Bundesverfassungsgericht

Entscheidungsdatum: 03.09.2014


BVerfG 03.09.2014 - 1 BvR 3048/13, 1 BvR 1195/14

Nichtannahmebeschluss: Keine Verletzung von Art 5 Abs 3 S 1 durch die an einen Fachhochschullehrer gerichtete Anweisung zur Übernahme von fachbereichsfremden Lehrverpflichtungen


Gericht:
Bundesverfassungsgericht
Spruchkörper:
1. Senat 3. Kammer
Entscheidungsdatum:
03.09.2014
Aktenzeichen:
1 BvR 3048/13, 1 BvR 1195/14
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2014:rk20140903.1bvr304813
Dokumenttyp:
Nichtannahmebeschluss
Vorinstanz:
vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 27. September 2013, Az: 1 B 846/13, Beschlussvorgehend VG Darmstadt, 5. März 2013, Az: 1 L 211/13.DA, Beschlussvorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 10. April 2014, Az: 1 B 2126/13, Beschlussvorgehend VG Darmstadt, 1. Oktober 2013, Az: 1 L 1318/13.DA, Beschluss
Zitierte Gesetze
§ 61 Abs 1 S 2 Nr 3 HSchulG HE 2010

Gründe

I.

1

Der Beschwerdeführer ist Fachhochschulprofessor und wendet sich mit seinen Verfassungsbeschwerden gegen verwaltungsgerichtliche Entscheidungen im Eilverfahren, mit denen seine Anträge auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Widersprüche gegen Verfügungen der Dekanin seines Fachbereichs abgelehnt wurden.

2

1. Der Beschwerdeführer vertritt am Fachbereich Informatik der Hochschule D… das Fach "Mikroprozessortechnik, Digitaltechnik" in Lehre und Forschung. Er wurde wie bereits zuvor auch im Sommersemester und im Wintersemester 2013 durch die Dekanin seines Fachbereichs jeweils angewiesen, zwei Lehrveranstaltungen "Mikroprozessorsysteme" an seinem Fachbereich sowie eine Lehrveranstaltung "Mikroprozessorsysteme" im Wahlpflichtbereich im Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik (EIT) abzuhalten. Nach der einschlägigen Lehrverpflichtungsordnung sei der Beschwerdeführer gehalten, 18 Lehrveranstaltungsstunden zu leisten. In der Planungsphase hätten die drei genannten Lehrveranstaltungen im Umfang von insgesamt 16 beziehungsweise 17 Semesterwochenstunden mit ihm nicht abgestimmt werden können. Die Anweisung sei daher zur Erfüllung wenigstens eines Teils der Lehrverpflichtung erforderlich. Sie sei im öffentlichen Interesse sofort vollziehbar, da der Beginn der nicht anders besetzbaren und als Prüfungsleistung festgeschriebenen Lehrveranstaltungen bevorstehe.

3

Über die dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Widersprüche wurde - soweit ersichtlich - bislang nicht entschieden.

4

2. Die Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz lehnte das Verwaltungsgericht ab. Der Verwaltungsgerichtshof wies die dagegen gerichteten Beschwerden zurück. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Lehrfreiheit rügte, führte es im Wesentlichen jeweils aus, die angegriffene Verfügung verletze den Beschwerdeführer auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. April 2010 (BVerfGE 126, 1) nicht in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Die Verpflichtung zur Durchführung der Lehrveranstaltung "Mikroprozessorsysteme" entspräche der inhaltlichen Reichweite des dem Beschwerdeführer übertragenen Fachs. Es werde nicht nachvollziehbar begründet, weshalb eine Vorlesung an einem anderen Fachbereich derselben Hochschule die Wissenschaftsfreiheit beeinträchtige. Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lasse sich nicht entnehmen, dass der Kern der vorbehaltlos gewährleisteten Lehrfreiheit einschließe, Lehrveranstaltungen des eigenen Fachs nur innerhalb des eigenen Fachbereichs halten zu müssen. Vielmehr könne bei der Bestimmung der Reichweite des übertragenen Fachs auch auf die Gesamtaufgaben einer Hochschule abgestellt werden. Die Verfügung sei auch nicht etwa wegen möglicherweise bestehender inhaltlicher Unterschiede zwischen den ihm auferlegten Lehrveranstaltungen im Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik gegenüber Lehrveranstaltungen mit gleicher Bezeichnung in seinem Fachbereich nichtig. Schließlich genüge die Anweisung dem Erfordernis vorrangiger Selbstkoordination durch die Hochschullehrenden, denn in der Verfügung werde ausgeführt, dass es in der Planungsphase nicht gelungen sei, die Lehrveranstaltungen mit dem Beschwerdeführer abzustimmen.

5

3. Mit seinen Verfassungsbeschwerden rügt der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG durch die angewiesene fachbereichsfremde Lehrverpflichtung.

II.

6

Die Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe im Sinne von § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Den zulässigen Verfassungsbeschwerden kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, denn die von ihnen aufgeworfenen Fragen sind in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt. Sie sind auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt, weil sie offensichtlich unbegründet sind und daher keine Aussicht auf Erfolg haben.

7

Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, auf das er sich auch als Fachhochschullehrer berufen kann (vgl. BVerfGE 126, 1 <19>).

8

1. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährt denjenigen, die in Wissenschaft, Forschung und Lehre tätig sind, ein Grundrecht auf freie wissenschaftliche Betätigung (vgl. BVerfGE 126, 1 <19> m.w.N.). Als Abwehrrecht schützt das Grundrecht die wissenschaftliche Betätigung gegen staatliche Eingriffe und gewährt den Einzelnen einen vorbehaltlos geschützten Freiraum (vgl. BVerfGE 35, 79 <112>; 126, 1 <19>). Kern der Wissenschaftsfreiheit ist für Hochschullehrende das Recht, ihr Fach in Forschung und Lehre zu vertreten (vgl. BVerfGE 122, 89 <105 f.>; 126, 1 <19> m.w.N.).

9

a) Anweisungen gegenüber selbständig wissenschaftlich tätigen Hochschullehrerinnen und -lehrern, bestimmte Lehrveranstaltungen durchzuführen, berühren deren Recht, ihr Fach in Forschung und Lehre eigenständig zu vertreten, und damit ihre in Art. 5 Abs. 3 GG geschützte Wissenschaftsfreiheit (vgl. BVerfGE 126, 1 <24>).

10

b) Die Wissenschaftsfreiheit ist zwar vorbehaltlos gewährleistet. Allerdings sind Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit mit Rücksicht auf kollidierendes Verfassungsrecht zulässig, wofür es einer gesetzlichen Grundlage bedarf (vgl. BVerfGE 122, 89 <107>; 126, 1 <24> m.w.N.). Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit von Hochschullehrenden können insbesondere durch das Ziel der - ihrerseits durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten - Erhaltung und Förderung der Funktionsfähigkeit der Hochschulen sowie des Schutzes anderer Grundrechtsträger gerechtfertigt sein. Vor allem müssen die Universitäten und Fachbereiche ihre Aufgaben in Lehre und Forschung erfüllen können. Zu berücksichtigen sind auch die in Art. 12 Abs. 1 GG verbürgten Grundrechtspositionen der Studierenden, da die Hochschulen nicht nur der Pflege der Wissenschaften dienen, sondern auch die Funktion von Ausbildungsstätten für bestimmte Berufe haben (BVerfGE 126, 1 <25> m.w.N.).

11

Die Freiheit der Lehre für Hochschullehrerinnen und -lehrer wird insoweit auch durch ihr konkretes Amt bestimmt (vgl. BVerfGE 122, 89 <105 f.>; 126, 1 <24>). Dieses ist einfachgesetzlich durch § 43 HRG beziehungsweise durch die entsprechenden Vorschriften der Landeshochschulgesetze und durch das jeweilige konkrete Dienstverhältnis ausgestaltet. So kann den verschiedenen Aufgaben und Profilen der Hochschulen und ihrer Organisationseinheiten Rechnung getragen werden. Beschränkungen der Lehrfreiheit müssen sich in diesem gesetzlichen Rahmen halten. Hochschullehrenden dürfen Aufgaben folglich nur im Rahmen der für ihr Dienstverhältnis geltenden Regelungen übertragen werden (vgl. BVerfGE 93, 85 <98>; 126, 1 <25 f.>).

12

Da die Lehre zu den dienstlichen Pflichten der Hochschulprofessorinnen und Hochschulprofessoren gehört, sind auch Entscheidungen der zuständigen Hochschulorgane über die inhaltliche, zeitliche und örtliche Koordination der von der Hochschule anzubietenden Lehre und über die Verteilung und Übernahme von Lehrverpflichtungen grundsätzlich zulässig (vgl. BVerfGE 93, 85 <98>; 126, 1 <25>). Dabei genießt die auf Eigeninitiative und Freiwilligkeit beruhende Selbstkoordination der dem Fachbereich angehörigen Hochschullehrerinnen und -lehrer als milderes Mittel den Vorrang gegenüber der Fremdbestimmung durch die zuständigen Hochschulorgane; erst wenn eine kollegiale Einigung nicht zustande kommt, kann zur Deckung des notwendigen Lehrangebots eine einseitige Anordnung zur Durchführung der Lehrveranstaltung ergehen (vgl. BVerfGE 126, 1 <25>).

13

2. Nach diesen Maßstäben stoßen die angegriffenen Entscheidungen nicht auf verfassungsrechtliche Bedenken.

14

Die grundrechtlich geschützte Lehrfreiheit des Beschwerdeführers wird durch die Zuweisung der Lehraufgaben nicht in unzulässiger Weise beeinträchtigt. Unstreitig gehört die Vorlesung "Mikroprozessorsysteme" zu dem ihm übertragenen Fach. Der Beschwerdeführer wehrt sich in erster Linie dagegen, diese Vorlesung in einem anderen Fachbereich als demjenigen abzuhalten, in dem seine Professur angesiedelt ist. Doch hält sich die Weisung im gesetzlichen Rahmen, der verfassungsrechtlich jedenfalls vorliegend insoweit nicht zu beanstanden ist.

15

Nach der landesrechtlichen Regelung des § 61 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 HHG haben Hochschullehrende Lehrveranstaltungen ihrer Fächer in allen Studiengängen abzuhalten. Dies soll den gesamten, also nicht nur den fachbereichsbezogenen Lehrbetrieb an der Hochschule sichern (vgl. Reich, HRG, 10. Aufl. 2007, § 43 Rn. 1). Zwar sind die Hochschullehrenden, worauf auch der Beschwerdeführer abstellt, zunächst und primär in dem Fachbereich tätig, dem ihre Professur zugewiesen ist. Die landesrechtliche Ausgestaltung des Dienstverhältnisses zielt jedoch auf eine auf die gesamte Hochschule bezogene "fachliche Allzuständigkeit" der Professorinnen und Professoren (vgl. Epping, in: Leuze/Epping, HG NRW, § 35 Rn. 87 m.w.N.; Waldeyer, NVwZ 2008, S. 266 <267>; anders Thieme, in: Hailbronner/Geis, Hochschulrecht in Bund und Ländern, Bd. 1, § 43 Rn. 92 ). Ob jedwede Lehre im eigenen Fach an einem anderen Fachbereich mit der grundrechtlichen Garantie der Wissenschafts- und Lehrfreiheit immer zu vereinbaren ist, muss vorliegend nicht entschieden werden. Es kann insofern offenbleiben, inwieweit sich eine auf die gesetzgeberische Vorstellung einer "fachlichen Allzuständigkeit" in der Lehre gestützte Anweisung zur Abhaltung bestimmter Lehrveranstaltungen immer im Rahmen dessen hält, was als verhältnismäßige Einschränkung der Lehrfreiheit hinzunehmen ist. Vorliegend haben die Verwaltungsgerichte den Schutzgehalt des Grundrechts des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG jedenfalls nicht verkannt, da die Anweisungen der Dekanin gegenüber dem Beschwerdeführer sich in den verfassungsrechtlich gesteckten Grenzen halten.

16

Die Anweisungen zur Lehre im eigenen Fach in einem anderen Fachbereich verfolgen das Ziel, den Lehrbetrieb an der Hochschule zu sichern, der verfassungsrechtlich sowohl dem Schutz von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG unterfällt als auch der von Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Ausbildung der Studierenden dient. Die Anweisungen waren geeignet und zudem erforderlich, um dieses Ziel zu erreichen. Auch ein Wahlpflichtfach gehört zu den von Studierenden verpflichtend zu belegenden Veranstaltungen, die ausweislich der angegriffenen Verfügung nicht durch andere Professorinnen und Professoren übernommen werden konnte. Da sich der Beschwerdeführer seit Jahren gegen die Lehrverpflichtung wehrt und vorherige Absprachen nicht möglich waren, war die sonst vorrangige Selbstkoordination der Lehrenden aussichtslos und von der Dekanin daher nicht abzuwarten.

17

Es ist schließlich nicht ersichtlich, dass durch die Anweisung der Lehre in einem anderen Fachbereich in unverhältnismäßiger Weise in die ihm von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vorbehaltene freie Wahl von Inhalt und Methode der Lehrveranstaltung eingegriffen worden wäre. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die angewiesene Lehrveranstaltung in einem Fachbereich, der dem Fachbereich des Beschwerdeführers (Informatik) nicht völlig fern steht, sich in Methodik, Didaktik und Inhalt in gravierender, die Lehrfreiheit des Beschwerdeführers in Frage stellender Weise von der von ihm angebotenen Parallelveranstaltung im Fachbereich Informatik unterscheidet. Es handelt sich hier auch nicht um disziplinär völlig anders orientierte Studierende. Eine Verpflichtung zur Übernahme solcher Veranstaltungen ist dem Beschwerdeführer jedenfalls dann zumutbar, wenn diese - wie hier - nur einen beschränkten Teil seines Lehrdeputats umfassen und er in überwiegendem Umfang weiterhin auch in seinem eigenen Fachbereich Lehrveranstaltungen durchführt.



18

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

19

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.