Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 20.11.2018


BVerwG 20.11.2018 - 1 C 25/17

Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsdatum:
20.11.2018
Aktenzeichen:
1 C 25/17
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2018:201118U1C25.17.0
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 14. Juli 2017, Az: 11 A 155/17, Urteilvorgehend VG Köln, 6. Dezember 2016, Az: 10 K 6856/15

Tatbestand

1

Der 1983 in Litauen geborene Kläger, der in der Russischen Föderation wohnhaft ist, begehrt die Erteilung eines Aufnahmebescheides nach dem Bundesvertriebenengesetz (BVFG).

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Im Oktober 2003 hatte der Kläger erstmals einen Aufnahmeantrag gestellt, den das Bundesverwaltungsamt mit Bescheid vom 26. September 2006 abgelehnt hatte. Zur Begründung hatte es ausgeführt, es bestünden bereits Zweifel an der deutschen Abstammung des Klägers, für die es nur auf die Eltern ankomme. Soweit seine Mutter in der vorliegenden Neuausstellung seiner Geburtsurkunde aus dem Jahr 2003 mit deutscher Nationalität geführt werde, sei dies nicht beweisgeeignet, weil es seit 1990 möglich sei, Nationalitäteneintragungen ändern zu lassen. Der Kläger habe nicht substantiiert dargelegt, dass zumindest ein Elternteil auch bereits in der Erstausstellung seiner Geburtsurkunde mit deutscher Nationalität geführt worden sei. Zudem habe der Kläger ein durchgängiges Bekenntnis zum deutschen Volkstum nicht nachgewiesen, da sein Inlandspass 2003 ohne Nationalitätseintrag neu ausgestellt worden und nicht ersichtlich sei, mit welcher Nationalität er in seinem ersten Inlandspass geführt worden sei. Der Bescheid war bestandskräftig geworden.

3

Im November 2014 stellte der Kläger unter Bezugnahme auf die Änderungen durch das Zehnte BVFG-Änderungsgesetz einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens, den er zunächst nicht weiter begründete. Das Bundesverwaltungsamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 30. März 2015 ab. Ein Wiederaufnahmeanspruch nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG bestehe nicht, denn hinsichtlich des Abstammungserfordernisses habe sich für den Kläger durch die Gesetzesänderung keine Besserstellung ergeben. Für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne gemäß § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG lägen keine hinreichenden Gründe vor.

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Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, nach Inkrafttreten des Zehnten BVFG-Änderungsgesetzes sei ein durchgängiges Bekenntnis zum deutschen Volkstum nicht mehr erforderlich. Das fehlende Bekenntnis sei im Ablehnungsbescheid damit begründet worden, nach 1990 ausgestellte Urkunden seien nicht beweisgeeignet. Mit derselben Begründung seien Zweifel an der deutschen Abstammung geäußert worden. Unabhängig von der Frage, ob neu ausgestellte Personenstandsurkunden zur Feststellung einer deutschen Abstammung beweisgeeignet seien, könne der Kläger seine deutsche Abstammung über seine Großeltern nachweisen, denn seine Großmutter sei anerkannte Spätaussiedlerin. Das Bundesverwaltungsamt wies den Widerspruch zurück.

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Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat diese Entscheidung mit Urteil vom 14. Juli 2017 geändert und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger einen Aufnahmebescheid zu erteilen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens. Die Rechtslage habe sich durch das Zehnte BVFG-Änderungsgesetz nachträglich zu seinen Gunsten geändert. Mit der Neufassung des § 6 Abs. 2 BVFG seien die Anforderungen an das Bekenntnis zum deutschen Volkstum und an das Bestätigungsmerkmal Sprache erleichtert worden. Diese Rechtslagenänderung ermögliche auch eine dem Kläger günstigere Entscheidung, da er nunmehr alle Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufnahmebescheides erfülle. Dass der bestandskräftige Ablehnungsbescheid - entgegen der Auffassung des Klägers - auch auf das Fehlen der Abstammung von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen gestützt worden sei und insoweit keine Rechtsänderung vorliege, sei unschädlich. Die Bestandskraft des ablehnenden Bescheides betreffe den Streitgegenstand als solchen und beziehe sich nicht darüber hinaus auch auf einzelne Tatbestandsvoraussetzungen. Auch das Abstammungserfordernis sei daher im Rahmen des wiederaufzugreifenden Verfahrens ohne Bindung an die bestandskräftige Ablehnung in der Sache neu zu prüfen. Die zu treffende neue Sachentscheidung falle zugunsten des Klägers aus. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufnahmebescheides lägen vor; insbesondere sei der Kläger deutscher Volkszugehöriger. Das Merkmal der Abstammung sei nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts generationenübergreifend zu verstehen. Es sei beim Kläger erfüllt, weil seine Großmutter mütterlicherseits anerkannte Spätaussiedlerin sei. Er habe sich auch zum deutschen Volkstum bekannt. Zwar weise sein 2003 ausgestellter Inlandspass keinen Nationalitäteneintrag auf. Der Kläger werde aber in der Ende 2012 ausgestellten Geburtsurkunde seines Sohnes mit deutscher Nationalität geführt. Dass er ein einfaches Gespräch in deutscher Sprache führen könne, sei bereits beim Sprachtest im August 2006 festgestellt worden.

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Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. Die Rechtslage habe sich nicht zugunsten des Klägers geändert. Die Überwindung der Bindungswirkung der Rechts- bzw. Bestandskraft nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG setze voraus, dass die Änderung Tatbestandsmerkmale betreffe, die im ursprünglichen Verfahren für den Inhalt des Verwaltungsakts entscheidungserheblich gewesen seien und an deren Stelle nunmehr eine wesentlich neue, für den Betroffenen günstigere Sach- oder Rechtslage getreten sei. Für den Anspruch auf Wiederaufgreifen sei nicht entscheidend, ob der Betroffene aktuell alle Voraussetzungen erfülle, sondern ob der Gesetzgeber die Durchbrechung der Bestandskraft für ihn ermöglichen wollte. Mit dem Zehnten BVFG-Änderungsgesetz habe der Gesetzgeber lediglich das Bekenntnis zum deutschen Volkstum auf andere Weise ermöglichen und das Merkmal der familiären Vermittlung der deutschen Sprache nicht mehr als unabdingbare Voraussetzung fordern wollen. Sollte diese Änderung der Rechtslage dazu führen, dass eine Änderung der Rechtsprechung zur generationenübergreifenden Abstammung einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens begründen könnte, konterkarierte dies die höchstrichterliche Rechtsprechung, dass eine Änderung der Norminterpretation nicht zu einer Änderung der Rechtslage führt.

7

Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil.

8

Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren und tritt der Rechtsauffassung der Revision bei.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Wiederaufgreifen des Verfahrens unter Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) bejaht. Seine Rechtsauffassung, ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens wegen einer Änderung der Rechtslage könne auch dann bestehen, wenn der bestandskräftige Ablehnungsbescheid auch auf das Fehlen einer Tatbestandsvoraussetzung gestützt worden ist, zu der kein durchgreifender Wiederaufnahmegrund geltend gemacht worden ist, ist mit § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG unvereinbar. Das angegriffene Urteil stellt sich auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen, hinreichenden Tatsachenfeststellungen auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO), sodass der Senat abschließend zulasten des Klägers entscheiden kann.

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Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des vom Kläger mit der Verpflichtungsklage verfolgten Anspruchs sind § 51 VwVfG in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 23. Januar 2003 (BGBl. I S. 102) sowie das Bundesvertriebenengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. August 2007 (BGBl. I S. 1902), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner vom 20. November 2015 (BGBl. I S. 2010). Die durch Art. 1 des Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes - im Folgenden: Zehntes BVFG-Änderungsgesetz - vom 6. September 2013 (BGBl. I S. 3554) bewirkten Änderungen der Anforderungen an die deutsche Volkszugehörigkeit gemäß § 6 Abs. 2 BVFG gelten danach - abgesehen von einer redaktionellen Anpassung durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung des Häftlingshilfegesetzes und zur Bereinigung des Bundesvertriebenengesetzes vom 7. November 2015 (BGBl. I S. 1922) - unverändert fort.

11

Nachdem der Aufnahmeantrag des Klägers aus dem Jahr 2003 unanfechtbar abgelehnt worden ist, kann sein Begehren auf Erteilung eines Aufnahmebescheides nur Erfolg haben, wenn er zuvor ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 VwVfG (Anspruch auf Wiederaufgreifen) oder nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG (Wiederaufgreifen nach Ermessen) erreicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2018 - 1 C 26.17 - juris Rn. 16). Die Voraussetzungen eines Rechtsanspruchs auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG liegen indes nicht vor (1.). Ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG hat die Beklagte ermessensfehlerfrei abgelehnt (2.).

12

1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat der Kläger keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG. Sein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens war nach § 27 Abs. 3 Satz 1 BVFG nicht an eine Frist gebunden. Der allein geltend gemachte Wiederaufnahmegrund des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG (Änderung der Sach- bzw. Rechtslage) liegt jedoch nicht vor. Die mit dem Antrag (und im weiteren Verlauf des Verfahrens) geltend gemachten Wiederaufnahmegründe bestimmen und begrenzen den Gegenstand der behördlichen und gerichtlichen Prüfung (BVerwG, Beschluss vom 11. Dezember 1989 - 9 B 320.89 - Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 24; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 51 Rn. 11). Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich nicht, dass sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu seinen Gunsten geändert hat.

13

a) Eine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage zugunsten des Betroffenen liegt vor, wenn sich die für den ergangenen Verwaltungsakt entscheidungserheblichen Rechtsnormen oder tatsächlichen Grundlagen geändert haben, sodass die Änderung eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung erfordert oder doch ermöglicht (vgl. BVerwG, Urteile vom 10. Oktober 2018 - 1 C 26.17 - juris Rn. 18 und vom 8. Mai 2002 - 7 C 18.01 - Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 66 S. 68; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 51 Rn. 92). Die Sach- oder Rechtslage muss sich hinsichtlich solcher Umstände geändert haben, die für den bestandskräftigen Verwaltungsakt - hier: den Ablehnungsbescheid - tatsächlich maßgeblich waren. Nicht ausreichend ist die Änderung tatsächlicher oder rechtlicher Voraussetzungen für den mit der Verpflichtungsklage erstrebten Verwaltungsakt, die für die bestandskräftige Ablehnung nicht (allein) ausschlaggebend waren.

14

b) Der bestandskräftige Bescheid vom 26. September 2006 hatte das Nichtvorliegen der deutschen Volkszugehörigkeit gemäß § 6 Abs. 2 BVFG in der Fassung des Spätaussiedlerstatusgesetzes vom 30. August 2001 (BGBl. I S. 2266) nach der revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Auslegung des Berufungsgerichts sowohl mit der fehlenden Abstammung von einem deutschen Volkszugehörigen oder deutschen Staatsangehörigen als auch mit dem fehlenden durchgängigen Bekenntnis zum deutschen Volkstum begründet.

15

c) Das Berufungsgericht hat zunächst zutreffend angenommen, dass sich der Kläger hinsichtlich des Bekenntniserfordernisses auf eine Änderung der Rechtslage berufen kann. Er hat seinen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens jedenfalls darauf gestützt, dass § 6 Abs. 2 BVFG 2013 die Anforderungen an das Bekenntnis zum deutschen Volkstum erleichtert habe, indem er kein durchgängiges Bekenntnis mehr verlange. Darin liegt eine Änderung der Rechtslage, die zu einer günstigeren Beurteilung einer im bestandskräftigen Bescheid verneinten Tatbestandsvoraussetzung für die deutsche Volkszugehörigkeit führt.

16

Hinsichtlich des Erfordernisses der Abstammung von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen hat das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht keinen eigenständigen Wiederaufnahmegrund im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG angenommen. Zwar hat der Kläger darauf hingewiesen, dass mit der Begründung, neu ausgestellte Personenstandsurkunden seien nicht geeignet, ein durchgängiges Bekenntnis zu belegen, auch die deutsche Volkszugehörigkeit seiner Mutter und damit die deutsche Abstammung des Klägers bezweifelt worden sei; dies habe sich durch das Zehnte BVFG-Änderungsgesetz geändert. Soweit er sich damit sinngemäß auch hinsichtlich der Abstammung auf eine Änderung der Rechtslage berufen haben sollte, fehlt es jedenfalls an einer substantiierten Darlegung, dass seine Mutter nach den geänderten Kriterien des § 6 Abs. 2 BVFG 2013 deutsche Volkszugehörige wäre (zur Darlegungspflicht hinsichtlich der tatsächlichen Voraussetzungen des Wiederaufnahmegrundes vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 1982 - 8 C 75.80 - Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 11 S. 5 ff.).

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Eine Änderung der Rechtslage ist auch nicht mit dem sinngemäßen Vorbringen dargetan, hinsichtlich der Abstammung könne nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Januar 2008 - 5 C 8.07 - (BVerwGE 130, 197) auch auf die Großeltern abgestellt werden. Mit diesem Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht eine umstrittene, zuvor in der Rechtspraxis überwiegend enger gehandhabte Auslegungsfrage zu dem Abstammungsmerkmal erstmals geklärt. Die erstmalige Klärung einer Rechtsfrage durch die höchstrichterliche Rechtsprechung begründet ebenso wie eine Änderung dieser Rechtsprechung regelmäßig keine Änderung der Rechtslage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2011 - 5 C 9.11 - BayVBl. 2012, 478 Rn. 27).

18

d) Mit Bundesrecht unvereinbar ist hingegen die Annahme des Berufungsgerichts, dass sich allein aus der Änderung der Sach- und Rechtslage hinsichtlich des Bekenntnismerkmals bereits ein Anspruch des Klägers auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ergibt, ohne dass auch hinsichtlich des zweiten, selbstständig tragenden Ablehnungsgrundes - der fehlenden Abstammung von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen - ein durchgreifender Wiederaufnahmegrund vorgebracht sein müsste. Denn eine Änderung der Sach- und/oder Rechtslage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG ist nicht entscheidungserheblich, wenn sie sich nur auf einen von mehreren Ablehnungsgründen bezieht, die für den unanfechtbaren Ablehnungsbescheid je für sich ausschlaggebend waren. Eine entscheidungserhebliche Änderung der Sach- bzw. Rechtslage liegt bei mehreren selbstständig tragenden Ablehnungsgründen nur vor, wenn sie sich auf alle Ablehnungsgründe auswirkt. Denn hinsichtlich eines nicht von Wiederaufnahmegründen betroffenen Ablehnungsgrundes bleibt die Bestandskraft des ablehnenden Bescheides bestehen und steht einer neuen Sachentscheidung auf der Grundlage der aktuellen (möglicherweise gewandelten) Rechtsauffassung entgegen (soweit die Behörde das Verfahren nicht nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG wiederaufgreift, dazu unten 2.).

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aa) Die Behörde darf einen bestandskräftigen Verwaltungsakt nach § 51 Abs. 1 VwVfG nicht beliebig aufheben oder ändern. Die Befugnis zu einer neuen Sachentscheidung reicht bei § 51 Abs. 1 VwVfG vielmehr nur so weit, wie der festgestellte Wiederaufnahmegrund dies rechtfertigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. September 2016 - 1 C 20.15 - juris Rn. 22; Beschlüsse vom 5. August 1987 - 9 B 318.86 - Buchholz 402.25 § 14 AsylVfG Nr. 6 S. 2 f. und vom 15. September 1992 - 9 B 18.92 - Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 69 S. 67 f.). Für den Fall mehrerer selbstständig tragender Ablehnungsgründe folgt hieraus, dass es für einen erfolgreichen Wiederaufnahmeantrag nach § 51 Abs. 1 VwVfG nicht ausreicht, wenn nur hinsichtlich eines Ablehnungsgrundes ein durchgreifender Wiederaufnahmegrund geltend gemacht wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1987 - 9 C 285.86 - BVerwGE 78, 332 <336 f.>).

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bb) Die Ausführungen des Berufungsgerichts zum Streitgegenstandsbegriff vernachlässigen, dass es um die Reichweite der Bestandskraft von Verwaltungsakten geht, die eine Begünstigung versagen. Diese erstreckt sich auf die ausschlaggebenden Ablehnungsgründe (vgl. auch Seibert, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten, 1989, S. 535), die nicht mit der Ablehnung als solcher gleichzusetzen sind (zutreffend VG Köln, Urteil vom 10. Juli 2018 - 7 K 9402/16 - juris Rn. 37). Eine Durchbrechung der Bestandskraft gemäß § 51 Abs. 1 VwVfG setzt voraus, dass die tragenden Ablehnungsgründe jeweils durch einen Wiederaufnahmegrund überwunden werden. Der Antrag und die damit geltend gemachten Wiederaufnahmegründe begrenzen insoweit den Streitgegenstand einer Klage auf Wiederaufgreifen des Verfahrens.

21

Nichts anderes folgt aus der - vom Berufungsgericht herangezogenen - Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Reichweite der Rechtskraft klageabweisender Urteile. Danach beschränkt sich die Rechtskraft einer Entscheidung zwar auf die Rechtsfolge, die den Entscheidungssatz bildet. Bei klageabweisenden Urteilen ist der aus der Urteilsbegründung zu ermittelnde ausschlaggebende Abweisungsgrund aber gerade Teil dieses Entscheidungssatzes (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 1993 - III ZR 43/92 - NJW 1993, 3204 <3205>). Entsprechend bestimmt sich im Verwaltungsprozess die Reichweite der materiellen Rechtskraft des eine Verpflichtungsklage abweisenden Urteils nach den das Urteil tragenden Entscheidungsgründen (vgl. Detterbeck, Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen im Öffentlichen Recht, 1995, S. 229).

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cc) Kein anderes Ergebnis rechtfertigt ferner die Erwägung, das Abstellen auf die tragenden Gründe des ablehnenden Bescheides bei der Prüfung des Wiederaufgreifens führe zu zufälligen oder gar willkürlichen Ergebnissen. § 51 Abs. 1 VwVfG macht die Durchbrechung der Bestandskraft eines Verwaltungsakts gerade davon abhängig, dass sich Faktoren geändert haben, die im ursprünglichen Verfahren für den Inhalt des bestandskräftigen Verwaltungsakts entscheidend waren (Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 51 Rn. 25; VG Köln, Urteil vom 10. Juli 2018 - 7 K 9402/16 - juris Rn. 35). Die von der Behörde angeführten Ablehnungsgründe prägen den Bescheid und sind Anknüpfungspunkt für das Vertrauen der Rechtsgemeinschaft in den Bestand des Bescheides und damit für die Rechtssicherheit. Es entspricht gerade der Funktion der Bestandskraft und bewirkt ungeachtet der bei der Begründung des Erstbescheides möglichen Zufälligkeiten der Heranziehung rechtlich je tragender Gründe keine Willkür, für die Wiederaufgreifensprüfung an die den Bescheid tragenden Gründe anzuknüpfen (siehe auch VG Köln, Urteil vom 10. Juli 2018 - 7 K 9402/16 - juris Rn. 35).

23

dd) Der Kläger kann sich für seine - dem Berufungsurteil entsprechende - Auffassung im Ergebnis auch nicht auf die im Gesetzgebungsverfahren gegebene Begründung zu § 27 Abs. 3 Satz 1 BVFG berufen. Dort ist ausgeführt, dass Anträge auf Erteilung eines Aufnahmebescheides oder auf Einbeziehung auch dann gestellt werden können, "wenn die Erteilung eines Aufnahmebescheides oder die Einbeziehung in einem früheren Verfahren bestandskräftig abgelehnt worden ist, nun aber die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen" (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses vom 12. Juni 2013, BT-Drs. 17/13937 S. 7). Daraus ist bereits nicht zwingend abzuleiten, dass der Gesetzgeber die Vergünstigungen der Gesetzesänderung all denjenigen zugutekommen lassen wollte, deren Aufnahmeantrag nach früherem Recht abzulehnen war, oder sogar all denjenigen, die die gesetzlichen Voraussetzungen "nun" erfüllen. Selbst wenn der Gesetzgeber aber tatsächlich allen Personen mit bestandskräftig abgelehntem Aufnahmeantrag, die nach aktueller Rechtslage und Rechtsauffassung die Voraussetzungen erfüllen, die Erteilung eines Aufnahmebescheides hätte ermöglichen wollen, hätte dieser Wille im Gesetz keinen hinreichenden Niederschlag gefunden. Denn wie sich aus § 27 Abs. 3 Satz 1 BVFG ausdrücklich ergibt, hat der Gesetzgeber solche Anträge im Grundsatz weiterhin als Wiederaufgreifensanträge eingestuft und - mit Ausnahme der Fristbindung - dem Regime des § 51 VwVfG unterstellt.

24

2. Das Berufungsurteil erweist sich nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Der Kläger hat insbesondere auch nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens. Die Beklagte hat ein Wiederaufgreifen nach diesen Vorschriften vielmehr ermessensfehlerfrei abgelehnt.

25

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann die Behörde - auch wenn, wie hier, die in § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG normierten Voraussetzungen nicht vorliegen - ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren wiederaufgreifen und eine neue, der gerichtlichen Überprüfung zugängliche Sachentscheidung treffen. Hinsichtlich der in § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG zu sehenden Ermächtigung zum Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne, welche die Korrektur inhaltlich unrichtiger Entscheidungen ermöglicht, besteht für den Betroffenen allerdings nur ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung (BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2017 - 6 C 43.16 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 196 Rn. 9 m.w.N.)

26

Der Gesetzgeber räumt bei der Aufhebung bestandskräftiger belastender Verwaltungsakte in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise weder dem Vorrang des Gesetzes noch der Rechtssicherheit als Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips einen generellen Vorrang ein. Die Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Bestandskraft von Verwaltungsakten stehen vielmehr gleichberechtigt nebeneinander. Mit Blick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit besteht jedoch ausnahmsweise dann ein Anspruch auf Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts, wenn dessen Aufrechterhaltung "schlechthin unerträglich" ist, was von den Umständen des Einzelfalles und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte abhängt (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Januar 2007 - 6 C 32.06 - NVwZ 2007, 709 Rn. 13, vom 20. März 2008 - 1 C 33.07 - Buchholz 402.242 § 54 Aufenthaltsgesetz Nr. 5, vom 24. Februar 2011 - 2 C 50.09 - Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 58 und vom 10. Oktober 2018 - 1 C 26.17 - juris Rn. 31). Das Festhalten an dem Verwaltungsakt ist insbesondere dann "schlechthin unerträglich", wenn die Behörde durch unterschiedliche Ausübung der Rücknahmebefugnis in gleichen oder ähnlich gelagerten Fällen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt oder wenn Umstände gegeben sind, die die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, dessen Rücknahme begehrt wird, kann ebenfalls die Annahme rechtfertigen, seine Aufrechterhaltung sei schlechthin unerträglich (BVerwG, Urteile vom 17. Januar 2007 - 6 C 32.06 - NVwZ 2007, 709 Rn. 13 und vom 13. Dezember 2011 - 5 C 9.11 - BayVBl. 2012, 478 Rn. 29 f.).

27

Diese Voraussetzungen liegen auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen, an die der Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden ist, nicht vor. Für einen Verstoß gegen Treu und Glauben sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Das Absehen von einer Wiederaufnahme ist nicht allein deshalb grob unbillig, weil der bestandskräftige Ablehnungsbescheid auf zwei tragende Gründe gestützt war und eine Klage deshalb wegen des eindeutigen Fehlens eines durchgängigen Bekenntnisses zum deutschen Volkstum im Ergebnis keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Denn zumindest wäre es durch eine Beschreitung des Rechtswegs möglich gewesen, die Verneinung der deutschen Abstammung als die Ablehnung tragende Begründung zu beseitigen, wenn der Kläger mit dem dem Bescheid zugrunde liegenden Verständnis des Abstammungskriteriums nicht einverstanden gewesen sein sollte.

28

Die bestandskräftige Ablehnung war auch nicht offensichtlich rechtswidrig. Sie orientierte sich hinsichtlich der angenommenen Beschränkung des Abstammungsmerkmals auf die Eltern der Sache nach an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur früheren Rechtslage und konnte sich auf die Gesetzesmaterialien zum Kriegsfolgenbereinigungsgesetz berufen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2011 - 5 C 9.11 - BayVBl. 2012, 478; BT-Drs. 12/3212 S. 23). Allein der Umstand, dass der ablehnende Verwaltungsakt - gemessen an den sich aus der aktuellen Rechtsprechung ergebenden Anforderungen - nicht rechtmäßig verfügt werden durfte, genügt für die Annahme seiner offensichtlichen Rechtswidrigkeit nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2011 - 5 C 9.11 - BayVBl. 2012, 478 Rn. 29).

29

Dafür, dass die Beklagte in vergleichbaren Fällen, in denen die bestandskräftige Versagung eines Aufnahmebescheides auch oder nur auf das Merkmal der Abstammung gestützt worden war, das Verfahren wiederaufgegriffen hätte, ist nichts ersichtlich oder geltend gemacht. Die mit der vorstehenden Auslegung des § 51 Abs. 1 VwVfG verbundenen Folgen, dass der Erfolg eines Begehrens auf Erteilung eines Aufnahmebescheides (auch) von "Zufälligkeiten" der Begründung eines früheren Bescheides sowie davon abhängt, ob der Aufnahmeantrag erstmals gestellt worden ist oder nach bestandskräftiger Ablehnung eines früheren Aufnahmeantrags, machen das Festhalten an der bestandskräftigen Ablehnung nicht schlechthin unerträglich. Sie sind gerade Ausfluss der Bestandskraft von Verwaltungsakten.

30

Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung zu. Die Beklagte hat ihr Ermessen über das Wiederaufgreifen des Verfahrens fehlerfrei zulasten des Klägers ausgeübt. Ist die Aufrechterhaltung eines bestandskräftigen Verwaltungsakts nicht "schlechthin unerträglich" und das Wiederaufgreifensermessen damit auf Null reduziert, ist es in aller Regel und so auch hier ermessensfehlerfrei, wenn die Behörde dem Aspekt der Rechtssicherheit den Vorzug gibt. Ins Einzelne gehender Ermessenserwägungen bedarf es insoweit nicht.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.