Entscheidungsdatum: 11.01.2018
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 4. Juli 2017 - soweit es den Angeklagten O. betrifft - mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine Revision hat mit der Verfahrensrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
1. Der Angeklagte macht zu Recht einen Verfahrensfehler beim Zustandekommen der Verständigung durch Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO geltend. Dies führt - soweit es ihn betrifft - zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den zugrundeliegenden Feststellungen.
a) Die Revision rügt die Verletzung der Mitteilungs- und Dokumentationspflicht gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO i.V.m. § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO. Der Vorsitzende der Strafkammer habe über den Inhalt des am ersten Hauptverhandlungstag geführten Verständigungsgesprächs nur unvollständig berichtet und die Mitteilung über dieses Gespräch entsprechend unvollständig in das Protokoll aufgenommen.
Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:
Die Verteidigung des Angeklagten O. regte nach Verlesung des Anklagesatzes nach der Feststellung der Strafkammer, dass es keine Verständigungsgespräche gegeben habe, und nach Belehrung aller Angeklagten ein Rechtsgespräch an. Die Sitzung wurde unterbrochen. Im Beratungszimmer der Strafkammer fand ein Rechtsgespräch bezüglich des Angeklagten O. mit dem Gegenstand einer möglichen Verständigung statt. Die Verteidigung des Angeklagten O. regte für den Fall eines vollen Geständnisses des Angeklagten eine Strafe zwischen zwei Jahren und sechs Monaten und drei Jahren und sechs Monaten an. Die Staatsanwaltschaft begehrte eine Freiheitsstrafe von über vier Jahren. Die Verteidigung entgegnete, eine Verständigung sei bei Zusicherung einer Strafobergrenze von vier Jahren noch vorstellbar. Das Gespräch endete infolge der unterschiedlichen Vorstellungen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung über das Strafmaß ohne Ergebnis. Der Vorsitzende billigte der Verteidigung zu, den Angeklagten O. vor Fortsetzung der Hauptverhandlung über Inhalt und Verlauf des Gesprächs zu unterrichten.
Nach Fortsetzung der Hauptverhandlung berichtete der Vorsitzende in öffentlicher Hauptverhandlung über den Inhalt des Verständigungsgesprächs und nahm folgende Mitteilung in das Protokoll auf:
„Der Vorsitzende gab bekannt, dass in der Sitzungspause ein Rechtsgespräch bezüglich des Angeklagten stattfand. Eine Verständigung konnte infolge unterschiedlicher Ahndungsvorstellungen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung nicht erzielt werden. Das Rechtsgespräch betraf nur den Angeklagten O. , teilgenommen haben sämtliche Verfahrensbeteiligte.“
Die protokollierte Mitteilung gab die mündlichen Ausführungen des Vorsitzenden zutreffend wieder.
Der Angeklagte O. räumte sodann über eine Erklärung seines Verteidigers die Tat in objektiver und subjektiver Hinsicht ein und bestätigte persönlich die Erklärung seines Verteidigers.
b) Die Rüge einer Verletzung von § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO ist entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts zulässig erhoben. Der Generalbundesanwalt meint, die Rüge sei deshalb unzulässig, weil nach dem Revisionsvorbringen und dem mitgeteilten Protokoll der Hauptverhandlung „sämtliche Verfahrensbeteiligte“, damit auch der Angeklagte, an der Erörterung beteiligt gewesen seien. Aus dem Vorbringen der Revision ergibt sich jedoch hinreichend deutlich, dass das Rechtsgespräch im Beratungszimmer in Abwesenheit des Revisionsführers (und auch der anderen Angeklagten) geführt worden sind.
c) Die Verfahrensrüge ist begründet. Das Landgericht hat seine Informationspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO verletzt.
aa) Allerdings liegt, soweit die Revision auch eine Verletzung der Protokollierungspflicht aus § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO i.V.m. § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO rügt, kein Rechtsfehler vor. Nach § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO muss das Protokoll u.a. die Beachtung der in § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO vorgeschriebenen Mitteilungen wiedergeben. Wird entgegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO eine Erörterung nicht vollständig bekannt gemacht und damit die Informationspflicht nicht beachtet, ergibt sich aus der Wiedergabe der unvollständigen Mitteilung im Protokoll kein zusätzlicher Rechtsfehler; vielmehr gibt dieses den Gang der Hauptverhandlung gerade zutreffend wieder (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Juli 2016 - 1 StR 315/15, StraFo 2016, 470; vom 29. April 2015 - 1 StR 235/14, NStZ-RR 2015, 278 Rn. 20; vom 15. Januar 2015 - 1 StR 315/14, NStZ-RR 2015, 223 mwN Rn. 12, insoweit in BGHSt 60, 150 nicht abgedruckt und vom 15. April 2014 - 3 StR 89/14, NStZ 2014, 418).
bb) Verletzt ist aber § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO.
Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO teilt der Vorsitzende des Gerichts mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben. Die Pflicht zur Mitteilung der mit dem Ziel einer Verständigung über den Verfahrensausgang geführten Gespräche erstreckt sich deshalb auch auf die Darlegung, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde, welche Standpunkte gegebenenfalls vertreten wurden und auf welche Resonanz dies bei den anderen am Gespräch Beteiligten jeweils gestoßen ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10, BVerfGE 133, 168, 215 f.; BGH, Beschluss vom 15. Januar 2015 - 1 StR 315/14, BGHSt 60, 150, 152; Urteil vom 5. Juni 2014 - 2 StR 381/13, NStZ 2014, 601, 602; Beschlüsse vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 287/10, StV 2011, 72, 73; vom 3. Dezember 2013 - 2 StR 410/13, NStZ 2014, 219 und vom 9. April 2014 - 1 StR 612/13, NStZ 2014, 416, 417). Dementsprechend hat der Vorsitzende Verlauf und Inhalt der Gespräche in das Protokoll der Hauptverhandlung aufzunehmen.
Diesen Anforderungen genügt die im vorliegenden Fall erfolgte Mitteilung über das während einer Unterbrechung der Hauptverhandlung mit dem Ziel einer Verständigung geführte Gespräch nicht, weil der Vorsitzende lediglich dessen Ergebnis mitgeteilt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Januar 2016 - 1 StR 630/15 und vom 25. Februar 2015 - 4 StR 470/14, NStZ 2015, 353, 354). Es blieb offen, welche Standpunkte von den Teilnehmern des Gesprächs, insbesondere von der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft, vertreten wurden, und ob sich die Strafkammer hierzu geäußert hat.
cc) Anders als der Generalbundesanwalt kann der Senat unter den gegebenen Umständen nicht ausschließen, dass das Urteil auf diesem Rechtsverstoß beruht.
Bei Verstößen gegen die Mitteilungspflichten aus § 243 Abs. 4 StPO ist regelmäßig davon auszugehen, dass das Urteil darauf beruht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Januar 2015 - 2 BvR 878/14, NStZ 2015, 170, 172 mwN). Das Urteil beruht auf der Verletzung der Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 StPO, wenn sich nicht ausschließen lässt, dass das Gericht bei gesetzmäßigem Vorgehen infolge eines anderen Prozessverlaufs zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
Zwar war der Angeklagte bereits im Ermittlungsverfahren geständig, weil er nach seiner vorläufigen Festnahme in München am Festnahmeort nach Belehrung angegeben hatte, die 40 kg Marihuana mit dem Lkw in Italien übernommen und nach Deutschland eingeführt zu haben. Sodann hat er den Tatvorwurf auch ohne die Absicherung durch eine Verständigung in der Hauptverhandlung gestanden. Allerdings waren ihm aufgrund der unvollständigen Mitteilung des Vorsitzenden über das Verständigungsgespräch die unterschiedlichen Strafmaßvorstellungen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung und ggf. der Standpunkt der Strafkammer hierzu nicht bekannt. Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich der Angeklagte bei einer ordnungsgemäßen Information zu einem anderen Verteidigungsverhalten entschlossen hätte und deshalb andere, für ihn günstigere Feststellungen, hätten getroffen werden können.
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