Bundesverfassungsgericht

Entscheidungsdatum: 14.09.2011


BVerfG 14.09.2011 - 1 BvR 3475/08

Nichtannahmebeschluss: Zum Tatbestandsmerkmal des „verfolgungsbedingten Vermögensverlustes“ in § 1 Abs 6 VermG im Zusammenhang mit der Beschlagnahme und Pfändung von Aktien - hier: keine Verletzung des aus Art 3 Abs 1 GG folgenden Willkürverbotes durch Ablehnung eines Vermögensverlustes bei bloßer Beschränkung der Verfügungsbefugnis - Im Übrigen teilweise Unzulässigkeit mangels hinreichender Substantiierung


Gericht:
Bundesverfassungsgericht
Spruchkörper:
1. Senat 3. Kammer
Entscheidungsdatum:
14.09.2011
Aktenzeichen:
1 BvR 3475/08
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2011:rk20110914.1bvr347508
Dokumenttyp:
Nichtannahmebeschluss
Vorinstanz:
vorgehend BVerwG, 27. Oktober 2008, Az: 8 B 87/08 (8 B 35/08), Beschlussvorgehend BVerwG, 2. September 2008, Az: 8 B 35/08, Beschlussvorgehend VG Berlin, 10. Dezember 2007, Az: VG 22 A 56.06, Urteil
Zitierte Gesetze
§ 2 Abs 1 S 3 StAngWdrG

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft von den Beschwerdeführern erfolglos geltend gemachte Ansprüche auf Feststellung ihrer Berechtigung nach den Vorschriften des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz - VermG) zum Zwecke ihrer Entschädigung nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz. Im Ausgangsverfahren ging es im Wesentlichen um die Frage, ob der Rechtsvorgänger der Beschwerdeführer als Jude in der NS-Zeit einer politisch oder rassisch bedingten Verfolgung ausgesetzt war und in deren Folge einen Vermögensverlust im Sinne des Vermögensgesetzes hinsichtlich der Aktien eines in Deutschland ansässigen Unternehmens erlitt (sogenannte Beteiligungsschädigung).

I.

2

1. Die Beschwerdeführer sind Erben des früheren deutschen Staatsangehörigen jüdischen Glaubens und Unternehmers J. M., der Deutschland im Jahr 1932 verließ und im Jahr 1939 in die USA einwanderte. Eine von M. beherrschte niederländische Aktiengesellschaft war im Januar 1933 Eigentümerin sämtlicher Aktien eines bedeutenden Warenhausunternehmens mit Sitz in Berlin, das später in E. K. Aktiengesellschaft umfirmiert wurde. Im April 1933 wurden diese Aktien (im Folgenden: K.-Aktien) dem US-amerikanischen Rechtsanwalt P. B. übertragen und auf dessen Namen in einem Depot bei der Pariser Zweigniederlassung einer US-amerikanischen Bank eingelagert. Der Kaufpreis von mehr als 3,7 Millionen holländischen Gulden wurde allerdings nicht von B. selbst aufgebracht, sondern von ausländischen Gesellschaften, die ebenfalls J. M. gehörten. B. erhielt für seine Dienste 30.000 US-Dollar. Die K.-Aktien wurden im November 1936 bei derselben Bank auf ein Depot der P. B. Investment & Securities Corp. übertragen, die sich im Jahr 1943 in N. J. Industries Inc. umbenannte. Hierbei handelte es sich gleichfalls um ein von M. beherrschtes Unternehmen.

3

Mit Entscheidung des Reichsministers des Inneren vom 7. Juli 1938 wurde J. M. die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen und zugleich sein Vermögen beschlagnahmt, das im September 1938 als dem Reich verfallen erklärt wurde.

4

Zum Zweck der Eintreibung hoher Steuerforderungen gegen J. M. erhielt die Devisenstelle beim Oberfinanzpräsidium Berlin im Februar 1941 den Auftrag, den Übergang der K.-Aktien auf den US-amerikanischen Rechtsanwalt B. zu überprüfen und die Besitzverhältnisse festzustellen. Der Prüfer kam in seinem Bericht im April 1941 und in Nachtragsberichten zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Aktienübertragung wohl um ein Scheingeschäft gehandelt und J. M. dem deutschen Staat den Zugriff auf ein großes Vermögen entzogen habe. Infolgedessen beschlagnahmte das deutsche Devisenschutzkommando Frankreich Ende 1941 die K.-Aktien bei der Pariser Depotbank.

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Die K.-Aktien gelangten nach ihrer Beschlagnahme in die Verfügungsgewalt des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg und wurden durch das Finanzamt Berlin-Mitte in dem gegen J. M. gerichteten Steuerbeitreibungsverfahren gepfändet. Der "Reichskommissar für die Behandlung feindlichen Vermögens", der von diesem Vorgehen zunächst keine Kenntnis hatte, veranlasste im April 1942 die Einrichtung der damals sogenannten Feindvermögensverwaltung über die E. K. AG als US-amerikanisches Eigentum. Die K.-Aktien wurden schließlich der Wertpapierabteilung der Deutschen Reichsbank zum Zwecke der Aufbewahrung übergeben. Der Generalbevollmächtigte B.s in Deutschland hatte über einen Hamburger Rechtsanwalt bei den deutschen Behörden wegen dieser gegen amerikanisches Eigentum gerichteten Vorgehensweise interveniert und sich insbesondere gegen eine Verwertung der K.-Aktien durch den Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg gewandt. Daraufhin kam es am 6. Juli 1943 mit Billigung des "Reichskommissars für die Behandlung feindlichen Vermögens", des Reichsfinanzministers und des Reichswirtschaftsministers zu einer Vereinbarung zwischen diesem deutschen Rechtsanwalt und dem Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg, wonach die Pfändung der K.-Aktien bestehen bleiben, aber ihre Verwertung bis zum Ablauf von sechs Monaten nach einem Friedensschluss zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika unterbleiben solle. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte B. die Gelegenheit erhalten, sein Eigentum an den Aktien nachzuweisen.

6

Nach Kriegsende wurden die im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands belegenen Vermögenswerte der E. K. AG auf Veranlassung der Sowjetischen Militäradministration vorläufig beschlagnahmt und im März 1946 unter Sequestration gestellt; im Jahr 1949 wurden sie in Volkseigentum überführt. Im Westen Deutschlands setzte die E. K. AG, die im Jahr 1948 ihren Sitz nach Hamburg verlegt hatte, ihren Geschäftsbetrieb fort.

7

Im Januar 1950 beantragte J. M. über die ihm gehörende N. J. Industries Inc. in einem Wertpapierbereinigungsverfahren nach der Kraftloserklärung der alten K.-Aktien die Gutschrift neu ausgegebener Anteilsscheine. Daraufhin wurden im März 1951 die K.-Aktien im Verhältnis 5:4 umgestellt und der N. J. Industries Inc. zum Nennwert von 8 Millionen DM gutgeschrieben.

8

2. Im Jahr 1991 meldeten die Beschwerdeführer vermögensrechtliche Ansprüche hinsichtlich der ehemaligen E. K. AG an. Im Oktober 2003 lehnte das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen Berlin die begehrte Berechtigtenfeststellung ab.

9

Die dagegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Ein verfolgungsbedingter Vermögensverlust hinsichtlich der K.-Aktien liege nicht vor. Es sei nicht belegt, dass auch die Aktien von der Anordnung des Vermögensverfalls betroffen gewesen seien, da nicht angenommen werden könne, dass J. M. selbst jemals Aktieninhaber gewesen sei. Auch seien von dem Übergang des Eigentums auf den Reichsfiskus als Gesamtrechtsnachfolger des Ausgebürgerten nur solche Vermögenswerte betroffen gewesen, die im Zugriffsbereich des nationalsozialistischen Staates gelegen hätten. Die spätere Pfändung der K.-Aktien habe unter Berücksichtigung der Vereinbarung vom 6. Juli 1943 nicht dazu geführt, dass über den Verlust der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinaus eine Einschränkung der Eigentümerposition erfolgt sei.

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Die Beschwerdeführer legten gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde ein, die das Bundesverwaltungsgericht zurückwies. Auch ihre Anhörungsrüge blieb ohne Erfolg.

11

3. Die Beschwerdeführer haben fristgerecht Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügen eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot sowie von Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG.

II.

12

Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung liegen nicht vor (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde wirft keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Frage auf (vgl. § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG), die sich nicht ohne Weiteres aus dem Grundgesetz und anhand der bisherigen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung beantworten ließe (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 f.>). Auch ist ihre Annahme nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten verfassungsmäßigen Rechte angezeigt (vgl. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).

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1. Es lässt sich nicht feststellen, dass die den gerichtlichen Entscheidungen im Ausgangsverfahren zugrunde liegende Würdigung, hinsichtlich der Aktien der E. K. AG sei nicht von einem Vermögensverlust im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG zu Lasten des Rechtsvorgängers der Beschwerdeführer auszugehen, gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als allgemeines Willkürverbot verstieße.

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Im Ausgangspunkt bleibt festzuhalten, dass die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes, die Auslegung der Gesetze und ihre Anwendung auf den einzelnen Fall Sache der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen ist, es sei denn, dass spezifisches Verfassungsrecht verletzt ist (stRspr; BVerfGE 1, 418 <420>; 80, 81 <95>; für das Vermögensrecht vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 12. Januar 2011 - 1 BvR 3132/08 -, WM 2011, S. 857 <858>). Das ist hier auch im Blick auf das allgemeine Willkürverbot nicht der Fall.

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a) Willkürlich im Sinne des in Art. 3 Abs. 1 GG ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Einen subjektiven Schuldvorwurf enthält die Feststellung von Willkür nicht (vgl. etwa BVerfGE 86, 59 <63>). Selbst fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandergesetzt hat und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfGE 87, 273 <278 f.>; 96, 189 <203>).

16

b) Hiervon ausgehend ist nicht feststellbar, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts - das den Verwaltungsakt des Landesamts bestätigt hat - unter keinem Gesichtspunkt mehr rechtlich vertretbar wäre. Sowohl die Auslegung des Merkmals des Vermögensverlusts im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG als auch die Würdigung des Geschehens im Zusammenhang mit den sogenannten K.-Aktien während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

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aa) Nach § 1 Abs. 6 VermG ist das Vermögensgesetz entsprechend auf vermögensrechtliche Ansprüche von Bürgern und Vereinigungen anzuwenden, die in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden und deshalb ihr Vermögen infolge von Zwangsverkäufen, Enteignungen oder auf andere Weise verloren haben. Mit der Regelung der Restitutionsansprüche von Opfern der NS-Verfolgung in § 1 Abs. 6 VermG - insbesondere mit dem darin enthaltenen Verweis auf die Rückerstattungsanordnung der Alliierten Kommandantur Berlin (REAO) - wollte der Gesetzgeber ausdrücklich an die zum alliierten Rückerstattungsrecht entwickelten Grundsätze anknüpfen (vgl. BTDrucks 12/2480, S. 39). Diese Anknüpfung hat zur Folge, dass auch die Rechtsprechung der alliierten Rückerstattungsgerichte bei der Auslegung und Anwendung des Vermögensgesetzes auf Restitutionsansprüche von NS-Opfern nach Maßgabe des § 1 Abs. 6 VermG heranzuziehen ist (vgl. BVerwGE 114, 68 <70>). Das gilt auch für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals des Vermögensverlusts.

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bb) Dies zugrunde gelegt ist es nicht schlechterdings unhaltbar, wenn das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass in der Ende 1941 erfolgten Beschlagnahme der K.-Aktien und ihrer nachfolgenden Pfändung kein Vermögensverlust im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG zu sehen sei. Das Gericht nimmt einen solchen Verlust "auf andere Weise" verfassungsrechtlich unbedenklich dann an, wenn der Berechtigte zumindest faktisch vollständig und endgültig aus seiner Rechtsstellung verdrängt wurde. Es kann sich dabei auf die von ihm herangezogene höchstrichterliche Rechtsprechung stützen, die ihrerseits ohne Weiteres mit dem Wortlaut der Vorschrift vereinbar ist. Schließlich hält es sich dabei in Übereinstimmung mit einer vorangegangenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in einem Parallelverfahren, in dem die Beschwerdeführer Durchgriffsansprüche nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG auf ein Grundstück geltend gemacht hatten, das früher im Eigentum der E. K. AG gestanden hatte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 2007 - BVerwG 8 B 8.07 -, ZOV 2009, S. 189).

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Allerdings gingen die Ober- und Revisionsgerichte zum alliierten Rückerstattungsrecht in ständiger Rechtsprechung davon aus, jedenfalls in der Pfändung oder Verpfändung eines Vermögenswerts liege eine ungerechtfertigte Entziehung, die damit auch  abgeschlossen sei, ohne dass es auf den Zeitpunkt einer anschließenden Verwertung ankommen sollte. Denn bereits mit der Pfändung habe der Berechtigte jedenfalls den Besitz an dem Pfandgut verloren und der Pfändende eine Rechtsstellung erlangt, kraft derer er wie ein Eigentümer habe verfügen können (vgl. ORG Berlin, Entscheidung vom 7. Januar 1959 - ORG/A/1250 -, ORGE 11, 187 <188>; Entscheidung vom 10. Mai 1965 - ORG/A/2744 -, ORGE 22, 87 <89>; ORG, 2. Senat, Entscheidung vom 29. Mai 1963 - ORG/II/853 -, RzW 1963, S. 489; KG, Entscheidung vom 3. September 1968 - 18 W 2016/65 -, RzW 1969, S. 124). Die darauf beruhende rückerstattungsrechtliche Haftung sollte lediglich dann entfallen, wenn die so entzogenen Vermögenswerte dem Berechtigten  zur freien Verfügung zurückgegeben wurden (vgl. ORG Berlin, Entscheidung vom 12. Dezember 1966 - ORG/A/3675 -, RzW 1967, S. 165).

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Für die hier entschiedene Frage eines Vermögensverlusts in Bezug auf die K.-Aktien hat das Bundesverwaltungsgericht in dem Parallelverfahren, auf das die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Bezug nimmt, die vorgenannte Rechtsprechung der Rückerstattungsgerichte zwar grundsätzlich zustimmend erwogen. Es hat aber weitergehend darauf abgestellt, dass die Beschlagnahme und Pfändung der K.-Aktien nicht isoliert zu bewerten seien. Vielmehr hätten sich die Befugnisse der Reichsbehörden auch aus der in zeitlicher Nähe erfolgten Anordnung der sogenannten Feindvermögensverwaltung sowie der anschließend im Juli 1943 getroffenen Vereinbarung ergeben, die die mit dem Fall befassten Reichsbehörden mit dem deutschen Bevollmächtigten des nach außen auftretenden amerikanischen Eigentümers der K.-Aktien getroffen hatten. Infolgedessen habe das Reich für sich keine Verwertungsbefugnisse mehr in Anspruch genommen, sondern sich mit den Rechtswirkungen der Verstrickung begnügt. Das habe aber lediglich eine Beschränkung der Verfügungsbefugnis ohne enteignende Wirkung zur Folge gehabt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 2007 - BVerwG 8 B 8.07 -, ZOV 2009, S. 189 <190>).

21

Dieser rechtliche Ansatz ist ersichtlich hinreichend tragfähig, da eine bloße Beschränkung der Verfügungsbefugnis den Berechtigten weder faktisch noch rechtlich vollständig und endgültig aus seiner Rechtsstellung verdrängt. Die Annahme eines Vermögensverlusts im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG war deshalb keineswegs zwingend. Dem entspricht es, dass auch die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Rückerstattungsrecht in bloßen Verfügungsbeschränkungen, ohne dass ein anderer wenigstens eine tatsächliche Position erlangt hatte, kraft derer er wie ein Eigentümer verfügen konnte, noch keine ungerechtfertigte Entziehung sah (vgl. etwa ORG Berlin, Entscheidungen vom 8. Februar 1960 - ORG/A/1643 -, ORGE 14, 93 <95> und vom 25. September 1971 - ORG/A/5733 -, ORGE 29, 218 <219 f.>).

22

Die Würdigung der Wirkungen des Zugriffs der deutschen Behörden auf die K.-Aktien, insbesondere zu der Frage, ob sie sich in einer bloßen Verfügungsbeschränkung erschöpft haben oder nicht, bietet ebenso wenig Anhalt dafür, dass sie schlechterdings unhaltbar sein könnte und deshalb von Verfassungs wegen beanstandet werden müsste. Es ist durchaus plausibel, das parallele und voneinander unabhängige Vorgehen der Finanzverwaltung und des "Reichskommissars für die Behandlung feindlichen Vermögens" Ende 1941/Anfang 1942 als Ausdruck einer Ungewissheit der NS-Behörden zu bewerten, ob es sich bei den K.-Aktien nach damaligen Maßstäben tatsächlich um sogenanntes jüdisches Vermögen oder aber um amerikanisches Feindvermögen handelte. In diesem Zusammenhang ist es auch nicht unvertretbar, wenn das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, von der Anordnung der Feindvermögensverwaltung seien nicht allein das Unternehmen E. K. AG und dessen Beteiligungen, sondern auch die K.-Aktien selbst erfasst gewesen. Hierin liegt insbesondere keine "Verfälschung des Sachverhalts" (so aber Willems, ZOV 2009, S. 155 <158>), weil ausweislich des von den Beschwerdeführern vorgelegten, an den Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg gerichteten Schreibens des "Reichskommissars für die Behandlung feindlichen Vermögens" vom 17. Juni 1942 dieser die Rechtsauffassung vertrat, seiner Verwaltung unterliege "auch die feindliche Beteiligung selbst"; infolgedessen sei die Klärung der wirklichen Eigentumsverhältnisse an den K.-Aktien von ausschlaggebender Bedeutung für etwaige weitere Maßnahmen. Diese Auffassung war ersichtlich auch Grundlage der späteren Zustimmung der beteiligten Behörden zu dem Vorschlag des Bevollmächtigten des nach außen auftretenden amerikanischen Eigentümers der K.-Aktien, die Pfändung zwar bestehen zu lassen, von einer Verwertung jedoch bis zum Ablauf von sechs Monaten nach einem Friedensschluss zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika abzusehen und bis dahin einen Nachweis des amerikanischen Eigentums an den Aktien zuzulassen. Hierin kann durchaus die Herbeiführung eines "Schwebezustands" zwischen einem enteignenden Zugriff auf jüdisches Vermögen und der bloßen Feindvermögensverwaltung erblickt werden. Dieser Schwebezustand war auch aus Sicht der NS-Behörden zumindest insofern ergebnisoffen, als eine spätere Freigabe der Aktien für den letztgenannten Fall im Bereich des Möglichen blieb. Er kam der Sache nach letztlich auch J. M. zugute (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 2007 - BVerwG 8 B 78.07 -, juris), unabhängig davon, dass solches von den NS-Behörden wohl kaum beabsichtigt gewesen sein mag. In Ansehung all dessen ist es jedenfalls nicht unvertretbar, trotz der Aufrechterhaltung der Pfändung bis nach Kriegsende im Ergebnis keine faktisch vollständige und endgültige Verdrängung J. M.s aus seiner Rechtsstellung hinsichtlich der K.-Aktien anzunehmen.

23

cc) Die darüber hinausgehende Rüge willkürlicher Rechtsanwendung, weil das Verwaltungsgericht nicht bereits in der Erklärung des Verfalls des Vermögens J. M.s als natürlicher Person zugunsten des Reichs einen Vermögensverlust gesehen hat, ist nicht in zulässiger Weise erhoben. Die Begründung der Verfassungsbeschwerde wird insoweit den Substantiierungsanforderungen nicht gerecht (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Die Beschwerdeführer haben sich mit der diesbezüglichen Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 3 des Gesetzes über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. Juli 1933 durch das Verwaltungsgericht ebensowenig auseinandergesetzt wie mit den korrespondierenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts im parallel geführten verwaltungsgerichtlichen Verfahren, in dem die Beschwerdeführer Durchgriffsansprüche nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG geltend gemacht hatten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 2007 - BVerwG 8 B 8.07 -, ZOV 2009, S. 189). Vielmehr haben sie es insoweit bei der pauschalen Rechtsbehauptung einer vermeintlich krassen Verkennung der Rechtslage belassen.

24

Selbst wenn man auch die nach Ablauf der Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG eingegangenen Ausführungen der Beschwerdeführer zur Rechtsauffassung der NS-Behörden im Lichte neu aufgefundener Dokumente berücksichtigt, ändert sich hieran nichts. Es mag zwar sein, dass die deutschen Stellen unter dem NS-Regime der Meinung waren, der auf die Entziehung der Staatsangehörigkeit folgende Vermögensverfall habe sich von vornherein, das heißt vorliegend bereits bei seiner Anordnung im Jahr 1938, auch auf Vermögenswerte des Betroffenen erstreckt, die sich im Ausland befanden, selbst wenn diese deshalb faktisch dem Zugriff deutscher Behörden entzogen waren. Gerade wegen dieser fehlenden rechtlichen und tatsächlichen Zugriffsmöglichkeiten am Ort der Belegenheit des Vermögenswertes im Zeitpunkt der Anordnung wird aber in der Regel auch ohne Weiteres eine Enteignung ausgeschlossen werden können. Dass vorliegend etwas anderes zutreffen könnte, lässt sich dem Vorbringen der Beschwerdeführer nicht entnehmen. Diese haben vielmehr selbst vorgetragen, dass J. M. die - jedenfalls mittelbar bestehende - Inhaberschaft an den K.-Aktien und den darin verkörperten Beteiligungsrechten an der E. K. AG durch die von ihm 1933 initiierte Tarnkonstruktion nicht verloren und zumindest einen mittelbaren Zugriff auf das Depot bei der Pariser Bank, in dem die Aktien seither lagerten, behalten hatte. Inwiefern sich hieran allein durch den Ausspruch des Vermögensverfalls im Jahr 1938 etwas substanziell im Sinne einer rechtlichen - oder auch nur tatsächlichen - Veränderung, die insbesondere als förmliche Enteignung zu beurteilen wäre, ergeben haben könnte, ist nicht ersichtlich, zumal J. M. im Jahr 1951 im Wege des Wertpapierbereinigungs- und nicht des Rückerstattungsverfahrens mittelbar die Verfügungsgewalt über Aktien der E. K. AG wiedererlangt hat.

25

dd) Da J. M. nach der Würdigung der Fachgerichte bezüglich der K.-Aktien keinen verfolgungsbedingten Vermögensverlust im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG erlitten hat, stellt sich die von den Beschwerdeführern aufgeworfene Frage nach einer Wiedergutmachungslücke im Gesetz jedenfalls nicht in dem hier entschiedenen Zusammenhang der Wiedergutmachung von erlittenem NS-Unrecht. Worin eine darüber hinausgehende Wiedergutmachungslücke bestehen soll, erläutern die Beschwerdeführer nicht im Einzelnen. Möglicherweise zielt ihr Einwand darauf ab, dass etwaige Ansprüche nach dem Ausgleichsleistungsgesetz (AusglLeistG) für den Wertverlust der Aktien der E. K. AG infolge der besatzungshoheitlichen Enteignung der in der Sowjetischen Besatzungszone belegenen Vermögenswerte des Unternehmens wohl ausgeschlossen sind, weil ein Wertpapierbereinigungsverfahren durchgeführt wurde (§ 1 Abs. 3 Nr. 6 AusglLeistG). Dies ist jedoch in erster Linie eine Frage der Verfassungsmäßigkeit dieses Ausschlusses, der nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist.

26

2. Überdies lässt sich nicht feststellen, dass das Verwaltungsgericht hinsichtlich der Nichtbeiziehung der zwischenzeitlich im sogenannten Reichsbankschatz aufgefundenen Aktien der E. K. AG verfahrensrechtlich unvertretbar vorgegangen wäre und das Recht auf Gehör verletzt hätte. Die Beschwerdeführer haben nichts dazu vorgetragen noch ist sonst erkennbar, weshalb sich dem Gericht hätte aufdrängen müssen, dass diesen Aktien ein entscheidungserheblicher Erkenntnisgewinn zu entnehmen gewesen wäre. Dies gilt umso mehr, als nach dem von den Beschwerdeführern selbst vorgelegten Verzeichnis diese Aktien erst im November 1940 ausgegeben wurden. Soweit Verfahrensverstöße in Bezug auf die Frage geltend gemacht werden, ob J. M. selbst unmittelbarer Inhaber der K.-Aktien gewesen ist oder diese nur mittelbar über eine US-amerikanische Gesellschaft hielt, ist dies unerheblich. Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruht selbständig tragend darauf, dass unabhängig hiervon schon dem Grunde nach kein Schädigungstatbestand gegeben sei.

27

Sofern die Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang auch eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG rügen, weil das Bundesverwaltungsgericht die Anforderungen an die Zulassung der Revision hinsichtlich einer entsprechenden Verfahrensrüge überspannt habe, bleibt dies aus den vorstehenden Gründen ebenfalls erfolglos.

28

3. Schließlich liegt auch die geltend gemachte Gehörsverletzung im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht vor. Die Beschwerdeführer rügen der Sache nach lediglich, dass eine solche schon deshalb gegeben sein müsse, weil das Bundesverwaltungsgericht ihrer Ansicht nach im Ergebnis falsch entschieden habe. Die Möglichkeit eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist damit jedoch nicht aufgezeigt.

29

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

30

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.