Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 14.03.2018


BVerwG 14.03.2018 - 1 B 9/18

Verpflichtungserklärung kann Haftung für Beitragszahlungen zur Krankenversicherung ausnehmen


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsdatum:
14.03.2018
Aktenzeichen:
1 B 9/18
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2018:140318B1B9.18.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 8. Dezember 2017, Az: 18 A 1040/16, Urteilvorgehend VG Minden, 13. April 2016, Az: 7 K 2764/15, Urteil
Zitierte Gesetze

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.

2

1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110 und vom 10. August 2016 - 1 B 82.16 - juris Rn. 3).

3

Die Beschwerde wendet sich dagegen, dass nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts der Verpflichtete aus einer Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG, die er zugunsten zweier syrischer Staatsangehöriger eingegangen ist, vom Beklagten nicht zur Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung herangezogen werden kann. In diesem Zusammenhang hält die Beschwerde für grundsätzlich klärungsbedürftig,

1. "ob die in § 68 Absatz 1 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) enthaltenen Tatbestandsmerkmale 'sämtliche öffentlichen Mittel ..., die für den Lebensunterhalt des Ausländers einschließlich ... der Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden' entsprechend dem Bezug zum jeweiligen Leistungssystem auszulegen sind und daher in den jeweiligen Leistungssystemen unterschiedliche Bedeutung haben können";

2. "ob und gegebenenfalls inwieweit eine öffentliche Stelle auf Inhalt und Umfang von Erstattungsansprüchen, die einer anderen öffentlichen Stelle nach § 68 Absatz 2 Satz 3 AufenthG dem Grunde nach zustehen, einwirken kann, indem sie den Inhalt der einseitig empfangsbedürftigen Willenserklärung des Verpflichtungsgebers beeinflusst, und ob insoweit die Grenzen zulässiger Auslegung überschritten wären. Es geht somit um die Frage, ob die gesetzlichen Regelungen zu Erstattungsansprüchen nach § 68 AufenthG durch Zusagen einer öffentlichen Stelle zu einem Leistungssystem (hier: Ausländerbehörde zum Asylbewerberleistungsgesetz auf der Grundlage des Landesaufnahmeprogramms Nordrhein-Westfalen) zulasten einer anderen öffentlichen Stelle in einem anderen Leistungssystem (hier: Bundesagentur für Arbeit - BA - in der Grundsicherung für Arbeitsuchende) abänderbar sind".

4

Die aufgeworfenen Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision. Denn sie können bereits anhand des Gesetzes unter Berücksichtigung der anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden.

5

In Bezug auf Frage 1 ergibt sich schon aus dem Gesetzeswortlaut des § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, dass der Verpflichtete sämtliche öffentlichen Mittel zu erstatten hat, die für den Lebensunterhalt des Ausländers aufgewendet werden. Als erstattungspflichtig werden im Gesetz ausdrücklich auch aufgewendete Mittel zur Versorgung im Krankheitsfall und bei Pflegebedürftigkeit genannt. Das können für Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 AufenthG Leistungen bei Krankheit nach § 4 AsylbLG sein und bei Beziehern von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose nach dem SGB II - wie hier im Streit - Beitragszahlungen zur Kranken- und Pflegeversicherung. Allerdings hat das Berufungsgericht die abgegebene Verpflichtungserklärung des Klägers ohne Verstoß gegen allgemeine Erfahrungsgesetze, Denkgesetze oder Auslegungsregeln dahin ausgelegt, dass sie nicht die Haftung für Kosten erfasst, die für die Versorgung im Krankheitsfall und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden müssen.

6

In Bezug auf Frage 2 ergibt sich aus der Rechtsnatur einer gegenüber einer bestimmten Behörde - hier der Ausländerbehörde des Kreises G. - abgegebenen Verpflichtungserklärung als einseitiger empfangsbedürftiger Willenserklärung, dass ihr Inhalt gemäß den §§ 133, 157 BGB nach dem Empfängerhorizont (hier dem der Ausländerbehörde) auszulegen ist (BVerwG, Urteil vom 24. November 1998 - 1 C 33.97 - BVerwGE 108, 1 <5 f.>). Wenn die Ausländerbehörde eine Verpflichtungserklärung entgegennimmt, die die Haftung für bestimmte Leistungen ausschließt und in Kenntnis des partiellen Ausschlusses eine Aufenthaltserlaubnis für einen oder mehrere Ausländer erteilt, um der spezifischen staatlichen Mitverantwortung für Aufnahmen in Bürgerkriegssituationen Rechnung zu tragen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2017 - 1 C 10.16 - BVerwGE 157, 208 Rn. 38), ist die Erklärung mit diesem Inhalt wirksam geworden. Dies gilt auch dann, wenn in der Erklärung die Erstattungspflicht zulasten eines anderen Rechtsträgers (hier: der Bundesagentur für Arbeit) sachlich und/oder zeitlich eingeschränkt worden ist. Selbst wenn die Ausländerbehörde durch ihr Verhalten interne Bindungen verletzt haben sollte, die für sie gegenüber einer anderen Behörde oder Institution bestehen, betrifft das ausschließlich ihr Verhältnis zum Drittbetroffenen, ist jedoch ohne Einfluss auf den Inhalt der vom Ausländer abgegebenen Willenserklärung.

7

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts (4 295,25 € minus 3 446 €) ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.