Entscheidungsdatum: 21.11.2017
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 16. Mai 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der bis dahin nicht vorbestrafte Angeklagte vom 15. April bis zum 3. Oktober 2016 eine vorsätzliche Körperverletzung, eine Beleidigung und eine Nötigung (Fall III. A. der Urteilsgründe), einen versuchten Betrug und einen Diebstahl (Fall III. B. 1. der Urteilsgründe), einen Raub (Fall III. B. 2. der Urteilsgründe) sowie eine schwere Brandstiftung (Fall III. C. der Urteilsgründe) begangen.
Nach Überzeugung der sachverständig beratenen Strafkammer befand sich der Angeklagte aufgrund eines zu den jeweiligen Tatzeiten bestehenden „akuten Schubes einer schizoaffektiven Störung in einem Zustand, in dem seine Steuerungsfähigkeit nicht ausschließbar vollständig aufgehoben war“ (UA S. 10 f., 12, 13, 15, 29). Dem Sachverständigen folgend, nach der die „psychotische Symptomatik [...] zu einer weitreichenden Urteils- und Kritikminderung geführt (habe)“, hat das Landgericht dagegen ausgeführt, der Angeklagte sei zu einer „sinnhaften Realitätserfassung nicht mehr in der Lage“ gewesen und habe „das Unrecht seines Tuns nicht erkennen“ können (UA S. 37). Der Angeklagte sei unfähig gewesen, das in der Tat liegende Unrecht einzusehen, was auch durch die Feststellungen zum äußeren Tathergang gestützt werde.
2. Die Anordnung nach § 63 StGB bedarf einer besonders sorgfältigen Begründung, weil sie eine schwerwiegende und gegebenenfalls langfristig in das Leben des Betroffenen eingreifende Maßnahme darstellt. Den danach zu erhebenden Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.
a) Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Unterzubringenden zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfordert prinzipiell eine mehrstufige Prüfung (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 1. Juni 2017 - 2 StR 57/17 mwN; vgl. auch Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß, NStZ 2005, 57 ff.). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Täter eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist der Richter für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung einer aufgehobenen oder erheblich beeinträchtigten Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Täters zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Täters in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2017 - 4 StR 463/16, NStZ-RR 2017, 165, 166; Beschluss vom 28. Januar 2016 - 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135).
b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.
aa) Das angefochtene Urteil lässt bereits eine ausreichende Auseinandersetzung mit dem Schweregrad der angenommenen psychischen Störung vermissen. Damit ist aber zu besorgen, dass das Landgericht in rechtsfehlerhafter Weise davon ausgegangen ist, bereits die Diagnose einer schizoaffektiven Störung führe ohne weiteres zur Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit gemäß §§ 20, 21 StGB. Bei akuten Schüben einer Schizophrenie ist zwar in der Regel davon auszugehen, dass der Betroffene schuldunfähig ist, weil bereits die Einsichtsfähigkeit aufgehoben sein wird (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 146 mwN; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 20 Rn. 9a). Bei erhaltener Unrechtseinsicht kann indes auch (allein) die Steuerungsfähigkeit aufgehoben sein (vgl. etwa Senat, Beschluss vom 14. Juli 2010 - 2 StR 278/10). Die Frage der Steuerungsfähigkeit ist aber erst dann zu prüfen, wenn der Täter das Unrecht der Tat eingesehen hat oder einsehen konnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Juli 2017 - 3 StR 90/17, NStZ 2017, 720, 721; vom 28. August 2012 - 3 StR 304/12 und vom 9. September 1986 - 4 StR 470/86, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1). Psychische Störungen, bei denen sowohl die Einsichts- als auch die Steuerungsfähigkeit aufgehoben sind, stellen hingegen die Ausnahme dar (vgl. Senat, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167, 168).
Eine eindeutige Bewertung des psychischen Zustands des Täters hat das Landgericht weder ausdrücklich vorgenommen noch lässt sich dies dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen. Vielmehr lassen die Ausführungen des Landgerichts, wonach der Angeklagte wahnbedingt „nicht in der Lage (sei), Konflikte adäquat zu bewältigen, sondern [...] alle Aktivitäten anderer sofort gegen sich gerichtet (ansehe)“ (UA S. 36) und sich beeinträchtigt, bedroht und verfolgt fühle, besorgen, dass das Landgericht die Voraussetzungen der Aufhebung der Einsichtsfähigkeit verkannt hat. Denn wenn der Angeklagte aufgrund seiner psychischen Erkrankung in Verkennung der tatsächlichen Situation davon ausgegangen ist, verfolgt zu sein und bedroht zu werden, und sich deshalb berechtigt sah, sich gegen diese angebliche Bedrohung zur Wehr zu setzen, war bereits die Einsichts- und nicht erst die Steuerungsfähigkeit aufgehoben.
bb) Zudem ist dem Urteil eine wertende Betrachtung zur Tatrelevanz der Störung nicht ausreichend zu entnehmen. Diese darf nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedoch regelmäßig nicht offenbleiben (vgl. etwa Senat, Beschlüsse vom 1. Juni 2017 - 2 StR 57/17 und vom 12. November 2004 - 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 351 f.).
Für die Frage eines Ausschlusses oder einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit kommt es maßgeblich darauf an, in welcher Weise sich die festgestellte und unter eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumierende psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation ausgewirkt hat. Die Beurteilung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit kann daher - von offenkundigen Ausnahmefällen abgesehen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Mai 1997 - 1 StR 17/97, NStZ 1997, 485, 486) - nicht abstrakt, sondern nur in Bezug auf eine bestimmte Tat erfolgen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 - 1 StR 56/15, NJW 2016, 728, 729; Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 54). Beurteilungsgrundlage ist das konkrete Tatgeschehen, wobei neben der Art und Weise der Tatausführung auch die Vorgeschichte, der Anlass zur Tat, die Motivlage des Angeklagten und sein Verhalten nach der Tat von Bedeutung sein können (vgl. BGH, Urteile vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03 aaO mwN; vom 4. Juni 1991 - 5 StR 122/91, BGHSt 37, 397, 402).
An einer solchen spezifisch tatbezogenen Auseinandersetzung fehlt es hier. Hierauf kann auch dann nicht verzichtet werden, wenn - wie hier - bei dem Täter eine schizoaffektive Störung diagnostiziert worden ist. Diese Diagnose führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer - generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden - Schuldunfähigkeit (vgl. auch BGH, Beschluss vom 5. September 2017 - 3 StR 329/17). Dass sich der Angeklagte bei allen vier Taten, von denen nur die ersten drei Taten zeitlich nahe beieinanderliegen, jeweils in einem akuten Schub der Krankheit befunden hätte (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 16. Mai 2007 - 2 StR 96/07), ist nicht ausreichend belegt. Allein die Umstände, dass die Erkrankung „seit längerer Zeit bestehe“ (UA S. 29) und die Krankheit in der Vergangenheit „episodische Verläufe gezeigt (habe)“ (UA S. 37), sind hierfür nicht ausreichend. Auch lässt sich insbesondere weder aus der Tat zu III. A. der Urteilsgründe noch aus dem Vor- oder Nachtatgeschehen, das im Urteil nur rudimentär mitgeteilt wird, ohne weiteres schließen, dass der Angeklagte sich bei den Anlasstaten in einem akut psychotischen Zustand befand. Zudem wurde er am 29. September 2016 wegen Beleidigung in zwei Fällen im Februar und März 2016 und damit unmittelbar vor der gegenständlichen Tatserie zu einer (Gesamt)Geldstrafe von 25 Tagessätzen verurteilt (UA S. 3 f.). Auch diese Verurteilung spricht nicht für einen dauerhaften Zustand der Schuldunfähigkeit beim Angeklagten.
c) Die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten als Grundlage für die Anordnung nach § 63 StGB bedarf daher - gegebenenfalls unter Beiziehung eines anderen psychiatrischen Sachverständigen - insgesamt neuer Prüfung durch den Tatrichter.
3. Der Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht der Aufhebung des Freispruchs gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht entgegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. April 2017 - 5 StR 78/17; vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12, NStZ 2013, 424; vom 20. November 2012 - 1 StR 504/12, NJW 2013, 246, 247, und vom 5. August 2014 - 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1), weil die Unterbringung nach § 63 StGB und der auf § 20 StGB gestützte Freispruch gleichermaßen von der Bewertung der Schuldfähigkeit abhängen und deshalb zwischen beiden Entscheidungen aus sachlich-rechtlichen Gründen ein untrennbarer Zusammenhang besteht.
RiBGH Dr. Appl ist |
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