Bundesverfassungsgericht

Entscheidungsdatum: 09.08.2018


BVerfG 09.08.2018 - 1 BvR 1981/16

Nichtannahmebeschluss: Weder Art 3 Abs 1 GG noch Art 4 Abs 1 GG gewähren originären staatlichen Leistungsanspruch (hier: auf Bereitstellung veganer Mittagsverpflegung an einer Ganztagsschule) - Verfassungsbeschwerde mangels hinreichender Substantiierung gem §§ 23 Abs 1 S 2, 92 BVerfGG unzulässig


Gericht:
Bundesverfassungsgericht
Spruchkörper:
1. Senat 1. Kammer
Entscheidungsdatum:
09.08.2018
Aktenzeichen:
1 BvR 1981/16
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2018:rk20180809.1bvr198116
Dokumenttyp:
Nichtannahmebeschluss
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 27. Juli 2016, Az: OVG 3 M 56.16, Beschlussvorgehend VG Berlin, 9. Mai 2016, Az: VG 3 K 503.15, Beschluss
Zitierte Gesetze
§ 19 Abs 3 S 1 SchulG BE
§ 19 Abs 3 S 3 SchulG BE

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen einen an den Beschwerdeführer zu 1) gerichteten Bescheid, mit dem die Bereitstellung von veganem Mittagessen für seine Tochter, die Beschwerdeführerin zu 2), versagt wurde. Sein Antrag auf Prozesskostenhilfe für eine entsprechende Klage hatte ebenfalls keinen Erfolg. Auch hiergegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde.

2

1. Der Beschwerdeführer zu 1) ist der Vater der am … geborenen Beschwerdeführerin zu 2), welche eine Ganztagsgrundschule in der offenen Form in Berlin besucht. Deren Angebot umfasst ein grundsätzlich kostenbeteiligungspflichtiges Mittagessen nach § 19 Abs. 3 Satz 1 des Schulgesetzes für das Land Berlin (SchulG). Zur Verwirklichung dieses Angebots beauftragte das Land einen externen Caterer zu einem Festpreis von 3,25 Euro pro Mittagessen, welcher mit den Eltern der Schulkinder einzelne Essenslieferverträge schloss. Von dem zwischen dem Land und dem Caterer vereinbarten Festpreis tragen 30 % das Land und 70 % das Kind und seine Eltern, so dass deren monatliche Kostenbeteiligung auf 37 Euro festgesetzt ist.

3

In dem Vertrag zwischen dem Land und dem Caterer ist vereinbart, dass das Mittagessen den Empfehlungen der Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) zu entsprechen habe. Ferner hat der Caterer Essensteilnehmern mit Allergien beziehungsweise krankheitsbedingten Einschränkungen nach Einreichung eines Attestes die Teilnahme am Essen durch Bereitstellung eines Diätessens zu ermöglichen. Ethische und religiöse Aspekte, insbesondere bei der Verwendung von Fleisch, seien angemessen zu berücksichtigen. Dementsprechend umfasst das Mittagessensangebot an der von der Beschwerdeführerin zu 2) besuchten Ganztagsschule entweder eine herkömmliche oder eine vegetarische Mahlzeit.

4

a) Das zuständige Bezirksamt befreite den Beschwerdeführer zu 1) von der Kostenbeteiligung für die Verpflegung der Beschwerdeführerin zu 2), lehnte jedoch seinen Antrag auf Bereitstellung eines veganen Schulmittagessens für diese ab. Das Speisenangebot der Berliner Schulen entspreche den aktuellen DGE-Qualitätsstandards für die Schulverpflegung. Sein hiergegen gerichteter Widerspruch blieb erfolglos.

5

b) Der Beschwerdeführer zu 1) erhob daraufhin Klage und beantragte die Gewährung von Prozesskostenhilfe. Das Verwaltungsgericht lehnte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg habe. Seine dagegen gerichtete Beschwerde wies das Oberverwaltungsgericht zurück.

6

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführer unmittelbar gegen den verwaltungsbehördlichen Ausgangsbescheid und die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen sowie mittelbar gegen § 19 Abs. 3 SchulG und § 2 MittagVO. Sie rügen eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 Abs. 1 und 3 (in Verbindung mit) Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 GG, auch in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 9 und Art. 14 EMRK.

7

Die Gerichte hätten den Schutzgehalt des Art. 3 GG verkannt. Die angefochtenen Entscheidungen führten dazu, dass Eltern veganer Kinder gegenüber Eltern nicht-veganer Kinder benachteiligt würden, da sie für deren Verpflegung ohne Zuschuss vom Land aufkommen müssten. Diese Ungleichbehandlung sei nicht gerechtfertigt, da ihre das vegane Essen betreffenden Überzeugungen durch Art. 4 Abs. 1 GG beziehungsweise das elterliche Erziehungsrecht nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 GG geschützt seien. Die Nichtbereitstellung eines bezuschussten veganen Mittagessens verletze die Art. 4 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 9, 14 EMRK sowie Art. 6 GG auch unmittelbar.

II.

8

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Ihr kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu noch ist sie zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführer angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Sie ist unzulässig. Dabei kann dahinstehen, ob vorliegend der Rechtsweg wegen der unanfechtbaren Versagung von Prozesskostenhilfe als erschöpft anzusehen ist (vgl. BVerfGE 22, 349 <355>; 78, 179 <191>). Jedenfalls genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den Begründungsanforderungen.

9

Eine § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügende Begründung der Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass der die Rechtsverletzung enthaltende Vorgang substantiiert und schlüssig vorgetragen wird. Bei einer gegen eine gerichtliche Entscheidung gerichteten Verfassungsbeschwerde hat der Beschwerdeführer sich mit dieser inhaltlich auseinanderzusetzen. Es muss deutlich werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. BVerfGE 130, 1 <21> m.w.N.). Soweit das Bundesverfassungsgericht für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt hat, muss anhand dieser Maßstäbe aufgezeigt werden, inwieweit Grundrechte durch die angegriffene Maßnahme verletzt werden (BVerfGE 77, 170 <214 ff.>; 101, 331 <345 f.>; 130, 1 <21>). Es bedarf also einer umfassenden einfachrechtlichen und verfassungsrechtlichen Aufarbeitung der Rechtslage (BVerfGK 20, 327 <329>). Dem wird die Verfassungsbeschwerde nicht gerecht. Danach ist eine Verletzung der Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 GG nicht hinreichend substantiiert dargetan.

10

Aus Art. 3 Abs. 1 GG können keine originären staatlichen Leistungsansprüche hergeleitet werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. Dezember 2017 - 1 BvL 3/14 u.a. -, www.bundesverfassungsgericht.de, Rn. 105 f. m.w.N.). Daher kann allein das fehlende Angebot eines veganen Schulmittagessens keine unzulässige Ungleichbehandlung bewirken. Den Beschwerdeführern kann allenfalls ein Anspruch auf gleiche Teilhabe an dem nach § 19 Abs. 3 Satz 1 SchulG angebotenen (vergünstigten) Mittagessen zukommen. Die Teilhabe hieran wird der Beschwerdeführerin zu 2) aber nicht verweigert. Im Übrigen hätten die Beschwerdeführer auch im Blick auf den dem Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsspielraum bei der gewährenden Staatstätigkeit (vgl. BVerfGE 110, 274 <293>; 122, 1 <23> m.w.N.) und der weitgehenden Gestaltungsfreiheit der Länder auf dem Gebiet des Schulwesens (vgl. BVerfGE 59, 360 <377>; 75, 40 <67>; 108, 282 <302>), die auf Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gestützte konkrete Mitwirkungs- oder gar Mitbestimmungsrechte der Eltern in der Schulselbstverwaltung ausschließt (vgl. BVerfGE 59, 360 <380 f.>), näher darlegen müssen, weshalb die Entscheidung des Landes, nicht auch veganes Schulessen bereit zu stellen und zu bezuschussen, auf sachfremden Erwägungen beruhen sollte.

11

Freiheitsrechte sind hier deshalb nicht berührt, weil es der Beschwerdeführerin zu 2) freisteht, sich in der Schule vegan zu ernähren. Nach den nicht substantiiert bestrittenen gerichtlichen Feststellungen wird die Beschwerdeführerin zu 2) durch den Verzehr eines selbst mitgebrachten anderen Mittagessens angesichts der Vielfältigkeit der Essensgewohnheiten der Schüler an der von ihr besuchten Schule auch nicht ausgegrenzt. Ein auf Leistung - hier auf Bereitstellung von veganem Mittagessen - bezogener Anspruch lässt sich aus Art. 4 Abs. 1 GG ohnehin nicht ableiten (vgl. BVerfGE 93, 1 <16>; 123, 148 <178>).

12

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.