Entscheidungsdatum: 14.11.2018
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft differenzierende Bestimmungen in einem Sozialtarifvertrag hier wegen Überbrückungs- und Abfindungsleistungen. Der Beschwerdeführer ist, da er keiner Gewerkschaft angehörte, allein arbeitsvertraglich und durch einen Sozialplan begünstigt worden. Er hat damit nicht erhalten, was tarifvertragsgemäß nur Beschäftigten zukam, die an einem ebenfalls tarifvertraglich vereinbarten Stichtag tatsächlich gewerkschaftlich organisiert waren. Der Beschwerdeführer klagte auf die Leistungen, die nach dem Tarifvertrag nur am Stichtag organisierte Mitglieder der Gewerkschaft erhielten. Das Arbeitsgericht gab dieser Klage statt; das Landesarbeitsgericht und das Bundesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen.
Der Beschwerdeführer rügt vor allem einen Verstoß gegen seine negative Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG). Würden Stichtagsregelungen akzeptiert, werde unzulässiger generalpräventiver Druck zum Gewerkschaftsbeitritt gutgeheißen. Das verletze sein "Fernbleiberecht". Ein differenzierender Tarifvertrag, der auf einen Stichtag abstelle, sei nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG nichtig. Auch sei die Schutzpflicht zugunsten seiner Arbeitsvertragsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) verkannt worden, denn der ihm angebotene Formularvertrag mit Verweis auf den Sozialtarifvertrag, wie er für nicht schon am Stichtag Organisierte galt, sei nicht verhandelbar gewesen; die Arbeitsgerichte hätten ihn zu Unrecht keiner Inhaltskontrolle unterzogen. Zudem hätten die tarifschließenden Parteien und der Betriebsrat bei der Regelung des Sozialplans kollusiv gegen Außenseiter zusammengewirkt.
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Sache hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung; auch ist eine Annahme nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG).
1. Es ist nicht erkennbar, dass hier Rechte aus Art. 9 Abs. 3 GG verletzt wären. Art. 9 Abs. 3 GG schützt die Anwendung von einmal geschlossenen Tarifverträgen (vgl. BVerfGE 146, 71 <114 f. Rn. 131>), aber als individuelles Freiheitsrecht auch, Vereinigungen zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen fernzubleiben (vgl. BVerfGE 50, 290 <367>; 146, 71 <114 Rn. 130>; stRspr). Daher darf kein Zwang oder Druck in Richtung auf eine Mitgliedschaft ausgeübt werden (vgl. BVerfGE 20, 312 <321 f.>; 31, 297 <302>; 44, 322 <351 f.>; 55, 7 <22>; 64, 208 <213 f.>; 116, 202 <218 f.>; BVerfGK 4, 356 <363>). Die Tatsache, dass organisierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anders behandelt werden als nicht organisierte Beschäftigte, bedeutet insofern jedoch noch keine Grundrechtsverletzung, solange sich daraus nur ein eventueller faktischer Anreiz zum Beitritt ergibt, aber weder Zwang noch Druck entsteht (vgl. BVerfGE 31, 297 <302>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Juli 2000 -1 BvR 945/00 -, www.bverfg.de, Rn. 7).
So liegt es hier. Der vom Beschwerdeführer behauptete "generalpräventive Druck", einer Gewerkschaft beizutreten, wird nicht weiter belegt; eine individuelle Zwangswirkung ist nicht erkennbar. Das Bundesarbeitsgericht geht nachvollziehbar davon aus, dass vorliegend kein höherer Druck erzeugt wird als derjenige, der sich stets ergibt, wenn die individualvertraglichen Vereinbarungen hinter den Abreden zurückbleiben, die eine Gewerkschaft im Wege eines Tarifvertrags nur für ihre Mitglieder treffen kann (vgl. § 3 Abs. 1 TVG; BAG, Urteil vom 15. April 2015 - 4 AZR 796/13 -, juris Rn. 48).
2. Es ist nicht erkennbar, dass vorliegend das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 57, 139 <158>; 142, 268 <281 Rn. 49>; stRspr), einen Arbeitsvertrag frei zu schließen und daher auch aushandeln zu können, verletzt wäre.
a) Zwar befinden sich abhängig Beschäftigte beim Abschluss von Arbeitsverträgen typischerweise in einer Situation struktureller Unterlegenheit (vgl. BVerfGE 84, 212 <229>; 85, 191 <213>; 92, 365 <395>; 98, 365 <395>; 126, 286 <300 f.>; BVerfGK 4, 356 <364>), weshalb Vorkehrungen zu treffen sind, um sie vor Überforderungen zu schützen. Mit dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen hat der Gesetzgeber in §§ 305 ff. BGB Regelungen zur Inhaltskontrolle von Verträgen geschaffen, die auch im Arbeitsrecht für einen Ausgleich des strukturellen Ungleichgewichts zweier Vertragspartner sorgen sollen (vgl. BTDrucks 14/6857, S. 53 f.; dazu BVerfGK 18, 14 <23>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 23. November 2006 - 1 BvR 1909/06 -, www.bverfg.de, Rn. 48). Einen hinreichenden Schutz davor, dass eine Unterlegenheit ausgenutzt wird, können aber auch Tarifverträge bewirken (vgl. BVerfGE 98, 365 <395>). Nach § 310 Abs. 4 BGB sind Tarifverträge daher keiner Inhaltskontrolle unterworfen. Die Begründung des Gesetzentwurfs zu § 310 Abs. 4 BGB verweist auf das System der Tarifautonomie (BTDrucks 14/6857, S. 54). Dieses ist gerade darauf angelegt, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Löhne und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen (vgl. BVerfGE 84, 212 <229>; 88, 103 <114 f.>; 92, 365 <395>; 146, 71 <119 f. Rn. 146>). Auch im Fall von Betriebsvereinbarungen wird davon ausgegangen, dass die Interessen aller Beschäftigten Beachtung finden (vgl. BAG, Urteil vom 25. April 2007 - 6 AZR 622/06 -, juris Rn. 35; Krause, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2013, Anh. zu § 310 Rn. 99); nach der einfachgesetzlichen Ausgestaltung der betrieblichen Mitbestimmung werden alle Beschäftigten repräsentiert (vgl. BVerfGE 51, 77 <89>). Sofern weiterer grundrechtlicher Schutz gefordert ist, kann dieser im Rahmen der gerichtlichen Anwendung der Generalklauseln gewährleistet werden (vgl. BVerfGE 7, 198 <204 ff.>; 97, 169 <178>; 138, 377 <391 f. Rn. 39>; stRspr).
Grundsätzlich darf davon ausgegangen werden, dass von den Tarifvertragsparteien erzielte Verhandlungsergebnisse die Interessen beider Seiten sachgerecht zum Ausgleich bringen. Daher kommt dem Tarifvertrag eine Richtigkeitsvermutung zu; ein objektiver Maßstab, nach dem sich die Richtigkeit besser beurteilen ließe, existiert nicht (vgl. BVerfGE 146, 71 <120 Rn. 146>). Es liegt nicht nahe, generell davon auszugehen, dass den Grundrechtspositionen von "Außenseitern" bei tarifvertraglichen Differenzierungen nicht Rechnung getragen würde. Nicht einer Gewerkschaft angehörige Beschäftigte werden kraft der Bezugnahme in Tarifverträgen regelmäßig - und weitgehend auch hier - wie Tarifunterworfene behandelt. Im Fall von Betriebsvereinbarungen schließt der - hier vom Bundesarbeitsgericht in die Prüfung einbezogene - § 75 Abs. 1 BetrVG insbesondere nachteilige Ungleichbehandlungen aus.
b) Hier hat das Bundesarbeitsgericht unter Bezugnahme auf seine Leitentscheidung (BAG, Urteil vom 15. April 2015 - 4 AZR 796/13 -, juris) nachvollziehbar angenommen, dass angesichts der besonderen Umstände des Falls eine strukturell schutzbedürftige Unterlegenheit durch die betrieblichen und tarifvertraglichen Regelungen aufgefangen war, die auch auf den Beschwerdeführer Anwendung fanden. Es fehlen jedenfalls Anhaltspunkte dafür, dass grundrechtliche Schutzinteressen des Beschwerdeführers verletzt worden wären, die einer Anwendung tarifvertraglicher Sonderregelungen für vor dem Stichtag eingetretene Mitglieder der Gewerkschaft entgegenstünden.
Das Bundesarbeitsgericht hat geprüft, ob die Differenzierungsklausel gegen höherrangiges Recht verstößt, weil insbesondere nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlungen vorlägen. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat die Differenzierung nach dem Zeitpunkt der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft an einem Stichtag für sachlich begründet erachtet. Es hat nachvollziehbar dargelegt, dass diese Differenzierung auf den besonderen Kündigungsschutz derjenigen abhebt, die bereits Mitglied waren, weshalb ein Stichtag erforderlich war, um verlässlich zu bestimmen, wer die vereinbarten Leistungen erhalten würde. Zudem ist die Gewerkschaft ohnehin nur befugt, Abreden für ihre Mitglieder zu treffen, und kann schon aufgrund der Tarifautonomie nicht als verpflichtet angesehen werden, dabei alle Beschäftigten gleichermaßen zu berücksichtigen (ausführlich BAG, Urteil vom 15. April 2015 - 4 AZR 796/13 -, juris Rn. 40 ff.). Die Differenzierung nach der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft war insofern von Gründen getragen, die sich auf den Zweck des Tarifvertrags bezogen.
c) Es liegt auch kein Grund vor, generell anzunehmen, dass Sozialplanvolumina im Wege eigenständiger tarifvertraglicher Vereinbarungen zugunsten von Mitgliedern der Gewerkschaften zulasten der Nichtorganisierten ausgezehrt werden. Der Einwand des Beschwerdeführers, die Betriebs- und Tarifvertragsparteien hätten kollusiv zu seinen Lasten zusammengewirkt, verfängt nicht. Insbesondere war hier das Zustandekommen des Betriebsänderungsmodells insgesamt davon abhängig, dass der ganz überwiegende Teil - 90 % - der vom Ausscheiden betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer diesem Modell selbst zustimmten. In Anbetracht des Organisationsgrads der Gewerkschaft war dies wiederum nur erreichbar, wenn auch die betroffenen Beschäftigten, die nicht Mitglied der Gewerkschaft waren, mehrheitlich ihre Zustimmung zu den Abreden erklärten. Zudem erreichen die auf bisherige Mitglieder der Gewerkschaft beschränkten Vergünstigungen kein Ausmaß, das angesichts des Gesamtvolumens der vereinbarten Leistungen eine Auszehrung nahelegen würde.
3. Die übrigen Grundrechtsrügen des Beschwerdeführers greifen nicht durch. Zwar kann Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt sein, wenn eine Vorlage an den Großen Senat eines Bundesgerichts willkürlich unterbleibt (vgl. BVerfGE 3, 359 <364 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26. März 2014 - 1 BvR 3185/09 -, www.bverfg.de, Rn. 34). Das ist hier jedoch nicht hinreichend dargelegt.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.