Entscheidungsdatum: 17.04.2012
1. Das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 31. August 2010 - 8 U 31/10 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidung wird aufgehoben. Der ebenfalls angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 14. Oktober 2010 - 8 U 31/10 - wird damit gegenstandslos. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen.
2. ...
3. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine Streitigkeit aus dem Dienstvertragsrecht.
1. a) Im Ausgangsverfahren hatte der dortige Kläger und Widerbeklagte (im Folgenden: Kläger), ein Zahnarzt, den Beschwerdeführer auf Zahlung von Zahnarzthonorar in Höhe von rund 7.400 € in Anspruch genommen. Der Beschwerdeführer war der Klage entgegengetreten und hatte darüber hinaus widerklagend ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 500 € geltend gemacht. Er trug vor, dass die Behandlung fehlerhaft gewesen sei; auch habe ihn der Kläger nicht über die mit der Behandlung verbundenen Risiken aufgeklärt, so dass die Behandlung als solche eine rechtswidrige Körperverletzung dargestellt habe. Eine Vergütung hierfür könne der Kläger nicht verlangen; darüber hinaus sei er jedenfalls zur Zahlung von Schmerzensgeld verpflichtet.
Das Landgericht folgte in den wesentlichen Punkten dem Antrag des Klägers und wies die Widerklage ab. Zur Begründung führte es aus, dass nach Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht ersichtlich sei, dass der Kläger den gebotenen zahnmedizinischen Standard verletzt habe. Der Vorwurf, dass der Kläger den Beschwerdeführer nicht hinreichend über die Risiken der Behandlung aufgeklärt habe, gehe fehl, da hier von einer hypothetischen Einwilligung auszugehen sei.
b) Hiergegen legte der Beschwerdeführer Berufung ein. Vor dem Oberlandesgericht berief er sich auf seinen Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren; die durch den Kläger durchgeführte zahnmedizinische Behandlung sei fehlerhaft gewesen und habe zu erheblichen Leiden und Folgeschäden geführt. Für den Fall, dass die Schädigungen entgegen der Überzeugung des Beschwerdeführers schicksalhaft gewesen sein sollten, sei der Kläger jedenfalls mangels hinreichender Aufklärung schadensersatzpflichtig. Dafür, dass er den Beschwerdeführer schuldhaft verletzt habe, könne der Kläger eine Vergütung nicht verlangen; zumindest sei aber ein eventuell bestehender Vergütungsanspruch dadurch erloschen, dass der Beklagte mit seinen Schadensersatzansprüchen gegen eventuelle Vergütungsansprüche aufgerechnet habe.
Hierauf änderte das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts zu Gunsten des Beschwerdeführers teilweise ab. Im Tatbestand des Urteils führte es aus, der Beschwerdeführer sehe sich wegen Aufklärungs- und Behandlungsmängeln nicht in der Zahlungspflicht und erhebe Gegenforderungen auf materiellen und immateriellen Schadensersatz, die er zur Aufrechnung gestellt habe; in den Entscheidungsgründen berief sich das Oberlandesgericht indes darauf, dass die Honorarforderung des Klägers dem Grunde nach unstreitig sei. Allerdings könne der Beschwerdeführer teilweise mit einer Gegenforderung aufrechnen, da die Behandlung mangels ordnungsgemäßer Risikoaufklärung nicht rechtmäßig gewesen sei. Von einer hypothetischen Einwilligung könne entgegen der Annahme des Landgerichts nicht ausgegangen werden. Dem Beschwerdeführer sei mithin ein Schmerzensgeldanspruch zuzuerkennen. Die Klagehauptforderung reduziere sich als Folge der Aufrechnung auf rund 4.000 €.
c) Gegen das Berufungsurteil erhob der Beschwerdeführer Anhörungsrüge mit der Begründung, das Oberlandesgericht habe sich mit seinem Kernvortrag zu den Rechtsfolgen der Aufklärungspflichtverletzung nicht befasst. Dem Berufungsurteil liege die Annahme zugrunde, dass dem Kläger für die Behandlung ein Vergütungsanspruch zukäme, obwohl es sich dabei auch nach Ansicht des Oberlandesgerichts um eine rechtswidrige Körperverletzung gehandelt habe; auf die entgegenstehenden Ausführungen des Beschwerdeführers in beiden Rechtszügen sei das Oberlandesgericht nicht eingegangen.
Das Oberlandesgericht wies die Anhörungsrüge zurück. Der Beschwerdeführer habe in seiner Berufungsbegründung lediglich die Meinung formuliert, dass "der Kläger keine Vergütung dafür verlangen könne, dass er den Beklagten schuldhaft verletzt habe". In der Folge habe die Berufungsbegründung aber im Wesentlichen das Bestehen von Aufrechnungsansprüchen thematisiert und mithin auch nur diese zum Gegenstand der Berufung erhoben.
2. Gegen die genannten Entscheidungen hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben. Er rügt eine Verletzung seiner Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG.
3. Die Verfassungsbeschwerde wurde dem Land Hessen sowie dem Beklagten zugestellt. Die Hessische Staatskanzlei hat eine Stellungnahme abgegeben. Der Beschwerdeführer hat hierzu seinerseits Stellung genommen.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des grundrechtsgleichen Rechts des Beschwerdeführers aus Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist danach offensichtlich begründet.
1. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG.
a) Der in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgte Anspruch auf rechtliches Gehör ist eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsgedanken für das gerichtliche Verfahren. Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein, sondern er soll vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl. BVerfGE 84, 188 <190> m.w.N.). Da dies nicht nur durch tatsächliches Vorbringen, sondern auch durch Rechtsausführungen geschehen kann, gewährleistet Art. 103 Abs. 1 GG dem Verfahrensbeteiligten das Recht, sich nicht nur zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern (vgl. BVerfGE 60, 175 <210, 211 f.>; 86, 133 <144>; stRspr). Der Anspruch auf rechtliches Gehör bedeutet auch, dass das entscheidende Gericht durch die mit dem Verfahren befassten Richter die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen muss (vgl. BVerfGE 21, 191 <194>; 96, 205 <216>; stRspr). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat, da es nicht verpflichtet ist, jedes Vorbringen in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu verbescheiden. Nur dann, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass ein Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen, nicht nachgekommen ist, ist Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. BVerfGE 25, 137 <140>; 85, 386 <404>; stRspr).
b) Solche besonderen Umstände liegen hier vor. Das Oberlandesgericht hat den Vortrag des Beschwerdeführers, dass der Kläger (schon) deswegen keine Vergütung verlangen könne, weil die Behandlung eine schuldhafte Körperverletzung darstelle, beim Abfassen der Entscheidungsgründe des Berufungsurteils offensichtlich übersehen. Hierbei handelt es sich um eine Frage von zentraler Bedeutung; hätte das Oberlandesgericht beachtet, dass der Beschwerdeführer in erster Linie eine rechtshindernde Einwendung gegen den Honoraranspruch geltend macht, und wäre es seiner hierzu vorgetragenen Rechtsauffassung gefolgt, hätte es die Klage insgesamt abweisen und den Kläger auf die Widerklage hin zur Zahlung verurteilen müssen. Der Beschwerdeführer hat die Einwendung zwar nur mit einem Satz, aber doch explizit vorgetragen; dementsprechend hat das Oberlandesgericht in den Tatbestand des angegriffenen Urteils aufgenommen, dass sich der Beschwerdeführer wegen der behaupteten Aufklärungs- und Behandlungsmängel nicht in der Zahlungspflicht sehe. Dass er - offensichtlich nur hilfsweise - mit Gegenansprüchen aufrechnen wolle, folgt hingegen erst nach der Konjunktion "und". Diese gestufte Argumentation hat das Oberlandesgericht in den Entscheidungsgründen offenbar aus dem Blick verloren.
c) Die Entscheidung beruht auf dem Gehörsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht, hätte es sich mit der geltend gemachten rechtshindernden Einwendung und der zugrunde liegenden Rechtsauffassung des Beschwerdeführers auseinandergesetzt, zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis gelangt wäre. Insbesondere wurde die zugrundeliegende Rechtsfrage bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden; die obergerichtliche Rechtsprechung ist nicht einheitlich (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 21. April 1999 - 1 U 615/98-112 -, OLGR 2000, S. 401; OLG Düsseldorf, Urteil vom 20. März 2003 - 8 U 18/02 -, VersR 2003, S. 1579; OLG Frankfurt, Urteil vom 22. April 2010 - 22 U 153/08 -, juris, Tz. 30 (obiter dictum); OLG Köln, Urteil vom 9. Dezember 1998 - 5 U 147/97 -, VersR 2000, S. 361; OLG Stuttgart, Urteil vom 17. April 2001 - 14 U 74/00 -, VersR 2002, S. 1286; OLG Nürnberg, Urteil vom 8. Februar 2008 - 5 U 1795/05 -, MDR 2008, S. 554).
2. Die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG hat besonderes Gewicht. Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, den Betroffenen von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten, wenn sie auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährleisteten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen beruht oder wenn sie rechtsstaatliche Grundsätze krass verletzt (vgl. BVerfGE 90, 22 <25>). Im vorliegenden Fall ist von einer krassen Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör auszugehen. Dabei kann offen bleiben, ob dies anders zu beurteilen wäre, wenn davon ausgegangen werden könnte, dass das Oberlandesgericht den genannten Vortrag des Beschwerdeführers schlicht aus dem Blick verloren hätte. Denn zumindest bei Zurückweisung der Anhörungsrüge war dies offensichtlich nicht mehr der Fall. Stattdessen lässt die Begründung des Oberlandesgerichts die Auffassung erkennen, es habe den Vortrag des Beschwerdeführers übergehen dürfen, da dieser "in der Folge im Wesentlichen" andere Fragen thematisiert habe. Ein bewusstes Übergehen entscheidungserheblichen Vortrags einer Partei ist mit dem Recht auf rechtliches Gehör aber ganz offensichtlich unvereinbar.
3. Ob auch bezüglich der vom Beschwerdeführer als verletzt gerügten Rechte aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 die Annahmevoraussetzungen vorliegen, bedarf damit keiner Entscheidung.
Das Urteil des Oberlandesgerichts ist hiernach gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben; die Sache ist an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen. Der die Anhörungsrüge zurückweisende Beschluss des Oberlandesgerichts wird damit gegenstandslos.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Der nach § 37 Abs. 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG festzusetzende Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit beträgt 8.000 € (vgl. BVerfGE 79, 365 <367 ff.>).