Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 03.11.2010


BGH 03.11.2010 - 1 StR 500/10

Befangenheitsbesorgnis: Verwendung des Begriffs "Aufmandeln" gegenüber dem Verteidiger des Angeklagten durch den vorsitzenden Richter - Besorgnis der Befangenheit


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsdatum:
03.11.2010
Aktenzeichen:
1 StR 500/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Kempten, 20. Mai 2010, Az: 1 KLs 327 Js 6100/09, Urteil
Zitierte Gesetze

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allg.) vom 20. Mai 2010 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Ergänzend bemerkt der Senat zur Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 3 StPO:

Der Angeklagte stellte durch seinen damaligen Verteidiger einen Antrag auf Ablehnung des Vorsitzenden der erkennenden Strafkammer wegen Besorgnis der Befangenheit.

Dem Befangenheitsantrag lag Folgendes zugrunde:

Am 2. Verhandlungstag wurde ein Ermittlungsbeamter als Zeuge gehört. Während dessen Vernehmung unterband der Vorsitzende die Beantwortung einer Frage des Verteidigers unter Hinweis auf die eingeschränkte Aussagegenehmigung des Zeugen. Er verlas dazu das entsprechende Schreiben des Polizeipräsidenten. Dieses war dem Landgericht am Tag zuvor um 15.31 Uhr per Fax zugegangen. Der Verteidiger des Angeklagten forderte die Übergabe einer Kopie. Der Vorsitzende lehnte dies ab. Stattdessen wurde dem Verteidiger das (Original-)Fax zur Einsichtnahme übergeben (mit der Bitte um Rückgabe in angemessener Zeit - so die dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden). Der Verteidiger bestand gleichwohl auf der Aushändigung einer Kopie.

Im Rahmen dieser Auseinandersetzung über die Forderung nach der sofortigen Übergabe einer Kopie äußerte der Vorsitzende: „Jetzt mandeln Sie sich schon wieder auf. Sie kriegen jetzt keine Kopie“ (so in der Revisionsbegründung) oder „er - der Verteidiger - solle sich nicht so aufmandeln“ (so in der dienstlichen Stellungnahme des Strafkammervorsitzenden).

Die Vernehmung des Zeugen wurde zunächst fortgesetzt, später kurz zur Fertigung von Kopien des Schreibens über die Beschränkung der Aussagegenehmigung unterbrochen. Die Ablichtungen wurden dann dem Verteidiger des Beschwerdeführers sowie der Verteidigerin bzw. dem Verteidiger der beiden Mitangeklagten und der Vertreterin der Staatsanwaltschaft übergeben.

Der Befangenheitsantrag wurde durch Beschluss der Strafkammer (in der Besetzung gemäß § 27 Abs. 1 und 2 StPO) als unbegründet zurückgewiesen.

Die Revision trägt vor, dieser Zurückweisungsbeschluss sei unter Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und schon deshalb fehlerhaft gefasst worden. Außerdem sei der Befangenheitsantrag auch in der Sache zu Unrecht verworfen worden.

Auch insoweit bleibt der Revision - entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts - der Erfolg versagt.

1. Zum Vorwurf der Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs:

Die Strafkammer habe - so der Beschwerdeführer - bei der Ablehnung des Befangenheitsantrags überraschend Tatsachen zugrunde gelegt, zu denen kein Gehör gewährt worden sei, nämlich hinsichtlich vermeintlicher Spannungen während der Hauptverhandlung, deren Ursache einseitig beim Verteidiger gesehen worden sei.

Dazu führte die Strafkammer im Zurückweisungsbeschluss aus:

„Wie der Berichterstatter der Kammer mitteilte, war das Verhalten des Verteidigers bisher dadurch gekennzeichnet, dass er mit der Verhandlungsführung des Vorsitzenden nicht einverstanden war, diesem mehrfach ins Wort fiel und dies auch trotz mehrmaligen Bittens des Vorsitzenden nicht unterließ, wodurch sich naturgemäß eine angespannte Atmosphäre aufbaute…..

Vor dem Hintergrund, dass auch sein Verteidiger nicht gerade höflich mit Prozessbeteiligten umgeht, stellt die schroffe Zurückweisung dieses Ansinnens [Fertigung und Übergabe einer Kopie des Schreibens des Polizeipräsidenten] daher keinen Ablehnungsgrund dar. So sagte dieser zur Staatsanwältin bereits am ersten Verhandlungstag‚ sie solle doch nicht dümmer tun, als sie tatsächlich sei‘. Wer derart austeilt, darf sich aber nicht wundern, wenn er selbst nicht mit Samthandschuhen angefasst wird.“

Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor.

Das Gesetz sieht für das Verfahren zur Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch lediglich die Herbeiführung einer dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters vor (§ 26 Abs. 3 StPO), die zur Gewährung des rechtlichen Gehörs dem Antragsteller mitzuteilen ist. Eine förmliche Beweisaufnahme über das Ablehnungsvorbringen findet hingegen nicht statt. Es ist vielmehr dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts überlassen, mit welchen Mitteln es sich Kenntnis von dem Bestehen oder Nichtbestehen der maßgeblichen Tatsachen verschaffen will. Haben sich die Tatsachen vor demselben Gericht ereignet, so kann dieses auf Grund eigener Wahrnehmungen ohne weiteres die Entscheidung treffen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2006 - 1 StR 382/06 mwN). So war es im vorliegenden Fall, da der Berichterstatter als Mitglied der Strafkammer den fraglichen Vorgang miterlebt hatte.

In der Sache widerspricht der Beschwerdeführer in der Revisionsbegründung der Schilderung des Prozessverhaltens des damaligen Verteidigers im Beschluss der Strafkammer über die Ablehnung des Befangenheitsantrags nicht, insbesondere nicht hinsichtlich der Eingriffe des Verteidigers in die allein dem Vorsitzenden obliegenden Leitung der Verhandlung (§ 238 Abs. 1 StPO) und zu der zumindest unsachlichen Äußerung gegenüber der Staatsanwältin. Der Senat kann folglich davon ausgehen, dass die Ausführungen der Strafkammer im Ablehnungsbeschluss insoweit zutreffen. Zwar trat in der Instanz ein anderer Verteidiger auf als derjenige, der die Revision begründete. Dies ist jedoch ohne Belang, da der Revisionsverteidiger verpflichtet ist, sich bei seinem - insoweit auskunftspflichtigen - Kollegen über alle wesentlichen Vorgänge in der Hauptverhandlung zu erkundigen, um die Revision ordnungsgemäß begründen zu können. Dass dies im vorliegenden Fall nicht möglich gewesen wäre, wird nicht vorgetragen und ist auch sonst nicht ersichtlich.

Der damalige Verteidiger erlebte die Hauptverhandlung selbst mit. Er beeinflusste sie hinsichtlich des Verhandlungsstils maßgeblich. Es konnte ihn somit nicht überraschen, dass die Strafkammer sein Auftreten bei der Bescheidung des Ablehnungsgesuchs berücksichtigte. Dies lag hier auf der Hand.

2. Zum Vorwurf der Befangenheit:

Den auf die eingangs geschilderten Vorgänge gestützten Befangenheitsantrag hat die Strafkammer zu Recht als unbegründet zurückgewiesen.

a) Ein Anspruch auf sofortige Aushändigung einer Kopie des Schreibens des Polizeipräsidenten über die Beschränkung der Aussagegenehmigung des Ermittlungsbeamten bestand nicht. Ein Verteidiger hat grundsätzlich keinen Anspruch auf Übergabe von Kopien der Ermittlungs- und Gerichtsakten. Er kann sie sich bei Akteneinsichtnahme selbst fertigen. Gleichwohl wird sinnvoller Weise häufig anders verfahren, wenn dies aus Gründen der Fairness, der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung angezeigt erscheint; so dann ja auch im vorliegenden Fall noch während der Vernehmung des Zeugen. Zwingend war dies hier nicht. Das - im Text - zweiseitige und bei mündlichem Vortrag ohne weiteres verständliche Schreiben des Polizeipräsidenten wurde zur Information der Verfahrensbeteiligten vom Vorsitzenden vorgelesen. Dem damaligen Verteidiger des Beschwerdeführers wurde das Fax zur Einsichtnahme übergeben. Es ist nicht ersichtlich, weshalb der Angeklagte oder sein Verteidiger dann noch in ihren Verteidigungsrechten beschnitten gewesen sein könnten oder ein entsprechender Eindruck beim Angeklagten hätte entstehen können.

b) Die Verwendung des Begriffs „aufmandeln“ seitens des Vorsitzenden der Strafkammer (beim Landgericht Kempten) gegenüber dem Verteidiger des Angeklagten vermag hier den Eindruck der Befangenheit nicht zu begründen. Dieser Begriff wird im bayerischen Sprachraum häufig gebraucht. Er ist abgeleitet von der bayerischen Verkleinerungsform für Mann (Mandl). „Mandeln Sie sich nicht so auf“ beinhaltet zwar eine gewisse Kritik (etwa: spielen Sie sich doch nicht so auf). Gerade durch die Verwendung der lokalen Sprachform wird dem Vorwurf aber die Schärfe genommen. Dementsprechend erklärte auch der Vorsitzende in seiner dienstlichen Stellungnahme, er habe mit der „Verwendung des freundlich bleibenden und hier nicht ungebräuchlichen Ausdrucks“ nur weiteres „unnötiges Insistieren“ verhindern wollen. Diese Erläuterung in der dienstlichen Erklärung ist für sich schon geeignet, ursprüngliches Misstrauen zu beseitigen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2002 - 1 StR 557/01). Im Übrigen kann der tadelnde Hinweis „nun mandeln Sie sich doch nicht so auf“ oder „jetzt mandeln Sie sich schon wieder auf“ vor dem Hintergrund des von der Strafkammer in ihrem Beschluss über die Zurückweisung des Befangenheitsantrags geschilderten Prozessverhaltens des Verteidigers nur als eine auf bayerisch eher zurückhaltend formulierte Bitte um Respektierung des Rechts und der Pflicht des Strafkammervorsitzenden, die Verhandlung zu leiten (§ 238 Abs. 1 StPO), sowie um Wahrung des - auch standesrechtlich geforderten (§ 43a BRAO) - Gebots der Sachlichkeit verstanden werden.

Nack                                       Wahl                                 Rothfuß

                Hebenstreit                                 Sander