Entscheidungsdatum: 21.12.2016
1. Das Urteil des Kammergerichts vom 27. April 2015 - 10 U 61/15 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes.
2. Die Entscheidung wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Kammergericht zurückverwiesen.
3. Das Land Berlin hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
4. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.
Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen ein zivilgerichtliches Urteil, das die Beschwerdeführerin zum Abdruck von Gegendarstellungen verpflichtet.
1. Die Beschwerdeführerin und Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beschwerdeführerin) verlegt die Tageszeitung "Der Tagesspiegel" und ist verantwortlich für den Internetauftritt www.tagesspiegel.de. Der Antragsteller im Ausgangsverfahren war früher Finanzsenator. Sein Verhalten wird unter anderem in der streitgegenständlichen Berichterstattung kommentiert.
Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist die Berichterstattung der Beschwerdeführerin über Verkaufsbemühungen um einen beinahe seit einem Jahrzehnt leer stehenden Gebäudekomplex, der aus einem Sockel und einem Turm besteht. Während der Turm Landeseigentum ist, befindet sich der Sockel im Eigentum einer Firma, deren Vorstandsvorsitzender mit dem Antragsteller persönlich bekannt ist. Hierüber berichtete die Beschwerdeführerin am 23. Januar 2015 unter dem Titel "Krimi um den Kreisel" in ihrer Druckausgabe und unter www.tagesspiegel.de unter der Überschrift "… Kreisel: Unternehmer und Senat kämpfen um Hochhaus und Sockel". Die Berichterstattung beschäftigt sich mit den Gründen für die Verzögerungen beim Verkauf. Das Land habe auch den Turm an die Eigentümerin des Sockels verkaufen wollen, habe sich aber an eine entsprechende Absichtserklärung nicht gehalten. Die Beschwerdeführerin spekuliert in ihrer Berichterstattung über die Gründe und vermutet zunächst, dass die Eigentümerin des Sockels nicht liquide sei. Es folgt dann die streitgegenständliche Passage, in der über weitere Gründe für die Haltung des Senats spekuliert wird.
(…) In der Branche wird das störrische Verhalten des Senats mit Belustigung beobachtet und eine Erklärung gibt es dafür auch: "Da haben sich zwei Alphatierchen ineinander verkeilt", sagt einer. Gemeint sind der frühere Finanzsenator … sowie der Käufer des Sockels …. Ziemlich beste Freunde seien die beiden zunächst gewesen, später sei das Verhältnis in herzliche Abneigung umgeschlagen.
Auf www.tagesspiegel.de erschien hierzu ein weiterer Artikel mit der Überschrift "Posse um … Kreisel - Dagegen ist die Pfuscherei am Flughafen BER ein Beispiel kühler Vernunft", der folgendermaßen in Fettdruck eingeleitet wurde:
Die Berliner Verwaltung kommt beim … Kreisel einfach nicht weiter - und das seit zehn Jahren. Mit den Gesetzen der normalen kaufmännischen Logik ist dieses Verhalten nicht zu erklären. Eine Glosse
Der weitere Artikel, der inhaltsgleich in einer regelmäßig erscheinenden satirischen Kolumne in der Druckausgabe abgedruckt wurde, lautet wie folgt:
Seit etwa einem Jahrzehnt würgt die Berliner Verwaltung am … Kreisel herum. Und wie sie das tut - dagegen ist die Pfuscherei am Flughafen BER vergleichsweise ein Beispiel kühler professioneller Vernunft. Der Kreisel besteht aus einem Sockel in Privatbesitz und dem furchtbaren Turm, den der Liegenschaftsfonds seit etwa einem Jahrzehnt loszuwerden versucht. Der Eigentümer des Sockels will diesen Turm, hat alle erforderlichen Unterlagen beisammen - doch der Liegenschaftsfonds sucht mit Inbrunst einen anderen Käufer, den er logischerweise nicht findet.
Mit den Gesetzen der normalen kaufmännischen Logik ist dieses Verhalten nicht zu erklären. Aber es gibt ein Indiz, woran es liegen könnte: Der gewesene Finanzsenator …, so heißt es, war mal dicke mit dem Sockelbesitzer, doch beide hätten sich heftig zerstritten. Was selbstverständlich nicht sein kann, denn ein so integrer Unternehmer in Staatsdiensten würde nie so schildbürgerhaft agieren, wie ihm mancher unterstellt.
(…)
2. Der Antragsteller erwirkte beim Landgericht eine einstweilige Verfügung, die die Beschwerdeführerin zum Abdruck von Gegendarstellungen zu allen genannten Artikeln verpflichtete. Auf den Widerspruch der Beschwerdeführerin bestätigte das Landgericht die einstweilige Verfügung.
3. Mit angegriffenem Urteil änderte das Kammergericht auf die Berufung der Beschwerdeführerin das landgerichtliche Urteil hinsichtlich der abzudruckenden Stellungnahmen ab. Die Stellungnahme lautete nach dem Tenor des kammergerichtlichen Urteils zu den Artikeln "Krimi um den Kreisel" und "… Kreisel: Unternehmer und Senat kämpfen um Hochhaus und Sockel":
Ich stelle dazu fest: Ich habe mich gegen den Verkauf des Turms des Steglitzer Kreisels an jeden Erwerbsinteressenten ausgesprochen, der nicht in der Lage oder bereit war, die Finanzierung für den Um- und Ausbau des Turms zu belegen. Eine Änderung meiner Haltung zu dem Erwerbswunsch des Kaufinteressenten des Sockels für den Turm hat es zu keiner Zeit gegeben.
(…)
Zu der Glosse "Dagegen ist die Pfuscherei am BER ein Beispiel kühler Vernunft" wurde die Beschwerdeführerin zum Abdruck der folgenden Stellungnahme verpflichtet:
Ich stelle dazu fest: Eine Änderung meiner Haltung zu dem Erwerbswunsch des Kaufinteressenten des Sockels hat es zu keiner Zeit gegeben.
Die Berichterstattung mit der Überschrift "Krimi um den Kreisel" in der Zeitung der Tagesspiegel enthalte gegendarstellungsfähige Tatsachenbehauptungen. Eine Gegendarstellung könne nur verlangt werden, wenn auf eine Tatsachenbehauptung mit einer entgegengesetzten oder ergänzenden Tatsachenbehauptung erwidert werde. Nach der Rechtsprechung liege eine Tatsachenbehauptung vor, wenn der Gehalt der Äußerung als etwas Geschehenes grundsätzlich dem Beweis zugänglich sei. Dabei gehörten zu den Tatsachen im Sinne des Gegendarstellungsrechts nicht nur die äußeren, sinnlich wahrnehmbaren Tatsachen, sondern auch die inneren Vorgänge des Seelenlebens, sobald sie zu einer äußeren Erscheinung in Beziehung treten. Zur Feststellung, ob es sich um eine Tatsachenbehauptung oder eine Meinungsäußerung handle, sei der Inhalt der Äußerung unter Berücksichtigung des Kontextes zu ermitteln. Dabei sei vom Standpunkt des durchschnittlichen Empfängers auszugehen.
Danach sei die Äußerung, deren Gegendarstellung mit der Berufung noch verlangt werde, als Tatsachenbehauptung zu qualifizieren. Der Durchschnittsleser verstehe die Mitteilung dahingehend, dass der Antragsteller die ursprünglich bestehende Bereitschaft, den Turm an den Käufer des Sockels zu verkaufen, geändert habe, und dass diese Änderung seines Verhaltens auf eine Verschlechterung der Beziehung zum Käufer des Sockels beruhe. Dass dem Antragsteller damit ein auf persönlichen Befindlichkeiten basierendes inkonsistentes Verhalten vorgeworfen werde, ergebe sich zum einen aus der Verwendung der Formulierungen "störrisch" und "zwei Alphamännchen ineinander verkeilt". Zum anderen erfahre der Leser, dass der Antragsteller einen Stimmungswandel durchlebt habe ("ziemlich beste Freunde…", später sei das Verhältnis in herzliche Abneigung umgeschlagen"). Die Gründe, die zu einer Änderung des geplanten Verkaufs geführt hätten, seien Geschehnisse, die - auch wenn sie auf einem zunächst inneren Vorgang beruhten - nach außen erkennbar geworden seien. Insbesondere seien sie - anders als die Frage, ob der Antragsteller mit dem "Sockelbesitzer" privat bekannt oder befreundet gewesen sei - einem Beweis zugänglich.
4. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihrer Presse- und Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG. Die geforderte Gegendarstellung wurde unter dem Druck der drohenden Zwangsvollstreckung zwischenzeitlich veröffentlicht.
5. Der Antragsteller im Ausgangsverfahren und die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz des Landes Berlin erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Antragsteller machte von seinem Äußerungsrecht Gebrauch. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen dem Bundesverfassungsgericht vor.
Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Ihr fehlt insbesondere nicht das Rechtsschutzbedürfnis, weil die Beschwerdeführerin die geforderte Gegendarstellung inzwischen abgedruckt hat. Es besteht ein fortwirkendes Rechtsschutzinteresse an der Klärung der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Gegendarstellung (vgl. BVerfGK 13, 97 <101>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 4. November 2013 - 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13 -, NJW 2014, S. 766).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Die angegriffene Entscheidung des Kammergerichts verletzt die Pressefreiheit der Beschwerdeführerin aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.
a) Bei der besonderen Garantie der Pressefreiheit geht es um die einzelne Meinungsäußerungen übersteigende Bedeutung für die freie und öffentliche Meinungsbildung (vgl. BVerfGE 85, 1 <12>). Die Pressefreiheit schützt die Pressetätigkeit in sämtlichen Aspekten. Auch die im Internet veröffentlichten Artikel, die im vorliegenden Fall bis auf die redaktionelle Gestaltung im Wesentlichen inhaltsgleich mit den Publikationen in der Druckausgabe der Zeitung sind und zu dieser in einem Ergänzungsverhältnis stehen, fallen in den Schutzbereich der Pressefreiheit, da ihnen die Wahl eines alternativen Verbreitungswegs nicht den Charakter als Presseerzeugnis nimmt.
b) Die Pflicht zum Abdruck einer Gegendarstellung greift in den Schutzbereich des Grundrechts ein, da die Freiheit der Entscheidung, welche Beiträge abgedruckt oder nicht abgedruckt werden, beschränkt wird.
c) Bei der Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen, die die Beeinträchtigung der Pressefreiheit rechtfertigen können, hier § 10 Berliner Pressegesetz, hat das Kammergericht Bedeutung und Tragweite der Pressefreiheit nicht hinreichend beachtet.
aa) Wegen der Abhängigkeit des Gegendarstellungsanspruchs von der Erstmitteilung verlangt die Pressefreiheit zunächst, dass die Erstmitteilung in einer den Anforderungen von Art. 5 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise gedeutet und eingeordnet wird. Ein Verstoß gegen die Pressefreiheit läge vor, wenn eine Gegendarstellung abgedruckt werden müsste, die von der gesetzlichen Grundlage nicht gedeckt ist, weil es sich bei der Erstmitteilung nicht um eine Tatsachenbehauptung handelt (vgl. BVerfGE 97, 125 <150 f.>; BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 967/05 -, NJW 2008, S. 1654 <1655> und der 3. Kammer des Ersten Senats vom 4. November 2013 - 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13 -, NJW 2014, S. 766 <767>).
bb) So liegt der Fall hier. Das Kammergericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die inkriminierten Äußerungen Tatsachenbehauptungen darstellen und hat hierbei die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zur Einordnung einer Äußerung verkannt.
(1) Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Tatsachenbehauptung oder als überwiegend durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägtes Werturteil anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext der fraglichen Äußerung an (vgl. BVerfGE 93, 266 <295>). Ziel der Deutung ist die Ermittlung des objektiven Sinns einer Äußerung. Maßgeblich ist dabei weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren (vgl. BVerfGE 93, 266 <295>).
(2) Wendet man diese Maßstäbe an, so sind die Äußerungen im Zusammenhang mit den Verhandlungen zum Verkauf des Turms, der Antragsteller und der Investor seien "ziemlich beste Freunde" bzw. "dicke" gewesen, keine dem Beweis zugängliche Tatsache. Es handelt sich um ironische Meinungsäußerungen. Die Äußerungen enthalten zwar indirekt die Tatsachenbehauptung, dass sich die Betreffenden - was unstreitig ist - längere Zeit kennen, stellen sich aber ihrem Schwerpunkt nach überwiegend als durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte subjektive Deutungen ihres Verhältnisses zueinander dar. Die Tatsache, dass die Verhandlungen um den Verkauf ins Stocken geraten sind, wird dahingehend bewertet, dass sich das Verhältnis zwischen den Vertragspartnern geändert hat. Ob dies auf eine Veränderung der Verhandlungspositionen und das Beharren beider Parteien auf ihrem Standpunkt ("Ineinander-Verkeilen von zwei Alphatierchen") zurückzuführen ist oder auf persönliche Animositäten, wird offen gelassen.
(3) Es liegt auch keine verdeckte Tatsachenäußerung vor, bei der sich eine im Zusammenspiel der offenen Aussagen enthaltene - vom Antragsteller bestrittene - zusätzliche eigene Aussage dem Leser als unabweisbare Schlussfolgerung aufdrängen muss (vgl. BVerfGK 2, 325 <328> unter Verweis auf BVerfGE 43, 130 <139>). Die an den Titel eines Films angelehnte Formulierung "ziemlich beste Freunde" und die Aussage, der Antragsteller und der Investor seien "dicke" gewesen, enthalten keine eindeutige Sachaussage der Verfasser. Es ist offen, ob die Verfasser eine persönliche Beziehung meinen oder ob sich die Aussage auf die geschäftliche Verbindung bezieht. Letztendlich lässt sich der Äußerung keine eindeutige Bedeutung zuordnen, so dass es an einer gegendarstellungsfähigen Tatsache fehlt.
3. Das angefochtene Urteil beruht auf dem Grundrechtsverstoß, denn es ist nicht auszuschließen, dass das Gericht zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre, wenn es Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG in seiner Tragweite für die zu entscheidenden Fragen berücksichtigt hätte (vgl. BVerfGE 61, 1 <13>; 93, 266 <294>).
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandwerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).