Entscheidungsdatum: 12.07.2017
1. Die Revisionen des Angeklagten und der Nebenklägerin S. gegen das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 17. Mai 2016 werden als unbegründet verworfen.
2. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen J. , L. und D. hierdurch im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.
3. Die Nebenklägerin S. hat die Kosten ihres Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem sexuellen Missbrauch von Kindern, wegen Nötigung und vorsätzlichem unerlaubtem Erwerb einer Schusswaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt; im Übrigen hat es ihn freigesprochen.
Gegen die Verurteilung richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er das Verfahren und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Die Revision der Nebenklägerin S. beanstandet mit verfahrens- und sachlich-rechtlichen Angriffen, dass der Angeklagte vom Vorwurf der sie zur Nebenklage berechtigenden Taten freigesprochen worden ist.
Beide Revisionen haben keinen Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts rieb der Angeklagte mit seinen Fingern an der Scheide und der Klitoris seiner schlafenden, zur Tatzeit zehn oder elf Jahre alten Enkeltochter J. . Nachdem J. davon erwacht und wieder eingeschlafen war, zog er ihre Hand zu seinem erigierten Glied, umschloss es mit ihrer Hand und onanierte (Fall II 1 der Urteilsgründe).
2. Als sich J. mit ihrer zwölf Jahre alten Freundin D. in ihrem Kinderzimmer aufhielt, betrat der nur mit einer Unterhose bekleidete Angeklagte das Kinderzimmer und fasste D. über ihrer Hose in den Genitalbereich. Als sich D. entzog, versuchte er, J. in den Genitalbereich zu greifen (Fall II 2 der Urteilsgründe).
3. Anlässlich eines weiteren Besuchs hielt sich D. zusammen mit J. in deren Kinderzimmer auf. Der Angeklagte betrat das Kinderzimmer und fasste D. unter ihrem Nachthemd, aber über der Unterhose, in den Genitalbereich (Fall II 3 der Urteilsgründe).
4. Am Abend des 8. September 2010 benutzte der Angeklagte in einem Sport- und Kurhotel mit seiner Lebensgefährtin und seiner am 1. Februar 1996 geborenen Enkeltochter L. den Aufzug. Dort zog er L. das trägerlose Kleid bis zur Hüfte herunter, so dass ihre Brüste entblößt waren und hielt das heruntergezogene Kleid gegen ihren Willen fest (Fall II 4 der Urteilsgründe).
5. Darüber hinaus lagen dem Angeklagten 16 Fälle der versuchten oder vollendeten sexuellen Nötigung (Vergewaltigung) in den Jahren 1997 bis 2011 zum Nachteil seiner Tochter, der Nebenklägerin S. , zur Last.
II.
1. Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten in den abgeurteilten Fällen zum Nachteil seiner beiden Enkeltöchter J. und L. sowie von D. auf die Angaben der Tatopfer, seiner Lebensgefährtin und des leiblichen Vaters von J. , N. , sowie dessen Ehefrau G. gestützt. Zu J. hat die Strafkammer ein aussagepsychologisches Gutachten eingeholt, den Ausführungen und Folgerungen der Sachverständigen M. jedoch in den Urteilsgründen widersprochen, soweit die Sachverständige die Glaubhaftigkeit von J. in Frage gestellt hat.
2. Hinsichtlich der dem Angeklagten vorgeworfenen Taten zum Nachteil der Nebenklägerin S. hat die Strafkammer den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Zur Glaubhaftigkeit der Aussagen dieser Nebenklägerin hatte die Strafkammer bei der Sachverständigen M. während des Laufs der Hauptverhandlung ein aussagepsychologisches Gutachten in Auftrag gegeben und folgt dem Gutachten, das die Glaubhaftigkeit aus verschiedenen Gründen angezweifelt hat. Die Sachkunde der Gutachterin hat die Strafkammer nicht in Zweifel gezogen.
3. Der Angeklagte hat sich weder zu den persönlichen Verhältnissen noch zu den Tatvorwürfen eingelassen. Allerdings ließ er die Verteidigung vortragen, das Verfahren sei ein von seiner Tochter S. und seiner geschiedenen Ehefrau Ju. ersonnenes Komplott.
III.
Die auf die Fälle II 1 - 4 der Urteilsgründe beschränkte Revision des Angeklagten ist unbegründet. Die von der Strafkammer vorgenommene, ausführliche Beweiswürdigung weist keinen Rechtsfehler auf. Im Übrigen wird auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts Bezug genommen.
1. Das Landgericht hat seine Überzeugung vom Tathergang und der Täterschaft des Angeklagten im Wesentlichen aus den Aussagen der Nebenklägerinnen J. , L. und D. gewonnen. Die Strafkammer hat dargelegt, dass das von diesen jeweils geschilderte Geschehen zahlreiche Realitätskennzeichen aufweist, die Angaben der Nebenklägerinnen, insbesondere von E. , der damaligen Lebensgefährtin des Angeklagten, N. , des leiblichen Vaters von J. , und G. , der Ehefrau von N. , eine Bestätigung gefunden haben und Anzeichen für ein familiäres Komplott unter Einbeziehung von Nicht-Familienangehörigen fehlen.
2. Soweit die Strafkammer von dem die Nebenklägerin J. betreffenden aussagepsychologischen Sachverständigengutachten, das die Erlebnisbezogenheit ihrer Angaben in Frage gestellt hatte, abgewichen ist, liegt darin kein Rechtsfehler.
a) Es kann dahin stehen, ob die Strafkammer überhaupt verpflichtet gewesen wäre, zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten J. auf die Hilfe einer aussagepsychologischen Sachverständigen zurückzugreifen; denn die Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen ist grundsätzlich Aufgabe des Tatgerichts, wobei regelmäßig davon auszugehen ist, dass Berufsrichter über diejenige Sachkunde bei der Anwendung aussagepsychologischer Glaubwürdigkeitskriterien verfügen, die für die Beurteilung von Aussagen auch bei schwieriger Beweislage erforderlich ist. Dies gilt bei jugendlichen Zeugen erst recht, wenn die Berufsrichter – wie vorliegend – Mitglieder der Jugendschutzkammer sind und über spezielle Sachkunde in der Bewertung der Glaubwürdigkeit von jugendlichen Zeugen verfügen (BGH, Urteile vom 18. August 2009 – 1 StR 155/09 Rn. 7, NStZ 2010, 51, 52 und vom 26. April 2006 – 2 StR 445/05, NStZ-RR 2006, 241 mwN; Beschluss vom 8. Januar 2013 – 1 StR 602/12, NStZ 2013, 672).
Die Hinzuziehung eines psychologischen Sachverständigen ist lediglich dann geboten, wenn der Sachverhalt Besonderheiten aufweist, die Zweifel daran aufkommen lassen, ob die eigene Sachkunde des Tatgerichts zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit unter den konkret gegebenen Umständen ausreicht (BGH, st. Rspr.; vgl. Beschlüsse vom 8. Januar 2013 – 1 StR 602/12, NStZ 2013, 672; vom 25. April 2006 – 1 StR 579/05, NStZ-RR 2006, 242, 243 und vom 12. November 1993 – 2 StR 594/93, StV 1994, 173). Solche Besonderheiten sind nicht schon allein deshalb anzunehmen, weil Gegenstand der Aussage eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist oder der Zeuge zur Zeit des geschilderten Vorfalls in kindlichem oder jugendlichem Alter war oder zum Zeitpunkt seiner Aussage ist.
b) Es ist einem Tatgericht auch nicht verwehrt, vom Gutachten eines Sachverständigen abzuweichen. Es muss dann aber die maßgeblichen Überlegungen des Sachverständigen wiedergeben und seine Gegenansicht unter Auseinandersetzung mit diesen begründen (BGH, Beschluss vom 29. September 2016 – 2 StR 63/16 Rn. 6, NStZ-RR 2017, 88, 89, mwN; BGH, Urteil vom 1. April 2009 – 2 StR 601/08 Rn. 11, NStZ 2009, 571, 572).
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil gerecht. Die konkreten Erwägungen der Strafkammer, die sie der sachverständigen Einschätzung entgegensetzt, sind für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar und rechtsfehlerfrei.
Der Senat besorgt auch nicht, dass das Landgericht „die Kompetenz der Aussageperson“ J. – wie von der Verteidigung im Schriftsatz vom 10. Juli 2017 behauptet –, unzureichend gewürdigt hat.
IV.
Die Revision der Nebenklägerin ist unbegründet. Der näheren Erörterung bedarf lediglich die Verfahrensrüge nach § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO. Die weiteren Revisionsrügen bleiben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg.
1. Der Verfahrensrüge nach § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO liegt folgendes Geschehen zugrunde:
Die Nebenklägerin hatte beantragt, Frau Diplom-Psychologin B. (hilfsweise einen vom Gericht zu bestimmenden Sachverständigen) als Sachverständige zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, dass das Gutachten der Sachverständigen M. mit den Erkenntnissen der Wissenschaft nicht in Einklang steht, so dass Zweifel an der Sachkunde der Sachverständigen M. bestehen, und ein weiteres Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass die Angaben der Nebenklägerin insgesamt und zu den Tatvorwürfen gegen den Angeklagten erlebnisbegründet sind. Zur Begründung des Antrags bezog sich die Nebenklägerin insbesondere auf das mit dem Beweisantrag vorgelegte Gutachten der Diplom-Psychologin B. , die das Gutachten der Sachverständigen M. analysiert hatte und zu dem Ergebnis gekommen war, dass es den wissenschaftlichen Anforderungen an aussagepsychologische Glaubhaftigkeitsgutachten nicht genügte.
Die Strafkammer hat nach Anhörung der Sachverständigen M. in der Hauptverhandlung den Antrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zur Frage des Erlebnisbezugs nach § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO durch Beschluss zurückgewiesen, weil durch das Gutachten der Sachverständigen M. das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen und weder die Sachkunde der Sachverständigen zweifelhaft sei noch deren Gutachten Widersprüche enthalte. Aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen M. sei für die Kammer bereits erwiesen, dass weder von Glaubhaftigkeit noch von fehlender Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin S. ausgegangen werden könne. Letztlich bleibe diese Frage durch das Gutachten der Sachverständigen M. unbeantwortet.
2. Die Rüge einer Verletzung des § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO zeigt einen Rechtsfehler auf.
Nach § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO kann die Anhörung eines weiteren Sachverständigen auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.
a) Der von der Nebenklägerin gestellte Antrag ist ein Beweisantrag.
Ob der Antragsteller eine Beweisbehauptung in der gebotenen Konkretisierung aufstellt, ist ggf. durch Auslegung des Antrags nach dessen Sinn und Zweck zu ermitteln (st. Rspr.; z.B. BGH, Urteil vom 6. Juli 1993 – 5 StR 279/93, BGHSt 39, 251, 253 f.). Bei dieser Auslegung hat das Gericht die Beweisbehauptung unter Würdigung aller in der Hauptverhandlung zutage getretenen Umstände, des sonstigen Vorbringens des Antragstellers sowie ggf. des Akteninhalts zu beurteilen (BGH, NStZ (Pf/M) 1983, 208, 210; vgl. LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 117 mwN; SK-StPO/Frister, 5. Aufl., § 244 Rn. 59). Dabei dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden (vgl. LR/Becker aaO, § 244 Rn. 96 mwN).
Aus der Antragsbegründung ergibt sich deutlich, was die Nebenklägerin durch das Sachverständigengutachten belegen will. Sie will beweisen, dass bei Anwendung aussagepsychologischer Methodik auf ihre Aussage die dem Angeklagten im Anklagesatz vorgeworfenen Sexualstraftaten auf ihrem tatsächlichen Erleben beruhen, sie also Opfer der dem Angeklagten zur Last gelegten Taten geworden sei und ihre Angaben der Wahrheit entsprechen.
b) Die Ablehnung dieses Beweisantrags durch das Landgericht ist durch § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO nicht gedeckt.
Es fehlt an der für eine Ablehnung nach § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO vorrangig erforderlichen Überzeugung des Gerichts, das Gegenteil der behaupteten Tatsache sei durch das frühere Gutachten bereits erwiesen (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 3. November 2009 – 3 StR 355/09, NStZ-RR 2010, 51). Unter Beweis gestellt war, dass die Angaben der Nebenklägerin insgesamt und insbesondere zu den Tatvorwürfen gegen den Angeklagten erlebnisbegründet sind, sich also das im Anklagesatz geschilderte Geschehen tatsächlich ereignet hat. Das Gegenteil aber – dass die Tatvorwürfe gegen den Angeklagten nicht auf eigenem Erleben beruhen – hat das Landgericht in dem Beschluss nicht dargelegt.
3. Auf der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags beruht das Urteil jedoch nicht. Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht nach Einholung des weiteren Sachverständigengutachtens zu einer anderen Beurteilung der Angaben der Nebenklägerin gekommen wäre und die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage und ihre Glaubwürdigkeit für gegeben erachtet hätte; denn es hat sich nicht auf die Glaubhaftigkeitsbeurteilung der Sachverständigen M. gestützt, sondern seine Überzeugung von der Unwahrheit der Angaben der Nebenklägerin S. aus sicher widerlegten Angaben der Nebenklägerin (Hotel „Ge. “ in W. ; Hotel „H. “ in Do. ) gebildet. Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht von der Richtigkeit der Angaben der Nebenklägerin zu den Tatvorwürfen ausgegangen wäre, wenn es ein weiteres Glaubhaftigkeitsgutachten eingeholt hätte.
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RiBGH Prof. Dr. Jäger ist im |
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