Entscheidungsdatum: 24.08.2011
Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die Versagung vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes gegen die sofortige Vollziehbarkeit eines Bescheids der Bundesnetzagentur, mit dem diese insbesondere die Abschaltung einer Auskunftsrufnummer für die Dauer von drei Jahren anordnete.
I.
1. Die Beschwerdeführerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, betrieb bis zum Erlass des angegriffenen Bescheids der Bundesnetzagentur vom 20. Dezember 2010 unter einer ihr zugeteilten Rufnummer einen Auskunfts- und Weitervermittlungsdienst gemäß § 3 Nr. 2a des Telekommunikationsgesetzes (TKG).
Die Bundesnetzagentur stützt die Abschaltung der Rufnummer auf § 67 Abs. 1 Satz 5 TKG. Die Beschwerdeführerin habe die Rufnummer in mehrfacher Hinsicht rechtswidrig genutzt. Sie habe zunächst die erforderliche Preisansage vor der Weitervermittlung unterlassen. Nachdem dies von der Bundesnetzagentur beanstandet worden sei, habe sie eine Preisansage geschaltet, die den gesetzlichen Anforderungen in mehrfacher Hinsicht nicht genüge. Die Beschwerdeführerin habe zudem die Rufnummer ohne die erforderliche Preisangabe beworben. Die Anordnung der Abschaltung erfolge nach pflichtgemäßem Ermessen. Sie sei verhältnismäßig; insbesondere stelle die Abschaltung nach derzeitiger Sachlage die einzige wirkungsvolle Möglichkeit dar, um den rechtswidrigen Gebrauch der Rufnummer nachhaltig zu beseitigen.
2. Die Beschwerdeführerin erhob noch im Jahr 2010 Widerspruch und stellte wegen der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids gemäß § 137 Abs. 1 TKG beim Verwaltungsgericht Köln einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.
Mit dem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss vom 11. Februar 2011 (1 L 1908/10, juris = CR 2011, S. 303) lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag im Wesentlichen ab. Es ordnete die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Beschwerdeführerin lediglich hinsichtlich zweier von der Bundesnetzagentur getroffener Nebenentscheidungen an. Das Verwaltungsgericht ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 Satz 5 TKG für eine Abschaltungsanordnung vorliegen und die Entscheidung auch im Übrigen rechtmäßig ist.
3. Mit dem mit der Verfassungsbeschwerde ebenfalls angegriffenen Beschluss vom 18. Mai 2011 (13 B 236/11, juris) wies das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den verwaltungsgerichtlichen Beschluss zurück und beschränkte auf die Anschlussbeschwerde der Bundesrepublik Deutschland die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs auf eine der Nebenentscheidungen.
Das Oberverwaltungsgericht geht wie das Verwaltungsgericht von der voraussichtlichen Rechtmäßigkeit der Abschaltungsanordnung aus. Auf die Beanstandung der Beschwerdeführerin, das Verwaltungsgericht habe keine weitergehende Interessenabwägung vorgenommen, führt es aus, ein überwiegendes Aussetzungsinteresse der Beschwerdeführerin sei nicht festzustellen. Die sofortige Vollziehung des Bescheids sei angemessen. Die (weitere) Abwägung von privatem und öffentlichem Interesse könne sich hier von vornherein auf solche Umstände konzentrieren, die die Beschwerdeführerin vorgetragen habe und die Annahme rechtfertigen könnten, dass im konkreten Fall von der gesetzgeberischen Grundentscheidung in § 137 Abs. 1 TKG ausnahmsweise abzuweichen sei. Dabei seien die Folgen, die sich für den einzelnen Antragsteller mit dem Sofortvollzug verbänden, nur insoweit beachtlich, als sie nicht schon regelmäßige Folge der gesetzlichen Anordnung des Sofortvollzugs in der gesetzgeberischen Grundentscheidung Berücksichtigung gefunden hätten. Solche in diesem Sinne qualifizierte Argumente habe die Beschwerdeführerin nicht vorgebracht. Ihr Vortrag weise nicht auf besondere Umstände hin, auf Grund derer eine Abwägung zu Gunsten ihrer privaten Interessen ausfallen müsste. Soweit sie erhebliche wirtschaftliche Verluste bei einer sofortigen Vollziehung der Abschaltungsverfügung befürchte, möge dies eine zutreffende Prognose sein. Eine solche Konsequenz wäre aber nur die unmittelbare Folge eines eigenen rechtswidrigen geschäftlichen Handelns, das auch unter Berücksichtigung der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG weniger schutzwürdig sei als die insofern vorrangigen Verbraucherinteressen.
II.
1. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 3 Abs. 1 GG. Die Fachgerichte hätten bei der Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes die Reichweite ihrer Berufsfreiheit verkannt und zum Teil deren Bedeutung übersehen.
2. Die Akten des Ausgangsverfahrens sind beigezogen. Dem Land Nordrhein-Westfalen sowie der Bundesnetzagentur wurde Gelegenheit zur Stellungnahme geben.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Annahme ist insbesondere nicht zur Durchsetzung der Berufsfreiheit der Beschwerdeführerin angezeigt. Jedenfalls im Hinblick auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts lässt sich nicht feststellen, dass Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG verletzt wird.
1. Der Umstand, dass der Widerspruch der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der Bundesnetzagentur vom 20. Dezember 2010 gemäß § 137 Abs. 1 TKG keine aufschiebende Wirkung hat, sowie die Beschlüsse der Ausgangsgerichte, mit denen die (vollständige) Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO abgelehnt worden ist, greifen selbstständig, das heißt über den mit der Maßnahme als solcher verbundenen Eingriff hinaus, in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführerin ein. Ihr wird schon vor rechtskräftiger Entscheidung der Hauptsache die Möglichkeit genommen, ihren Auskunfts- und Weitervermittlungsdienst zu betreiben.
Ob es sich bei der Rufnummernabschaltung selbst - etwa im Hinblick darauf, dass sich die Beschwerdeführerin noch auf anderen Geschäftsfeldern im Bereich der Telekommunikation betätigt - um eine Berufsausübungsregelung oder - mit Rücksicht auf die nur in begrenztem Umfang zur Verfügung gestellte Zahl von Auskunftsrufnummern - bereits um eine Regelung der Berufswahl handelt, braucht nicht entschieden zu werden. Denn selbst in erstgenanntem Fall läge eine in ihren Wirkungen einer Regelung der Berufswahl nahe kommende Berufsausübungsregelung vor.
Derartige Beschränkungen sind im Sofortvollzug wie vorläufige Berufsverbote nur unter strengen Voraussetzungen zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft (vgl. BVerfGE 44, 105 <117>). Die hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Hauptsacheverfahren zum Nachteil des Betroffenen ausgehen wird, reicht nicht aus, um die Umsetzung der Maßnahme vor der endgültigen Klärung ihrer Rechtmäßigkeit im Hauptsacheverfahren zu rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 8. November 2010 - 1 BvR 722/10 -, www.bverfg.de Rn. 12). Die Anordnung der sofortigen Vollziehung - und Gleiches gilt grundsätzlich auch für die Aufrechterhaltung des gesetzlich angeordneten Sofortvollzugs (vgl. BVerfGE 69, 220 <228 f.>) - setzt vielmehr voraus, dass überwiegende öffentliche Belange es auch mit Blick auf die Berufsfreiheit des Betroffenen rechtfertigen, seinen Rechtsschutzanspruch gegen die Grundverfügung einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt von einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls und insbesondere davon ab, ob eine weitere Berufstätigkeit schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lässt. Im Falle des gesetzlich angeordneten Sofortvollzugs ist bei der Gesamtwürdigung die gesetzgeberische Entscheidung für den grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses zu berücksichtigen. Die Folgen, die sich für den einzelnen Antragsteller mit dem Sofortvollzug verbinden, sind regelmäßig nur dann beachtlich, wenn sie nicht schon als regelmäßige Folge der gesetzlichen Anordnung des Sofortvollzugs in der gesetzgeberischen Grundentscheidung Berücksichtigung gefunden haben (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 10. Oktober 2003 - 1 BvR 2025/03 -, NVwZ 2004, S. 93 <94>).
2. Diesen Anforderungen genügt zwar der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts nicht. Er ist jedoch, soweit für das vorliegende Verfahren von Bedeutung, durch die im Ergebnis nicht zu beanstandenden Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts überholt.
a) Das Verwaltungsgericht hat lediglich die Erfolgsaussichten in der Hauptsache geprüft und - insofern allerdings in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise - verneint, aber keine darüber hinausgehende Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls vorgenommen. Hierzu bestand indes Anlass.
§ 137 Abs. 1 TKG ordnet den Wegfall der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage gegen alle telekommunikationsrechtlichen Entscheidungen der Bundesnetzagentur an. Zur Begründung dieser Regelung führt die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf - lediglich - an, dass "regelmäßig ein Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der Verwaltungsakte [der] Bundesnetzagentur besteht" (vgl. BTDrucks 15/2316, S. 101). Eine Konkretisierung dieses Interesses in Bezug auf einzelne Fallgruppen von der Bundesnetzagentur zu treffender Entscheidungen erfolgt nicht. Der gesetzgeberischen Entscheidung lässt sich insbesondere nicht entnehmen - weshalb es auch keiner Entscheidung bedarf, ob dies verfassungsrechtlich hinnehmbar wäre -, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung einer Verfügung der Bundesnetzagentur ausnahmslos das Interesse des Adressaten der Verfügung am Suspensiveffekt überwiegt, selbst wenn bereits aufgrund des Sofortvollzugs die (wirtschaftliche) Existenz des Adressaten vernichtet werden würde.
Die Beschwerdeführerin hatte bereits im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung auf die einschneidenden wirtschaftlichen Folgen hingewiesen, die schon der gesetzlich angeordnete Sofortvollzug mit sich bringe, und hierbei auch angeboten, für den Fall, dass das Gericht es für erforderlich halten sollte, ergänzend zu ihrer wirtschaftlichen Situation vorzutragen. Das durfte das Verwaltungsgericht nicht ignorieren.
b) Das Oberverwaltungsgericht hat auf die entsprechende Rüge der Beschwerdeführerin - unter ausdrücklicher Heranziehung einer einschlägigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - eine weitere Interessenabwägung vorgenommen, die den sich aus Art. 12 Abs. 1 GG ergebenden Anforderungen genügt. Damit hat es zu erkennen gegeben, dass es die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Aufrechterhaltung des Sofortvollzugs schwerwiegender Einschränkungen der Berufsfreiheit nicht grundsätzlich verkannt hat.
Auch wenn das Oberverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang lediglich von "erheblichen wirtschaftlichen Verlusten" und nicht von einer Bedrohung der Existenz der Beschwerdeführerin spricht, so ist doch nicht ersichtlich, dass das Gericht die wirtschaftlichen Folgen eines Vollzugs des Bescheids bereits vor dessen Bestandskraft nicht oder in unvertretbarer Weise berücksichtigt hätte. An anderer Stelle, bei der Prüfung der Zumutbarkeit der Abschaltungsverfügung, spricht es den Gesichtspunkt "einer befürchteten Existenzgefährdung" sogar ausdrücklich an.
Dem insbesondere wirtschaftlichen Interesse der Beschwerdeführerin, ihren Auskunfts- und Weitervermittlungsdienst vorläufig weiterhin anbieten zu dürfen, stellt das Oberverwaltungsgericht die Verbraucherschutzinteressen gegenüber, die es als vorrangig ansieht. Zwar führt das Gericht diese Würdigung nicht näher aus. Doch liegen seine diesbezüglichen Erwägungen auf der Hand. Dass der Gesetzgeber dem Verbraucherschutz besonderes Gewicht beimisst, ergibt sich schon daraus, dass er die hier nach der vom Bundesverfassungsgericht in ihrem einfachrechtlichen Ausgangspunkt grundsätzlich hinzunehmenden Auffassung der Bundesnetzagentur und der Ausgangsgerichte als Rechtsgrundlage für die Abschaltung dienende Vorschrift des § 67 Abs. 1 Satz 5 TKG als Soll-Vorschrift ausgestaltet hat. Es ist zudem offensichtlich, dass das Oberverwaltungsgericht von der Wahrscheinlichkeit ausgeht, dass die Beschwerdeführerin zur Steigerung ihres Umsatzes weiterhin die Rufnummer rechtswidrig nutzen würde. Diese Einschätzung ist angesichts des Verhaltens der Beschwerdeführerin, insbesondere dass sie das Anhörungsschreiben der Bundesnetzagentur vom 27. Oktober 2010 zum Anlass genommen hat, eine - nach verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Auffassung der Ausgangsgerichte - verwirrende und überlange Preisansage zu schalten, jedenfalls nachvollziehbar.
Dass das Oberverwaltungsgericht im Schutz der Verbraucher hier ein besonderes, über die voraussichtliche Rechtmäßigkeit der Abschalteverfügung hinausgehendes Sofortvollzugsinteresse sieht, das die wirtschaftlichen Interessen der Beschwerdeführerin überwiegt, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, da andernfalls den betroffenen Verbrauchern während des womöglich langwierigen Hauptsacheverfahrens zugemutet würde, sie aller Voraussicht nach rechtswidrig belastende Auskunfts- und Vermittlungsdienste der Beschwerdeführerin in Anspruch zu nehmen. Das Ergebnis der Abwägung vermag die Beschwerdeführerin nicht mit ihrem Hinweis zu erschüttern, dass die Verbraucherinteressen "relativ gering" seien. Der hier in Rede stehende Betrag von 3,98 €, den die Verbraucher für das Anhören der Preisansage zu entrichten hatten, dürfte für den einzelnen Verbraucher zwar nicht zu einer erheblichen Belastung führen. Doch ist zum einen die womöglich hohe Zahl der Betroffenen und zum anderen der Umstand zu berücksichtigen, dass dieser Betrag gerade deshalb anfällt, weil die Beschwerdeführerin dem äußeren Anschein nach dem Verbraucherschutz gerecht werden will.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.