Entscheidungsdatum: 07.12.2015
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. August 2015 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne vom § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 10. März 2015 - 1 B 7.15 - juris und vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110).
a) Soweit die Beschwerde sinngemäß für grundsätzlich klärungsbedürftig hält, ob bei einer überlangen Dauer des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates (hier: über neun Monate) eine Pflicht zum Selbsteintritt des ersuchenden Mitgliedstaates nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung infolge einer Ermessensreduzierung auf Null besteht, rechtfertigt dies nicht die Zulassung der Revision.
Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union lässt sich darüber hinaus eine Pflicht zum Selbsteintritt nur ableiten, wenn in einer Situation, in der Grundrechte des Antragstellers im Falle der Überstellung an den an sich zuständigen Mitgliedstaat wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber verletzt würden, die Lage des Antragstellers durch eine unangemessen lange Verfahrensdauer noch verschlimmert würde (vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 [ECLI:EU:C:2011:865], N.S. u.a. - Rn. 98 und vom 14. November 2013 - C-4/11 [ECLI:EU:C:2013:740], Puid - Rn. 35). Das Berufungsgericht nimmt zu Recht an, dass mit einer solchen Konstellation der vorliegende Fall nicht vergleichbar ist. Unabhängig hiervon wäre, selbst wenn man der Rechtsprechung des Gerichtshofs einen allgemeinen Anspruch auf eine angemessene Verfahrensdauer entnehmen wollte, eine Verfahrensdauer von etwas über neun Monaten von der Asylantragstellung bis zur Erteilung der Zustimmung zur Wiederaufnahme nicht unangemessen lang (vgl. zu einer Verfahrensdauer von etwas mehr als elf Monaten: BVerwG, Urteile vom 27. Oktober 2015 - 1 C 32.14, 1 C 33.14 und 1 C 34.14 - jeweils Rn. 21).
b) Des Weiteren wirft der Kläger als grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage auf,
"ob nicht entsprechend der Dublin III-Verordnung für Wiederaufnahmegesuche eine Frist von nur zwei Monaten bei Vorliegen einer Eurodac-Treffermeldung greift (entsprechend Art. 23 Abs. 2 Dublin III-Verordnung)."
Auch diese Frage ist nicht entscheidungserheblich. Denn aus der Übergangsregelung des Art. 49 Abs. 2 Dublin III-Verordnung ergibt sich, dass die Dublin III-Verordnung erst auf Anträge zur Erlangung internationalen Schutzes anwendbar ist, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt werden. Im vorliegenden Fall wurde der erneute Asylantrag bereits am 25. Februar 2013 gestellt, weshalb Art. 23 Abs. 2 Dublin III-Verordnung hier nicht zur Anwendung gelangen kann. Gründe für eine analoge Anwendung, die insbesondere eine Regelungslücke voraussetzt, legt die Beschwerde nicht in hinreichender Weise dar.
c) Die Kläger halten weiterhin für grundsätzlich klärungsbedürftig,
"ob verneinendenfalls die Überstellungsfrist erst zu laufen beginnt, wenn über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden ist, wenn auf gerichtliche Anordnung vorher die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels angeordnet wurde, wenn zum Zeitpunkt des Erlasses des ablehnenden Asylbescheides (hier: 27.01.2014) die überlange Verfahrensdauer von neun Monaten unstreitig bereits vorliegt."
Wie sich aus den obigen Ausführungen (zu 1. a) ergibt, kann eine Verfahrensdauer von etwas über neun Monaten von der Asylantragstellung bis zur Erteilung der Zustimmung zur Wiederaufnahme bereits nicht als unangemessen lang angesehen werden, weshalb es auf die von den Klägern aufgeworfene Frage nicht entscheidungserheblich ankommt. Darüber hinaus ist die Frage, ab welchem Zeitpunkt die Überstellungsfrist zu laufen beginnt, wenn nach innerstaatlichem Recht einem Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung zukommt, für die Dublin II-Verordnung durch den Gerichtshof der Europäischen Union durch Urteil vom 29. Januar 2009 (C-19/08 [ECLI:EU:C:2009:41], Petrosian - Rn. 42 ff.) geklärt. Der Gerichtshof stellte fest, dass für die entsprechende Regelung bei der Wiederaufnahme eines Asylsuchenden nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. d und Art. 20 Abs. 2 Dublin II-Verordnung die Frist für die Durchführung der Überstellung nicht bereits ab der vorläufigen gerichtlichen Entscheidung läuft, mit der die Durchführung des Überstellungsverfahrens ausgesetzt wird, sondern erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird und die der Durchführung der Überstellung nicht mehr entgegengesetzt werden kann. Die ratio der Entscheidung besteht darin, den Mitgliedstaaten eine Überstellungsfrist von sechs Monaten in vollem Umfang zur Durchführung der Überstellung zu ermöglichen (vgl. EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 -, Rn. 44).
d) Soweit die Kläger ferner für grundsätzlich klärungsbedürftig erachten,
"ob sich der gerichtlich überprüfbare Anspruch des Antragstellers in diesem Fall nur auf systemische Mängel im als verfahrenszuständig bestimmten Staat beschränkt oder darüber hinaus auch weitere Rechtsaspekte, wie z.B. nach Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland sich erstmalig ergebende neue Asylgründe, nicht auch hier überprüft werden müssen",
kann auch dies nicht zur Zulassung der Revision führen.
Diese Frage ist ebenfalls nicht entscheidungserheblich. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist das mit der Anfechtungsklage zu verfolgende Begehren auf Aufhebung einer Entscheidung über die Unzuständigkeit Deutschlands für die Prüfung eines Asylantrages nach den unionsrechtlichen Regelungen der Dublin II-Verordnung und nicht eine Verpflichtungsklage, im Rahmen derer über die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zu entscheiden wäre. Die Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid vom 27. Januar 2014 die Zuständigkeit der Tschechischen Republik für die Durchführung des Asylverfahrens angenommen und ausdrücklich keine materielle Prüfung der Gründe für das Wiederaufgreifen des Verfahrens (§ 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG) vorgenommen.
e) Schließlich rechtfertigt auch die von den Klägern aufgeworfene Frage,
"ob die Beklagte und der Bayerische VGH zu Recht für die Tschechische Republik grundsätzlich das Vorliegen von systemischen Mängeln verneint hat",
nicht die Zulassung der Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache.
Diese Fragestellung führt auch nicht ansatzweise auf eine in einem Revisionsverfahren klärungsfähige und -bedürftige Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Vielmehr stellt die Beschwerde mit diesem Vorbringen im Gewande der Grundsatzrüge die dem Tatrichter vorbehaltene Feststellung der tatsächlichen Prognosegrundlagen und dessen darauf aufbauende prognostische Würdigung infrage, den Klägern drohe infolge der angeordneten Abschiebung in die Tschechische Republik dort nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen. Die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vermag die Beschwerde mit diesem Vorbringen nicht zu erreichen.
2. Auch die von der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) führen nicht zur Zulassung der Revision.
a) Die Beschwerde macht als Verfahrensmangel eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 138 Nr. 3 VwGO) geltend. Das Berufungsgericht habe den Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Kläger im Schriftsatz vom 13. Juli 2015 in den Entscheidungsgründen nicht erwogen. In diesem Schriftsatz sei ausgeführt worden, dass in der Tschechischen Republik ein rechtsstaatliches Verfahren nicht durchgeführt werde. Den Klägern sei nach Abschluss des Verfahrens ein Dokument in russischer Sprache ausgehändigt worden, wonach sie bei einer weiteren Antragstellung sofort abgeschoben werden würden. Ausweislich der Entscheidungsgründe (S. 8 UA) hat sich das Berufungsgericht indes mit dem entsprechenden Vortrag der Kläger auseinandergesetzt und dargelegt, dass die beschriebene Verfahrensweise geltendem Unionsrecht entspreche und daher keine systemischen Mängel des Asylverfahrens begründeten. Die weiteren, in der Beschwerdeschrift angeführten Gründe für die von den Klägern behaupteten systemischen Mängel des Asylverfahrens in der Tschechischen Republik begründen keine Gehörsverletzung, da diese erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebracht wurden und daher vom Berufungsgericht nicht berücksichtigt werden konnten.
b) Auch eine den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung liegt nicht vor. Eine solche ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschluss vom 27. Juli 2015 - 9 B 33.15 - NJW 2015, 3386 - juris Rn. 8 m.w.N.) gegeben, wenn ein Gericht einen bis dahin nicht erörterten oder sonst hervorgetretenen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der alle oder einzelne Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten, und die Beteiligten sich dazu nicht äußern konnten. Ansonsten besteht im Grundsatz keine Pflicht des Gerichts, den Beteiligten seine Auffassung jeweils vor dem Ergehen einer Entscheidung zu offenbaren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. November 1986 - 1 BvR 706/85 - BVerfGE 74, 1 <5 f.>). Ein Gericht muss die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 29. Januar 2010 - 5 B 21.9 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 61 - Rn. 18 m.w.N.).
Nach diesen Maßstäben sind die Voraussetzungen für einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör durch eine unzulässige Überraschungsentscheidung nicht dargetan. Aus Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO ergibt sich, dass eine gerichtliche Entscheidung nur auf solche Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden kann, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Das Berufungsgericht hat ausweislich der angefochtenen Entscheidung (UA S. 9 f.) den mit gerichtlichem Schriftsatz vom 17. Juli 2015 eingeführten Erkenntnisquellen entnommen, dass dem Asylsystem der Tschechischen Republik keine systemischen Mängel anhaften. Die Kläger hatten Gelegenheit, sich zu den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln zu äußern. Es ist daher nicht ersichtlich, dass das angefochtene Urteil im Hinblick auf die verneinten systemischen Mängel des Asylsystems in der Tschechischen Republik das rechtliche Gehör der Kläger verletzt.
c) Die Beschwerde beanstandet schließlich, dass das Berufungsgericht nicht ohne mündliche Verhandlung hätte entscheiden dürfen, weil die Kläger einer Entscheidung gemäß § 130a VwGO ausdrücklich widersprochen hatten. Hätte das Berufungsgericht die Kläger in der mündlichen Verhandlung angehört, hätten sie ihre Angaben zu den systemischen Mängeln in der Tschechischen Republik konkretisieren können.
Auch dieses Vorbringen lässt nicht erkennen, dass die angefochtene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruht. Entgegen der Ansicht der Kläger ist die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht deshalb verfahrensfehlerhaft, weil der Verwaltungsgerichtshof, nachdem er die Beteiligten dazu angehört hat, über die Berufung ohne mündliche Verhandlung im vereinfachten Verfahren gemäß § 130a VwGO entschieden hat.
Ob ein Berufungsgericht den ihm gemäß § 130a VwGO eröffneten Weg einer Entscheidung im Beschlussverfahren beschreitet, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen, das grundsätzlich nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüfbar ist; dabei ist insbesondere die Schwierigkeit der Sache ein im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigender wesentlicher Gesichtspunkt (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 2004 - 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211 <213 f.>; Beschlüsse vom 27. Januar 2011 - 3 B 63.10 - NJW 2011, 1830 Rn. 8 und vom 7. September 2011 - 9 B 61.11 - Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 61 Rn. 4). Hiernach erweist sich die Entscheidung des Berufungsgerichts für das Beschlussverfahren gemäß § 130a VwGO nicht als sachfremd oder grob fehlerhaft, insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Streitfall einen außergewöhnlichen Schwierigkeitsgrad aufweist. Dass die Kläger einer Entscheidung gemäß § 130a VwGO - hier ohne neuen Sachvortrag oder zusätzliche Beweisangebote - ausdrücklich widersprochen haben, ist unerheblich (BVerwG, Beschluss vom 7. September 2011 - 9 B 61.11 - Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 61 Rn. 4).
3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO). Der Schriftsatz der Beschwerdegegnerin vom 30. November 2015 enthält keinen neuen Sach- oder Rechtsvortrag, so dass er dem Beschwerdeführer nicht vor der Entscheidung zuzuleiten war.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.