Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 24.01.2018


BGH 24.01.2018 - 1 StR 331/17

Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt: Irrtum über die Arbeitgebereigenschaft


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsdatum:
24.01.2018
Aktenzeichen:
1 StR 331/17
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2018:240118U1STR331.17.0
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend LG Wiesbaden, 8. Februar 2017, Az: Ss 200/17
Zitierte Gesetze

Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 8. Februar 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt sowie der Steuerhinterziehung jeweils in 32 Fällen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft mit Verfahrensbeanstandungen und der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachbeschwerde Erfolg, so dass es einer Erörterung der erhobenen Verfahrensrügen nicht bedarf.

I.

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1. Die zugelassene Anklage legt dem Angeklagten Folgendes zur Last:

3

Der Angeklagte habe die bei seiner Firma „R.      “ beschäftigten polnischen Arbeitnehmer nicht bei der zuständigen Einzugsstelle, der B.         , zur Sozialversicherung angemeldet und infolgedessen für die Beitragsmonate September 2004 und März 2005 bis September 2007 keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt. Dadurch seien Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 122.757,86 € vorenthalten worden. Außerdem habe der Angeklagte für seine Firma für September 2004 sowie den Zeitraum März 2005 bis September 2007 keine Lohnsteueranmeldungen beim zuständigen Finanzamt Wiesbaden abgegeben. Insgesamt habe der Angeklagte dadurch Lohnsteuer in Höhe von 101.382,65 € hinterzogen.

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2. Nach den Feststellungen des Landgerichts führte der Angeklagte, der polnischer Staatsangehöriger ist, seit ca. 15 bis 20 Jahren zumindest gelegentlich in Deutschland handwerkliche Tätigkeiten aus. Der Angeklagte ließ sich von Beginn an durch den Zeugen K.    , der Steuerberater und Rechtsanwalt ist, in steuerlichen und rechtlichen Angelegenheiten beraten und vertreten. Der Zeuge K.    meldete den Angeklagten unter anderem bei der Handwerkskammer an, fertigte die Gewerbeanmeldung sowie die Steuererklärungen für den Angeklagten und überließ diesem zur Erledigung administrativer Aufgaben und zur Lagerung von Werkzeug und Baumaterialien unentgeltlich einen Kellerraum in seiner Immobilie         straße 4 in W.     . Auch als Sitz des Gewerbes des Angeklagten wurde diese Adresse angegeben. Ebenso verfuhr der Zeuge K.    in der Folgezeit mit anderen polnischen Staatsangehörigen, die mit dem Angeklagten verwandt oder bekannt waren, ebenfalls eine gewerbliche Tätigkeit als Handwerker in Deutschland aufnehmen wollten und von dem Angeklagten an den Zeugen K.    vermittelt worden waren. Auf einem Klingelschild zu der Immobilie         straße 4 in W.     befanden sich in den Jahren 2005 und 2006 der Name des Angeklagten sowie daneben ein Zettel mit insgesamt 15 weiteren polnisch klingenden Namen. Für den Angeklagten und sämtliche weiteren polnischen Staatsangehörigen entwarf der Zeuge K.    Vorlagen für die Erstellung von Rechnungen an Auftraggeber mit Angaben zur Art der durchgeführten Arbeiten, Ausführungsdatum sowie Steuernummer. Bei einer am 2. Februar 2006 durchgeführten Kontrolle einer Baustelle in der               -Straße in W.     wurden neun polnische Staatsangehörige angetroffen; auf der Baustelle führten der Angeklagte sowie die polnischen Staatsangehörigen verschiedene Abriss-, Rohbau-, Maurer- und Putzarbeiten durch. Für die ausgeführten Arbeiten wurden mit der vom Zeugen K.    erstellten Vorlage Rechnungen gefertigt, mit denen Leistungen einzelner polnischer Staatsangehöriger auf Stundenbasis abgerechnet wurden; teilweise enthielten diese Rechnungen die Bankverbindung des Angeklagten.

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3. Zur Begründung des Freispruchs hat das Landgericht darauf abgestellt, dass nicht auszuschließen sei, dass der Angeklagte, der sich nicht zur Sache eingelassen hat, im Hinblick auf seine - mögliche - Stellung als Arbeitgeber ohne Unrechtseinsicht gehandelt habe. Aufgrund der Hauptverhandlung könne die Kammer zugunsten des Angeklagten jedenfalls nicht ausschließen, dass der Zeuge K.    ihm in seiner Funktion als Steuerberater und Rechtsanwalt in Kenntnis der maßgeblichen tatsächlichen Umstände im Rahmen der erfolgten Beratung den Eindruck vermittelt habe, alle in Deutschland notwendigen rechtlichen Schritte zur Aufnahme einer - legalen - selbständigen Tätigkeit des Angeklagten und der übrigen polnischen Staatsangehörigen seien erfüllt gewesen, mit der Folge, dass der Angeklagte als Ausländer aufgrund der ihm so erteilten Beratung von der Rechtmäßigkeit seines Handelns überzeugt gewesen sei. Der zu Gunsten des Angeklagten nicht ausschließbare Verbotsirrtum hinsichtlich seiner Arbeitgeberstellung sei für den Angeklagten auch unvermeidbar gewesen.

II.

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Der Freispruch hat keinen Bestand. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist lückenhaft.

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1. Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO), dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 10. Mai 2017 - 2 StR 258/16 , juris Rn. 17 und vom 12. Februar 2015 - 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 1. Februar 2017 - 2 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 183, 184; vom 13. Juli 2016 - 1 StR 94/16, juris Rn. 9 und vom 14. September 2017 - 4 StR 45/17, juris Rn. 7).

8

2. Gemessen daran begegnet die Beweiswürdigung des Landgerichts durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat nicht tragfähig beweiswürdigend belegt, dass der Angeklagte hinsichtlich seiner - möglichen - Stellung als Arbeitgeber ohne Unrechtseinsicht gehandelt hat.

9

Allein der Umstand, dass der Zeuge K.    als Steuerberater und Rechtsanwalt den Angeklagten beraten und sich in der Hauptverhandlung von der Rechtmäßigkeit der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit durch den Angeklagten und die übrigen polnischen Staatsangehörigen in Deutschland überzeugt gezeigt hat, vermag ein fehlendes Unrechtsbewusstsein des Angeklagten bezogen auf seine Arbeitgebereigenschaft nicht zu begründen. Es fehlt bereits an einer Darstellung, was der Zeuge K.    dem Angeklagten im Einzelnen mitgeteilt hat. Ebenso verhält sich das angefochtene Urteil nicht dazu, welches Vorstellungsbild der Angeklagte im Hinblick auf die rechtliche Einordnung der Beschäftigung seiner polnischen Landsleute hatte. Damit fehlt dem Revisionsgericht die Möglichkeit zu überprüfen, ob die Voraussetzungen eines Verbotsirrtums im Sinne des § 17 StGB im vorliegenden Fall überhaupt vorgelegen haben.

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Das Landgericht hat zudem wesentliche Feststellungen, die für eine Arbeitgebereigenschaft sprechen und aus denen sich Rückschlüsse auf das Vorstellungsbild des Angeklagten ergeben könnten, nicht in die Beweiswürdigung eingestellt (vgl. zu den Kriterien für die Feststellung der Arbeitgebereigenschaft in § 266a StGB etwa BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71, 77 Rn. 14; Beschlüsse vom 7. Oktober 2009 - 1 StR 478/09, NStZ 2010, 337 und vom 27. September 2011 - 1 StR 399/11, NStZ-RR 2012, 13). So wird der Inhalt des von dem Angeklagten geführten Stundenbuchs und der bei ihm aufgefundenen Rechnungen in die Beweiswürdigung nicht einbezogen (UA S. 8). Nicht erörtert wird überdies, dass alle polnischen Staatsangehörigen unter der gleichen Adresse ihr Gewerbe angemeldet hatten, die mit derjenigen des Angeklagten identisch war (UA S. 4, 7), die deutsche Sprache kaum oder gar nicht sprachen (UA S. 5) und auch nicht über eine eigene Kontoverbindung verfügten, vielmehr die Kontoverbindung des Angeklagten in den Rechnungen an die Auftraggeber genannt war (UA S. 6).

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3. Die Sache bedarf daher einer neuen tatrichterlichen Verhandlung und Entscheidung. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat im Hinblick auf die subjektive Tatseite auf Folgendes hin:

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In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs werden die Anforderungen an den Inhalt des Vorsatzes in Bezug auf das normative Tatbestandsmerkmal der Stellung als Arbeitgeber in § 266a StGB und in § 41a EStG in Verbindung mit dem Straftatbestand aus § 370 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO unterschiedlich bestimmt.

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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird bezogen auf die subjektive Tatseite in § 266a StGB wie folgt differenziert: Der Vorsatz muss sich auf die Eigenschaft als Arbeitgeber und Arbeitnehmer - dabei allerdings nur auf die statusbegründenden tatsächlichen Voraussetzungen, nicht auf die rechtliche Einordnung als solche und die eigene Verpflichtung zur Beitragsabführung - und alle darüber hinausreichenden, die sozialversicherungsrechtlichen Pflichten begründenden tatsächlichen Umstände erstrecken. Liegt diese Kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse vor, unterliegt der Täter, wenn er glaubt, nicht Arbeitgeber zu sein oder für die Abführung der Beiträge Sorge tragen zu müssen, keinem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum, sondern (allenfalls) einem - in der Regel vermeidbaren - Verbotsirrtum (BGH, Beschlüsse vom 7. Oktober 2009 - 1 StR 478/09, NStZ 2010, 337 f. und vom 4. September 2013 - 1 StR 94/13, wistra 2014, 23, 25 Rn. 16 jeweils mwN; Urteil vom 15. Oktober 1996 - VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 381).

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Demgegenüber gehört nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Vorsatz der Steuerhinterziehung, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will (vgl. BGH, Urteile vom 13. November 1953 - 5 StR 342/53, BGHSt 5, 90, 91 f. und vom 5. März 1986 - 2 StR 666/85, wistra 1986, 174; Beschlüsse vom 19. Mai 1989 - 3 StR 590/88, BGHR AO § 370 Abs. 1 Vorsatz 2; vom 24. Oktober 1990 - 3 StR 16/90, BGHR AO § 370 Abs. 1 Vorsatz 4 und vom 8. September 2011 - 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160, 161 Rn. 21 f.). Nimmt der Steuerpflichtige irrtümlich an, ein Steueranspruch sei nicht entstanden, liegt nach der Rechtsprechung ein Tatbestandsirrtum vor, der gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB den Vorsatz ausschließt (vgl. BGH, aaO). Danach ist ein Irrtum über die Arbeitgebereigenschaft in § 41a EStG und die daraus folgende Steuerpflicht, an die der Steueranspruch und der Straftatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO anknüpfen, als Tatbestandsirrtum zu behandeln.

15

Da für die Differenzierung kein sachlicher Grund erkennbar ist und es sich jeweils um (normative) Tatbestandsmerkmale handelt, erwägt der Senat - insoweit entgegen den Überlegungen in dem Beschluss des Senats vom 8. September 2011 - 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160, 161 Rn. 23 ff. -, zukünftig auch die Fehlvorstellung über die Arbeitgebereigenschaft in § 266a StGB und die daraus folgende Abführungspflicht insgesamt als (vorsatzausschließenden) Tatbestandsirrtum zu behandeln.

Raum     

      

Radtke     

      

Fischer

      

Bär     

      

Hohoff