Bundesverfassungsgericht

Entscheidungsdatum: 02.04.2017


BVerfG 02.04.2017 - 1 BvR 2194/15

Nichtannahmebeschluss: Zur Abwägung hinsichtlich des Ausgleichs einer Persönlichkeitsverletzung durch Entschädigung in Geld - vorliegend keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Versagung einer Geldentschädigung


Gericht:
Bundesverfassungsgericht
Spruchkörper:
1. Senat 3. Kammer
Entscheidungsdatum:
02.04.2017
Aktenzeichen:
1 BvR 2194/15
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2017:rk20170402.1bvr219415
Dokumenttyp:
Nichtannahmebeschluss
Vorinstanz:
vorgehend OLG Düsseldorf, 13. August 2015, Az: I-16 U 121/14, Urteil
Zitierte Gesetze

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Abweisung einer Zivilklage auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.

2

1. Die Beschwerdeführerin war Moderatorin eines Kulturmagazins im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Ein ausgestrahlter Sendungsbeitrag handelte von einer Antisemitismusdebatte, zu welcher der spätere Beklagte des Ausgangsverfahrens - ein Journalist, Autor und Publizist - entscheidend beigetragen hatte. In der Anmoderation der Sendung erläuterte die Beschwerdeführerin unter anderem, weshalb der Beklagte aus ihrer Sicht ein armer Mann sei, und äußerte, er habe sich als "Mühlstein der Vergangenheitsbewältigung" zur Verfügung gestellt.

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2. Der Beklagte veröffentlichte daraufhin auf seinem Blog einen Beitrag unter der Überschrift "Das kleine Luder vom Lerchenberg", den er einleitete mit "Tina - sie ist es nicht, sie heißt nur so - M. neigt ihr Köpfchen zur Seite, damit der Verstand sich in einer Ecke konzentrieren kann". Nach wörtlicher Wiedergabe des Anmoderationstextes der Beschwerdeführerin heißt es auszugsweise weiter:

"An dieser Moderation muss das kleine Luder vom Lerchenberg lange gefeilt haben, vor allem das Bild mit dem 'Mühlstein der Vergangenheitsbewältigung' ist ihr besonders gut gelungen. Für so was wird die delirierende Hausfrau alle drei Wochen von London nach Mainz eingeflogen (…). Von allen kz-Moderatoren und Moderatorinnen ist sie die dummste und unfähigste (…). Der Besuch mit mir in einem Jerusalemer Cafe (…) muss wohl die absolute Climax ihres ansonsten an Höhepunkten armen Lebens gewesen sein (…). Und falls Sie bis jetzt nicht wussten, wofür Sie Ihre GEZ-Beiträge bezahlen, jetzt wissen Sie es: Damit das Tina es mir heimzahlen kann. Gründe dafür gibt es genug."

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3. Die Beschwerdeführerin erwirkte eine einstweilige Unterlassungsverfügung in Bezug auf diverse dieser Äußerungen, die der Beklagte als verbindlich anerkannte und in einem weiteren Blogbeitrag mit dem Titel "Heiteres Moderatoren-Raten" ohne Namensnennung der Beschwerdeführerin abermals thematisierte. Die Beschwerdeführerin erhob Klage in der Hauptsache auf Entschädigung in Geld wegen Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts. Das Landgericht gab der Klage in Höhe von 7.500 € statt.

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4. Auf die Berufung des Beklagten wies das Oberlandesgericht die Klage mit dem angegriffenen Urteil hinsichtlich der Geldentschädigung ab (OLG Düsseldorf, Urteil vom 13. August 2015 - I-16 U 121/14 -, juris). Das Oberlandesgericht stellte zunächst ausführlich heraus, dass die Äußerungen des Beklagten in schwerwiegender Weise in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin eingriffen und nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt seien. Dem Beklagten sei es darauf angekommen, die Beschwerdeführerin zu diffamieren; ein "Recht auf Gegenschlag" habe ihm nicht zugestanden.

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Allerdings lag nach Auffassung des Oberlandesgerichts kein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht vor, der nicht anders als durch die Zubilligung einer Geldentschädigung kompensiert werden könne. Bei seiner Beurteilung der Gesamtumstände berücksichtigte das Gericht unter anderem, dass der Beklagte die gegen ihn ergangene einstweilige Verfügung akzeptiert und soweit ersichtlich die angegriffenen Äußerungen nicht wiederholt habe. Für den Fall, dass er dies tue, stehe der Beschwerdeführerin die Durchsetzung ihres Unterlassungstitels durch Ordnungsmittel offen. Wenn dem Beklagten auch kein Recht auf Gegenschlag zustehe, sei doch zu berücksichtigen, dass die Debatte um seine Person und seinen Antisemitismusvorwurf hoch emotional geführt worden sei und dass die Beschwerdeführerin eine durchaus kritische Einstellung gegenüber dem Beklagten eingenommen habe. Es könne kein besonders hoher Verbreitungsgrad der Äußerungen im Internet festgestellt werden. Der Beitrag belege mit insgesamt 6.000 Aufrufen kein besonders großes Interesse an den Stellungnahmen des Beklagten. Belastbare Indizien für eine weitere Verbreitung im Netz habe die Beschwerdeführerin nicht dargetan. Der Beklagte habe in der Folgezeit zudem darauf hingewiesen, sich dem Unterlassungsanspruch gefügt zu haben, auch wenn er dies nur getan habe, um nochmals die inkriminierten Äußerungen tätigen und erneut Aufmerksamkeit auf sich und die Debatte lenken zu können.

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5. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Ein Unterlassungsanspruch könne ihre Persönlichkeitsverletzung nicht rückwirkend kompensieren. Die Geldentschädigung sei das einzige Mittel, um die Respektierung ihres Personenwertes und die Sanktion der Ehrverletzung durch die Zivilrechtsordnung sicherzustellen. Auch der folgende Blogbeitrag des Beklagten habe keinen Kompensationswert, da er dort die öffentliche Bloßstellung der Beschwerdeführerin wiederholt habe. Das Oberlandesgericht habe zudem die potentielle Gefährlichkeit der Internetverbreitung verkannt.

II.

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Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung liegen nicht vor. Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts liegt noch im fachgerichtlichen Wertungsrahmen und lässt keine grundsätzlich unrichtige Anschauung von Bedeutung und Reichweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beschwerdeführerin erkennen.

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1. Die Versagung eines Entschädigungsanspruchs berührt den Schutzbereich des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 34, 269 <281 f., 285 f.>; BVerfGK 6, 144 <146 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 9. März 2007 - 1 BvR 1946/04 -, NJW-RR 2007, S. 1191 <1192>). Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts - hier insbesondere der § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG - obliegen primär den Fachgerichten. Das Bundesverfassungsgericht überprüft deren Entscheidungen - abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot - nur darauf, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die Normauslegung die Tragweite der Grundrechte nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>; 34, 269 <279 f.>; 85, 248 <257 f.>; 110, 226 <270>; stRspr).

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2. Nach der Rechtsprechung der Zivilgerichte ist Geldentschädigung nur dann zuzubilligen, wenn eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht auf andere Weise befriedigend ausgeglichen werden kann. Hiergegen ist verfassungsrechtlich nichts zu erinnern (vgl. BVerfGE 34, 269 <285 f.>; BVerfGK 3, 49 <52, 54>; 6, 144 <146 f.>; 9, 317 <321 f.>). Die Zuerkennung einer Geldentschädigung für Persönlichkeitsrechtsverletzungen dient auch der Prävention (BGHZ 160, 298 <302>; 199, 237 <257>; stRspr). Die staatliche Pflicht, den Einzelnen vor Gefährdungen seines Persönlichkeitsrechts durch Dritte zu schützen (vgl. BVerfGE 34, 269 <281 f.>; 99, 185 <194 f.>; 114, 339 <346>; stRspr), auf die der Anspruch auf Entschädigung bei Persönlichkeitsrechtsverletzung zurückgeht (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 8. März 2000 - 1 BvR 1127/96 -, NJW 2000, S. 2187 <2187 f.>; BVerfGK 3, 49 <52>), kann sich dann bis zur Gebotenheit einer Geldentschädigung verdichten. Auf der anderen Seite ist aus der Perspektive des Art. 5 Abs. 1 GG in Rechnung zu stellen, dass von drohenden Kompensationszahlungen auch eine Einschüchterungswirkung auf zulässige Meinungsäußerungen ausgehen kann. Für die Verhängung solcher Entschädigungszahlungen kommt es insoweit auf eine Gesamtwürdigung der Umstände der beanstandeten Äußerung an, wobei neben dem Gewicht der Persönlichkeitsverletzung auch deren Eindeutigkeit und Erkennbarkeit sowie deren Kontext einzustellen ist.

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3. Auf dieser Grundlage ist die Annahme des Oberlandesgerichts, eine Entschädigung in Geld sei zur Genugtuung der Beschwerdeführerin nicht notwendig geboten, verfassungsrechtlich vertretbar.

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Allerdings hebt die Beschwerdeführerin zu Recht hervor, dass die beanstandeten Anwürfe des Beklagten ihr Persönlichkeitsrecht schwerwiegend beeinträchtigen, ohne von dessen Meinungsfreiheit gedeckt zu sein. Das Oberlandesgericht hat dies jedoch nicht verkannt, sondern sich sorgfältig mit dem Kompensationsbedarf unter den konkreten Umständen auseinandergesetzt. Dabei hat es gegen die Notwendigkeit einer Kompensationszahlung angeführt, dass der Blogbeitrag des Beklagten sich in den Kontext einer öffentlichen, kontroversen und scharf geführten Diskussion ("Antisemitismus-Debatte") einfügt. Dies ist ein tragfähiger Gesichtspunkt. Es handelt sich danach nicht um eine Veröffentlichung, die rücksichtslos Persönlichkeitsverletzungen in Kauf nimmt, um hieraus kommerziellen Nutzen zu ziehen, sondern um die Äußerung einer Einzelperson. Jedenfalls weil die Äußerungen sich gegen die Moderation in einer bundesweit ausgestrahlten Fernsehsendung richteten, ist auch gegen die Erwägung des Gerichts, dass der Beitrag nicht ein Breitenpublikum erreicht, sondern einen eher geringen Verbreitungsgrad gefunden habe, nichts zu erinnern. Der Verweis auf die ideelle Genugtuung durch den Unterlassungstitel und die Möglichkeit, ihn im Vollstreckungsverfahren durchzusetzen, lässt unter diesen Umständen eine Verkennung des wertsetzenden Gehalts des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht erkennen und hält sich im fachgerichtlichen Wertungsrahmen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 23. September 2009 - 1 BvR 1681/09 -, juris). Sollte die Beschwerdeführerin erneut Persönlichkeitsrechtsverletzungen des Beklagten ausgesetzt sein, dürfte sich die Frage einer Notwendigkeit einer Kompensationszahlung von Verfassungs wegen freilich dringlicher stellen.

13

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.