Entscheidungsdatum: 27.10.2016
Postunternehmen können betreffend sich nicht mehr in deren Gewahrsam befindlicher Postsendungen weder gemäß § 99 StPO, noch gemäß § 94 StPO zur Auskunft verpflichtet werden.
Der Antrag des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof, gemäß §§ 99, 100 Abs. 1, § 162 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO dem Paketzustelldienst ... aufzugeben, für die Zeit ab ... Auskunft zu erteilen über sämtliche Lieferungen, die an ... oder ... gerichtet waren, wird
abgelehnt.
I.
Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof führt gegen den Beschuldigten ... ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beihilfe zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß §§ 89a, 27 StGB. Dem Verfahren liegt der Tatvorwurf zugrunde, ...
Mit Schreiben vom hat der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof beantragt, gemäß §§ 99, 100 Abs. 1, § 162 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO dem Paketzustelldienst ... aufzugeben, für die Zeit ab ... Auskunft zu erteilen über sämtliche Lieferungen, die an ... gerichtet waren. Die Auskunft solle sich insbesondere auf die Namen und Anschriften der Absender, Hinweise auf den Inhalt der Lieferung(en), den Sendungsverlauf sowie alle Unterlagen, die Aufschluss über die Person(en) geben, die die Lieferung(en) in Empfang genommen hat/haben beziehen. Die Auskunftserteilung solle ferner die Herausgabe von Unterlagen, insbesondere unterschriebenen Quittungen - auch in elektronischer Form -, die eine Identifizierung des tatsächlichen Empfängers ermöglichen, umfassen.
II.
Der Antrag des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof war abzulehnen, da die Strafprozessordnung für die Anordnung der begehrten Auskunftserteilung keine Eingriffsnorm vorsieht.
1. Im Hinblick auf das Postgeheimnis aus Art. 10 Abs. 1 GG, § 39 PostG kommt als einzig denkbare Rechtsgrundlage § 99 StPO in Betracht. Nach dieser Vorschrift ist die Beschlagnahme der an den Beschuldigten gerichteten Postsendungen und Telegramme, die sich im Gewahrsam des Postunternehmens befinden, zulässig. Zwar enthält die Vorschrift des § 99 StPO nach allgemeiner Ansicht in der Rechtsprechung und Literatur als weniger einschneidende Maßnahme zur Beschlagnahme einen Auskunftsanspruch gegen das Postunternehmen (BGH (Ermittlungsrichter), Beschluss vom 11. Juli 2012 - 3 BGs 211/12; LG Hamburg, BeckRS 2009, 19797; LG Landshut, BeckRS 2013, 10378; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 99, Rn. 14; Greven in; KK-StPO, 7. Aufl., § 99 Rn. 11; Menges in: LR, 26. Aufl., § 99 Rn. 29; Günther in: MünchKom/StPO, § 99 Rn. 42/43; BeckOK StPO/Graf, Stand: 1. Juli 2016, § 99 Rn. 16). Liegen die Voraussetzungen der Postbeschlagnahme vor, so kann - unter den Voraussetzungen des § 100 StPO - statt dieser Auskunft über Sendungen verlangt werden, die an den Beschuldigten gerichtet sind oder bei denen Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sie von ihm herrühren oder für ihn bestimmt sind.
Das Auskunftsverlangen ist jedoch nur dann von § 99 StPO gedeckt, wenn zum Zeitpunkt des Auskunftsersuchens die Voraussetzungen des § 99 StPO erfüllt sind, sich mithin die Postsendung noch im Gewahrsam des Postunternehmens befindet. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Zwar wird in dem Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 11. Juli 2012 - 3 BGs 211/12 - und teilweise in der Literatur (Greven in; KK-StPO, 7. Aufl., § 99 Rn. 11; BeckOK StPO/Graf, Stand: 1. Juli 2016, § 99 Rn. 16) vertreten, dass in entsprechender Anwendung § 99 StPO auch auf solche Postsendungen bezogen werden kann, die sich nicht mehr im Gewahrsam der Stelle befinden. Begründet wird dies zum einen mit einem Verweis auf Nr. 84 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV). Nach Satz 2 dieser Vorschrift soll die Auskunft auch über solche Postsendungen erteilt werden, die sich bei Eingang des Ersuchens nicht mehr im Machtbereich des Postunternehmens befinden. Ferner wird argumentiert, dass es mit den Grundgedanken des § 99 StPO in Widerspruch stünde, wenn nach Beendigung des Gewahrsams der Post an der Sendung dem Postgeheimnis in einem Umfang Schutz gewährt würde, der über den hinaus gehe, der während des Postgewahrsams bestanden habe.
Diese Meinung überzeugt nach Ansicht des erkennenden Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs nicht. Mit der überwiegend in der Literatur und untergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 59. Aufl., Menges in: LR, 26. Aufl., § 99 Rn. 29; Günther in: MünchKom/StPO, § 99 Rn. 42/43; § 99, Rn. 14; LG Hamburg, BeckRS 2009, 19797; LG Landshut, BeckRS 2013, 10378) vertretenen Meinung stellt § 99 StPO vielmehr für die Verpflichtung zur Auskunftserteilung keine taugliche Eingriffsgrundlage dar, wenn sich die Postsendung nicht mehr im Gewahrsam des Postunternehmens befindet.
Die Zulässigkeit der Auskunftserteilung über Umstände, die dem verfassungs- und einfachrechtlich geschützten Postgeheimnis unterliegen, ist gesetzlich nicht explizit geregelt. Im Gesetzgebungsverfahren zu § 39 PostG wurde diese Problematik gesehen und ausführlich diskutiert. Der Bundesrat hatte insoweit angeregt, mit Blick auf § 39 PostG ein Auskunftsrecht ausdrücklich gesetzlich zu regeln. Dem war die Bundesregierung mit dem Hinweis entgegengetreten, nach herrschender Meinung sei in der Beschlagnahmebefugnis das geringere Recht enthalten, von einem Postunternehmen Auskunft zu verlangen, so dass weiterer Gesetzgebungsbedarf nicht bestehe (vgl. BTDrs. 13/8453, S. 4, 12; Menges in: LR, 26. Aufl., § 99 Rn. 29). Der Gesetzgeber hat sich damit bewusst dafür entschieden, einen über § 99 StPO hinausgehenden Auskunftsanspruch nicht zu regeln. Bereits aus diesem Grund verbietet sich eine über den originären Anwendungsbereich des § 99 StPO hinausgehende analoge Anwendung der Norm auf Auskünfte betreffend Postsendungen, die sich nicht mehr im Gewahrsam des Postunternehmens befinden. Eine analoge eingriffserweiternde Anwendung ist ferner aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zulässig, denn der Schutz des Grundrechts aus Art. 10 Abs. 1 GG erstreckt sich auch die Aspekte, ob, wann und warum zwischen mehreren Beteiligten unter welchen Umständen eine Korrespondenz stattgefunden hat (BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 1984 - 1 BvR 1494/78, BVerfGE 67, 154 juris Rn. 45). Diesem Inhalt des verfassungsrechtlich geschützten Rechts entspricht auch der klare Wortlaut des § 39 PostG. Gesetzliche Regelungen, die zu Eingriffen in das Grundrecht aus Art 10 GG ermächtigen, müssen dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenbestimmtheit und Normenklarheit genügen, d. h. Anlass, Zweck und Grenzen des Eingriffs müssen in der Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und normenklar festgelegt werden (BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 - 1 BvF 3/92, BVerfGE 110, 33, juris Rn. 102). Die analoge Anwendung einer Eingriffsnorm über ihren Wortlaut hinaus würde diese Grundsätze leerlaufen lassen. Eine Berufung auf Nr. 84 Satz 2 RiStBV verbietet sich insoweit, denn Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren stellen ihrer Rechtsnatur nach dienstliche Anweisungen nach § 146 StPO dar. Sie sind keine Eingriffsnormen, auf die ein Grundrechtseingriff gestützt werden könnte (vgl. LG Hamburg, BeckRS 2009, 19797; LG Landshut, BeckRS 2013, 10378).
Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, nicht der Rechtsprechung, diese Lücke zu schließen. Ähnlich gelagert dürfte die Problematik betreffend Postsendungen, die sich noch nicht im Gewahrsam des Postunternehmens befinden, sein.
2. Ein Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften zur Beschlagnahme gemäß §§ 94 ff. StPO verbietet sich aus den unter Ziffer 1 ausgeführten verfassungsrechtlichen Gründen und des Vorranges des § 99 StPO (anders aber LG Landshut, BeckRS 2013, 10378).
Wimmer
Richterin am Bundesgerichthof