten S. , welche mit ihren Arbeitskollegen die S-Bahn ebenfalls benutzte, mit einem Einhandmesser, welches die Beschuldigte in ihrer Handtasche mitgeführt und nun bereits in ihre Jackentasche gesteckt hatte. Mit dem Messer in der Hand trat sie an die Geschädigte heran und hielt ihr die 8 cm lange Klinge in einem Abstand von ein bis zwei Zentimetern an den Hals und äußerte: „Jetzt bist du dran“. Es kam daraufhin zu einem Gerangel, wobei die Geschädigte versuchte, den Arm mit dem Messer wegzudrücken, während die Beschuldigte das Messer mindestens viermal zum Hals der Geschädigten führte. Erst durch das Eingreifen eines anderen Fahrgastes, welcher allerdings ebenfalls in der Gefahr stand, von der Klinge getroffen zu werden, gelang es, der Beschuldigen das Messer wegzunehmen und diese auf einer Sitzbank so lange zu fixieren, bis die Polizei eintraf.
II.
Das Landgericht hat, sachverständig beraten, festgestellt, dass die Beschuldigte zum Zeitpunkt der Tatbegehung im Zustand der Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB gehandelt hat.
Von der Anordnung der Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hat die Strafkammer abgesehen, weil sie „keine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür“ gesehen hat, dass die Beschuldigte infolge ihrer Erkrankung weitere erhebliche Straftaten begehen wird und daher für die Allgemeinheit gefährlich ist (UA S. 18).
Demgegenüber kam die von der Strafkammer beigezogene psychiatrische Sachverständige K. zum Ergebnis, dass von der Beschuldigten im nicht behandelten oder nicht ausreichend behandelten Zustand aus medizinischer Sicht weitere erhebliche, der Anlasstat entsprechende Aggressionstaten zu erwarten seien (UA S. 23 f.).
III.
1. Bei den Ausführungen zur Gefährlichkeitsprognose hat sich die Strafkammer nicht rechtsfehlerfrei mit den Ausführungen der Sachverständigen K. auseinandergesetzt, der sie zwar „in medizinischer Hinsicht“ gefolgt war, jedoch hinsichtlich der Gefährlichkeit der Beschuldigten Zweifel nicht überwinden konnte (UA S. 24 f.).
Zwar ist der Tatrichter nicht gehalten, einem Sachverständigen zu folgen. Kommt er aber zu einem anderen Ergebnis, muss er sich konkret mit den Ausführungen des Sachverständigen auseinandersetzen. Der Tatrichter muss, sofern er in einer schwierigen Frage den Rat eines Sachverständigen in Anspruch genommen hat und diese Frage dann im Widerspruch zu dem Gutachten lösen will, die Darlegungen im Einzelnen wiedergeben, insbesondere dessen Stellungnahme zu den Gesichtspunkten, auf welche der Tatrichter seine abweichende Auffassung stützt (BGH, Urteil vom 12. Juni 2001 - 1 StR 190/01; Beschlüsse vom 20. Juni 2000 - 5 StR 173/00, NStZ 2000, 550 und vom 19. Juni 2012 - 5 StR 181/12, NStZ 2013, 55).
2. Vorliegend hat die Strafkammer ihre Prognose, wonach von der Beschuldigten keine akute Fremdgefährdung ausgehe, auf den derzeitigen psychischen Zustand der Beschuldigten, deren vorbildliche Krankheitseinsicht und den bisher straffreien Lebensweg gestützt, außerdem darauf, dass die Beschuldigte der Hauptverhandlung stets konzentriert gefolgt sei, Kontakt gehalten, adäquat reagiert und immer wieder unter Beweis gestellt habe, „dass ihre Krankheitseinsicht nicht nur Fassade ist“ (UA S. 24 f.).
Insoweit hat sich das Landgericht gerade aber nicht mit den Feststellungen der Sachverständigen auseinander gesetzt, wonach die Beschuldigte zwar theoretisch wisse, dass sie krank sei, es aber an einer realistischen Einschätzung fehle und ein konkreter Umgang mit der Erkrankung nicht vorhanden sei (UA S. 23). Zudem könne die aktuelle Medikation der Beschuldigten auf Dauer nicht beibehalten werden, zumal in der Vergangenheit bereits mehrfach zusätzliche Neuroleptika zur Unterstützung der Medikation erforderlich gewesen seien. Dies hätte der Tatrichter aber berücksichtigen müssen, wenn er sich bei seiner Prognose vor allem auch auf das Verhalten der Beschuldigten in der Hauptverhandlung stützt, zu welcher sie noch vorläufig untergebracht und dabei unter Aufsicht medikamentiert war.
3. Außerdem hat sich das Landgericht mit den Aussagen der sachverständigen Zeugin und betreuenden Psychologin R. , wonach es schwierig gewesen sei, die Beschuldigte in die Patientengemeinschaft zu integrieren und die Medikation zunächst problematisch und es bis zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung nicht möglich gewesen sei, die Beschuldigte auf ein Depotpräparat einzustellen (UA S. 19 f.), ebenso wenig auseinandergesetzt wie mit den Aussagen des sachverständigen Zeugen und behandelnden Arztes A. . Dieser hatte angegeben, dass die Einstellung auf eine Depotmedikation erst erfolgen könne, wenn zuvor eine Umstellung auf ein solches Mono-Präparat und die erforderliche Dosis gefunden sei; zudem sei die medikamentöse Einstellung noch nicht optimiert (vgl. UA S. 21).
Vor allem aber hat die Strafkammer bei ihrer Prognoseentscheidung nicht berücksichtigt, dass es nach dessen Aussage bei der Beschuldigten während der Unterbringung zu fremdaggressiven Verhaltensweisen gekommen ist und sie nach den Pflegekräften auch geschlagen und getreten hat (UA S. 21).
4. Der neue Tatrichter wird die Gefährlichkeitsprognose auf den Zeitpunkt der neuen Entscheidung unter Berücksichtigung des aktuellen Behandlungszustandes zu beziehen haben. Sollte danach das Landgericht die Voraussetzungen der Anordnung der Unterbringung bejahen, wird der neue Tatrichter in den Blick zu nehmen haben, dass die Anordnung der Unterbringung, ggfs. mit geeigneten Weisungen, auch zur Bewährung ausgesetzt werden kann, was zu einer ordnungsgemäßen Medikamentierung der Beschuldigten während dieser Zeit beitragen kann.
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