Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 15.11.2011


BVerwG 15.11.2011 - 1 C 15/10

Schengen-Visum zu Besuchszwecken; Prüfung der Rückkehrbereitschaft; Visaerleichterungsabkommen mit der Ukraine


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsdatum:
15.11.2011
Aktenzeichen:
1 C 15/10
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 24. Juni 2010, Az: 2 B 16.09, Urteilvorgehend VG Berlin, 27. April 2009, Az: 24 K 44.09 V
Zitierte Gesetze
Art 8 MRK
Art 7 EUGrdRCh
Art 1 EGV 810/2009
Art 2 EGV 810/2009
Art 18 EGV 810/2009
Art 19 EGV 810/2009
Art 21 Abs 1 EGV 810/2009
Art 23 Abs 4 EGV 810/2009
Art 25 Abs 1 EGV 810/2009
Art 32 Abs 1 EGV 810/2009
Art 58 EGV 810/2009
Art 14 Abs 1 Buchst a EGV 810/2009
Art 5 Abs 1 EGV 562/2006
Art 2 Abs 2 EGBes 840/2007
Art 4 EGBes 840/2007

Leitsätze

Die materiellen Erteilungsvoraussetzungen und Versagungsgründe des Visakodex für ein Schengen-Visum zu Besuchszwecken, nach denen u.a. zu prüfen ist, ob begründete Zweifel an der Rückkehrbereitschaft des Antragstellers bestehen, werden durch das zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Ukraine geschlossene Visaerleichterungsabkommen weder verdrängt noch modifiziert.

Tatbestand

1

Die Kläger, eine ukrainische Staatsangehörige und ihr 2001 geborener Sohn, begehren die Erteilung von Schengen-Visa zum Besuch ihres in Deutschland lebenden Ehemannes bzw. Vaters.

2

Der Ehemann der Klägerin, ebenfalls ein ukrainischer Staatsangehöriger, war 2004 als jüdischer Zuwanderer aus der Ukraine in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hatte die Klägerin später in der Ukraine geheiratet. Er ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis und bezieht Leistungen nach dem SGB II.

3

Die Kläger beantragten am 5. August 2008 bei der deutschen Botschaft in Kiew Besuchsvisa für die Zeit vom 6. bis 26. August 2008 und legten eine schriftliche Einladung des Ehemannes der Klägerin vor. Die Klägerin gab an, dass eine Familienzusammenführung vorgesehen sei, sie sich aber zuerst ein Bild von den Lebensbedingungen in Deutschland machen wolle. Ihre Anträge wurden mangels ausreichender Gewähr für die Rückkehrbereitschaft abgelehnt.

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Die Klagen hatten in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat zur Begründung seines Urteils vom 24. Juni 2010 ausgeführt, dass die zulässigen Verpflichtungsklagen unbegründet seien. Trotz Ablaufs des vorgesehenen Besuchszeitraums hätten die Kläger zwar ein Interesse an einem Verpflichtungsurteil. Die Erteilungsvoraussetzungen für die beantragten Visa lägen jedoch nicht vor. Die gebundene Entscheidung richte sich nach dem Visakodex (VK) und unterliege vollumfänglich gerichtlicher Kontrolle. Zwar hätten die Kläger den Zweck des beabsichtigten Aufenthalts durch Vorlage einer schriftlichen Einladung des Ehemannes der Klägerin entsprechend den Anforderungen des 2007 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Ukraine abgeschlossenen Visaerleichterungsabkommens (VEA) belegt. Die begehrten Besuchsvisa seien aber zu versagen, da bei der nach Art. 21 Abs. 1 und Art. 32 Abs. 1 VK gebotenen Risikobewertung begründete Zweifel an ihrer Rückkehrbereitschaft bestünden. Diese Vorschriften des Visakodex würden durch das Visaerleichterungsabkommen nicht verdrängt. Vorliegend spreche vieles dafür, dass die Kläger die familiäre Lebensgemeinschaft mit ihrem hier lebenden Ehemann bzw. Vater auf Dauer herstellen wollten. Die beabsichtigte Reise würde die Kernfamilie in Deutschland zusammenführen. Zudem hätten die Kläger derzeit mangels Sicherung des Lebensunterhalts und fehlender Deutschkenntnisse keine Aussicht auf einen legalen Familiennachzug. Positiv für ihre Rückkehrbereitschaft sprechende Gesichtspunkte von gleichem Gewicht seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Das Einkommen der bei ihren Eltern lebenden und von ihrer Mutter unterstützten Klägerin gehe nicht wesentlich über das für den Lebensunterhalt Notwendige hinaus. In Deutschland kämen die Kläger jedoch in den Genuss von Sozialleistungen. Auch der Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 GG, Art. 8 EMRK und Art. 7 GR-Charta) gebiete keine andere Risikobewertung. Es sei den Klägern zuzumuten, die Kontakte zu ihrem Ehemann bzw. Vater im gemeinsamen Heimatland zu pflegen.

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Mit ihren Revisionen verfolgen die Kläger die Verpflichtungsbegehren weiter. Sie rügen, Art. 4 VEA enthalte nicht nur verfahrensrechtliche Erleichterungen. Vielmehr dürfe die Rückkehrbereitschaft nach dem Visaerleichterungsabkommen überhaupt nicht geprüft werden. Selbst wenn man dem nicht folge, bestünden bei angemessener Berücksichtigung des Schutzes von Ehe und Familie keine begründeten Zweifel an der Rückkehrbereitschaft der Kläger.

6

Die Beklagte tritt dem entgegen.

Entscheidungsgründe

7

Die Revisionen der Kläger haben keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Kläger keine Schengen-Visa zum Besuch ihres im Bundesgebiet lebenden Ehemanns bzw. Vaters beanspruchen können. Zutreffend hat es die zulässigen Verpflichtungsbegehren (1.) an den materiellen Erteilungsvoraussetzungen und Versagungsgründen des Visakodex gemessen (2.), die durch das zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Ukraine geschlossene Visaerleichterungsabkommen nicht verdrängt werden (2.1). Ansprüche der Kläger auf einheitliche Visa für das gesamte Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten hat es ohne durchgreifenden Verstoß gegen revisibles Recht verneint (2.2). Die Erteilung von Visa mit räumlich beschränkter Gültigkeit hat es nicht geprüft; diese Verletzung revisiblen Rechts verhilft den Revisionen jedoch nicht zum Erfolg, denn insoweit stellt sich die Entscheidung des Berufungsgerichts aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO; 2.3).

8

Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Klagen auf Verpflichtung zur Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (hier: 24. Juni 2010). Zu diesem Zeitpunkt war die Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (ABl EU vom 15. September 2009 Nr. L 243 S. 1) - Visakodex (VK) - bereits in Kraft getreten. Diese Verordnung regelt seit dem 5. April 2010 (Art. 58 Abs. 2 VK) u.a. das Verfahren und die Voraussetzungen zur Erteilung von Visa für geplante Aufenthalte im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten von höchstens drei Monaten je Sechsmonatszeitraum (Art. 1 Abs. 1 VK). Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat (vgl. den entsprechenden Hinweis am Ende der Verordnung). Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts verdrängt sie die bisherige nationale Regelung in § 6 Abs. 1 bis 3 AufenthG i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) auch in den Fällen, in denen die Behörde bereits vor Inkrafttreten des Visakodex über den Visumantrag entschieden hat (Urteil vom 11. Januar 2011 - BVerwG 1 C 1.10 - NVwZ 2011, 1201 Rn. 11 f.).

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1. Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass sich das Verpflichtungsbegehren der Kläger nicht durch Zeitablauf erledigt hat. Ein Antrag auf Erteilung eines Schengen-Visums für einen kurzfristigen Besuchsaufenthalt ist bei Fehlen gegenteiliger Anhaltspunkte dahin auszulegen, dass der Antragsteller auch nach Ablauf des geplanten Aufenthaltszeitraums an seinem Besuchswunsch festhält (Urteil vom 11. Januar 2011 a.a.O. Rn. 14 ff.). Davon ausgehend hat das Berufungsgericht die Anträge der Kläger so verstanden, dass ihr Besuchsbegehren, das der Vorbereitung eines angestrebten Familiennachzugs dienen soll, nicht zeitgebunden ist. Diese Annahme steht in Einklang mit den bundesrechtlichen Auslegungsregeln (§ 133 BGB).

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2. Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nach den materiellen Erteilungsvoraussetzungen und Versagungsgründen des Visakodex (Art. 21 Abs. 1, Art. 32 Abs. 1 und Art. 25 Abs. 1 VK), die durch das zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Ukraine geschlossene Abkommen über Erleichterungen bei der Erteilung von Visa weder verdrängt noch modifiziert werden, keinen Anspruch auf Erteilung von Schengen-Visa. Dabei kann auch in diesem Fall dahinstehen, ob der Auslandsvertretung nach dem Visakodex - wie bislang nach § 6 Abs. 1 AufenthG - auf der Rechtsfolgeseite ein Ermessen verbleibt oder ob bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen ein Anspruch auf Erteilung eines Visums besteht (so das Berufungsurteil S. 8 f.). Denn die Kläger erfüllen die Tatbestandsvoraussetzungen weder hinsichtlich eines für das gesamte Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten gültigen einheitlichen Visums (Art. 2 Nr. 3 VK) noch für ein Visum mit räumlich beschränkter Gültigkeit nur für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland (Art. 2 Nr. 4 VK).

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2.1 Die materiellrechtlichen Erteilungsvoraussetzungen und Versagungsgründe sowohl für das einheitliche Visum (Art. 21 Abs. 1 und Art. 32 Abs. 1 VK) als auch für das räumlich beschränkte Visum (Art. 25 Abs. 1 VK) werden durch das zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Ukraine geschlossene Visaerleichterungsabkommen (VEA - ABl EU Nr. L 332 vom 18. Dezember 2007 S. 68; in Kraft getreten am 1. Januar 2008 - ABl EU Nr. L 24 vom 29. Januar 2008 S. 53) weder verdrängt noch modifiziert.

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Dieses auf Art. 62 Nr. 2 Buchst. b i.V.m. Art. 300 Abs. 2 und 3 EGV gestützte und gemäß Art. 300 Abs. 7 EGV (nunmehr: Art. 216 Abs. 2 AEUV) für die Organe der Gemeinschaft und für die Mitgliedstaaten verbindliche Abkommen bildet einen integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung (vgl. EuGH, Urteil vom 30. September 1987 - Rs. C-12/86, Demirel - Slg. 1987, S. 3719 Rn. 7) und gehört damit zum revisiblen Recht. Jede Vorschrift eines Abkommens ist, um ihre jeweiligen Rechtswirkungen bestimmen zu können, in ihrem Kontext auszulegen: Eine Bestimmung eines von der Gemeinschaft mit Drittländern geschlossenen Abkommens ist als unmittelbar anwendbar anzusehen, wenn sie unter Berücksichtigung ihres Wortlauts und im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Abkommens eine klare und eindeutige Verpflichtung enthält, deren Erfüllung oder deren Wirkungen nicht vom Erlass eines weiteren Aktes abhängen (EuGH, Urteile vom 30. September 1987 a.a.O. Rn. 14 und vom 26. Mai 2011 - Rs. C-485/07, Akdas - Rn. 67). Demzufolge enthält Art. 4 VEA unmittelbar anwendbares Recht.

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Nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. j VEA genügt für enge Verwandte - u.a. Ehepartner, Kinder (auch Adoptivkinder) und Eltern (auch Vormunde) ukrainischer Staatsangehörigkeit -, die Staatsangehörige der Ukraine besuchen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats rechtmäßig wohnhaft sind, zum Nachweis des Zwecks ihrer Reise die Vorlage einer schriftlichen Einladung des Gastgebers. Gemäß Art. 4 Abs. 3 VEA werden für die in Absatz 1 aufgeführten Personengruppen Visa sämtlicher Arten nach dem vereinfachten Verfahren ausgestellt, bei dem weder die in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten vorgesehenen weiteren Angaben zum Reisegrund, noch eine weitere Einladung oder Bestätigung des Reisezwecks vorgeschrieben werden dürfen. Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, dass Art. 4 VEA und die anderen Vorschriften des Abkommens das materiellrechtliche Prüfprogramm und die inhaltlichen Maßstäbe bei der Entscheidung über einen Visumantrag unberührt lassen. Denn als verfahrensrechtliche Vorschrift regelt Art. 4 VEA nur den Nachweis des Reisezwecks im Antragsverfahren. Das ergibt sich neben dem eindeutigen Wortlaut der Norm auch aus Art. 2 Abs. 2 VEA. Danach finden die innerstaatlichen Vorschriften der Ukraine oder der Mitgliedstaaten sowie das Gemeinschaftsrecht in den Fällen Anwendung, die in diesem Abkommen nicht geregelt sind, wie die Ablehnung eines Visumantrags, die Anerkennung von Reisedokumenten, der Nachweis ausreichender Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts sowie die Einreiseverweigerung und Ausweisungsmaßnahmen. Damit haben die Vertragspartner - entgegen der Auffassung der Revision - deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie mit den Bestimmungen des Visaerleichterungsabkommens keine abschließende Regelung der Visumerteilung im Verhältnis zwischen Europäischer Union und der Ukraine getroffen haben. Andernfalls könnte nie ein Versagungsgrund greifen. Ein solches Ergebnis liefe auch dem 6. Absatz der Präambel des Abkommens zuwider, demzufolge Visaerleichterungen nicht zur illegalen Migration führen sollten und die Vertragsparteien die Sicherheits- und Rückübernahmeaspekte besonders berücksichtigen. Angesichts dieses eindeutigen Auslegungsbefunds stellt sich insoweit keine unionsrechtliche Zweifelsfrage (acte clair), die eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union gebieten würde.

14

Der nach dem Inkrafttreten des Visaerleichterungsabkommens für alle Mitgliedstaaten verbindlich gewordene Visakodex wirkt grundsätzlich abschließend. Nach seinem 26. Erwägungsgrund ist es jedoch möglich, abweichende Bestimmungen in bilateralen Abkommen zwischen der Union und Drittländern zur Erleichterung der Bearbeitung von Visumanträgen festzulegen. Diese Öffnungsklausel erfasst nach Sinn und Zweck auch vor Inkrafttreten des Visakodex geschlossene Verträge wie das hier vorliegende Visaerleichterungsabkommen mit der Ukraine. Umgekehrt hat die Europäische Kommission bei Abschluss des Abkommens eine Protokollerklärung gegenüber der Ukraine über die Gründe der Verweigerung eines Visums abgegeben (ABl EU Nr. L 332 vom 18. Dezember 2007 S. 76). Darin hat sie auf einen Vorschlag zur Änderung der Gemeinsamen Konsularischen Instruktion hingewiesen, der die Gründe für die Verweigerung eines Visums und Rechtsmittel regelt; dieser Vorschlag bildet den Kern des Visakodex . Damit sind beide Regelwerke von vornherein aufeinander abgestimmt.

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Die hier maßgeblichen verfahrensrechtlichen Vorschriften des Visakodex und des Visaerleichterungsabkommens greifen unproblematisch ineinander: Art. 14 Abs. 1 Buchst. a VK verpflichtet den Antragsteller, Belege zum Zweck der Reise vorzulegen. Das Konsulat kann gemäß Absatz 3 der Vorschrift weitere Belege u.a. zum Nachweis des Reisezwecks verlangen. Demgegenüber ist im Anwendungsbereich des Visaerleichterungsabkommens eine solche Nachforderung über die in Art. 4 Abs. 2 VEA für den jeweiligen Reisezweck aufgeführten Belege hinaus nach Absatz 1 und 3 der Vorschrift ausgeschlossen. Die für die Praxis erhebliche Erleichterung liegt darin, dass der Reisezweck nach Vorlage der in Art. 4 Abs. 2 VEA genannten Unterlagen vom Konsulat nicht mehr in Frage gestellt werden darf. Daraus kann jedoch - wie bereits ausgeführt - nicht der Schluss gezogen werden, die Absicht des Antragstellers, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten rechtzeitig zu verlassen, dürfe nicht mehr geprüft werden.

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2.2 Nach Art. 23 Abs. 4 i.V.m. Art. 21 und 32 VK setzt die Erteilung eines einheitlichen Visums - neben der Zuständigkeit der Auslandsvertretung (Art. 18 VK) und der Zulässigkeit des Antrags (Art. 19 VK) - voraus, dass der Antragsteller die materiellen Einreisevoraussetzungen erfüllt und kein Versagungsgrund vorliegt (Art. 21, 32 VK).

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Nach Art. 21 Abs. 1 VK ist bei der Prüfung eines Antrags auf Erteilung eines einheitlichen Visums festzustellen, ob der Antragsteller die Einreisevoraussetzungen nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. a, c, d und e der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (ABl EU Nr. L 105 S. 1) - Schengener Grenzkodex (SGK) - erfüllt. Danach muss ein Drittstaatsangehöriger u.a. den Zweck und die Umstände des beabsichtigten Aufenthalts belegen (Art. 5 Abs. 1 Buchst. c SGK) und darf keine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellen (Art. 5 Abs. 1 Buchst. e SGK). Die Auslandsvertretung hat daher bei der Prüfung eines Antrags auf Erteilung eines einheitlichen Visums insbesondere zu beurteilen, ob beim Antragsteller das Risiko der rechtswidrigen Einwanderung besteht, ob er eine Gefahr für die Mitgliedstaaten darstellt und ob er beabsichtigt, vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums das Hoheitsgebiet zu verlassen (Art. 21 Abs. 1 Halbs. 2 VK). Sie hat das Visum nach den spiegelbildlichen Versagungsgründen in Art. 32 Abs. 1 VK u.a. zu verweigern, wenn der Antragsteller als eine Gefahr für die öffentliche Ordnung eingestuft wird (Buchst. a Nr. vi) oder begründete Zweifel an der von ihm bekundeten Absicht bestehen, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf des beantragten Visums zu verlassen (Buchst. b).

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Diese Versagungsgründe sind bei den Klägern erfüllt. Auf der Grundlage der nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen im Berufungsurteil (UA S. 13 ff.), an die der Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden ist, bestehen konkrete Anhaltspunkte, die gegen die von den Klägern behauptete Rückkehrbereitschaft sprechen. Das Berufungsgericht hat seine tatrichterliche Würdigung darauf gestützt, die Klägerin habe im Visumverfahren zu erkennen gegeben, dass sie und ihr minderjähriger Sohn einen dauerhaften Familiennachzug zu ihrem Ehemann bzw. Vater anstrebten. Der Familiennachzug ist den Klägern aber nach den Feststellungen des Berufungsgerichts derzeit mangels Sicherung des Lebensunterhalts und ausreichender Deutschkenntnisse der Klägerin verwehrt. Das Berufungsgericht hat keine vergleichbar gewichtigen Bindungen der Kläger an die Ukraine feststellen können. Denn dort lebt die Klägerin mit ihrem Sohn bei ihren Eltern in eher schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen und ist auf deren Unterstützung angewiesen. Dem aus diesen Indizien abgeleiteten Risiko einer rechtswidrigen Einwanderung in die Bundesrepublik Deutschland hat das Berufungsgericht ein hohes Gewicht beigemessen. Denn der Ehemann bzw. Vater der Kläger bezieht hier bereits Leistungen nach dem SGB II und die Kläger kämen bei einem Daueraufenthalt ebenfalls in den Genuss von Sozialleistungen. Auf dieser tatsächlichen Grundlage ist die Annahme begründeter Zweifel an der Rückkehrbereitschaft revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Die dagegen vorgebrachten Angriffe der Revision ziehen lediglich andere Schlussfolgerungen aus den vorliegenden Indizien, lassen aber nicht erkennen, dass das Berufungsgericht den Maßstab der begründeten Zweifel in Art. 32 Abs. 1 Buchst. b VK verkannt oder dieses Tatbestandsmerkmal nicht auf ausreichender Tatsachengrundlage bejaht hätte.

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Allerdings hat das Berufungsgericht seine Subsumtion unter Art. 32 Abs. 1 Buchst. a Nr. vi und Buchst. b VK um eine Kontrolle des Ergebnisses an Art. 6 GG, Art. 8 EMRK und Art. 7 GR-Charta angereichert (UA S. 15). Das steht nicht in Einklang mit revisiblem Recht, denn für diese Abwägung ist bei der Entscheidung über die Erteilung eines einheitlichen Visums kein Raum. Vielmehr ist der Schutz von Ehe und Familie bei der Erteilung eines räumlich beschränkten Visums gemäß Art. 25 VK zu berücksichtigen.

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2.3 Das Berufungsgericht hat die Erteilung von Visa mit räumlich beschränkter Gültigkeit nur für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht geprüft. Diese Verletzung revisiblen Rechts verhilft den Revisionen jedoch nicht zum Erfolg, denn insoweit stellt sich die Entscheidung des Berufungsgerichts aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 25 Abs. 1 Buchst. a VK liegen nämlich nicht vor.

21

Dieses Begehren ist im Antrag auf Erteilung eines Schengen-Visums mit enthalten, da es gegenüber dem einheitlichen, für das gesamte Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten gültigen Visum in räumlicher Hinsicht ein Minus darstellt. Liegen die Voraussetzungen für ein einheitliches Visum nicht vor, ist daher zu prüfen, ob (wenigstens) die Erteilung eines Visums mit räumlich beschränkter Gültigkeit in Betracht kommt. Denn Art. 32 Abs. 1 VK steht nach seinem Wortlaut der Erteilung eines räumlich nur für das Bundesgebiet gültigen Visums nicht entgegen (Urteil vom 11. Januar 2011 a.a.O. Rn. 27 f.).

22

Nach Art. 25 Abs. 1 Buchst. a Nr. i VK wird ausnahmsweise ein Visum mit räumlich beschränkter Gültigkeit erteilt, wenn der betreffende Mitgliedstaat es aus humanitären Gründen, aus Gründen des nationalen Interesses oder aufgrund internationaler Verpflichtungen für erforderlich hält, von dem Grundsatz abzuweichen, dass die in Art. 5 Abs. 1 Buchst. a, c, d und e SGK festgelegten Einreisevoraussetzungen erfüllt sein müssen. Wie dargelegt, ist nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. e SGK Voraussetzung für eine Einreise (u.a.), dass von dem Drittstaatsangehörigen keine Gefahr für die öffentliche Ordnung ausgeht. Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung im Sinne der Vorschrift liegt auch dann vor, wenn der Drittstaatsangehörige nicht bereit ist, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf der Gültigkeit des Visums wieder zu verlassen. Denn es besteht ein erhebliches Interesse der Mitgliedstaaten der Europäischen Union an der Verhinderung illegaler Einwanderungen.

23

Auch bei Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Ordnung verbleibt den Mitgliedstaaten allerdings die Möglichkeit, ausnahmsweise aus den in Art. 25 Abs. 1 Buchst. a VK genannten Gründen ein auf das eigene Hoheitsgebiet beschränktes Visum zu erteilen. Hierbei können familiäre Bindungen des Antragstellers an berechtigterweise im Bundesgebiet lebende Familienangehörige sowohl aus humanitären Gründen als auch aufgrund internationaler Verpflichtungen berücksichtigt werden. Angesichts des gewichtigen öffentlichen Interesses an der Verhinderung ungesteuerter Einwanderung setzt die Erteilung eines beschränkten Visums auf der Tatbestandsseite aber voraus, dass auch mit Blick auf den besonderen Schutz familiärer Beziehungen nach Art. 6 GG, Art. 8 EMRK und Art. 7 GR-Charta die Erteilung eines Besuchsvisums ausnahmsweise trotz der vom Antragsteller ausgehenden Gefahr für die öffentliche Ordnung erforderlich ist (Urteil vom 11. Januar 2011 a.a.O. Rn. 30).

24

Bei der Konkretisierung des Maßstabs der Erforderlichkeit, die in Art. 25 Abs. 1 VK den Mitgliedstaaten zugewiesen wird, ist zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte weder der Schutz der Familie nach Art. 6 GG noch das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK einen unmittelbaren Anspruch auf Einreise und Aufenthalt gewähren. Dies gilt über Art. 52 Abs. 3 GR-Charta auch für das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 7 GR-Charta. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, derzufolge der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, auch die Konsulate, bei der Entscheidung über ein Besuchsvisum familiäre Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen zur Geltung zu bringen; damit korrespondiert ein Anspruch des Grundrechtsträgers auf angemessene Berücksichtigung seiner familiären Bindungen (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. - BVerfGE 76, 1 <47 ff.>). Auch Art. 8 EMRK und Art. 7 GR-Charta verpflichten im Ergebnis zu einer solchen Abwägung nach Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen (Urteil vom 11. Januar 2011 a.a.O. Rn. 31 m.w.N.).

25

Bei der einzelfallbezogenen Abwägung der familiären Belange mit gegenläufigen öffentlichen Interessen ist zu berücksichtigen, dass sowohl auf Unions- als auch auf nationaler Ebene ein erhebliches öffentliches Interesse an der Unterbindung rechtswidriger Einwanderungen besteht. Strebt ein Drittstaatsangehöriger einen Daueraufenthalt im Bundesgebiet zum Zwecke der Familienzusammenführung mit einem Drittstaatsangehörigen an, müssen materiell die entsprechenden Einreisevoraussetzungen nach der Richtlinie 2003/86/EG (Familienzusammenführungsrichtlinie) und/oder dem nationalen Recht vorliegen. Zudem bedarf er für die Einreise und den Aufenthalt eines - von den Klägern nicht beantragten - nationalen Visums für einen längerfristigen Aufenthalt (vgl. § 6 Abs. 4 i.V.m. §§ 27 ff. AufenthG). Bei begründeten Zweifeln an der Rückkehrwilligkeit des Ausländers kommt daher auch die Erteilung eines Besuchsvisums mit räumlich beschränkter Gültigkeit nur in Ausnahmefällen in Betracht (Urteil vom 11. Januar 2011 a.a.O. Rn. 32). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.

26

Zwar fällt der erstrebte Besuchsaufenthalt im Hinblick auf die Beziehung sowohl der Klägerin zu ihrem Ehemann als auch des Klägers zu seinem Vater in den Schutzbereich des Art. 6 GG, Art. 8 EMRK und Art. 7 GR-Charta. Geht es - wie hier - auch um den persönlichen Kontakt eines Kindes zu einem Elternteil, ist zu berücksichtigen, dass dies - auch in Fällen, in denen dem Elternteil kein Sorgerecht zusteht - Ausdruck und Folge des natürlichen Elternrechts und der damit verbundenen Elternverantwortung ist (dazu ausführlich Urteil vom 11. Januar 2011 a.a.O. Rn. 33 m.w.N.; vgl. auch Art. 24 Abs. 2 GR-Charta). Dennoch ist die Ablehnung der Erteilung von Besuchsvisa im vorliegenden Fall nicht unverhältnismäßig. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Ehemann der Klägerin und Vater des Klägers die räumliche Trennung von seiner späteren Ehefrau und seinem Sohn selbst dadurch herbeigeführt, dass er im Jahr 2004 in das Bundesgebiet übergesiedelt ist. Die Kläger sind zur Aufrechterhaltung der familiären Kontakte nicht zwingend auf einen Besuch des Ehemannes bzw. Vaters in Deutschland angewiesen. Denn dieser hat die Möglichkeit, sie in der Ukraine zu besuchen und zudem den Kontakt auf andere Weise (Briefe, Telefon und Internet) aufrechtzuerhalten.