Entscheidungsdatum: 07.08.2013
Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 29. Januar 2013 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
I.
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Er war am 15. Mai 2007 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern (unter Einbeziehung weiterer Strafen aus einem wegen ähnlicher Delikte ergangenen Erkenntnis) verurteilt worden, die Anordnung der Sicherungsverwahrung blieb vorbehalten. Die Revision des Verurteilten hat mit der Sachrüge Erfolg.
II.
1. a) Die Feststellungen des Landgerichts belegen nicht, dass der Beschwerdeführer an einer psychischen Störung leidet und aus konkreten Umständen in seiner Person oder seinem Verhalten eine hochgradige Gefahr abzuleiten ist, dass er infolge dieser Störung schwerste Gewalt- und Sexualstraftaten begehen wird (vgl. Art. 316f Abs. 2 Satz 2 EGStGB).
Das Landgericht hat bei seiner Entscheidung einen hiervon abweichenden rechtlichen Maßstab angelegt (UA S. 16 ff.), der nicht der seit Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung (vom 5. Dezember 2012, BGBl. I S. 2425) am 1. Juni 2013 geltenden und für das Revisionsgericht maßgeblichen (vgl. § 354a StPO) Rechtslage entspricht.
b) Gemäß Art. 316e Abs. 1 Satz 2 EGStGB in der ab 1. Juni 2013 geltenden Fassung findet auf den vorliegenden Fall das bis zum 31. Dezember 2010 geltende Recht Anwendung, weil die Anlasstaten bis Juni 2002 begangen wurden. Dies gilt nach Art. 316e Abs. 1 Satz 2 EGStGB allerdings nur, soweit in Art. 316f Abs. 2 und 3 EGStGB nichts anders bestimmt ist. Für die vorliegende Konstellation hat Art. 316f Abs. 2 EGStGB eine andere Bestimmung getroffen. Nach Art. 316f Abs. 2 Satz 2 EGStGB ist die Anordnung oder Fortdauer der Sicherungsverwahrung auf Grund einer gesetzlichen Regelung, die zur Zeit der letzten Anlasstat noch nicht in Kraft getreten war, nur zulässig, wenn bei dem Betroffenen eine psychische Störung vorliegt und aus konkreten Umständen in seiner Person oder seinem Verhalten eine hochgradige Gefahr abzuleiten ist, dass er infolge dieser Störung schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten begehen wird.
c) Vorliegend handelt es sich um einen von Art. 316f Abs. 2 Satz 2 EGStGB erfassten „Altfall“, bei dem erhöhte Anforderungen an die Anordnung der Sicherungsverwahrung zu stellen sind. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung stützt sich auf § 66a Abs. 2 StGB in der bis 31. Dezember 2010 geltenden Fassung. Diese Vorschrift war jedoch zum Zeitpunkt der letzten Anlasstat (15. Juni 2002) noch nicht in Kraft, sondern wurde erst durch das Gesetz zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung vom 21. August 2002 (BGBl. I S. 3344) mit Wirkung ab 28. August 2002 eingeführt.
d) Dass Art. 316f Abs. 2 Satz 2 EGStGB auch die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung erfasst, ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm. Wird in einem Urteil die Sicherungsverwahrung vorbehalten, entscheidet das Gericht in dem Verfahren nach § 275a StPO über die „Anordnung“ der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung nach den Maßstäben von § 66a StGB. Den Begriff der „Anordnung“ verwendet auch Art. 316f Abs. 2 Satz 2 EGStGB. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich nicht, dass der Gesetzgeber den Begriff an dieser Stelle anders als in § 66a StGB oder § 275a Abs. 1 StPO verwenden wollte (vgl. BT-Drucks. 17/9874 S. 30 ff.).
Dieses Ergebnis wird durch systematische Erwägungen gestützt. Der Gesetzgeber hat in Art. 316f Abs. 2 Satz 3 EGStGB eine Sonderregelung für den Vorbehalt der Anordnung der Sicherungsverwahrung in Altfällen - wie dem vorliegenden - getroffen (vgl. auch BT-Drucks. 17/9874 S. 32). Die Anordnung der Sicherungsverwahrung kann danach in Altfällen nur vorbehalten werden, wenn bei dem Betroffenen eine psychische Störung vorliegt und (beim Erwachsenen) die in Art. 316f Abs. 2 Satz 2 EGStGB genannte Gefahr wahrscheinlich ist. Das spricht dafür, dass eine Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung in Vertrauensschutzfällen - wie dem vorliegenden - nur ergehen kann, wenn diese erhöhten Anforderungen im Zeitpunkt der Anordnung vorliegen.
2. Die Änderung des rechtlichen Maßstabs erfordert die Aufhebung der dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen. Sollte das Landgericht zur Überzeugung kommen, dass die Voraussetzungen für die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung nach den oben genannten Maßstäben vorliegen, wird es bei der dann erforderlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung die bisherigen Therapieangebote auch unter dem Gesichtspunkt der in § 66c Abs. 2, § 67c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu Tage tretenden Wertung des Gesetzgebers zu würdigen haben (vgl. hierzu auch Art. 316f Abs. 3 Satz 1 EGStGB).
Raum Graf Jäger
Radtke Mosbacher