Entscheidungsdatum: 14.12.2011
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Nichtgewährung von Beratungshilfe für die anwaltliche Beratung im Vorfeld einer Rentenantragstellung.
I.
Der Beschwerdeführer suchte einen Rechtsanwalt auf, um sich über die Möglichkeit beraten zu lassen, beim zuständigen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente wegen Erwerbsminderung zu beantragen. Anschließend beantragte er beim Amtsgericht für diese Beratung Beratungshilfe. Der Rechtspfleger lehnte dies ab, weil sich der Beschwerdeführer bei der örtlich zuständigen Stadtverwaltung oder beim zuständigen Rentenversicherungsträger beraten lassen könne.
Die Erinnerung hiergegen wurde vom Amtsgericht zurückgewiesen. Der Rechtspfleger habe den Antrag zu Recht abgelehnt. Die Beratung durch die zuständige Behörde, zu der diese verpflichtet sei, stelle eine andere, für den Beschwerdeführer zumutbare Möglichkeit im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 Beratungshilfegesetzes (BerHG) dar.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Zurückweisung der Erinnerung durch das Amtsgericht. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines Rechts auf effektiven Rechtsschutz sowie des Sozialstaatsprinzips.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil sie unbegründet ist.
1. Die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts verletzt den Beschwerdeführer nicht in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten.
a) Die Auslegung und Anwendung des Beratungshilfegesetzes obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Das Bundesverfassungsgericht kann hier nur dann eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist, insbesondere wenn die angegriffenen Entscheidungen Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtswahrnehmungsgleichheit, die auch im außergerichtlichen Bereich Geltung beansprucht (vgl. BVerfGE 122, 39 <50>; BVerfGK 15, 585 <586>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 12. Juni 2007 - 1 BvR 1014/07 -, NJW-RR 2007, S. 1369), beruhen (vgl. BVerfGE 56, 139 <144>; 81, 347 <358>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 12. Juni 2007 - 1 BvR 1014/07 -, NJW-RR 2007, S. 1369). Die Fachgerichte überschreiten den Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der Auslegung der Bestimmungen des Beratungshilfegesetzes zukommt, jenseits der Willkürgrenze erst dann, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch den einer unbemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung unverhältnismäßig erschwert wird (vgl. BVerfGE 81, 347 <358>). Art. 3 Abs. 1 GG verlangt dabei in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip keine vollständige Gleichstellung Unbemittelter mit Bemittelten, sondern nur eine weitgehende Angleichung (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>; 122, 39 <51>). Unbemittelte brauchen nur solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden, die ihre rechtliche Situation vernünftig abwägen und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigen (vgl. BVerfGE 9, 124 <130 f.>; 81, 347 <357>; 122, 39 <49>; BVerfGK 15, 585 <586>). Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG steht damit auch einer Besserstellung derjenigen, die ihre Rechtsberatungskosten nicht aus eigenen Mitteln bestreiten müssen und daher von vornherein kein Kostenrisiko tragen, gegenüber den Bemittelten, die ihr Kostenrisiko wägen müssen, entgegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 18. November 2009 - 1 BvR 2455/08 -, NJW 2010, S. 988 <989>). Insbesondere dürfen Rechtsuchende zunächst auf zumutbare andere Möglichkeiten für eine fachkundige Hilfe bei der Rechtswahrnehmung verwiesen werden (vgl. BVerfGE 122, 39 <51>; BVerfGK 15, 585 <586>). Als Leistung der staatlichen Daseinsfürsorge kann die Bewilligung von Beratungshilfe zudem nur dann beansprucht werden, wenn ihr Einsatz sinnvoll ist (vgl. BVerfGE 9, 256 <258>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 12. Juni 2007 - 1 BvR 1014/07 -, NJW-RR 2007, S. 1369).
b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts gerecht.
Das Amtsgericht hat den Beschwerdeführer darauf verwiesen, sich vor Inanspruchnahme von Beratungshilfe zunächst durch den zuständigen Rentenversicherungsträger beraten zu lassen. In diesem Verweis liegt angesichts der gemäß § 14 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) bestehenden Beratungspflicht des Rentenversicherungsträgers keine von Verfassungs wegen unzulässige Benachteiligung des unbemittelten Bürgers gegenüber dem bemittelten, da auch ein bemittelter verständiger Bürger zunächst versuchen würde, die kostenfreie Beratung durch die zuständige Behörde in Anspruch zu nehmen (vgl. BVerfGK 15, 585 <587>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 12. Juni 2007 - 1 BvR 1014/07 -, NJW-RR 2007, S. 1369 <1370>). Dies gilt um so mehr, als Aufwendungen für die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes im Verwaltungsverfahren - anders als im Widerspruchsverfahren - auch im Erfolgsfall nicht erstattet werden können (vgl. BSGE 55, 92 ff.; Roos, in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 63 Rn. 6 m.w.N.) und der Bemittelte daher unabhängig vom Ausgang des Verfahrens in jedem Fall die Kosten der Rechtsverfolgung zu tragen hätte (vgl. BVerfGK 15, 585 <586>).
Hinzu kommt, dass die rechtliche Betreuung nach dem Beratungshilfegesetz schon nach dem Willen des historischen Gesetzgebers lediglich vorhandene Lücken an rechtlicher Betreuung schließen, nicht aber bestehende Beratungsmöglichkeiten durch besonders sachkundige Stellen verdrängen sollte (vgl. BTDrucks 8/3311, S. 8, 11 i.V.m. BTDrucks 8/3695, S. 7). Der vom Amtsgericht angenommene Vorrang der Behördenauskunft ist auch aufgrund dieses Gesichtspunktes nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 12. Juni 2007 - 1 BvR 1014/07 -, NJW-RR 2007, S. 1369 <1370>).
2. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.