Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 30.03.2010


BVerwG 30.03.2010 - 1 C 7/09

Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug; Beweislast für den Willen zur Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsdatum:
30.03.2010
Aktenzeichen:
1 C 7/09
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 29. Januar 2009, Az: OVG 2 B 11.08, Urteilvorgehend VG Berlin, 17. April 2008, Az: 2 V 28.06, Urteil
Zitierte Gesetze
§ 27 Abs 1a AufenthG 2004
§ 17 Abs 1 AuslG 1990
Art 16 Abs 1 EGRL 86/2003
Art 16 Abs 2 EGRL 86/2003
Art 16 Abs 4 EGRL 86/2003

Leitsätze

Der ausländische Ehegatte, der ein Visum zum Familiennachzug begehrt, trägt auch nach Einfügung des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG (juris: AufenthG 2004) im Fall der Nichterweislichkeit des Vorliegens einer Schein- oder Zweckehe die materielle Beweislast für die gemäß Absatz 1 der Vorschrift bedeutsame Absicht, eine eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet zu führen.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein pakistanischer Staatsangehöriger, begehrt die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug zu seiner deutschen Ehefrau.

2

Der Kläger reiste im November 1996 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag unter dem Namen M. A. B. sowie der Angabe des 1. Januar 1970 als Geburtsdatum. Nach Rücknahme des Asylbegehrens und Einstellung des Asylverfahrens durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) bemühte sich die Ausländerbehörde des Beigeladenen vergeblich um die Beschaffung von Papieren für den Kläger und duldete dessen Aufenthalt.

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Im August 1997 stellte der Kläger einen Asylfolgeantrag und übergab erstmalig eine Kopie seines Reisepasses mit seinem korrekten Namen, in dem als Geburtsdatum der 5. Mai 1975 vermerkt ist. Das Bundesamt lehnte die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab; die dagegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Ab Dezember 1999 erhielt der Kläger eine Arbeitsgenehmigung für eine Tätigkeit als Küchenhilfe. Im August 2002 legte er bei der Ausländerbehörde erstmalig seine 1993 ausgestellte pakistanische ID-Card vor. Um die Jahreswende 2002/2003 verließ er das Bundesgebiet.

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Am 30. April 2004 heiratete der Kläger in Gurjat (Pakistan) die 1953 geborene deutsche Staatsangehörige R. S., eine Arbeitskollegin aus der Zeit seines Aufenthalts in Deutschland. Im Juni 2004 beantragte er bei der Deutschen Botschaft in Islamabad ein Visum zum Zweck des Ehegattennachzugs. Die Botschaft kam im Rahmen der Überprüfung der persönlichen Umstände des Klägers zu dem Ergebnis, dass sein Eintrag in das Geburtsregister nachträglich eingefügt worden sei; die Heiratsurkunde sei jedoch echt. Die Gesamtumstände der Eheschließung sowie das deutlich höhere Alter der Ehefrau vermittelten den Eindruck einer Zweckehe. Mit Bescheid vom 22. August 2005 lehnte die Botschaft die Erteilung des beantragten Visums ab. Im November 2005 besuchte die Ehefrau den Kläger für drei Wochen in Pakistan; seitdem haben sich die Eheleute nicht mehr gesehen.

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Am 7. Dezember 2005 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Visumerteilung. Er legte u.a. eine Bestätigung eines pakistanischen Registerbeamten vor, derzufolge die vorgelegte Eintragung in das Geburtsregister ordnungsgemäß sei. Nachdem der Beigeladene seine Zustimmung verweigert hatte, lehnte die Deutsche Botschaft in Islamabad die Erteilung des beantragten Visums mit Schreiben vom 19. April 2006 ab.

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Die dagegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht nach Einvernahme der Ehefrau mit Urteil vom 17. April 2008 ab. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat die dagegen gerichtete Berufung des Klägers mit Urteil vom 29. Januar 2009 zurückgewiesen. Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass für den Ehegattennachzug über die formalrechtliche Eheschließung hinaus der Wille beider Ehegatten zur Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet erforderlich sei. Bei einer wirksam geschlossenen Ehe sei grundsätzlich von dieser Absicht auszugehen; eine behördliche Prüfung des Einzelfalles sei nur ausnahmsweise bei begründetem Verdacht zulässig. Das Berufungsgericht habe nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht die notwendige Überzeugung dafür gewinnen können, dass beide Eheleute den Willen hätten, eine eheliche Lebensgemeinschaft herzustellen; vielmehr bestünden Anhaltspunkte für einen mangelnden Herstellungswillen. Denn die Ehegatten stellten die Zeit ihres Kennenlernens deutlich unterschiedlich dar. Zweifel am Herstellungswillen des Klägers ergäben sich daraus, dass dieser seine spätere Ehefrau trotz ihres Wunsches während ihres Krankenhausaufenthalts und der Rehabilitation im Jahr 2002 nicht besucht habe. Vor diesem Hintergrund gewännen die für Pakistan ungewöhnlichen Umstände bei der Eheschließung sowie der erhebliche Altersunterschied der Eheleute von 22 Jahren an Bedeutung. Andererseits habe das Berufungsgericht nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die Ehe nur geschlossen worden sei, um dem Kläger die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen. Schließlich sei die Ehefrau des Klägers zweimal nach Pakistan gereist und ihrer Heirat sei eine mehrjährige gemeinsame berufliche Tätigkeit vorausgegangen, die eine persönliche Annäherung jedenfalls als möglich erscheinen lasse. Daher komme es hinsichtlich des Herstellungswillens auf die Verteilung der materiellen Beweislast an. Diese trage auch nach Einfügung des Ausschlussgrundes (§ 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG) der Ausländer. Die Gegenauffassung, nach der die Behörde die Beweislast trage, könne angesichts der historischen Auslegung der Vorschrift nicht überzeugen. Die Neuregelung, die Art. 16 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2003/86/EG umsetze, solle nach der Begründung des Gesetzentwurfs dem Missbrauch eines Aufenthaltsrechts entgegenwirken. Zudem habe der Gesetzgeber das Unrechtsbewusstsein bei den Betroffenen schärfen und die Rechtsanwender sensibilisieren wollen. Die Beweislast für den Herstellungswillen bleibe deshalb unverändert. Feststellungen zum Herstellungswillen lägen zudem in der unmittelbaren Lebenssphäre der Ehegatten, so dass auch der Gedanke der Beweisnähe dafür spreche, diesen die Beweislast aufzuerlegen.

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Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, diese Auslegung des § 27 Abs. 1a AufenthG verletze Bundesrecht. Aus dem Wortlaut der Vorschrift folgten hohe Anforderungen an den Nachweis einer Zweckehe; Zweifel an der Ernsthaftigkeit und bloße Indizien reichten für die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis nicht aus. Der Gesetzgeber habe einen speziellen Ausschlussgrund für den Familiennachzug normiert, so dass für die Beurteilung des Vorliegens einer Zweckehe ein Rückgriff auf § 27 Abs. 1 AufenthG nicht mehr in Betracht komme. An dem Wortlaut des Entwurfs habe man im Gesetzgebungsverfahren trotz des Hinweises auf eine mögliche Änderung der Beweislastverteilung festgehalten, so dass der Schluss auf eine Beweislastumkehr gerechtfertigt sei.

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Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung und macht sich deren Begründung zu eigen.

Entscheidungsgründe

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Die Revision, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist unbegründet. Auf der Grundlage seiner den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen hat das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) entschieden, dass § 27 Abs. 1 AufenthG der Erteilung eines Visums an den Kläger für einen Nachzug zu seiner deutschen Ehefrau entgegensteht. Denn für den Willen zur Herstellung einer ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet, den das Berufungsgericht weder positiv noch negativ hat feststellen können, trägt der nachzugswillige Familienangehörige die materielle Beweislast.

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1. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des auf Erteilung eines Visums gerichteten Klagebegehrens ist - ungeachtet der bereits im Dezember 2005 erfolgten Antragstellung - grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz, hier also im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung am 29. Januar 2009. Deshalb ist auf die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) abzustellen, die - soweit hier einschlägig - die Rechtsänderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - berücksichtigen und auch derzeit noch unverändert gelten.

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2. Die Erteilung des für den angestrebten Daueraufenthalt nach § 6 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderlichen Visums richtet sich gemäß Satz 2 der Vorschrift nach den für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis geltenden Vorschriften. Für den ausländischen Ehegatten eines Deutschen wird gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 27 Abs. 1 AufenthG die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Artikel 6 des Grundgesetzes erteilt. Ein Familiennachzug wird nach § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG u.a. dann nicht zugelassen, wenn feststeht, dass die Ehe ausschließlich zu dem Zweck geschlossen wurde, dem Nachziehenden die Einreise in das und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen.

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Das Berufungsgericht hat sich nicht die gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1VwGO notwendige Überzeugungsgewissheit davon verschaffen können, dass im Fall des Klägers die Voraussetzungen des Versagungsgrundes in § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG vorliegen. Das ist auf der Grundlage seiner den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Diese Würdigung nimmt die Revision denn auch als ihr günstig hin und wendet sich dagegen, dass das Berufungsgericht den geltend gemachten Anspruch sodann an § 27 Abs. 1 AufenthG geprüft und aufgrund einer Beweislastentscheidung zulasten des Klägers abgelehnt hat. Die Revision ist der Auffassung, der Gesetzgeber habe mit der Einfügung des speziellen Versagungsgrundes in § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG eine abschließende Regelung für Verdachtsfälle einer Scheinehe getroffen. Systematisch sei bei fehlendem Nachweis der strengen Voraussetzungen für das Vorliegen einer Zweckehe i.S.d. § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG kein Rückgriff auf Absatz 1 der Vorschrift möglich. Demzufolge sei die Beweislast für das Vorliegen einer Scheinehe auf die Behörde übergegangen. Dem folgt der Senat nicht, da diese Auffassung weder gemeinschaftsrechtlich vorgezeichnet ist noch dem erkennbaren Anliegen des Gesetzgebers entspricht.

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a) Mit dem durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) neu eingefügten Ausschlusstatbestand des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG hat der Gesetzgeber Art. 16 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl EU Nr. L 251 S. 12 vom 3. Oktober 2003) - sog. Familienzusammenführungsrichtlinie - nahezu wortgleich umgesetzt. Daneben können die Mitgliedstaaten gemäß Art. 16 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie den Antrag auf Einreise zum Zweck der Familienzusammenführung u.a. dann ablehnen, wenn zwischen dem Zusammenführenden und dem Familienangehörigen keine tatsächlichen ehelichen oder familiären Bindungen (mehr) bestehen. Diese gemeinschaftsrechtliche Regelung entspricht dem Grundtatbestand des Familiennachzugs in § 27 Abs. 1 AufenthG, der bereits in § 17 Abs. 1 AuslG 1990 enthalten war. Zwar sind die Bestimmungen der Richtlinie auf den im vorliegenden Fall begehrten Familiennachzug zu einem deutschen Ehegatten nicht unmittelbar anzuwenden. Denn die Richtlinie regelt nur die Familienzusammenführung durch Drittstaatsangehörige (Art. 1 der Richtlinie), so dass gemäß Art. 2 Buchst. c der Richtlinie ein deutscher Staatsangehöriger nicht "Zusammenführender" sein kann. Dennoch ist Art. 16 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie bei der Auslegung des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG zu berücksichtigen, da der Bundesgesetzgeber den Familiennachzug zu einem deutschen Staatsangehörigen insoweit bewusst derselben Regelung unterworfen hat (BTDrucks 15/5065 S. 170).

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Lassen sich die Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes in Art. 16 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie nicht feststellen, ist der Rückgriff auf die in Absatz 1 Buchst. b getroffene Regelung nach der Systematik, in der diese beiden Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zueinander stehen, nicht verschlossen. Die Entstehungsgeschichte der Familienzusammenführungsrichtlinie belegt vielmehr, dass der Versagungstatbestand in Art. 16 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie die Regelung in Absatz 1 Buchst. b nicht verdrängen, sondern lediglich ergänzen soll. Die Kommission hatte in ihrem ersten Richtlinienentwurf vom 1. Dezember 1999 nur eine dem heutigen Ausschlusstatbestand in Art. 16 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie entsprechende Regelung vorgesehen (Art. 14 Abs. 1 Buchst. b des Vorschlags der Kommission für eine Richtlinie des Rates betreffend das Recht auf Familienzusammenführung vom 1. Dezember 1999, KOM(1999) 638 endgültig S. 22 und S. 32). Mit dieser Konzeption vermochte sie sich jedoch im Rat nicht durchzusetzen (vgl. die Beratungsergebnisse der Gruppe "Migration und Flüchtlinge" vom 27. Juli 2001, Ratsdokument 11330/01 S. 8 zu dem Vorläufer des nunmehrigen Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie). Deshalb wurden in dem geänderten Richtlinienentwurf der Kommission vom 2. Mai 2002 die Versagungsgründe in Art. 16 Abs. 1 und 2 gleichrangig nebeneinander gestellt (vgl. die Begründung des geänderten Vorschlags der Kommission für eine Richtlinie des Rates betreffend das Recht auf Familienzusammenführung vom 2. Mai 2002, KOM(2002) 225 endgültig S. 11). Gemeinschaftsrechtlich ist es demzufolge nicht ausgeschlossen, auch bei mangelnder Erweislichkeit einer Zweck- oder Scheinehe ein Visum zum Zweck der Familienzusammenführung abzulehnen, wenn keine tatsächlichen ehelichen Bindungen bestehen oder ein entsprechender Wille nicht bei beiden Eheleuten feststellbar ist.

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b) Dieses Verständnis liegt auch dem nationalen Regelungssystem in § 27 AufenthG zugrunde. Der Gesetzgeber hat für den Familiennachzug in § 27 Abs. 1 AufenthG - wie bereits in § 17 Abs. 1 AuslG 1990 - die in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltenen aufenthaltsrechtlichen Rechtswirkungen nachgezeichnet (BTDrucks 15/420 S. 80 f. zu § 27 AufenthG und BTDrucks 11/6321 S. 60 zu § 17 Abs. 1 AuslG 1990). Danach reicht allein das formale Band der Ehe nicht aus, um aufenthaltsrechtliche Wirkungen zugunsten des ausländischen Ehegatten abzuleiten. Erst der Wille zur Herstellung bzw. Fortführung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet löst den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG aus (Urteil vom 23. März 1982 - BVerwG 1 C 20.81 - BVerwGE 65, 174 <179 f.> m.w.N.; ebenso BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. - BVerfGE 76, 1 <42 f.>). Dieser Wille muss, wie sich aus dem Wesen der Ehe als Lebensgemeinschaft von Mann und Frau ergibt, bei beiden Eheleuten bestehen (vgl. Beschluss vom 25. Juni 1984 - BVerwG 1 B 41.84 - InfAuslR 1984, 267 f.).

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Für Anträge auf Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug folgt daraus, dass es entscheidend darauf ankommt, ob die Eheleute die eheliche Gemeinschaft im Bundesgebiet herstellen wollen, mithin nicht lediglich eine Scheinehe vorliegt (Beschluss vom 8. Januar 1991 - BVerwG 1 A 102.90 - Buchholz 402.24 § 2 AuslG Nr. 110). Soweit der Wille der Ehepartner, die Ehe im Bundesgebiet zu führen, für das Aufenthaltsrecht wesentlich ist, sind Behörden und Gerichte bei berechtigtem Anlass zur Prüfung befugt, ob dieser Wille nur vorgeschützt ist (Urteil vom 23. Mai 1995 - BVerwG 1 C 3.94 - BVerwGE 98, 298 <306>; BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2003 - 2 BvR 2042/02 - DVBl 2003, 1260). Die Zulässigkeit punktueller Kontrollen bei Vorliegen eines begründeten Verdachts bleibt gemeinschaftsrechtlich gemäß Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2003/86/EG unberührt. Eine Nachprüfung darf freilich nur unter Wahrung der Verfassungsgebote geschehen, die Menschenwürde und die Intimsphäre der Betroffenen zu achten und zu schützen (Urteil vom 9. September 2003 - BVerwG 1 C 6.03 - BVerwGE 119, 17 <21>; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. - BVerfGE 76, 1 <61>).

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Ist die innere Tatsache, eine eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet führen zu wollen, nach Ausschöpfung der zugänglichen Beweisquellen auch bei nur einem Ehepartner nicht erweislich, stellt sich die Frage der Beweislastverteilung. Nach der bisherigen Rechtsprechung zu § 17 Abs. 1 AuslG 1990 gehört der Herstellungswille beider Eheleute zu den günstigen Tatsachen, für die der Ausländer, der ein Visum zum Familiennachzug begehrt, die materielle Beweislast trägt (Beschluss vom 22. Dezember 2004 - BVerwG 1 B 111.04 - Buchholz 402.240 § 23 AuslG Nr. 10). Diese Zuweisung der Last des non liquet hat das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG nicht beanstandet (BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2003 - 2 BvR 2042/02 - DVBl 2003, 1260).

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Diese Beweislastverteilung hat sich durch Einfügung des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG nicht verändert (VGH Kassel, Beschluss vom 3. September 2008 - 11 B 1690/08 - NVwZ-RR 2009, 264 f.; VG Berlin, Urteil vom 5. September 2007 - 9 V 10.07 - ; VG Darmstadt, Beschluss vom 28. März 2008 - 7 G 1447/07 - ; Hailbronner, AuslR, Stand Februar 2008, § 27 Rn. 59; Jobs, ZAR 2008, 295 <298>; Breitkreutz/Franßen-de la Cerda/Hübner, ZAR 2008, 381 <382>; Hailbronner, FamRZ 2008, 1583 <1586>; a.A. VG Berlin, Urteil vom 30. Januar 2008 - 7 V 35.07 - ; VG Sigmaringen, Beschluss vom 12. Januar 2008 - 6 K 2712/07 - ; VG Lüneburg, Beschluss vom 7. August 2008 - 1 B 45/08 - ; Marx, in: GK-AufenthG, Stand Mai 2008, II-§ 27 Rn. 139, 192 ff.; Göbel-Zimmermann ZAR 2008, 169 <170>; Oestmann, InfAuslR 2008, 17 <21 f.>). Der Gesetzgeber hat anlässlich der Umsetzung der Familienzusammenführungsrichtlinie den Versagungsgrund in das Aufenthaltsgesetz aufgenommen, um durch die ausdrückliche Normierung dem Missbrauch eines Aufenthaltsrechts entgegenzuwirken und den Anreiz zur Schließung von Zweckehen zu nehmen (BTDrucks 16/5065 S. 3 und S. 152). Hatte der Referentenentwurf noch die Formulierung als Anspruchsvoraussetzung vorgesehen ("Ein Familiennachzug von Ehegatten darf nur zugelassen werden, wenn ..."), wurde er im Gesetzentwurf der Bundesregierung als Versagungsgrund ausgestaltet ("Ein Familiennachzug wird nicht zugelassen, wenn ..."). Damit sollte der Vorwurf eines generellen Misstrauens gegenüber Ehen mit ausländischen Ehepartnern sowie mangelnder Vereinbarkeit mit der nur punktuellen verdachtsgebundenen Kontrollbefugnis gemäß Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie ausgeräumt werden. Die Bundesregierung wollte mit ihrem Gesetzentwurf zum einen das Unrechtsbewusstsein bei den Betroffenen schärfen und zum anderen die Rechtsanwender für eine sorgfältige Prüfung sensibilisieren. Nach ihren Vorstellungen sollte die Vorschrift mit ihrer Signalfunktion keinesfalls die bisher bestehende Beweislastverteilung zulasten des nachzugswilligen Antragstellers verändern, um nicht das gesetzgeberische Anliegen ins Gegenteil zu verkehren (BTDrucks 16/5498 S. 4 f.).

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Diese deutlichen Befunde der historischen Auslegung sprechen für die Auffassung des Berufungsgerichts, das Konkurrenzverhältnis zwischen § 27 Abs. 1a Nr. 1 und Abs. 1 AufenthG in Fällen der Nichterweislichkeit einer Schein- oder Zweckehe dahingehend aufzulösen, das Visumbegehren auch am Grundtatbestand des Familiennachzugs in Absatz 1 der Vorschrift zu messen. Die von der Revision vertretene Gegenauffassung misst der Umformulierung des Referentenentwurfs von einer Anspruchsvoraussetzung in einen Versagungsgrund zu große Bedeutung bei (Marx a.a.O. Rn. 192 ff.). Soweit sie aus dem Fehlen einer eigenständigen non-liquet-Regelung in § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG auf ein Leerlaufen der Vorschrift schließt (Oestmann a.a.O. S. 22), wird sie der Signalfunktion des zur Missbrauchsabwehr in das Gesetz eingefügten Versagungsgrundes nicht gerecht. Um dem in den Gesetzgebungsmaterialien klar zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers Rechnung zu tragen, ist § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG nicht als abschließende Regelung zu verstehen. Bei Nichterweislichkeit ihrer Voraussetzungen verdrängt sie nicht den Grundtatbestand des Familiennachzugs in § 27 Abs. 1 AufenthG, sondern dieser ist ergänzend als Prüfungsmaßstab heranzuziehen. Die materielle Beweislast für die Absicht der Eheleute, im Bundesgebiet eine eheliche Lebensgemeinschaft herzustellen, hat sich daher durch Einfügung des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG in Fällen der Nichterweislichkeit einer Schein- oder Zweckehe nicht verändert.

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c) Von diesem Verständnis der Vorschriften ausgehend hat das Berufungsgericht mangels Erweislichkeit der Voraussetzungen des § 27 Abs. 1a AufenthG zu Recht auf Absatz 1 der Vorschrift zurückgegriffen. Bei der Prüfung des Visumbegehrens hat es insoweit im Rahmen der ihm obliegenden Beweiswürdigung nicht die gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO erforderliche Überzeugungsgewissheit gewonnen, dass nicht nur seine Ehefrau, sondern auch der Kläger den Willen hat, im Bundesgebiet eine eheliche Lebensgemeinschaft herzustellen. Das Berufungsgericht hat - wie bereits das Verwaltungsgericht - hinsichtlich des Klägers auf mehrere zu seinen Lasten sprechenden Indizien abgestellt und diese entsprechend gewertet. Die ausführlich begründete Beweiswürdigung ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden; insbesondere wurde ihr kein mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG überzogener Maßstab zugrunde gelegt. Da nach Ausschöpfung der vorhandenen Beweisquellen der bei beiden Ehegatten erforderliche Herstellungswille weder positiv noch negativ festgestellt werden konnte, hat das Berufungsgericht zutreffend eine Beweislastentscheidung zulasten des Klägers getroffen.