Entscheidungsdatum: 08.11.2018
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 9. Mai 2018 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und unerlaubtem Führen eines verbotenen Gegenstands, gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Führen eines verbotenen Gegenstands, wegen vorsätzlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung, Diebstahls und Unterschlagung sowie unerlaubten Führens verbotener Gegenstände zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Die gegen das Urteil mit der allgemeinen Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hat zum Rechtsfolgenausspruch Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Ablehnung einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts zum Tatgeschehen gemäß Ziffer 1 der Urteilsgründe traf sich der zur Tatzeit jugendliche Angeklagte, der seit seinem 16. Geburtstag regelmäßig Alkohol zu sich nahm – zuletzt täglich bis zu sechs Flaschen Bier, gelegentlich aber auch Whisky – und etwa zwei- bis viermal pro Woche Speed konsumierte, am Abend des 31. Oktober 2017 mit anderen Jugendlichen und konsumierte mit diesen nicht unerhebliche Mengen an Bier. Nachdem es bereits kurz nach Eintreffen des Angeklagten zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen diesem und dem zur Tatzeit 13-jährigen Geschädigten H. gekommen war, versetzte der inzwischen stark angetrunkene, aber nicht betrunkene Angeklagte (Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit mindestens 2,44 Promille) dem Geschädigten etwa eine Stunde später ohne Vorwarnung unter Einsatz eines Schlagrings mehrere Schläge gegen die linke Gesichtshälfte, wodurch dieser eine blutende Platzwunde an der Schläfe und ein leichtes Hämatom an der Hand erlitt. Kurz später, nachdem sich der Angeklagte nach Eingreifen Dritter zunächst außer Sichtweite des Geschädigten entfernt hatte, dann aber wegen provozierender Ausrufe des Geschädigten zurückgekehrt war, kam es zu einer weiteren tätlichen Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten, die vom Angeklagten durch erneute Schläge mit dem Schlagring in das Gesicht des Geschädigten eröffnet wurde und in deren Verlauf der Angeklagte dem Geschädigten mit einem Springmesser mit spitz zulaufender Klinge mit einer Länge von 9 cm und einer Breite von 2,7 cm drei tiefe Stiche in den Hals- und Rückenbereich versetzte.
b) Die Jugendkammer hat – sachverständig beraten – das Vorliegen eines Hangs zum übermäßigen Konsum alkoholischer Getränke angenommen. Soweit sie allerdings ausführt, der Angeklagte habe die Taten weder im Rausch begangen noch liege eine Hangtat im Sinne des § 64 StGB vor, weil es an einem symptomatischen Zusammenhang fehle, begegnet dies durchgreifenden Bedenken.
Ein solcher Zusammenhang liegt vor, wenn die Tat in dem Hang ihre Wurzel findet. Die konkrete Tat muss also Symptomwert für den Hang des Täters zum Missbrauch von Rauschmitteln haben, indem sich in ihr seine hangbedingte Gefährlichkeit äußert (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2017 – 1 StR 320/17, juris Rn. 42; Beschlüsse vom 20. September 2017 – 1 StR 348/17, juris Rn. 11 und vom 10. November 2015 – 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113 f.).
Der symptomatische Zusammenhang liegt vorliegend bei den vom Angeklagten am 31. Oktober 2017 begangenen Gewalttaten (Tat Ziffer 1 der Urteilsgründe) schon in Anbetracht der erheblichen Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit, dessen hierdurch eingetretener Enthemmung und des durch einen vergleichsweise nichtigen Anlass ausgelösten Gewaltexzesses gegenüber dem Geschädigten nahe.
Soweit das Landgericht ausführt, dass das Tatgeschehen „nur“ bzw. „vor allem“ Ausdruck und Folge des Geltungsdrangs des Angeklagten sei, was sich vor allem darin zeige, dass der Angeklagte die bei den Taten verwendeten Waffen eingepackt habe, als er noch nüchtern gewesen sei und weder geplant noch damit gerechnet habe, diese später gegen eine andere Person einzusetzen, lässt sich hiermit ein symptomatischer Zusammenhang nicht verneinen. Der Umstand legt vielmehr nahe, dass sich der Angeklagte erst nach dem erheblichen Alkoholkonsum zu diesen Taten entschlossen hat. Dass neben dem Alkoholeinfluss auch ein besonderer Geltungsdrang und eine Affinität des Angeklagten zu Waffen eine Rolle für die Tatbegehung gespielt haben mögen, schließt das Vorliegen eines symptomatischen Zusammenhangs nicht aus, weil hierfür Mitursächlichkeit genügt (BGH, Beschlüsse vom 15. Februar 2018 – 2 StR 549/17, juris Rn. 2; vom 20. September 2017 – 1 StR 348/17, juris Rn. 11 und vom 10. November 2015 – 1 StR 482/15; NStZ-RR 2016, 113 f.).
c) Über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss deshalb – wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) – neu verhandelt und entschieden werden. Dabei wird das Landgericht insbesondere in den Blick zu nehmen haben, welchen Einfluss gerade die Alkoholisierung des Angeklagten auf die am 31. Oktober 2017 begangenen Gewalttaten gehabt hat.
2. Bereits wegen des sich aus § 5 Abs. 3 JGG ergebenden sachlichen Zusammenhangs zwischen Strafe und Unterbringung ist der Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben (BGH, Beschlüsse vom 6. Juli 2018 – 1 StR 261/18, juris Rn. 12; vom 27. Oktober 2015 – 3 StR 314/15, StV 2016, 734 f. und vom 25. November 2014 – 5 StR 509/14, juris Rn. 4).
Die diesbezüglichen Feststellungen sind aufzuheben, um dem neuen Tatgericht auf einer widerspruchsfreien Tatsachengrundlage eine in sich stimmige Rechtsfolgenentscheidung zu ermöglichen. Das Landgericht hat damit auch Gelegenheit, sich mit der Frage des Vorliegens einer alkoholbedingt verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten am 31. Oktober 2017 nochmals vertieft auseinander zu setzen. Hierzu besteht im Hinblick auf die „Alkoholgewöhnung“ beim Angeklagten Anlass, weil der noch sehr junge Angeklagte erst etwa zehn Monate vor der Tat mit einem regel-mäßigen, sich erst noch steigernden Alkoholkonsum begonnen hat. Auch das am Tatabend vom Angeklagten gezeigte Leistungsverhalten wird insoweit erneut in den Blick zu nehmen sein. Dass der Angeklagte die Taten am 31. Oktober 2017 im Zustand aufgehobener Schuldfähigkeit begangen haben könnte, schließt der Senat allerdings in Anbetracht der festgestellten Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit einerseits und des Leistungsverhaltens des Angeklagten bei Begehung der Taten im Fall gemäß Ziffer 1 der Urteilsgründe andererseits aus.
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