Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 04.04.2018


BGH 04.04.2018 - 1 StR 116/18

Anforderungen an eine widerspruchsfreie Darlegung der Schuldfähigkeitsbeurteilung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsdatum:
04.04.2018
Aktenzeichen:
1 StR 116/18
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2018:040418B1STR116.18.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Aschaffenburg, 4. Dezember 2017, Az: KLs 110 Js 916/17
Zitierte Gesetze

Tenor

1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 4. Dezember 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben; davon ausgenommen sind diejenigen zu den äußeren Tatgeschehen, die bestehen bleiben.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten und Beschuldigten (im Folgenden lediglich: Beschuldigten) in dem wegen eines Teils der verfahrensgegenständlichen Taten als Strafverfahren und wegen einer weiteren Tat im Sinne von § 264 StPO als Sicherungsverfahren geführten Verfahren freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.

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Seine dagegen gerichtete Revision erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundeanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

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1. Das Landgericht hat - insoweit ohne Rechtsfehler - die rechtswidrige Begehung von drei Anlasstaten des Beschuldigten näher festgestellt. Sachverständig durch einen Psychiater beraten hat es dabei jeweils eine Aufhebung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten, der seit langem an einer dem Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung im Sinne von § 20 StGB zugeordneten Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis (ICD-10: F.20.0) leidet und deswegen in der Vergangenheit häufig stationär behandelt worden war, nicht auszuschließen vermocht.

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2. Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die vom Landgericht der Unterbringungsentscheidung zugrunde gelegte Schuldfähigkeitsbeurteilung enthält durchgreifende Rechtsfehler. Sie lässt nicht widerspruchsfrei erkennen, dass der Beschuldigte die Anlasstaten jeweils im Zustand sicher erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangen hat.

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a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat(en) aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder sicher erheblich vermindert schuldfähig war (etwa BGH, Beschluss vom 8. November 2017 - 4 StR 242/17, Rn. 5; in NStZ-RR 2018, 12 f. nur redaktioneller Leitsatz). Wie das Landgericht im Ausgangspunkt an sich nicht verkannt hat, erfordert die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Unterzubringenden zur Tatzeit bzw. zu den Tatzeiten aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, grundsätzlich eine mehrstufige Prüfung (st. Rspr.; etwa BGH, Urteil vom 30. März 2017 - 4 StR 463/16, NStZ-RR 2017, 165, 166 und Beschluss vom 21. November 2017 - 2 StR 375/17, Rn. 5; in NStZ-RR 2018, 69 nur redaktioneller Leitsatz jeweils mwN). Nach der Feststellung, bei dem Täter liegt eine psychische Störung vor, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist, bedarf es näherer Feststellungen zum Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters. Aufgrund der festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei Begehung der Anlasstaten in relevanter Weise beeinträchtigt gewesen sein (vgl. BGH jeweils aaO).

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Die Frage, ob bei Vorliegen eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei - mit sachverständiger Hilfe festgestelltem - gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds die Schuldfähigkeit des Täters aufgehoben oder im Sinne von § 21 StGB erheblich beeinträchtigt war, ist eine Rechtsfrage. Um sie beantworten zu können und zudem eine revisionsgerichtliche Kontrolle der tatgerichtlichen Entscheidung darüber zu ermöglichen (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2015 - 1 StR 287/15, NJW 2016, 341 f.; Beschluss vom 29. Juni 2016 - 1 StR 254/16, StV 2017, 592 f.), bedarf es im Urteil des Tatgerichts konkretisierender und widerspruchsfreier Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Täters in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; siehe BGH, Urteil vom 30. März 2017 - 4 StR 463/16, NStZ-RR 2017, 165, 166; Beschluss vom 21. November 2017 - 2 StR 375/17, Rn. 5; in NStZ-RR 2018, 69 nur redaktioneller Leitsatz und Beschluss vom 28. Januar 2016 - 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135). Solche Darlegungen sind im Rahmen der Unterbringungsanordnung auch deshalb geboten, weil die im Rahmen des § 63 StGB zu erstellende Gefährlichkeitsprognose maßgeblich auch an den Zustand des Täters bei Begehung der Anlasstaten anknüpft (BGH, Beschluss vom 18. November 2013 - 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75, 77; Urteil vom 29. September 2015 - 1 StR 287/15, NJW 2016, 341 f.).

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b) Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift aufgezeigt hat, genügt das angefochtene Urteil den gestellten Anforderungen an widerspruchsfreie Darlegungen zur Schuldfähigkeitsbeurteilung nicht.

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Im Rahmen seiner Feststellungen geht das Landgericht von einer nicht ausschließbaren vollständigen Aufhebung der Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten bei den Anlasstaten aus (UA S. 5). Auch wenn psychische Störungen, bei denen sowohl die Einsichts- als auch die Steuerungsfähigkeit aufgehoben sind, eher eine Ausnahme darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167, 168; Beschluss vom 21. November 2017 - 2 StR 375/17, NStZ-RR 2018, 69 Rn. 7), bildet dies allein noch keinen durchgreifenden Rechtsmangel. Allerdings lässt sich die genannte Feststellung mit den weiteren Urteilsgründen nicht widerspruchsfrei vereinbaren. So leitet das Landgericht seine rechtliche Würdigung damit ein, der Beschuldigte habe sich bei Begehung der Taten jeweils in einem Zustand befunden, in dem er - zumindest nicht ausschließbar - unfähig gewesen sei, nach der bei ihm vorhandenen Fähigkeit, das Unrecht seiner Taten einzusehen, zu handeln (UA S. 13 f.). Davon habe sich das Landgericht, beraten durch den psychiatrischen Sachverständigen, überzeugt (UA S. 14). Damit stellt das Landgericht aber allein auf die Steuerungsfähigkeit ab.

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Zu dem damit ohnehin bereits vorhandenen gewissen Widerspruch zu den bereits genannten Feststellungen (UA S. 5) treten weitere Unklarheiten in den die Schuldfähigkeitsbeurteilung betreffenden Darlegungen hinzu. Nach den wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen, auf den das Landgericht seine Überzeugungsbildung stützt, ist dieser davon ausgegangen, dem Beschuldigten habe nicht ausschließbar krankheitsbedingt die Einsichtsfähigkeit vollständig gefehlt (UA S. 14). Der bei dem Beschuldigten vorhandene wahnhafte Zustand führe aus psychiatrischer Sicht dazu, dass der Beschuldigte nicht in den Lage (gewesen) sei, über Recht und Unrecht zu reflektieren, was dem Fehlen der Einsichtsfähigkeit im Sinne von § 20 StGB entspreche (UA S. 14 unten). Weiter heißt es in der Darstellung des Gutachtens, der Sachverständige könne mit Sicherheit die Voraussetzungen für eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit annehmen, die Aufhebung der Einsichtsfähigkeit aber nicht ausschließen (UA S. 15 oben). Dem folgt das Landgericht aus eigener Überzeugung in vollem Umfang und nimmt (nunmehr) an, es sei die Einsichtsfähigkeit nicht ausschließbar aufgehoben gewesen (UA S. 15 Mitte). Zur Steuerungsfähigkeit verhält sich das Landgericht in der vorgenannten Urteilspassage nicht mehr.

10

c) Angesichts der mehrfach nicht ohne weiteres miteinander in Einklang zu bringenden Darlegungen über die Auswirkungen der bei dem Beschuldigten diagnostizierten Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis auf die Schuldfähigkeit des Beschuldigten bei den Anlasstaten bildet selbst der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe bei Anlegung des aufgezeigten Maßstabs der Widerspruchsfreiheit keine insoweit tragfähige Grundlage für die Unterbringungsanordnung. Wegen des in unzureichenden Darlegungen zur Schuldfähigkeitsbeurteilung liegenden Rechtsfehlers bedarf es neben der Aufhebung der Unterbringungsentscheidung auch der Aufhebung der zugrunde liegenden Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). Die Feststellungen zu den äußeren Abläufen der drei Anlasstaten sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen. Sie bleiben daher bestehen.

11

Der Umstand, dass allein der Beschuldigte Revision eingelegt hat, steht der Aufhebung des Freispruchs von der am 21. Juni 2016 begangenen, im Strafverfahren verfolgten prozessualen Tat (B.I. der Urteilsgründe) gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht entgegen, weil die Unterbringung gemäß § 63 StGB und der auf § 20 StGB gestützte Freispruch gleichermaßen von der Bewertung der Schuldfähigkeit abhängen und deshalb zwischen beiden Entscheidungen aus sachlich-rechtlichen Gründen ein untrennbarer Zusammenhang besteht (siehe nur BGH, Beschluss vom 21. November 2017 - 2 StR 375/17, NStZ-RR 2018, 69 Rn. 13 mwN).

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3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

13

a) Angesichts der häufigen und insgesamt über mehrere Jahre andauernden stationären Aufenthalte des Beschuldigten im Bezirkskrankenhaus L.         könnte sich die Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) anbieten, der nicht bereits in die dortige Behandlung des Beschuldigten eingebunden war.

14

b) Sollte sich bei der erneuten Begutachtung ebenfalls ein auch durch akustische Halluzinationen (dialogische Stimmen) mitgeprägtes Wahnsystem bei dem Beschuldigten ergeben, wird es näherer Darlegungen sowohl zum Inhalt dieses Wahnsystems und seiner konkreten Ausprägung als auch zu den Auswirkungen des Störungsbildes auf die Schuldfähigkeit bedürfen (vgl. dazu etwa BGH, Urteil vom 30. März 2017 - 4 StR 463/16, NStZ-RR 2017, 165, 166).

15

c) Für den Fall, dass sich in der neuen Hauptverhandlung wiederum ein wahnhaftes Störungsbild, etwa die bislang diagnostizierte Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, als gegenüber dem bei dem Beschuldigten ebenfalls vorhandenen schädlichen Gebrauch von Alkohol führendes Störungsbild erweist, dürfte auch im Rahmen von § 72 Abs. 1 und 2 StGB eine Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) kaum in Betracht kommen. Typischerweise wird eine derartige Psychose der für die Anordnung des § 64 StGB erforderlichen hinreichenden Aussicht auf einen Therapieerfolg entgegenstehen (vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 29. Juni 2016 - 1 StR 254/16, StV 2017, 592 f. mwN). Ein schädlicher Gebrauch von Alkohol und eine Alkoholabhängigkeit werden zudem regelmäßig im Vollzug der Maßregel § 63 StGB mitbehandelt werden können (BGH aaO mwN).

Raum     

        

Graf     

        

Radtke

        

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Hohoff